2013: Inselmarathon im Steinhuder Meer

(Bericht „geklaut“ von Mario Bartowski, umgeändert, gekürzt, ergänzt von mir)
1Das Konzept dieser sirenenartigen Gesänge, denen vorbeifahrenden Seefahrern hoffnungslos ausgeliefert waren, funktionierte laut griechischer Mythologie wohl damals schon prächtig…und bis heute scheint es sich bewährt zu haben. Jedenfalls erhielt ich Mitte Februar 2013 einen ähnlich verlockenden Ruf: „Gabi, du bist zum 2. Inselmarathon Wilhelmstein am Steinhuder Meer herzlich eingeladen!“. Ich freute mich riesig, handelte es sich doch um eine besondere Laufveranstaltung für geladene Läufer. Als vor gut anderthalb Jahren der Inselmarathon Wilhelmstein ins Leben gerufen wurde, glaubte jeder vermutlich wieder mal an einen Scherz. In Insiderkreisen wurden jedoch freudigst die Hände gerieben, ahnte man schon, dass diese Idee nur von Organisator Michael Neumann stammen konnte. Schnell verbreitete sich die Kunde dieses besonderen Events sowohl in der Läuferszene als auch in der allgemeinen Medienwelt. Denn spätestens, als sich herumsprach, dass auf SpiegelOnline dieser Lauf als einer der zehn verrücktesten Marathonveranstaltungen der Welt gekürt wurde, wollte so ziemlich jeder auf die Insel Wilhelmstein. Die nach dem Feldherrn
und Erbauer, Graf Wilhelm zu Schaumburg-Lippe (1724- 1777), benannte Insel wurde zwischen 1761 und 1767, während des siebenjährigen Krieges, künstlich im Steinhuder Meer, dem größten See in Nordwestdeutschlands, aufgeschüttet. Während dieser Zeit legte besagter Graf auch eine Musterfestung mit Militärschule und gräflichen Appartements an. Diese Inselfestung sollte ein zum damaligen Zeitpunkt uneinnehmbarer Fluchtpunkt im eigenen Land werden. Die als sternförmige Schanze mit vier Bastionen und einer Zitadelle errichtete Trutzburg kann heutzutage per 4Überfahrt mit den einzigen offenen Segelbooten in ganz Mitteleuropa, die zum kommerziellen Personentransport eingesetzt werden, besucht werden. Wer in meiner kleinen Geschichtsstunde zumindest bis hierhin aufgepasst und die Worte Insel sowie künstlich herausgelesen hat, dem kommen jetzt unter Umständen Bilder der künstlichen Inselgruppe Palm Islands in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) in den Sinn. Ehrlich ist die Wahrheit mit den Ungläubigen, knallhart die Fakten der diesjährigen Ausschreibung: Die Insel Wilhelmstein ist lediglich 1,25 Hektar groß, das sind umgerechnet 100 mal 100 Meter. Wer auf dem befestigten Rundweg der zentral gelegenen Inselfestung läuft, hat gerade mal 351,87m hinter sich gebracht. Um die klassische Marathondistanz von 42,195 km zu laufen, müssen 120 Runden (die Erste verkürzt) absolviert werden – selbst für erfahrene Marathonis eine monotone Grenzerfahrung. Aber der Veranstalter hatte noch mehr zu bieten, weshalb sich die Einladung als doppelte Veranstaltung verstand. Im Vorfeld wurde allen Läufern und deren Angehörigen angeboten, nach der Siegerehrung in ausgelassener Runde noch an einer gemütlichen Abendfeier inkl.Nudel-Buffet teilzuhaben, mit abschließender Übernachtung auf der Insel. Sogar ein „Bambini-Lauf“ sollte stattfinden. In der Teilnehmerliste entdeckte ich den einige Bekannte der Cabanauten-Gruppe, mit denen ich schon verschiedene Events absolviert hatte. Aber auch der Namen des Arztes Christian Hottas war mir nicht unbekannt: Er ist sozusagen MarathonSammler und mit der Teilnahme am Inselmarathon wird Christian Nummer 1997 laufen…und nur eine Woche später will er beim TUI Marathon Hannover seinen 2000ten absolvieren. Ankunft Steinhude Ich hatte mich entschlossen mit einem billigen Flug von München nach Hannover zu reisen. Die erste Nacht durfte ich bei Katja, einer 3Cabanauten-Freundin bleiben, die am nächsten Tag als Helferin fungieren sollte. Wenig erbaulich das miese Aprilwetter: wenige Grad über Null, windig-kalte Verhältnisse. Ein kurzer Blick hoch
