Frau + Karbon = Randonneur(in) - aber nicht nur ...

Autor: Gabi Winck (Seite 1 von 17)

80% ist mental - der Rest ist Kopfsache

Panceltic Ultra Race

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AN TÉ A BHÍÓNN SIÚLACH, BÍONN SCÉALACH

~ We Who Travel Have Stories To Tell ~
~ Wir, die reisen, haben Geschichten zu erzählen~

Und wie viel es wieder zu erzählen gibt, konnte ich mir im Vorfeld des Panceltic Ultra, kurz PCR, nicht vorstellen …

Panceltic Ultra Race in Kürze:
Eine rund 2400 Kilometer lange Radstrecke mit Start und Zeitfahren auf der Isle of Man, um dann die schottische Küste mit Isle of Mull und Isle of Sky abzufahren bis zum Ziel in Inverness. Veranstalter Web-Site

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Zuerst mein Video:

Auftakt: Zeitfahren auf der Isle of Man:

Bekannt ist die Insel wegen des im Motorsport berühmtberüchtigten TT, der Tourist Trophy, bei der die Motorradfahrer eine Runde von gut 60 Kilometern 6-mal bewältigen müssen. Schnellste Rundenzeit sind unglaubliche 17 Minuten. Trauriger Rekord von bisher über 250 tödlich Verunglückten. Wir Radfahrer gehen das gemütlicher an.

Für mich ist es schon im Vorfeld des Rennens aufregend. Der Hinflug: Kommt mein Rad rechtzeitig an bzw. wird es mit der Lithium-Batterie in der Sattelstütze überhaupt mitgenommen … (ich bin gebranntes Kind von meiner GBDuro- Heimreise )

Kann ich mich bei meiner Gastfamilie Jaqui und Richard überhaupt verständigen mit meinen mageren Englischkenntnissen? Beim Rad-Zusammenbauen dann der Schreck: Die Schaltung funktioniert nicht, die Shimano DI2 ist „tot“.  Richard fährt mich über die Insel zum Mechaniker, das Rennen kann kommen! Die Aufregung wird immer größer … Hier tausend Dank an Jaqui und Richard für die herzliche Aufnahme, die Taxidienste und und und …, auf Revanche!!!

Nacht eins: 157 km/ 2900 Hm: über die Isle of Man

Am Samstag, 6. Juli ist es dann soweit. Die Teilnehmer versammeln sich bei Douglas. Registrierung und ein Schwätzchen da und dort. Meine Aufregung wächst. Sie ist aber vorbei,  als es endlich losgeht. Wir werden nach einem Briefing (bei dem ich ehrlich gesagt nicht alles verstehe) in Gruppen auf die Strecke geschickt. Glücklicherweise darf ich in einer der ersten Gruppen starten, ich muss die 157 Kilometer lange Runde bis spätestens halb acht Uhr am nächsten Morgen geschafft haben, denn dort treffen sich alle wieder auf der Festlandfähre.

Schon auf den ersten Kilometern bekomme ich einen ersten Geschmack über das, was mich in den nächsten Tagen erwarten wird: steilste Anstiege. Oje, bei meinen etwa 20 kg Rad & Gepäck eine Herausforderung. Die Landschaft auf der Insel und das Zusammentreffen mit netten Gleichgesinnten lässt mich das vergessen und noch sind die Beine ja frisch. Auf Halb-Weg ein etwa 400m hoher Berg. Das Wetter hält sich nicht an die Wettervoraussagen, hier auf der Nordseite der Insel beginnt es zu regnen; ich lege meine Regenkleidung an und fahre weiter.

Auf dem höchsten Punkt schüttet es wie aus Kübeln und da es hier baumlos und ungeschützt ist, greift noch dazu der Wind scharf an, es ist eisig kalt -nicht mehr als 5°C, und ich zittere wie Espenlaub. Ich sehe kaum mehr etwas auf der steilen Abfahrt und der Lenker überträgt mein Schlottern auf das Rad. Ich schlingere vorsichtig bergab. Warm wird es mir erst wieder, als ich die Meeresquote erreicht habe und die nächsten Anstiege warten. Mein Garmin gerät glaubt mich wieder mal auch hirnmäßig fordern zu müssen.

Auch das noch: Die Karte mit der Strecke zeigt sich wieder mal als genordet.  Das heißt, ich muss bei jeder Richtungsänderung denken, wohin ich nun abbiegen muss, nicht einfach, da ich ja schon mit dem Linksverkehr sehr gefordert bin jetzt an den ersten Tagen. Mehrmals verfahre ich mich. Aber ich bin gut in der Zeit und kann den Tagesbeginn um etwa 3:30 Uhr genießen. Die Aussicht auf der Küstenstraße ist genial. Gegen 5 Uhr habe ich mein Ziel erreicht. Sachen trocknen, frühstücken, dann geht es auf die Fähre. Die 4 ½ Stunden auf der Fähre kann ich etwas ausruhen, aber an viel Schlaf ist im Kinder-Spielbereich leider nicht zu denken. Zudem stelle ich meinen Wecker viel zu früh, die Fähre war verspätet abgefahren und somit verzögert sich die Ankunft.

Tag eins (128 km/ 1800 Hm): Heysham – Ambleside

Am Festland gibt es nochmal eine Versammlung aller Teilnehmer*innen und dann die sehnlichst erwartete Ansprache des „Clan-Chefs“ Mally. Und endlich dürfen wir los, getrennt nach MO (Magnum Opus Rider hatten im Vorfeld schon einen herausfordernden Bewerb hinter sich gebracht und mussten pünktlich beim Start sein, berechtigt waren Fahrer, die mindestens zwei PCR gefinisht hatten), und dann kamen die Fahrer der kurzen und langen Strecke dran, der Short Route (1736km/ 19.546 Hm) und Full Route (2393 km/ 26.931 Hm).

Endlich geht es los. Es ist schon fast 15:00 Uhr und ich hatte im Vorfeld schon die Vermutung, dass ich an diesem ersten Renntag nicht sehr weit kommen würde. Allerdings war mein Plan der, dass ich noch über den Hardknott-Passs  hinter mich bringen wollte und dann eine Schlafpause einlegen. Mein Plan wurde also schon hier am ersten Tag durcheinandergebracht. Eine durchfahrene Nacht reichte mir, ich switchte um, möchte nun in einem Hotel übernachten und nehme die Buchung unterwegs vor. Das ist eine der PCR-Regeln, man darf Unterkünfte nicht im Vorfeld buchen und man darf keine Hilfe von anderen annehmen, die nicht auch für alle anderen Teilnehmer*innen verfügbar ist. Mein Ziel an diesem Tag ist Ambleside, ein Ort im wunderschönen nordenglischen Lake District. Ganz leicht gehen die etwa 130 Kilometer nicht herum, da mir eine kräftige Brise entgegenweht.

