Frau + Karbon = Randonneur(in) - aber nicht nur ...

Superrandonnée „Ötztal-Rundfahrt“ ODER der Wunsch nach Hause abzukürzen

600 km – knapp 11.000 Hm – 60 Stunden Zeit           Info            italiano            strava
Die Strecke:  Brixen -Ritten – Penser Joch – Jaufen – Timmelsjoch – Kühtai – Buchener Sattel – Kesselberg – Achensee – Brenner – Brixen

Zunächst mein Video (4 min)

strecke2

Pfingsten 2019. Einen Tag vor unserer geplanten Abfahrt wird das Timmelsjoch freigegeben – unserer Superrandonnée steht nichts mehr im Weg. Der erste Tag würde etwas anstrengend, aber wohl locker machbar, der zweite schon nicht mehr so schlimm und der dritte würde wohl nur noch Heimrollen sein von München nach Brixen. Dachte ich mir …

TAG 1

Ritten: Nach 18km geht es schon hoch. Der Ritten ist unser erster Berg. Die kurzen steilen Passagen stecke ich noch leicht weg. Dann geht es flott durch das Sarntal – mit Rückenwind.

penser.jpg

Penser Joch: Das hatte ich nicht erwartet, schon ein paar Kilometer unter der Passhöhe wartet der Mann mit dem Hammer. Nanu? Jetzt schon? Dachte eigentlich, der würde mir erst in Richtung Timmelsjoch begegnen. Mein Käsebrot rettet mich auch nur kurz. Ich finde immer wieder eine Ausrede kurz stehen zu bleiben. Die Abstände dazwischen werden immer kleiner. Wie soll ich die nächsten beiden Passhöhen heute noch erreichen, wenn ich jetzt schon eine solche Krise habe? Ich spiele ernsthaft mit dem Gedanken, in Sterzing rechts abzudrehen und die paar Kilometer heim zu rollen. Eigentlich aber schade, ich hatte mich so auf die Fahrt gefreut.  Und dann das. Nach nicht mal 100 Kilometern schon so weiche Knie … Fotos gibt es keine vom Aufstieg. Warum soll ich mein voraussichtliches DNF auch noch knipsen? Die Ankunft auf dem Joch bringt eine weitere Enttäuschung. Kuchen und Cola leider Fehlanzeige: Der Alpenrosenhof ist noch geschlossen.

K640_20190609_104902 - Kopie

Jaufen-Pass: Nach einer kleinen Stärkung mit Eis, Latte Macchiato  mit zweimal Zucker und einer Cola sieht die Welt anders aus. Ich habe beschlossen, dass ich mir noch eine Chance gebe. Ich werde mal ein Stück die Pass-Straße hochfahren. Umkehren und zurückrollen kann ich ja immer noch.  Und -siehe da- es geht gar nicht mal schlecht. Die angenehme Steigung und die Aussicht auf die Einkehr im Jaufenhaus motivieren mich. Und dann noch mein persönliches Doping: Hörbuch. Die spannende Geschichte lässt mich vergessen, dass noch ein weiterer Pass auf uns wartet heute. Der Wunsch, nachhause abzukürzen, hat sich im Moment verflüchtigt.
Nudelsuppe mit Rindfleisch und Cola. Normalerweise kann man mich damit vergraulen. Aber heute lechtst mein Körper genau danach. Und noch ein Latte Macchiato mit zweimal Zucker.