zum Himmel versprach baldigen Regenschauer, jedenfalls schien sich bereits alles zusammen zu ziehen. Egal, hier war niemand aus Zucker! Nach und nach versammelten sich alle am Anleger
der Personenschifffahrt. Geplant war die Überfahrt um Punkt 9 Uhr. Wer da nicht da war, dem wurde angedroht, zu Fuß gehen zu müssen …, das SteinhuderMeer ist anscheinend nur etwa 1.50m tief, an der tiefsten Stelle 3m. Die Herzlichkeit der versammelten Runde spürte ich schnell: sehr ausgelassen, fröhlich und familiär begrüßten sich alt und jung, groß und klein. Während Organisator Michael bestimmt schon ungeduldig auf der Insel wartete, hatte seine Freundin und Racedirectorin Susanne Holz zusammen mit Ihren Helferinnen und Helfern (welche von dem Veranstalter auch liebevoll Therapeuten genannt werden) auf dem Festland alles im Griff. Dann bildete sich plötzlich eine kleine Schlange am Pier, die ersten Läufer und Party-Teilnehmer erhielten von Susanne Holz und Therapeutin Britta Kröger ihren Fahrschein. Drei Kapitäne warteten währenddessen geduldig…schnell war der erste Auswanderer voll. Okay, damit meine ich nun keinen sturzbetrunkenen Fahrgast: Die großen Holzsegelboote (auch Holzjollen genannt) verdanken ihren Namen Auswanderer tatsächlich ihren Fahrgästen, welche Anfang dieses Jahrhunderts vor allem zum Nordufer gesegelt wurden und so von Steinhude (damals zu Schaumburg-Lippe gehörend) ins Hannover-Braunschweigische quasi „auswanderten“. Selbst wenn jemand den außerordentlichen Mut besessen und auf der Insel angetrunken vor Michael auftreten wollte …aufgrund ihrer guten Segeleigenschaften wüssten zumindest die Kapitäne, dass die Auswanderer selbst mit schunkelnden Fahrgästen, voll beladen, nicht umkippen. Die Kapitäne wiesen den Reisenden ihre Plätze zu und nach und nach füllten sich die übrigen beiden Boote. Die erste Holzjolle entfernte sich bereits johlend vom Anleger. So ziemlich jeder hatte eine wetterfeste Regenjacke an. Jedenfalls stelle ich mir den Frühling anders vor. Ich dachte derweil an die Dreiviertelhose sowie FunktionsShirt, welche ich bereits unter meinen Klamotten trug. Konnte ja heiter werden. „Anderthalb Sonnenstunden und Nachmittag Regen lautet die Prognose“, meinte jemand abschließend noch trocken. Die schöne Überfahrt dauerte gut zwanzig Minuten. Insel 3Wilhelmstein ist im Besitz der Adelsfamilie Schaumburg-Lippe. Sie wird heute von einem Inselvogt der fürstlichen Hofkammer in Bückeburg verwaltet. „Damit verbunden ist das Zufahrtsrecht mit einem Motorboot zur Insel“, erzählte uns der freundliche Kapitän bei der Überfahrt. „Motorboote sind auf dem Steinhuder Meer ansonsten nicht gestattet, ausgenommen Motorboote der Wasserrettung“, fügte er noch hinzu. Organisator Michael wartete bereits gutgelaunt auf die Gäste, und begrüßte jeden einzelnen mit einem freundlichen Händedruck. Es herrschte an diesem Tag sicherlich Ausnahmezustand auf der ansonsten lediglich von Berufsseglern, Einheimischen und Touristen besuchten Insel. Zwischen 2005 und 2009 ließ Inselbesitzer Fürst Alexander zu Schaumburg-Lippe für rund 1 Million Euro umfangreiche Renovierungen an den historischen Inselgebäuden vornehmen, um die Insel attraktiver für den Fremdenverkehr zu machen. 