In Ambleside checke ich ein, lasse verbotenerweise mein Zelt und Proviant hinten und gehe noch auf die 18 Kilometer lange Runde. Die 440 Höhenmeter bringen mich in eine sehr schöne Gegend, die fast alpin anmutet und unseren Almregionen ähnelt. Die Steilheit der Anstiege tut ganz schön weh. Zurück im Ort stocke ich im Supermarkt noch meine Vorräte auf. Die Supermärkte haben in UK glücklicherweise von frühmorgens bis meist 23:00 Uhr geöffnet und das 7 Tage in der Woche.

Tag zwei: 241 km/ 3400 Hm: Ambleside – CP 1 Kirkpatrick

Schon kurz vor dem Wecker um 3:00 Uhr wache ich auf, packe, esse eine Kleinigkeit und sitze bald wieder im Sattel. Wrynose Pass und Hardknott stehen an. Das Kopfzerbrechen, eine Morgen-Bergtour vor mir zu haben, bewahrheitet sich: Die Straße auf den Wrynose Pass ist mit einer Steigung von bis zu 30 Prozent eine der steilsten in England. Die Steilheit zwingt mich nicht nur an einer Stelle vom Rad. Und an der steilsten Stelle komme ich -kaum zu glauben- auch zu Fuß kaum hoch, immer wieder rutschen meine MTB-Schuhe auf dem glatten Asphalt ab. Sowas hatte ich vorher noch nie erlebt. Auf dem höchsten Punkt wunderbarer Sonnenaufgang. Dasselbe gilt für den Hardknott Pass: auch hier ist Wandern angesagt. Auf den sehr steilen Abfahrten halte ich meinen Lenker sehr verkrampft. Erleichterung dann am Bergfuß, meine Motivation steigt wieder. Erst recht,  als ich dann wenig später in einem kleinen Supermarkt einen Latte Macchiato und frisch gepressten Orangensaft bekomme. Ab und zu ein kleines Schwätzchen mit anderen gut bepackten Radfahrern. Nicht alle glauben mich zu verstehen oder verstehen mich wirklich nicht: wahrscheinlich rede ich einen schönen Quatsch mitunter, aber es geht immer leichter mich „aufzudeutschen“, äh „aufzuenglischen“ – gibt es das?

230 Kilometer liegen vor mir, ich habe vor, in der Kontrollstelle ein paar Stündchen zu schlafen, im Freien ist es unerwartet kalt, zum Teil nur 3-4°C

Sind die Steigungen über 15-16% knarzt irgendwas an meinem Rad ganz fürchterlich. Was ist das? Die Kurbel? Ist vielleicht das Tretlager kaputt? Komme ich überhaupt bis nach Inverness? Radläden gibt es nur wenige an der Strecke. Würden meine Beine auch so knartzen, gäbe es ein ganz schönes Konzert. Die Steigungsangaben auf meinem Navi sind teils erschreckend: meine Beine sind schon froh, wenn als Farbe nur ein Mittel-Dunkelrot angezeigt wird und nicht ein Dunkel-Dunkelrot. Immer wieder ein paar Meter zu Fuß. Schenkt mir ja niemand was, wenn ich mich im Sattel hochquäle. Ich bin froh um meine MTB-Schuhe. Im Laufe des Rennens sehe ich bei einigen Teilnehmern völlig ruinierte Rennrad-Schuhprofile.

Nach einigem Auf und Ab komme ich nach Braithwaite. Ab hier gibt es wieder eine Schleife durch die Berge. Im Dorf kommen mir Fahrer entgegen. Die Glücklichen haben die Runde wohl schon absolviert. Zwei hohe Berge sollten es sein. Beim ersten, dem Newlands Pass sehe ich schon von Weitem, dass dort Leute hochwandern. Oje! Und dieser sollte noch der gnädigere Pass sein. Hatte ich mich vor Wrynose und Hardknott gefürchtet, so hatte ich diese beiden gar nicht so auf dem Schirm gehabt.

Auch der nun anstehende Honister Pass hat Steigungsprozente von über 25% zu bieten und ich muss sicher über 2 Kilometer hinauf wandern. Anstiege mach ich im Grunde ja, aber wenn die dann so steil sind, dass man beim Schieben zurück rutscht und die Bremse krampfhaft umklammern muss, um nicht das Rad mitzuziehen, dann ist das weniger lustig. Die Abfahrt ist dafür traumhaft und ein paar Stündchen später bin ich wieder in Braithwaite und nun bin ich die, die mitleidig auf die ankommenden Radfahrer blicke, die die Schleife noch vor sich haben. Im Shop, den sehr nette Frauen führen, gibt es leckeres Essen und ich gönne mir einiges. Anscheinend glauben die Damen, ich bestelle für zwei, denn ich bekomme zwei Gedecke und zwei hoch beladene und lecker garnierte Teller serviert. Zum Abschluss noch ein Dessert und ein Latte, so heißt hier der Latte Macchiato – natürlich wie immer mit zweimal Zucker, man gönnt sich ja sonst nichts.

Weiter geht es über einige Hügel, immer wieder zwingt mich die Steilheit vom Rad, dann wird es nahezu eben, viele Kilometer lang, die Route führt entlang des National England Coast Path, manchmal bis zur Mitte zugewachsen und ich muss durch das Gras pflügen. Müdigkeit überkommt mich und ich mache einen kurzen Powernap-Stopp auf einer Parkbank.  In der Ferne hört man Donnner-Grollen. Es war wohl eine gute Wahl so früh aufzustehen, denn dunkle Wolken dräuen über den Bergen, die ich gerade hinter mir gelassen habe. Die jetzt da hoch müssen, fahren wohl im Gewitter. Es fängt an zu tröpfeln und so mache ich mich ohne Nickerchen wieder auf den Weg.

Der Radweg führt nun am Meer entlang, dann biegt er wieder ins Landesinnere ab. Es geht durch landwirtschaftliches Gelände. Ich treffe immer wieder die gleichen drei Radfahrer. Irgendwann geht nichts mehr, wir stehen allesamt im Stau und das bestimmt 20 Minuten lang. Vor uns ein offenes Gatter und von der Weide begeben sich unzählige Kühe gemächlich in Richtung Stall. Immer wieder stockt es, da nachkommende Kühe erst mal stehen bleiben und gucken müssen, wer da steht, nämlich wir Radfahrer. Endlich ist das Ende erreicht, ein Traktor treibt die letzten vor sich her. Nun kommen auch wir wieder in Schwung. Der Boden ist allerdings total verdreckt. Meine Räder starren vor Kuh-Kacke und wohin die Soße überall hin gespritzt ist, möchte ich gar nicht wissen. Oje!

