Sommer, Sonne, Strand … ja, da unten. strava italiano
„… und irgendwann bleib i dann dort …“ – Der Liedtext geistert in Endlosschleife als Ohrwurm durch meinen Kopf. Jetzt allerdings bin ich hier. Die Leute unten am Bach haben ihren Spaß und denen ist sicher nicht so heiß wie mir. Das Asphaltband flimmert unter den beiden dünnen Reifen. Der Schweiß läuft mir trotz Stirnband in die Augen. Es geht zwar abwärts durch das Tal des Santerno, der Fahrtwind aber kühlt überhaupt nicht. Wie konnte ich mich nur wieder in diese Situation bringen?
Bei der Hitze Pässe ohne Ende? Das ist die Randonnée 300km „La via del latte“:
2x die Vetta Le Croci, Monte Morello, Croci di Calenzano, Passo della Futa, Passo della Raticosa, Passo del Paretaio, Passo Carnevale, Passo dell’Eremo, Passo Peschiera, Passo del Muraglione.
Freitagabend Ende Juni. Soll ich mich zum Raduno Nazionale Randonneur in Mugello anmelden? Hermann verzichtet dankend: „Nein, keine Lust zu einer weiteren Nachtfahrt, ich muss arbeiten“. Ich melde mich an. Dann halt alleine. Auf dem Programm eine Randonnée über 320 Kilometern mit satten 5500 Höhenmetern. Die Aussicht, mit dem Rad über den Autodromo bei Scarperia zu fahren, reizt mich weniger. Mehr freue ich mich auf die beiden großen Schleifen durch Mittelitalien.
Start um Mitternacht. Statt des versprochenen Feuerwerks in San Piero dürfen wir zum Glück eine halbe Stunde früher los, den Sternenhagel sehen wir dann unterwegs von Weitem, auch schön. Einziger Kritikpunkt meinerseits an der sonst perfekten Organisation: Hätte ich doch statt der Warterei auf das Feuerwerk drei Stunden vorschlafen können …
Vor uns 11 Pässe in Toskana und Emilia Romagna und die Aussicht auf einen brütend heißen Tag.
Jetzt radeln wir durch die Nacht. Wunderbar. Bei Fiesole ein Traumblick auf das nächtliche Lichtermeer Florenz. Hier oben war ich auch schon mal, beim legendären 100km-Lauf „Passatore“ von Florenz nach Faenza. Ich treffe auf Flavio. Wir kennen uns vom 600er-Brevet Verona-Reschen-Verona. Ein Schwätzchen hier und dort, man radelt gemeinsam ein Stück und tauscht sich aus. Das ist das Schöne an den Brevets. Um die Zeit geht es nur insofern, dass man inerhalb eines Zeitfensters im Ziel sein muss.
Bei Morgendämmerung treffe ich wieder in Scarperia ein. Stempel und weiter. Aber wohin muss ich? Habe ich mich zu wenig informiert vorher. Mein Garmin ist mir auch keine große Hilfe, da ich hier schon war und eine blaue Linie den Track überdeckt. Nochmal zurück und fragen.
Bald treffe ich auf die Gruppe um Annalisa Dina Mite, Rosanna und Marina und natürlich ihre besseren Hälften. Ich nenne mal nur die Frauen, da diese heute wie meistens in absoluter Minderzahl sind – wie oft bei „verrückten“ Unternehmungen. „Verrückt“ in den Augen der anderen versteht sich. Für uns ist es irgendwie ganz normal.
Der Lago di Bilancino. Ich erinnere mich: Hier war ich schon zweimal bei den Italienmeisterschaften im Olympischen Triathlon. In Barberino wird es das erste Mal so richtig ernst. Es geht rauf zum Passo della Futa. Erst in gemütlicher Steigung. Alessandro P. vor mir hat die Wildschweine, die neben mir durch den Wald galoppierten, nicht gesehen. Passend nun aber aus seiner Trikottasche markige Jagdhornklänge oder Ähnliches. Alessandro muss stehen bleiben, seinen Handywecker zum Schweigen zu bringen. Schmunzelnd radle ich weiter.
Irgendwann nach der nächsten Kontrollstelle gesellt sich Flavio zu mir.
Mit viel Geduld wartet er nach jeder Steigung. Meine Beine laufen in der Hitze nicht so rund. Irgendwann mache ich ihm den Vorschlag sich von mir nicht einbremsen zu lassen und ruhig sein Tempo weiter zu fahren. Nein, er meint, dass er Gesellschaft liebe und gerne rede. Hahhaaaaa, ich rede auch gerne und viel. Aber jetzt gerade ist mir nicht unbedingt danach. Ich habe nicht mal Lust darauf durch gelegentliches „si“ oder „mhmm“ mein Interesse zu signalisieren. Bin ich so fertig?