7 der 9 Inselhäuser wurden restauriert und wieder nutzbar gemacht. In ihnen sind ein Café, ein Souvenirladen, Seminarräume sowie Übernachtungsmöglichkeiten für Touristen geschaffen worden. In einem Inselhäuschen befindet sich eine kleine Ausstellung über den Naturpark Steinhuder Meer, und die Festung selbst ist heute ein Museum, das gegen Eintrittsgeld besichtigt werden kann. Die Bootsbesatzung schnappte ihr Gepäck und strebte mehr instinktiv wie zielstrebig Richtung Inselmitte. Vor uns ragte unübersehbar die Festung auf. Davor standen zwei Zelte von 2Sponsor Dextro Energie: jeweils eines wurde für die neuartige Rundenmessung sowie Verpflegung genutzt. Hier und dort unterhielten sich vereinzelt oder in größeren Grüppchen Läufer, Party-Teilnehmer, Angehörige, Freunde, Zuschauer und Helfer, Therapeuten genannt. Dazwischen dirigierten Michael und Susanne und wurden letzte Vorbereitungen für den Lauf getroffen. Ich bezog unser Schlafquartier auf dem sauberen, gemütlichen und vor allem warmen Spitzboden eines Gästehauses, den man an der Außenfassade über eine Stahltreppe erreichte. Die ersten Läufer hatten sich hier bereits eingenistet. Danach holte ich meine Startunterlagen an den Zelten ab. Bambinilauf Kaum hatte ich meine Startnummer angebracht, rief Michael fröhlich-donnernd, dass der Kinderlauf jeden Moment stattfinden würde; vor allem die teilnehmenden Kiddies sollten sich schon mal im Start – und Zielbereich einfinden. Das ließen sich die Jüngsten nicht dreimal sagen, obschon lediglich drei an der Zahl: ein Junge im Alter von 10 Jahren und zwei in Piratenkostüm verkleidete Mädels (übrigens Geschwister) im Alter 5 und 7. Kaum fiel der Startschuss, sauste Mini-Wickie Malina, die Jüngste des Trio´s, wie eine Rakete davon. Es machte auf mich den Anschein, als sei Hannes, der Älteste von den dreien, nur einen winzigen 5Sekundenbruchteil eingeschüchtert worden vom hoch erhobenen und nach vorn gestreckten Platikhackebeil der Kleinsten, machte sich dann aber umgehend an die Verfolgung. Piratenbraut Maila hielt sich gekonnt im Mittelfeld, dem Hannes jedoch dicht auf den Fersen. Eine Zeitlang befanden wir uns alle im 16. Jahrhundert auf einer unbekannten Pirateninsel im karibischen Meer: Der Piraten-Pöbel jubelte, grölte, winkte, die Stimmung kochte. Ursprünglich waren vier Runden angedacht, aber um der Planke zu entgehen, hängte Piratenkapitän Michael gnädigerweise noch zwei weitere Runden dran. Am Ende ging Hannes als Erster siegreich hervor, dicht gefolgt von der fröhlich strahlenden Piratenbraut Milas. Den Abschluss bildete Mini-Wickie Malina. Die Kleinste hielt während der sechs Runden stets für alle absolut unübersehbar ihr Beil in der Hand. Vor dem Start Wer beißt, wird belohnt: vor dem eigentlichen Marathon trommelte Michael die erwartungsvolle Menge vor dem Eingang zur Inselfestung noch einmal zusammen. In der Hand hielt er ein zu beiden Seiten abgerundetes Holzstück, welches mittig mit einer Plakette verziert war, auf der Beißholz Inselmarathon 2012 stand. Diese Auszeichnung galt als besondere Anerkennung für Läufer, die sich während der kompletten Marathondistanz im wahrsten Sinne durchgebissen hatten. Einmal mehr spürte jeder Teilnehmer den familiären Charme dieser Veranstaltung am eigenen Leib. „So…dann lasst uns noch schnell ein Gruppenfoto schießen, und dann aber los mit Euch allen, wir haben nur noch wenige Minuten!