Die fast hundert Kilometer gehen recht flott von der Hand, ich erreiche die schottische Grenze. Nanu, ich dachte, ich sei schon längst in Schottland. Der Grenzort, Gretna Green, ist berühmt. Der Ort wurde über 200 Jahre lang von minderjährigen Paaren aus England, bald aber auch aus Teilen des übrigen Europas zur Hochzeit aufgesucht, weil sie hier ohne Erlaubnis der Erziehungsberechtigten eine Ehe schließen konnten.

Kurzer Tankstellenstopp, wer weiß, wann ich am nächsten Tag wieder die Möglichkeit bekomme mich zu versorgen … laut meiner Planung stehen abgelegene Gegenden an …

Ich treffe auf Caudia Gugole, eine Radfreundin aus Italien, die die short Route fährt und zusammen rollen wir im CP1 im Dorfgemeinschaftshaus Kirkpatrick-Fleming ein. Nach dem anstrengenden Tag und den beiden Tagen ohne viele Leute um mich ist das „Gewusele“ am Kontrollpunkt mir irgendwie zu viel. Vermutlich mache ich einen irgendwie verwirrten Eindruck und weiß in der fremden Sprache zunächst glaube ich nur Blödsinn zu antworten. Oje, oje! Ich esse und trinke was, Katzenwäsche und schaue mich in der Turnhalle um, in der ich mein Schlaflager aufbauen kann. Wie erwartet ist es dort nicht still, Schnarchen, auf Matten Rumgerutsch, … es ist für mich Schlafsensibelchen fürchterlich laut. Zu meinem Ohrstöpseln habe ich immer schon ein gestörtes Verhältnis, sie ploppen immer gleich wieder aus den Ohren raus und genervt stehe ich nach sicher nicht mehr als 2 Stunden Ruhe wieder auf, packe meine Sachen. Warum ich dabei immer so viel Zeit verliere, ist mir rätselhaft, aber es ich mir wichtig, alle Sachen an ihrem definierten Ort zu verstauen, damit ich sie jederzeit schnell wiederfinde.

Kleiner Diskurs zum Thema Gepäck: Schlafsack, Zelt, Zeltunterlage, Matte und Kopfkissen kommen in die Lenkerrolle, Zeltgestänge, Schlafgewand, Esssachen und Regenzeug in die Seitentasche (Tailfin Pannier). In meine Tailfin Top Bag auf dem Carbon Rack hinter meinem Sattel kommen alle Dinge, die ich nicht regelmäßig brauche, wie Werkzeug, Reiseapotheke, Wechselkleidung, eiserne Reserve bezüglich Verpflegung (die ich aber unangetastet wieder mit nach Hause bringen werde, 2 gefriergetrocknete Mahlzeiten, einige Gels und Riegel). Das ist noch so eine Sache- ich hamstere: Ich schleppe Esssachen und Wasser zur Genüge mit über die Berge, verbrauche sie erst kurz bevor ich neues bunkern kann, das heißt zum Beispiel in Sachen Wasser, zwei Flaschen, eine große mit einem Liter und eine kleinere sind am Rad. Die kleine trinke ich immer aus, einen großen Teil der zweiten Flasche schütte ich meist aus, wenn es neues Wasser gibt. Ist das nicht krank? Aber ich will keinesfalls auf dem Trockenen sitzen bleiben. Jetzt kann man verstehen, warum mein Rad mit Gepäck über 20 Kilogramm wiegt, ich will gewappnet sein für alle Fälle. Aber schnell über die Berge kommen geht da nicht. In meinem Foodbag der am Lenker baumelt ist mein Smartphone verstaut, Schloss und verschiedene Kabel. Aller möglicher Krimskrams findet Platz in meiner Unterrohrtasche und in der Oberrohrtasche schnell zugängliches Essen, wie Studentenfutter, ein paar Kekse sind auch immer griffbereit (unterwegs werde ich rausfinden, dass die Kekse mit Ingwer mir super schmecken und gut verdaulich sind).

Noch schnell einen Kaffee und ein Toastbrot mit Erdnusscreme und Orangenmarmelade, Verabschiedung von den netten Helferinnen und Helfern und los geht es nach der Pack-Orgie in Tag drei … Ich werde schon mal vorgewarnt, dass es heute regnen soll. Ab 8:00 Uhr. Zzzz, wie soll das denn gehen, das auf die Minute vorauszusagen?

Tag drei: 266 km/ 2000 Hm: Kirkpatrick (CP1) – Port Patrick

Es dämmert gerade, drei Uhr ist gerade vorbei. Ich bin 70 Kilometer hinter meinem Plan, das werde ich wohl nicht mehr aufholen … Ob ich wohl pünktlich finishen kann? Mein Heimflug ist gebucht, ich darf mich nicht verspäten.

Meine Fahrt geht super flott voran, so liebe ich es: etwas rauf und runter und keine megasteilen Anstiege wie gestern. Überhaupt, die  letzten 100 km gestern waren platt, da bekommt man nur „dicke Beine“, immer dieselben Muskeln in Bewegung, nix für mich.  Nach 30 km überholt mich das erste Auto. Fein, so einsam! Sonnenaufgang, die Luft ist irgendwie seltsam, so feucht kalt, Regen kündigt sich wohl an. Kurzer Blick auf die Uhr, ach ja, in eineinhalb Stunden soll es losgehen. In Dumfries ist natürlich noch nichts offen und mein Wunsch nach einem Latte wird wohl nicht erfüllt werden. Denk niemals „nie!“, denn am Ende des Ortes etwas versteckt finde ich eine Art Trafik und die Dame dort macht mir doch wirklich einen Kaffee in ihrem Hinterzimmer. Wunderbar!

Motiviert fahre ich weiter. Nun geht es ins Hinterland. Hügel. Nicht sehr anstrengend, ich habe Zeit zu denken, zum Beispiel viel Quatsch: Wusstet ihr, dass hier in den Dörfchen nicht Pound, sondern Salz das Zahlungsmittel ist? Auf jedem fünften Haus steht „for sale“ – für Salz … Wie schön wäre es jetzt so ein nettes Cottage zu haben, vor dem offenen Kamin in ein Lammfell gewickelt auszuschlafen, lesen, … und ich muss hier durch die Gegend fahren. Es ist nicht so sinnvoll hier unkonzentriert den Blick über die Landschaft schweifen zu lassen, denn regelmäßig zieren knietiefe Schlaglöcher die Straße. In so eines reinzufahren würde das Rennen wohl schlagartig beenden. Besser: Augen auf die Straße!