Auf einmal ist Flavio in einer Nische verschwunden. Ein Brunnen, meine Rettung. Das eiskalte Wasser ist megaerfrischend. Flavio hält mir sein Smartphon vor die Nase. Ein Filmchen mit Wasserplätschern, besockte Füße im kühlen Nass. Er war am Tag zuvor schon mal hier. Der Verrückte ist nämlich von Meran mit dem Rad gekommen…
Bei Firenzuola ein „controllo a sorpresa con ristoro“, überraschend gibt es vor dem folgenden Anstieg eine geheime Kontrolle und Essen und Trinken. Ich trinke schon den ganzen Tag, habe aber keine Lust zu essen bei der Hitze. Die Aprikosen kommen wie gerufen. Ich frage Flavio, ob er auf seine Kollegen Fausto und Loris warten möchte. Wie kommt denn das rüber? Will ich ihn loswerden? Nein, überhaupt nicht. Ich will nur nicht, dass er meint, er müsse unbedingt bei mir bleiben.
Nun rollt es. Das ist mein Favorit unter den Streckenabschnitten: Entlang des Flusses Santerno. Aber wie gesagt, sehr motivierend sind sie nicht die vielen planschenden Leute dort unten am sich im Talgrund dahinschlängelnden Fluss.
Und vor uns liegt nun der Passo del Paretaio. Ein Brunnen am Beginn der Steigung. Ich bade fast in dem erfrischenden Nass. Kommt niemand? Noch schnell etwas Creme auf die vier Buchstaben geschmiert. Ich schwärme zwar ständig von meinem ISM-Sattel, aber heute irgendwie fühlt sich etwas anders an. Hoffentlich keine Scheuerstelle? Flavio kommt nach und zieht vorbei. Ich werde ihn erst im Ziel wieder treffen. Auch ich schwinge mich wieder in den Sattel. Was ist das? Im Bereich des Sattels brennt es höllisch. Ich stehe auf und fahre im Wiegetritt einen gefühlten Kilometer. Dann versuche ich mich vorsichtig wieder hinzusetzen. Aua! Das brennt so! Wieder im Stehen fahren. Ist das die Creme? Vielleicht schon zu alt? Im Behälter war nur noch ein Rest. Den entsorge ich wohl lieber. Irgendwann lässt der Schmerz nach. Nun fangen meine Sohlen an zu brennen. Ich sollte wohl wieder etwas Zehengymnastik machen. Schmerz lass nach! Das Gute daran, als ich wieder halbwegs schmerzlos bin, ist der halbe Pass schon erledigt. Meine Garmin gibt mir was zu rechnen. Runde 44; 44 x 5km =? Es vergehen 10 Minuten, bis ich den aktuellen Kilometerstand kalkuliert habe. Das Gehirn wohl auch in Warteschleife … Endlich oben. Abfahrt.
Ein weiterer kleiner Pass vergeht im Fluge. Ich schwätze mit Gabriele.
Palazzuolo dul Senio. Ich treffe Antonella – wie bei jeder Kontrollstelle. Hier sitzen motivationslos eine Menge Randonneure im Schatten einer Bar. Oder vielleicht eher besorgte Randonneure? Der San Eremo liegt vor uns. Der heute wohl härteste Pass. 10km und 600Hm in der prallen Sonne.
Ich mache mich auf den Weg. An einem Brunnen wieder die Prozedur des Kleider-nass-machen. Ein bisschen hilft es, zumindest auf den ersten Kilometern. Denn das Zeug trocknet viel zu schnell. Auch scheine ich nicht zu schwitzen. Der Schweiß verdunstet sofort und bringt keine Kühlung. Ich eiere von einem Baumschatten zum Nächsten. Die Fahrt ist sehr unrhythmisch: In der Sonne schnell schnell schnell, im Schatten laaaaaangsam. Ich nehme mir vor auf Halbweg Hermann anzurufen.
Ein Auto fährt vorbei. Ein gelb-blauer Aufkleber „corsica ferries“. Wie schön wäre es jetzt an einem Strand in Korsika zu realaxen. Das 3Peaks Bikerace in drei Wochen … Stattdessen 10 Tage Sonne, Strand und Meer? Ich verbiete mir die Gedanken.