“ Runde 1 Das Starterfeld, 57 8Marathonis, davon 14 Frauen, setzte sich jubelnd in Bewegung, endlich ging es los. Vorbei an den Gästehäusern der Insel führte die erste Linkskurve an der Anlegerstelle der Motorboote vorbei, wo Helfer Alexander Lauer seinen Nachnamen alle Ehre machte und die Ersten der über 6800 Läufer, die im Laufe des Tages noch folgen würden, Hände klatschend begrüßte. Ich dankte ihm mit einem Grinsen, danach ging es erst einmal ein kleines Stückchen geradeaus. Auf der rechten Seite das Meer, auf der linken registrierte ich nur flüchtig ein zersplittertes, durchsichtiges aber ansonsten leer stehendes Glashaus. Ich hatte jedoch kaum Zeit, mich darüber zu wundern, da ich zunächst einmal darauf bedacht war, anderen Läufern auf dem nur wenige Fuß breitem Rundweg auszuweichen. Oftmals war ich gezwungen, zum Überholen über die grasbewachsenen Grünflächen zu laufen. Das klingt zwar jetzt leicht, sollte sich aber in zunehmendem Maße noch als nicht zu unterschätzender Akt zwischen Kraft und Konzentration herausstellen. Dann kam auch schon die nächste Linkskurve, ich befand mich jetzt auf der Rückseite des imposanten, sternförmigen Festungsbauwerkes. „Gut 175m dürftest du nun hinter Dir haben, Gabi…“, ging mir der erste von vermutlich tausend nachfolgenden Gedanken Millisekunden schnell durch den Kopf. „Das wäre dann so in etwa die erste halbe Runde …“ Prima, das konnte ja bei diesem Kreisgelaufe echt noch heiter werden. Auf der rechten Seite erhaschte ich einen schnellen Blick auf das Nordufer des Steinhuder Meeres, auf der linken…mich selbst ?! Kaum 7eine Sekunde lang blickte ich eine erschrockene Läuferin an, die mir optisch stark ähnelte…dann war diese Fratze auch schon wieder weg. Danach gelang es mir gerade noch so, eine Kollision mit bunten Cabanauten zu verhindern, indem ich zwischen der fröhlichen Truppe und einer Festungskanone am Inselufer gerade noch so eine Lücke im Weg erspähte, die breit genug war, um aalglatt durch zu hechten. Okay, das war knapp! Die vermutlich längste Gerade der Insel wurde dann durch eine dritte Linkskurve unterbrochen. Erneut registrierte ich flüchtig eine weitere Festungskanone auf der Meerseite, aber auch ein weiteres Glashäuschen auf der Linken, hinter einer hüfthohen Wand aus Büschen. Dieses war jedoch nicht leer. „Was sich im Innern des Glashauses verbirgt, wirst Du in den folgenden 119 Runden noch herausfinden…“. Die erste Runde war fast vorbei. Ich musste den Blick wiederholt nach vorn richten, es blieb keine Zeit für Sightseeing. Dieser Abschnitt war sowohl tückisch als auch knifflig. Auf der linken Seite des letzten, geraden Abschnittes eine zunächst durchgehend hüfthohe Hecke. Kurze Zeit später auf der rechten Seite ebenfalls eine Buschmauer, dazwischen der kaum zwei Mann breite Rundweg. Es galt also, dieser Lücke in den nachfolgenden Runden besondere Aufmerksamkeit zu schenken, denn ein Überholen war zwischen beiden Buschwänden kaum möglich. Vor mir markierte ein breiter Baum die letzte Linkskurve, zwischen Hecke und Baum eine recht große Lücke. Brav umrundete ich den Baum, vorbei an dem Toilettenhäuschen auf der rechten 6Seite. Wieder ging es geradeaus, dem Start und Zielbereich entgegen. Die von Michael und Programmierer Peter selbst erstellte Zeitmessung feierte bei dieser Veranstaltung Premiere – also doch besser mitzählen??? Vorn erspähte ich jedenfalls den gut drei Meter breiten Durchgang, welcher von beidseitig aufgestellten, kniehohen Messgeräten durchlaufen werden musste. Wer vorbeiläuft hat Pech, und dreht dann eine Extrarunde. Die ersten 350m waren geschafft. Ein kurzer Blick auf GPS-Uhr, Verpflegungszelt, die klatschende Zuschauermenge und schon ging es wieder