K640_20190608_191648 - Kopie

Timmelsjoch: In Sankt Leonhard versichere ich mich per Telefon im , ob das mit unserem Zimmer im Gasthof Hochfirst in Ordnung geht, auch wenn wir etwas später eintrudeln sollten. Die erste Steigung bis Moos in der spät-nachmittäglichen Hitze sind etwas mühsam. Kurz kommt wieder mal der Gedanke auf nachhause abzukürzen: ganz einfach raus nach Meran rollen und locker nach Brixen pedalieren. Aber das Schlaflager lockt, es ist sicher schneller erreicht, als die 90 km zurück nach Hause. Etwas wehmütig passiere ich das Hotel Schönau. Von hier sieht man das etwas höher gelegene Hochfirst. Warum habe ich nicht hier eingebucht? Also weiter. Wir kommen früher oben an als ich mir erwartet hatte. Es ist noch nicht einmal dunkel. Die heiße Dusche – welche Wohltat und dann das kuschelige Bett erst. Die Augen schließe ich, allerdings will der ersehnte Schlaf nicht kommen. Ich liege die ganze Nacht wach und lasse die letze Woche Revue passieren: Meterhohe Schneewände auf dem Timmelsjoch und immer wieder das „Nein“ der Lawinen-Kommission. Dann das OK für das Wochenende. Vorfreude und dann die Dämpfung auf dem Weg aufs Penser Joch. Und jetzt nicht schlafen können … Nach dem Kühtai werde ich wohl endgültig nachhause abkürzen müssen …

K640_20190609_063739 - Kopie

TAG 2

Um halb sechs sind wir wieder im Sattel. Wunderschöne Morgenstimmung und kein Verkehr. Das Timmelsjoch ist erst ab 7 Uhr geöffnet.

Kühtai: Ab Ötz wird es wieder ernst, sogar sehr, denn die Steigung tut schon etwas weh. Ochsengarten winkt mit Cola, Apfelstrudel und Latte Macchiato mit zweimal Zucker. Dann wird es bitterböse mit 17% Steigung. Aber ich habe überlebt, wieder mit Hörbuch-Doping. Nur kurz streift mich der Gedanke, dass ich von hier doch nach Hause abkürzen könnte. Aber das ist nun keine ernsthafte Option mehr.

K640_20190609_070755 - Kopie

Buchener Sattel: Bei Telfs der nächste Anstieg. Diesmal in der prallen Sonne. Ächtz!

Bis München: Kein ernster Berg mehr. Aber viele schöne Landschaften auf Nebensträßchen. Highlight am Weg ist der Walchensee. Hier ist allerdings die Hölle los. Menschenmassen sind unterwegs und schätzungsweise Millionen von Autos, die sich von der Kesselberger Höhe runterwälzen zum Kochelsee und wahrscheinlich nach Hause oder ins Urlaubsquartier nach einem Sonntag am See. In Kochel am See kehren wir wieder im Hotel Postillon ein, das wir schon vom Jahr zuvor vom 600er Brevet, der Allgäu-Rundfahrt der Aramuc kennen. Wieder sind wir entsetzt über die Miniportionen und die Mega-Preise. Naja, klar, wir sind halt in einem Tourismus-Ort.
Vorbei am imposanten Kloster Benediktbeuren genießen wir die Streckenführung. Es geht durch Wiesen und Felder, dann entlang der Isar und bis Deisenhofen, vor den Toren Münchens. Hier schlagen wir im Hotel Abendruhe unser Lager auf, einem netten Garni in Oberhaching. Der riesengroße Vorteil, wir können ganz unkompliziert ankommen, wann wir wollen und ebenso abfahren. Und das Gartenhäuschen wurde vor unserer Ankunft kurzerhand in ein Carport, äh Bikeport umfunktioniert. Danke!

K640_20190609_114510 - Kopie

TAG 3

Achensee: Dieser Tag würde wohl eine Regenerationsfahrt werden nach all den Strapazen … Dachte ich … In aller Frühe, es regnet leicht, brechen wir auf. Die 70 km bis zur ersten Kontrollstelle ist doch ein Klacks. Dachte ich mir. Wir brauchen gefühlt ewig für die paar Kilometer. Es geht rauf und runter, hin und her, durch Dörfchen und das ohne Frühstück. Unterwegs auch kein offenes Lokal. Die Bäckerei Adler in Achenkirch hat zwar offen, aber nur noch eine Viertelstunde und so müssen wir uns mit einem Mini-Frühstück begnügen. Aber meine Lebensgeister sind erwacht nach Latte Macchiato mit zweimal Zucker.