Die Hügel sind genial heute. Hoch, dann runter Beine baumeln lassen. Das Smartphone lädt sich mit dem Nabendynamo heute schnell auf. Bei meiner Fotografiererei braucht es viel „Saft“. Ein erster Regentropfen ploppt mir auf die Nase. Ein kurzer Blick auf die Uhr: eine Minute vor halb acht: Das geht schon gar nicht. Ein böser Blick meinerseits und es folgen keine weiteren Tropfen, aber die Wolken hängen tief.

Interessant die Ampeln hier. Sie stehen auf Rot, sobald ich abbremse, werden sie grün.

Die Höhenprofile sollte man sich wohl besser ansehen vor der Fahrt und den Maßstab. Auf meinem Profil nämlich gibt es heute unzählige Berge. Nun stellt sich heraus, dass so ein Berg grad mal 40-50 Höhenmeter hoch ist. Auf dem Tacho verfliegen die Kilometer im Nu, schon wieder ist die Hälfte von einem Viertel rum, bald sind dann wieder 10 Kilometer im Sack.

Ich sollte nicht übermütig werden. 6 Minuten vor acht. Autos kommen entgegen mit Scheibenwischer an. Das bedeutet wohl nichts Gutes. In 8 Kilometern habe ich die Hundert voll in grad mal vier Stunden. Ich habe wohl Rückenwind.  Kurz nach acht … was ist denn mit dem Regen? Verspätung? Nein, es fängt an zu tröpfeln. An der letzten Bushaltestelle zum Regenkleidung-Anziehen rausche ich vorbei. Sprühregen. Meinte das die Dame vom letzten Kaffeestopp mit „showery“ (duschig?) in Sachen Regen heute. Die Straße ist noch trocken, ich glaub, ich brauche noch nichts anzuziehen.

Kurz vor Kircudbright ist es soweit, die Regenkleidung muss raus. Im Ort dann mein drittes Frühstück bei der Tankstelle mit leckerem Latte und Brownies.

Gegen Mittag das vierte Frühstück in Gatehouse of Fleet in einem netten kleinen Bistro. Diesmal toll mit Pfannkuchen, Avocado, baked beans und anderen leckeren Sachen, dazu einen Pot english breakfast tea. Super gut! Davor kleine Hügel und dann wieder mal ein Gravelabschnitt und ein Radweg durch die Pampa, dann durch den Cally Paark. Es gibt auch wieder steilere Anstiege, an einem werde ich auf ein Knirschgeräusch an meinem Rad aufmerksam. Was das wohl ist? Die Kurbel? Ist da vielleicht das Kugellager kaputt?

Nun folgt ein Berg und Einsamkeit. Interessant, es braucht irgendwo nur an die 200 Höhenmeter hoch zu gehen und die Vegetation ändert sich und präsentiert sich ähnlich wie bei uns über der Waldgrenze.

Im Laufe des Tages fängt es immer mehr an zu regnen, ich brauche meine lange Regenhose, die schwerere Jacke und den Helmschutz. Der Rückenwind schiebt mich weiter Kilometerweit der Küste entlang, der Regen macht mir gar nicht so viel aus.

Supermarktstopp in einem winzigen Ort, Port Willam, kaum bleibe ich stehen, friere ich. Es ist später Nachmittag, langsam muss ich mir Gedanken machen, wo ich schlafen könnte. Der nächste größere Ort ist Stranraer. Laut Booking.com ist alles ausgebucht. Schlafen im Freien? Undenkbar. Alles ist nass. Das Zelt im Regen aufbauen ginge ja noch, aber wohin dann mit all den nassen Sachen? Meine Schuhe und Socken sind klatschnass, die Überschuhe hatten ihren Dienst schon bald aufgegeben. Die nette Dame im Spar-Geschäft meinte, es gäbe noch einen kleinen Ort vorher. Bingo, in Port Patrick werde ich fündig und buche sofort ein Zimmer. Noch etwa 40 km liegen vor mir. Ich treffe auf Janine, wir tauschen uns kurz aus, klagen uns unser leid. Wir überholen uns noch ein- zweimal heute.

Im tagesfüllenden Regen stellt sich bei mir der Horrorgedanke ein, was, wenn das jetzt tagelang so weitergeht? Die Aussichten sind nicht die besten.

Gut, nur bis zum nächsten Stopp denken, mein Hotel in Port Patrick. Noch 10 Kilometer bis dahin. Irgendwie lässt sich mein Rad plötzlich schwer steuern. Nanu? Mir schwant Böses. Ein Blick nach unten genügt, mein Vorderreifen ist fast platt. Schnell runter vom Rad und die Luftpumpe von Zuunterst in der Tasche rausgepult. Ich lehne mein Rad gegen einen Zaun, der Untergrund, nass und matschig, ist nicht ideal für die Standpumpe. Ich bekomme etwas Luft in den Reifen, bevor dieser von der Felge springt. Das ist der Nachteil, wenn man schlauchlos fährt. Ich will auf keinen Fall bei Regen einen Schlauch einlegen müssen. Beim Abschrauben der Pumpe, schraubt sich der obere Teil des Ventils mit ab. Mist, denn jetzt entweicht schlagartig alle Luft aus dem Reifen. Hilfe!! Ein Glück ist, dass der Reifen auf der Felge bleibt, ich schraube das Ding so fest ich kann wieder zu und starte einen zweiten Aufpump-Versuch. Passt! Mit nicht ganz viel Luft fahre ich weiter. Alles Weitere muss auf das Hotel warten. Immer wieder gucke ich argwöhnisch nach unten.

Im Hotel breite ich erst mal alle durchweichten Sachen auf den heißen Heizkörpern aus. Die sind so heiß, dass ich befürchte mir Löcher einzubrennen. Ich bekomme auch noch was zu essen. Tomaten-Suppe und Haggis, das schottische Nationalgericht aus Schafsinnereien. Lecker! Auch wenn viele sagen, das äßen sie nie im Leben …

Anschließend vergeht noch viel Zeit mit Sachen ausbreiten, Reifen „pflegen“,  … leider geht das von der Schlafzeit ab. Extra stehe ich nachts nochmal auf, um zu schauen, ob die Luft im Reifen bleibt … Bleibt sie! Die Dichtmilch hat wohl ihren Dienst erfüllt und ein Loch verschlossen. Ich sollte zumindest reifenmäßig gut durch das Rennen kommen.