von vorne los. Ja, ich war hochmotiviert. Runde 30 Die Insel kannte ich mittlerweile wie meine Westentasche: Jede Wurzel, jeden Baum, jede Linkskurve, jeden Busch, jeden Stein. Mir war die Anzahl der Festungskanonen auf diesem Rundweg ebenso bekannt wie bisher nicht aufgefallene Details: Die Statue mit Fernglas in der Hand, die Krananlage, die alte Boje. Auch die Eigenarten eines jeden Glashäuschens neben dem Rundweg waren mir nicht mehr neu: Das durchsichtige Häuschen mit den Vogelmotiven und der teilweise zersplitterten Außenfassade war lediglich gefüllt mit einem dünnen Belag von feinen Kieselsteinchen. „Tjaja, wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen…“, war da noch einer meiner vielen, flüchtigen Gedanken während all der Runden. Die zweite Hütte war von außen vollkommen verspiegelt, und als ich vorbeilief, verdiente das Spiegelbild einen kecken Gruß von der Seite. Das Innenleben der letzten Glashütte bestand einzig und allein darin, dass es mit einem Haufen Gläser sowie Elektronik (Beleuchtung?) 9gefüllt war. Schnell wurde mir klar, dass es sich nur um eine Kunstausstellung handeln konnte. Später erfuhr ich dann, dass die Realisierung dieses Werkes des deutschen Totalkünstlers Timm Ulrichs zahlreichen Handwerkern zu verdanken war. Runde 60 Jedenfalls schien es die gefühlt 60te, verließ ich mich doch hauptsächlich auf meine GPS am Handgelenk, die mir mit einem kurzen Vibrieren Kilometer 21 signalisierte. „Halbzeit, na endlich!“, dachte ich bloß. „Wenn drei Runden etwas mehr als einem Kilometer entsprechen, dann müssten es ja längst über 60 sein, die ich hinter mir hatte…“, versuchte ich mich mental wieder aufzubauen. Längst ging mir die dämlichen Rechenspielchen auf den Senkel…ich konnte es trotzdem nicht lassen. Inzwischen hatte ich ein paar Frauen überholt und irgendwie den Überblick verloren. War noch eine Frau vor mir? Einige der Teilnehmerinnen überholte ich alle paar Runden wieder … Naja, die waren nun wirklich hinter mir. Runde 90 Spaßig die Reaktion von einigen der Läufer, wenn ich zum Überholen ansetzte: „Schon wieder die Gabi! Hallo!!!!“ Und es gab eine Menge zu schauen. Die Cabanauten liefen fast alle kostümiert und brachten so etwas Farbe in das trübe Aprilwetter. Irgendwo zwischen „nur noch 8 Runden“ und „ist doch vollkommen egal“ Kopftechnisch hatte ich mich zum SpiegelGlashaus gewandelt: ich reflektierte alles und jeden, konzentrierte mich einzig und allein auf die Strecke. Die ständigen Überholmanöver sowie die ununterbrochenen Wechsel des Untergrunds zwischen Erdreich, Wiese und Schotter hatten zwar etwas mürbe gemacht, aber nun galt es wenigstens, durchzuhalten, um nicht wenige Kilometer vor dem Ziel leistungstechnisch vollends einzubrechen und dann doch noch von Konkurrentinnen überholt zu werden … Denn inzwischen war ich mir sicher, dass ich an der Frauenspitze lag: Ich hatte alle 13 mindestens einmal überholt. Ich fragte mich nun nur, wie viele Minuten oder Sekunden die nächste hinter mir lauerte. Inzwischen sehnte ich mich nach dem Ende dieses ewigen Kreisgelaufes. Ein anderer Teil von mir war aber innerlich fasziniert von diesem abstrusen Lauf. Ich hatte meine Kräfte physisch und psychisch im Griff. „Nur noch 8 Runden, Gabi“, rief mir Michael entgegen. Entschlossen lief ich weiter und biss dabei mit der Kauleiste tief in mein eigenes imaginäres Beißholz. Alexander Lauer begrüßte mich bei den Booten, inzwischen hatte er wohl schon ein paar Tausend Läufer bei jeder Runde gegrüßt, einfach ebenso verrückt wie wir …. Runde 120 Ich