Nach 5 Kilometern kein Empfang. Also weiter. Ich erreicht Hermann. Er erzählt mir, dass er daheim im Kühlen vor dem Fernseher sitzt und sich die Hitzeschlacht Ironman Germany in Frankfurt anschaut. Aha, da gibt es andere, die es noch schlechter getroffen haben jetzt. Unser Kollege Peter S., der sich gerade bei über 38°C über die Laufstrecke am Main quält. Der Arme. Hier auf dem Weg zum San Eremo hat es kühle 36°… Ich kichere über meine Gedanken … Ist das schon die Vorstufe zum Sonnenstich?
Ich suche mir einen anderen Zeitvertreib: Walderdbeeren zählen. „Eins, …“ Es gibt keine weiteren. Tja, den Walderdbeeren ist es wohl auch zu warm. Ergiebiger ist es die bunten Schmetterlinge zu zählen, die auf der Straße liegen. Die armen mussten dran glauben und während sie arglos vor sich hin schaukelten mit bösen Autokarossen kollidierten. Doch Sonnenstich? Einsam leide ich alleine weiter vor mich hin. Noch drei Kilometer ohne Schatten.
Oben, juhu, das Auto der Orga mit Wasser. Der Doppelgipfel ist bald geschafft. Nun fehlt nur noch der Passo Muraglione. Erschreckend. Gleich weit und gleich hoch wie der Eremo. Warum haben die anderen den nicht erwähnt, sondern nur den Passo Eremo als Schreckgespenst?
Und wirklich, die Muraglia- Pass-Straße liegt weitgehend im Schatten. Lästig nur die vielen Autos und Motorräder.
Ich hole unseren Capitano Giuseppe Leone ein. Er schaut auch nicht mehr ganz frisch aus. Und große Worte spuckt er auch nicht mehr.
(Auf fb wird er Folgendes schreiben: „Der Capitano wartet auf alle … oder fast …“)
Bei der Abfahrt nach Dicomano kommt brütend heiße Luft aus dem Tal entgegen. Ich werde plötzlich müde. Mal was essen? Keinen Hunger. Zwei Aprikosen gehen. Endlich unten. Das Dorf habe ich von der Turnhallen-Schlafstelle bei der 1001Miglia in keiner guten Erinnerung, ich konnte nämlich nicht schlafen.
Jetzt ist das Ziel in Scarperia knapp vor Augen, noch 24 km in der Ebene bis dorthin. Diese erscheinen mir in der Vorstellung endlos. Der Gegenwind bringt zwar keine Kühlung, aber auf dem Triathlonlenker gelehnt, bremst er mich jedenfalls nicht merkenswert ein. Gemeinsam mit Gabriele erreiche ich am späten Nachmittag das Ziel vor der Kulisse des imposanten Palazzo dei Vicari. Randonneé und ich, erledigt. Nun geht es zum Angenehmen: Dusche und Tortelli!!!
Danke an die vielen Freiwilligen, die sich sehr bemüht haben uns diesen heißen anstrengenden Tag so angenehm wie möglich zu machen. Wir haben nur noch in die Pedale treten müssen …
Danke für die schönen Bilder und den Bericht! Es bereitet mir immer wieder eine große Freude, einen neuen Bericht von Dir zu lesen.
Ich bin am Sonntag 160 km bei 36 °C durchs Sauerland rauf und runter gedüst, aber Du bist bei den Temperaturen die doppelte Strecke gefahren und bestimmt auch mehr Höhenmeter. Großartige Leistung!!!
Ein schönes Trikot hast Du (und einige andere) auf den Bildern an. Bekommt man das Trikot, wenn man die vier großen Brevets in Italien (Alpi 4000, 6+6, Mille-Miglia und das letzte fällt mir gerade nicht ein) gefahren ist?
Liebe Grüße
Torsten
Danke, Torsten.
Ja, Höhenmeter waren in der Toscana ohne Ende. 11 Pässe, zwar jeder einzelne nicht sehr hoch, aber insgesamt über 5500Hm. Das Sauerland würde ich auch gerne mal mit dem RAd befahren … habe ja als Kind fast 2 Jahre in Meschede gelebt.
Trikot: Das ist das Trikot der Nazionale italiana Randonneurs. Das gibt es immer alle 4 Jahre für die, die die Qualibrevetserie für PBP gemacht hat. Das letzte war blitzblau mit einer riesigen italienischen Fahne drauf und hermann und ich haben uns garnicht getraut das anzuziehen, so ist das in Südtirol … Das hier ist schön, finde ich auch und etwas dezenter … LG
Danke für die Info! Das hellblaue Trikot hat mir auch nicht gefallen. Ich habe es mal auf der Seite von Audax-Italia gesehen. Ich fahre morgen übers Wochenende zu einer Radveranstaltung. Wenn ich zurück bin, werde ich mich mal melden.
L.G.