Tag vier: 221 km/ 2000 Hm: Port Patrick – Kilmacolm

Um vier starte ich wieder nach fast einer Stunde packen und schnellem Frühstück. Oje! Was mache ich da falsch.

Es regnet im Moment nicht mehr. Wann es wohl wieder anfängt?
Meine Kurbel knarzt weiter. Auch bei weniger steilen Anstiegen macht sie Krach.

Nach Stranraer fahre ich auf ein Art Hochfläche. Nachdem ich mich verfahren hatte und zwei Kilometer zurück muss, geht der Weg nun auf einem Matschweg durch einen Privatgrund. Rad und Schuhe sind im Nu verdreckt. Dabei hätte ich der Straße gut weiter folgen können, aber Pflichtstrecke ist Pflichtstrecke, der Park ist auf jeden Fall schön.

Es fängt wieder an zu regnen. Anziehen angesagt. An die 80 Kilometer Einöde liegen vor mir.

Auf der schmalen Bergstraße kommt mir ein großer LKW entgegen. Neben einer riesen großen Pfütze will ich ihm ausweichen. Er fährt langsam, um mich nicht anzuspritzen, vorbei und als ich anfahren will, verliere ich das Gleichgewicht, komme nicht aus dem rechten Pedal und stürze im Zeitlupentempo um. Hänge fest, ich kniee in der Pfütze und versinke beim Aufstehen mit beiden Schuhen knöcheltief im Wasser, das Rad ist zum Glück heil.
Es geht bergauf, zumindest bekomme ich warm. Demotivierend aber, was mein Navi für Quatsch macht: Es geht bergauf, steil und das Gerät zeigt minus 4 % und Ähnliches an. Auch das Höhenprofil stimmt nicht. Ärger! Einen Neustart möchte ich jetzt vor Ablauf des Tages nicht machen.

Meine Beine sind heute wie Gummi. Ich brauche eine Pause. Seit gestern schleppe ich eine Scheibe Fruchtkuchen und eine Flasche Frappuccino mit mir mit und die könnte ich vor dem nächsten Berg gut mal zu mir nehmen. Vielleicht hebt das meine Motivation. Es kommt mir vor, als würde ich nur langsam vorwärts kommen heute. Kaum bleibe ich stehen, entdecken mich sofort die Miniplagegeister, die Midges, und stürzen sich zu Hunderten auf mich armes Opfer. Meinen Kuchen und Kaffee kann ich so nicht genießen, also weiter! Den halben bröseligen Kuchen verliere ich während der Fahrt. Tipp: Eine Frappuccino-Flasche sollte man nicht schütteln, wenn der Deckel nicht ganz angeschraubt ist. Fazit: Ich und mein Rad sind von oben bis unten besprenkelt.

Heute ist der Tag des ungewollten Trödelns. In den letzten 60 Kilometern bin ich unzählige Male vom Rad gestiegen: einmal anziehen, einmal ausziehen, kurze Regenhose austauschen mit der langen, dann lange Hose wieder aus, fotografieren, zurückfahren, um verlorenen Müll wieder einzusammeln (sprich Frappuccino-Flasche, Verpackung der Fruchtschnitte, …), wieder fotografieren, …

Motivationsschub: Auf dem Asphalt ist das Panceltic-Logo in Blau aufgespritzt. Dann über holen mich zwei Teilnehmer nach fast 100 Kilometern alleine. Immer wieder sehen wir uns. Mein Rad macht immer mehr Krach. Über ein paar ernstere Berge geht es jetzt, ich brauche keine Klingel, das Knirschen meines Rades ist lauter. Wieder mal sehe in der Ferne die beiden Radfahrer. Ich beeile mich vor der nächsten Anhöhe, ihnen nachzukommen, zu spät schon sind sie wieder weg. 150 Höhenmeter geht es hoch, die fühlen sich an, wie bei uns 1500m. Auf dem höchsten Punkt wieder die beiden Radler, ich glaube Rupert und Jack, ziehen sich vor der Abfahrt wohl was an. Meine Chance scheint gekommen. Atemlos erreiche ich sie. Mein Anliegen, was sie wohl von den Geräuschen an meinem Rad halten. Tja, klingt nicht gut, bald kämen wir wieder in belebtere Gegenden und vielleicht gibt es da einen Mechaniker. Sie fahren weiter. Ich fahre auch weiter und als ich wieder Empfang habe, befrage ich mein Internet. In Ayr gibt es tatsächlich einen Rad-Shop, der sogar über Mittag offen habe.

Nach einigen steilsten Anstiegen erreiche ich den Ort und suche sofort den Radladen. Bei Carrick Cycles sind sie sehr nett. Es tut mir leid, dass ich ein so verdrecktes Rad bringe. Ich kann mein Rad dalassen und etwas essen gehen. Das Kugellager wird inzwischen auseinandergenommen und etwas gefettet, es sei in Ordnung gewesen, der gröbste Schmutz ist weg, die Bremsbacken kontrolliert, Kette geschmiert und sogar meine elektronische Schaltung aufgeladen. Erleichtert ziehe ich von dannen, vor dem Geschäft passiert mir ein Missgeschick, meine Tasche kippt nach hinten weg, weil ich sie nicht ordentlich an der Sattelstütze befestigt hatte. Typisch Gabi! Eine Stimme, Janine, ich beteuere, dass nichts weiter passiert sei. Aber wenn das in voller Fahrt passiert wäre, oje! Wir tauschen uns noch kurz aus, dann fährt sie weiter. Ich werde sie anschließend nicht mehr treffen, vor der Überfahrt zur Insel Mull steigt sie wohl aus dem Rennen aus. Sehr viele Fahrer ereilt dasselbe Schicksal, sie beenden das Rennen irgendwann oder einige switchen auf die Short-Route um. 100 von 165 der Full-Route werden am Ende ins Ziel kommen, von 300 Startern insgesamt nicht ganz zwei Drittel.

Nun führt die Strecke an der Küste entlang Richtung Glasgow. Es ist zwar nahezu flach, aber sehr unrhythmisch, der Radweg geht kreuz und quer, Stopp & Go ist angesagt durch die scharfen Richtungsänderungen und durch belebtere Wohngegenden, schattige nasse moosbewachsene Passagen erlauben auch kein höheres Tempo. Der Untergrund ist oft holprig, Radfahrer kommen aus der Gegenrichtung, enge Kurven, Gegenverkehr, Fußgänger. Schnell ist was anderes. Irgendwo suche ich einen Eiswagen heim. Ich brauche was Süßes.