rannte durch den Transponder-Messbereich, es machte ein letztes Mal Biep! Endlich gefinisht! Überglücklich ließ ich mir die wunderschöne und von Michael höchstselbst in penibler Handarbeit angefertigte Medaille um den Hals hängen – eine kleine Kanonenkugel aus dem Magazin der Festung. Mit einem Endergebnis von 3:48:35 war ich mehr als zufrieden. Und jetzt bestätigte es sich: Ich war als erste Frau ins Ziel gelaufen, die zweite war etwa 7 Minuten hinter mir und musste noch dreimal um die Insel. Siegerehrung und Afterrun-Party Nach der wohlverdienten Dusche liefen immer noch Marathonsieger –insgasamt 51- ins Ziel und wurden vom Veranstalter stets persönlich in Empfang genommen. Mit der allerletzten Finisherin nach über 6 Stunden lief ich dann in Badeschlappen noch ein letztes Mal um die Insel. Anschließend packte jeder mit an: der Müll wurde weggeräumt, die Zelte abgebaut, das technische Equipment verstaut. Es erwartete uns bereits ein lecker dampfendes Nudel-Buffet. Gekonnt ignorierte Micha die knurrenden Mägen seiner Gäste und hielterst einmal eine kleine Ansprache. Einleitend bedankte er sich zunächst bei seiner ganz speziellen Helfer-Truppe… „So, kommen wir zur eigentlichen Siegerehrung. Da der Erstplatzierte Tino Schulze, der 3:24:48 gelaufen ist, leider nicht an der Party teilnehmen kann, hatten wir ihm bereits seine Trophäe nach dem Zieleinlauf überreicht. So sieht der schicke Preis aus…“, und damit hielt er die Inseltrophäe für jeden sichtbar in die Höhe: eine Original Kanonenkugel der Inselfestung, gestiftet von der fürstlichen Hofkammer Bückeburg, welche auf einem Marmorsockel mit glänzender Plakette ruhte. Er fuhr fort: „…aber wir 10küren ja nicht nur den schnellsten Mann, sondern auch die flinkste Frau. Gabi Winck ist als Achtplatzierte mit 3:48:35 ins Ziel gelaufen. Kommst Du bitte nach vorn, Gabi?“, grinste er und überreichte diesen in beharrlicher Handarbeit gefertigten Preis mir staunender Gabi. Abschließend hielt Micha noch ein Beißholz in die Höhe. „Für Detlef Fimmel…“, rief er in die Runde, „…der Bursche hatte sich erst kürzlich von einem Fieber erholt, wollte dennoch an diesem Lauf teilnehmen, und musste sich dann arg durchquälen. Kaum nachahmenswert. Drum hatte die Rennleitung entschieden: das Ding muss an ihn!“ Beide umarmten sich. „So, und nun langt endlich rein…sonst wird noch alles kalt!“ Nach dem fröhlichen Gelage wurde an allen Tischen ausgiebig geschwatzt, diskutiert, erzählt, denn jeder hatte mindestens eine spannende Laufgeschichte zu erzählen. Später strömte ein 11Großteil der Gäste nach draußen, um einen wirklich grandiosen Sonnenuntergang zu bewundern. Ich genoss wie alle anderen dieses besondere Privileg…der wahrhaft krönende Abschluss eines tollen Tages! Überfahrt Anleger Steinhude Fast schweren Herzens stiegen wir nach erholsamer Nachtruhe und opulentem Frühstück in eine der beiden Auswanderer, welche uns um Punkt 10 Uhr am frühen Morgen wieder hinüber zum Festland bringen sollten. Diese Laufveranstaltung darf rückblickend tatsächlich mit Fug und Recht als eine der verrücktesten der Welt bezeichnet werden.
Seien wir ehrlich: Welche Marathonveranstaltung bietet 120 Verpflegungspunkte, 120 Toiletten und 120 Mal die Möglichkeit, sein Spiegelbild zu
analysieren…um sich dann jedes Mal kopfschüttelnd zu fragen, ob man nicht doch an seiner Lauftechnik feilen sollte?

Kompletter Bericht von Mario hier: http://www.marathon4you.com/laufberichte/inselmarathon-wilhelmstein/reif-fuer-die-insel/2045

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