K640_IMG_0759

Brenner: Die rasante Abfahrt nach Jenbach. Ein Moment der Unachtsamkeit und wir sind weg von der Strecke. Nochmal hoch fahren? Nein danke! Machen wir halt einen kleinen Umweg. Hermann braust davon. Ich beschließe die stark befahrene Straße zu meiden und biege nach Wiesing ab. Vermutlich treffe ich im Talboden wieder auf Hermann. Fehlanzeige. Ich schreibe ihm eine Nachricht. Auch er ist auf dem Weg zur Originalstrecke. In Jenbach warte ich bei der Kirche, Hermann ist laut seiner Aussage hinter mir.

K640_20190610_081002

Als er nach einer Viertelstunde noch nicht da ist, frage ich mal nach: Mein Göttergatte ist schon in Stans!!! Das heißt 6 km weiter. Mich wundert es eh, dass wir uns auf dieser Fahrt noch nie verloren haben, das passiert nämlich auf viel kürzeren Ausfahrten regelmäßig und manchmal schon wenige hundert Meter nach Start von zuhause. Hahahhaaaaa! Das ist schon legendär und zeugt von unseren beiden Dick-Köpfen … Ich bin einfach nicht das Weibchen, das seinem Gatten treu und kopflos folgt, sondern will meinen regelmäßig durchsetzen … und mein Göttergatte berücksichtigt nicht immer, dass mehrere Wege nach Rom führen und ich manchmal nicht so schnell nachkomme und somit eigene Wege gehe… äh radle.
Von Jenbach zunächst auf der Südseite des Tales, dann bei Volders Wechsel der Talseite. Bei der Karlskirche, einer Klosterkirche im Rokoko-Stil, wird es bitterernst.

K640_20190609_155608

Die ersten Kilometer überschreiten nicht selten die 10%-Steigung. Das tut weh! Am Westhang des Patscherkofels geht es nun über Igls, Lans, Ellbögen, Pfons nach Matrei. Bei einer Einkehr beim Tuxerbauer in Tulfes wecken wir unsere Lebensgeister mit den angebotenen Köstlichkeiten. Nein, nicht mit den Produkten der hofeigenen Schnapsbrennerei, sondern mit den Leckereien der Bauernkuchl und Cola und was wohl? Ja, Latte Macchiato mit zweimal Zucker.
Und dann? Auf der Weiterfahrt Schaltkabel-Riss bei Hermanns Rad. Und wie kommen wir jetzt von Matrei auf den Brenner und dann noch heim? Ich wäre „aufgeschmissen“ …, Hermann bastelt etwas rum und kommt mit seinen zwei Gängen gut weiter. In ebenen Passagen pedaliert er zwar wie verrückt, um halbwegs flott weiter zu kommen, dafür ist er bei den Anstiegen auf und weg … Den Brenner erleben wir wieder mit Kuchen und Latte Macchiato mit zweimal Zucker für mich. Als wir weiter wollen entdecken wir mit Schrecken die bleiernen Wolkentürme, die sich zusammengebraut haben. Kurz vor Pflersch fängt es an zu schütten und zu gewittern. Ich schreie mir hinter Hermann die Seele aus dem Leib, damit er anhält und nicht weiter in das Unwetter hinein fährt. Es vergehen einige Hundert Meter, bis er anhält. Er hatte gedacht, sein Rad quietscht. Haha! Nach kurzer Zeit im Unterstand ist der Spuk vorbei. Die Weiterfahrt bringt uns noch einen Platten und ersten Test der Maxalami. Nach ein paar Minuten sind wir schon wieder auf dem Weg. Am frühen Abend sind wir wieder zuhause. Die gemütliche Heimfahrt am dritten Tag war wohl nix … Einmal wieder ein typischer Fall von „Denkste!“

karte
K640_20190610_193112

Danke Jörg und Igor, dass ihr euch um Brixen als Startort der Superrandonnée „Ötztal-Rundfahrt“ bemüht habt!
Die Superrandonnée hat ihren Namen zurecht verdient. Die Härte hat mir mehrmals mental einiges abverlangt. Aber aufgeben gibt es nicht … wenn ich mir die „Abkürzung“ auch ein paarmal in den schönsten Farben ausgemalt hatte.