Mit gemischten Gefühlen rolle ich in Largs ein. Keine Ahnung, was mich hier erwartet. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich setze mich etwas verloren nahe des Hafens auf eine Bank. Ein Teilnehmer hält neben mir und fragt mich was, gedankenverloren schaue ich auf mein Smartphone und sehe, dass Rory mir geschrieben hatte, ob ich ein Eis essen gehen möchte. Ich schreibe zurück. Rory kommt und wir entscheiden zusammen etwas essen zu gehen. Bei Nardinis. Die Gründer des Lokals kamen aus Italien, vor fast 90 Jahren. Shannon gesellt sich zu uns und führt das Gespräch an. Gut, so müssen wir nicht über persönliche Dinge reden. Aber das ist wirklich eine andere Geschichte. Das Essen ist sehr sehr lecker, nach einer Suppe gönne ich mir noch einen großen Salat-Teller. Das ist das, was ich unterwegs am meisten vermisse: Obst und Gemüse. Anschließend gibt es noch einen italienischen Eisbecher. Lecker! Und dann ist es Zeit aufzubrechen. Verabschiedung. Shannon treffe ich noch ein paar Mal. Er war beunruhigt, ob er es vor seinem Rückflug nach Inverness schaffen würde. Ich werde irgendwann auf der Track-App sehen, dass er einer der vielen ist, die auf die Short-Route wechseln. Zum Glück mache ich mir nicht zu viele Gedanken, hoffe aber, dass ich in meinem geplanten Pensum nicht noch weiter zurückfalle. Noch habe ich einen Puffer von fast einem Tag zu meinem Abflugdatum.

 Heute wollte ich eigentlich noch etwas weiterkommen, aber ich beschließe bis ans Ende meines Tracks zu fahren und dann einen geeigneten Schlafplatz zu suchen. Aber es kommt immer anders als man denkt, am Ende meines Streckensplits bin ich mitten in einer Steigung. Ich erkenne, dass ich nun noch zum höchsten Punkt muss, dann ein paar Kilometer über eine Hochfläche und dann runter rollen bis Kilmacolm. Keine Ahnung, was mich da erwartet, die Sonne geht unter, die Dämmerung kommt. Durch besagten Ort rolle ich langsam, keine Ahnung, wo ich hier mein Zelt aufstellen kann. Da! Eine Kirche … mal sehen. Ich schiebe mein Rad durch das Eingangstor in den gepflegten Kirchhof. Platz wäre auf dem kurz getrimmten Rasen, aber den Blicken aus den umliegenden Häusern ausgeliefert … Ich lasse mein Fahrzeug stehen und mache mich zu Fuß auf den Weg um die Kirche. Auf der Rückseite finde ich einen Gemeindetrakt … und … der ist schonbesetzt. Drei Räder lehnen an der Wand, aus dem Eingangsbereich ertönen Schnarch-Geräusche. Leise schleiche ich vorbei und hinter der nächsten Ecke mein Traumplatz: eine gepflegte Rasenfläche blickgeschützt vor einer hohen Mauer kommt wie gerufen. Ich hole mein Rad und baue mein Nachtlager auf. Hundegebell und ein Herrchen mit seinem Tier spaziert durch den Kirchhof. Oh, das ist mir jetzt aber peinlich. Ich gehe zu dem Mann und stottere, ob er glaube, ich könne hier schlafen und wäre dann am frühen Morgen schon wieder weg. Er schaut etwas irritiert und meint, er habe kein Problem damit. Nach zwei Stunden Schlaf wache ich frierend auf und ziehe alles an, was ich habe.

Tag fünf: 230 km/ 2160 Hm: Kilmacolm – Campbeltown

Früh mache ich mich auf, meine Schlafnachbarn sind auch schon weg. Kalt ist es, ich brauche meine Primaloft-Jacke. Die 50 Kilometer, die ich auf meine Planung hinten bin, werde ich wohl nicht mehr aufholen.

In die Morgendämmerung fahren ohne Regen und ohne große Steigungen ist fein. Ich unterhalte mich ein paar Worte mit einem Franzosen. Hier fahren wir auch eine Weile gemeinsam mit Teilnehmern der Short-Route, also ist grad mal mehr um mich los. Fein, nicht ganz allein zu sein.

Auf der Höhe von Glasgow biegt die vorgegebene Strecke auf einen Radweg ein. Nach ein paar Metern ist Schluss: Radweg gesperrt. Ich kann an ausgetretenen Spuren im Gras erkennen, dass viele sich über das Sperrgitter hinweggesetzt und sich vorbeigequetscht haben. So mache das auch ich. Aber nach 100 Schiebemetern ist endgültig Schluss. Der Weg trifft auf eine Fahrbahn. Ein hoher Zaun verhindert das Weitergehen und entlang der Straße wuchert undurchdringbares Gestrüpp. Hier ist wohl schon länger keine Durchfahrt möglich. Also zurück zum Sperrschild. Dort stehe ich etwas verloren herum. Aus den Augenwinkeln erkenne ich drei Radfahrer, die mit einem Fußgänger reden. Schnell hin. So erfahre ich, dass wir hier einem Radweg auf der anderen Straßenseite folgen können. Das mache ich auch. Nach einem kurzen Anstieg sehe ich, dass es darum geht, den breiten River Clyde auf einer hohen Brücke zu überqueren. Am anderen Ufer angelangt fädle ich wieder auf den richtigen Weg ein. Gerettet!

Die folgenden Kilometer folgen sehr idyllisch einem Fluss entlang, dem River Leven. Ich sehne mich nach einem Frühstück. Es ist zwar noch sehr früh, grad mal sechs Uhr, aber via Google Maps werde ich fündig. Ich entferne mich nicht mal 100 Meter von meinem Track und stehe vor einem schon geöffneten Fischer-Zubehör-Laden und darin gibt es Kaffee und was zu essen. Genial!

Gestärkt gehen die nächsten Kilometer leicht vonstatten, ich friere auch nicht mehr so.
30 Kilometer fahre ich nun Meeresarmen entlang, erst dem Gare Loch, dann dem Loch Long, wie passend der Name. Das Örtchen Arrochar scheint am Ende der Welt zu liegen. Hier hatte ich eigentlich in der Nacht zuvor schlafen wollen. Hier fädle ich nun in eine stark befahrene Straße ein, Arrochar liegt also doch nicht am Ende der Welt. Und der Verkehr ist schauderhaft. Lastwagen rumpeln vorbei. Ich fürchte mich. Jetzt liegt auch noch ein Pass vor mir, der Rest and Be Thankful, ja der heißt wirklich übersetzt Raste und sei dankbar, kurz The Rest, auf Schottisch Bealach an Easain Duibh.  Es gefällt mir gar nicht inmitten des lebhaften Verkehrs nach oben zu fahren. Rettung naht, meine Spur biegt nach ein paar Kilometern auf die Old Military Road ab. Hier ist es ruhig. Das Teil, das in den letzten Tagen so krach gemacht hat, meldet sich zuverlässig wieder und nun bei jeder Kurbelumdrehung. Ob ich das Ziel so wohl erreichen kann oder mein Rad irgendwann mal schlapp macht?

Ich sinne grad über meine Weiterfahrt nach, da überholen Shannon und ein anderer Fahrer (Andrew?) mich. Etwas weiter beobachte ich die beiden, wie sie ihre Räder über ein Viehgatter heben. Da wird doch nicht …? Erinnerungen an die GBDuro steigen in mir hoch, dort hatte ich ein Dutzend solcher Hindernisse. Schnell den beiden nach. Und ich bekomme vier helfende Hände. Wie dankbar ich bin, denn allein hätte ich mein Bike da nicht drüber bekommen. Zwei Forstbeamte oder ähnliches sehen uns und meinen, dass wäre nicht das einzige Gitter. Oje! Da muss ich schauen, dass ich nicht allein hinten bleibe. Das ist jedoch nicht so leicht, denn hier ist es wieder mal so steil, dass ich schieben muss. Beim letzten Tor sperrt der Bauer selbst auf, weil er mit dem Auto zu seinen Tieren will. Glück gehabt!

Nach einer rasanten Abfahrt führt meine Fahrt die Old Military Road an der Meeresküste entlang mich nach Inveraray. Hier stelle ich fest, dass ich in etwas das halbe Panceltic Ultra geschafft habe. Das muss gefeiert werden. Da in dem Fast Food Laden zum Glück kein Platz  frei ist, kehre ich in ein nobleres Restaurant ein. Es gibt Tomatensuppe und einen wunderbaren Caesar Salat. Das hatten wir doch schon mal …

Gestärkt geht es weiter. Bald nach dem Essen werde ich müde. Der wenige Schlaf fordert wohl seinen Tribut. Ein Parkbänkchen kommt wie gerufen. Kaum liege ich werde ich schon von unzähligen blutrünstigen Midges umschwirrt. Also kein Powernap, sondern schnell weiter.

Ich hatte vor die ellenlange Halbinsel bis nach Campbeltown zu fahren, in einem Hotel zu schlafen und wenn möglich die 45 Kilometer-Schleife über den Süden der Halbinsel noch am selben Tag zu fahren. Würde ich das schaffen, dann wäre ich 50 Kilometer auf meinen Plan hinten, ansonsten 90 Kilometer, langsam mache ich mir doch Sorgen, denn vermutlich würde ich an diesem Tag die Schleife nicht mehr angehen können und das wird sich auch bewahrheiten.

Von Lochgilphead fülle ich im Supermarkt meine Reserven auf und schleppe viel zu viel mit, denn man weiß ja nie, wann man wieder mal was bekommt, bis zum nächsten Supermarkt.
Wir haben glücklicherweise gut Rückenwind und so bremsen mich nur unzählige kurze unmenschlich steile Schiebeanstiege in meinem Vorwärtsdrang zum inzwischen gebuchten Hotel in Campbeltown. Ich mache mir zwischendurch Luft und schimpfe immer mal wieder lautstark auf die Straßenplaner. Oder ist mein Rad einfach zu schwer und meine Beine zu schwach?

Gegen halb neun erreiche ich mein Hotel. Durch ein Missverständnis, die Küche sei länger offen, beeile ich mich nicht beziehe mein Zimmer und dusche noch. Dann gibt es leider nichts mehr und ich kaufe mir im nahen Einzelhandel noch was. Ich bekomme netterweise ein paar Frühstückssachen mit ins Zimmer und richte mir was aus Frühstücksflocken, Cornflakes, Brot, Käse (schleppe ich schon seit dem Vortag mit, Cheddar, lecker!), Snickers, Apfel, Orange. Zwei Becher Müller Milchreis hebe ich mir auf den nächsten Tag auf.

Vor dem Schlafengehen rattert mein Gehirn auf Hochtouren. Die letzte Fähre in Oban zur Isle of Mull legt um 21:45 ab. Die musste ich unbedingt schaffen. 240 Kilometer und mehr als 3200 Höhenmeter lagen zwischen mir und der Fähre. War das machbar? Ich vermute „ja“, aber … Ich musste nur früh genug aufstehen. Um 2 Uhr!

Tag sechs: 271 km/ 3450 Hm: Campbeltown – Port nan Gael auf der Isle of Mull (CP2)

Ich glaubte grad eingeschlafen zu sein, da geht der Weck-Alarm los. 2 Uhr!
Mein Zelt und das Frühstück bleiben im Hotel und ich fahre in tiefschwarzer Nacht los. Gleich mal verfahre ich mich, denn mein Navi hat wieder mal beschlossen die angezeigte Karte genordet darzustellen, mit allen schon erwähnten Denkproblemen für die Nutzerin Gabi und das an so frühem Morgen oder war jetzt noch Nacht?

Die Gegend ist sehr einsam und bei Heller-Werden kann ich mich nicht sattsehen an den Naturschönheiten. Und an der Meeresküste kann ich was dickes Wurstartiges auf einem Stein erkennen. Beim Näherkommen verschwindet die Wurst im Wasser und kurz darauf mustern mich schwarze Knopfaugen neugierig und zugleich misstrauisch. Ein Seehund. Wie schön!

Wieder im Hotel angelangt, mache ich mein Rad fahrbereit und frühstücke nebenbei. Fraglich ist, ob es nicht schneller gehen würde, die Dinge hintereinander zu erledigen.