16 Kommentare

  1. Torsten

    Schön, richtig schön! Die Art und Weise wie Du darüber berichtest und das Video finde ich einfach nur schön. Fast wie bei Deinem Bericht von der 6+6, Ich weiß nicht wie oft ich den schon gelesen habe :).

    • gabiwinck

      Daaaaanke, Torsten!!

  2. Carolyn von Ciclista.net

    Tolle Tour 😊

  3. Imi

    Tolle und offensichtlich sehr anspruchsvolle Tour, Respekt! Und Danke für den schönen Bericht und die Fotos!

    • gabiwinck

      Ja, wirklich toll!! Empfehlenswert … und wie du sagst anspruchsvoll …

  4. Helga Rier

    Bravo Gabi , bravo Hermann und das in nur 4 Tagen …. weiterhin Radl-Heil….🚲🚲

    • gabiwinck

      Danke, Helga! Waren harte aber wunderschöne DREI Tage … LG aus Brixen

  5. Jost

    Ein sehr schöner Reisebericht Gabi. Da steigt die Vorfreude die Ötztalrundfahrt Anfang Juli selber in Angriff zu nehmen. Mal sehen wie bis dahin das Wetter wird.
    Es ist immer wieder erstaunlich, wie groß die Temperaturunterschiede zwischen Passhöhe und Tal sind. Die eisfreie Straße am Timmelsjoch kann man sich bei Temperaturen um die 30°C nur schwer vorstellen.

  6. gabiwinck

    Danke, Jost! Wünsche euch alles Beste! Hoffentlich passt das Wetter … Wir hatten bis auf den einen Wolkenbruch doch ziemlich Glück. Die Entscheidung zweimal zu übernachten war goldrichtig, so geht man ausgeruht in die Etappen. Ist doch hammerhart. Für uns besonders der erste Tag. Für euch wird es wohl der zweite … Freue mich schon auf einen Bericht von euch.

  7. randonneurdidier

    Chapeau, chapeau! Durchbeißen und nicht aufgeben – herrlich beschrieben und fotografiert. Danke dafür. Ein Lesegenuss.

  8. Werner Weisbecker

    Hi Gabi, schöner Bericht, mal aus der anderen Richtung mit Start in Sterzing. Super, dass Ihr Euch durchgebissen habt und nicht nach Hause abgekürzt habt. Es ist wirklich eine sehr schöne Strecke! Ich bin es letztes Jahr schon mal ab München gefahren und fahre diese Jahr am 12.7. auch wieder mit. Bin gerade am planen. Hoffentlich haben wir auch so gutes Wetter wie Ihr! Liebe Grüße, Werner

    • gabiwinck

      Wünsche euch drei wunderbare Tage!! Der Vorteil von Brixen aus ist, dass der erste Tag der härteste ist, dann geht es recht gemütlich weiter … naja, gemütlich ist was anderes, aber man hat halt das Gefühl, das schwerste schon hinter sich zu haben und nun nur noch genießen zu können …

  9. Lothar Hennighausen

    Hallo Gabi, super Bericht. Habe mich auch schon für den SR600 angemeldet und werde auch in Brixen starten (verbringe viel Zeit in Tirol). Vielleicht sieht man sich.

    • gabiwinck

      Hallo Lothar, ich glaube irgendwer hat mir schon erzählt, dass du von Brixen startest … Viel Spaß!!! Sorry, dass die Antwort so lange gedauert hat. Sind grade erst vom 3Peaks bike race zurück … Bericht und Film in Kürze … LG

Schreibe einen Kommentar zu randonneurdidier Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

© 2024 lumacagabi

Theme von Anders NorénHoch ↑