Die folgenden zig Kilometer führen über eine Landstraße nach Norden. Auf der Halbinsel, die ich am Tag zuvor südwärts befahren habe, geht es nun auf der Gegenseite nordwärts, mit etwas Gegenwind. Müdigkeit überfällt mich, da ich ja schon seit 2 Uhr auf bin, aber eine kurze Rast auf einer Parkplatzbank mit Blick über das Meer sei mir nicht gegönnt. Auch jetzt am frühen Morgen wimmelt es von den Ministechmücken, die in Nasenlöcher, Ohren und Augen krabbeln, um ihren Blutdurst zu stillen. Weiter! Das erste Mal ziehe ich meine Kopfhörer raus und lenke mich mit Two Steps from Hell ab. Nach einem Kaffee-Stopp bei der einzigen Möglichkeit weit und breit, einer Tankstelle, geht die Spur ab an die Küste.  Wunderschön und sehr einsam. Mittag ist knapp vorbei, ich habe etwa 160 Kilometer hinter mir, da komme ich wieder in Lochgilphead vorbei. Auf dem kurzen Gegenverkehrsbereich unserer Strecke kommen mir einige entgegen, die erst noch die lange Halbinsel runter müssen. Die Armen! Eigentlich bin ich ja nicht schadenfroh, aber es tut doch gut, nicht die letzte zu sein.

An der Tankstelle möchte ich mich an einer Essensausgabe mit warmem Essen eindecken. Großspurig bestelle ich eine große Portion Tomatensuppe und eine normale Portion Maccaroni mit Käsesauce oder was immer das auch ist. Die Suppe schaffe ich, dann kann ich nicht mehr. Die Nudeln müssen mit. Ich werde sie und einige Dinge, die ich am Vortag schon gekauft hatte, über viele Berge fast hundert Kilometer mit mir rumschleppen, bis ich sie nach dem nächsten Supermarktbesuch „genießen“ werde. Ich muss an meiner Verpflegungstaktik wohl was ändern.

Zunächst folge ich einem Kanal, der Loch Gilp mit Loch Fyne verbindet. Hier beobachte ich einige Boote, die sich gemächlich von einer Schleuse zur nächsten treiben lassen. Die haben es fein. Einige Minuten warte ich an einer Drehbrücke und merke, als sie bereit ist, dass ich drüberfahren kann, dass ich gar nicht rüber muss, sondern auf meiner Uferseite bleiben muss. Typisch!

Nach einigen flachen Kilometern, die mein Herz schon hüpfen lässt, so schön und fein heute … kommt der Hammer: drei oder vier Berge mit je einigen hundert Metern, die steilst nach oben führen, dann auf der Gegenseite sehr steil nach unten, ätzend. Einer nach dem andern, bis ich fix und fertig bin. Aber irgendwann hat jede Leiderei ein Ende. Ich schaue auf meine Uhr, ich bin gut in der Zeit, Oban werde ich sicher vor viertel vor Zehn erreichen. Und damit rückt eine pünktliche Zieleinfahrt wieder in greifbare Nähe. Erleichterung.

In Oban bin ich kurz nach sechs. Ich kann sogar noch einkaufen gehen, denn auf der Isle of Mull wird es keine Versorgungsmöglichkeit geben. Mit etwas Beeilung hätte ich sogar noch die sechs-Uhr-Fähre schaffen können, aber ohne Einkaufen. So habe ich auf der Mole genügend Zeit mich warm anzuziehen, denn es ist recht frisch und dann endlich meine Maccaroni zu essen, die ich den halben Tag mit mir rumgekarrt hatte. Sie sind eingepackt in einer recyclebaren Verpackung, ebenso recyclebar ist die Gabel. Und der Recycle-Vorgang hat offenbar schon eingesetzt, der Behälter war matschig und hielt kaum mehr stand. Appetitlich hat das Ganze auf jeden Fall nicht ausgesehen. Aber die Blicke der Wartenden stört mich nicht, viel zu beschäftigt bin ich mit Durchrechnen der Anforderungen, die auf mich zukommen.  Auf der Fähre habe ich eine ganze Bank für mich. Ich frage mich gar nicht erst, warum sich niemand neben mich setzen will … ich kann sogar etwas schlafen. Mein Hauptziel für heute war die Fähre zu erreichen. Nun Ich entdecke ich, dass ich zu CP2 noch fast 30 Kilometer zu fahren hatte und dabei einen kleinen Pass zu überwinden.

Auf der Insel angelangt fahre ich eine Zeitlang zusammen mit Seamus. Ich brauche ihn gar nicht aufmerksam machen, dass mit meinem Rad etwas nicht in Ordnung ist, das Geknarzte ist inzwischen kilometerweit zu vernehmen. Nicht mal die Hirschkühe am Wegesrand lassen sich aber davon stören, sie suchen nicht das Weite. Hatte ich am Tag zuvor eine andere Idee zur Herkunft der Geräusche gehabt und ohne Erfolg die Befestigung meiner hinteren Tasche an der Sattelstütze etwas verschoben, so meint Seamus auch, dass er glaubt, das Knirschen liege nicht an der Kurbel, sondern höher. Dann ist es also wirklich die Sattelstütze. Hoffentlich lässt die Schelle nicht nach und mein Sattel sinkt nach unten.

Hatte ich gehofft CP2 wäre wieder eingerichtet mit Schlafmöglichkeit, dann werde ich enttäuscht. Hier gibt einen Campingplatz, auf dem für uns Stellplätze reserviert sind und es gibt Brote mit Erdnussbutter und Marmelade Tee und Kaffee. Nach dem Stempeln meiner Karte richte ich schleunigst meinen Schlafplatz her, umschwirrt von Millionen Plagegeistern. Ich merke, dass mein Mückennetz nicht ganz ideal ist. Die Löcher sind zu groß und die Mini-Midges schwindeln sich gekonnt durch, um zum Ziel zu kommen. Ich verzichte auf die Dusche, die würde mich nur wieder wach machen und anschließend frieren lassen und reinige mich notdürftig mit meinem Funktionslappen, den ich inzwischen für mich und mein Rad nutze.

Den Wecker-Alarm stelle ich auf drei Stunden später, also sehr früh, denn es gibt einen weiteren kritischen Punkt: Ich muss nach der Insel Mull möglichst früh wieder aufs Festland und dort nach fast 100 Kilometern die Fähre auf die Insel Skye erwischen. Die letzte am Samstag, ja inzwischen ist es schon Samstag, wie die Zeit vergeht, die letzte Fähre legt um 16:10 in Mallaig ab. Wenn ich die nicht erreiche, dann geht die nächste erst um halb zehn am Sonntag. Oje! Vorausgeschickt, die Fähre um halb zehn wird wegen eines technischen Defekts ausfallen. Ich muss also eine möglichst frühe Fähre von Mull aufs Festland schaffen, dann 100 km düsen, um zeitgerecht nach Skye ablegen zu können. Das Rennen wird langsam ganz schön stressig … Verlockend wäre auch ein Hotel in Mallaig,  gemütlich frühstücken und dann die Fähre … Aber ginge sich dann der Heimflug am Mittwochfrüh noch aus?

Tag sieben: 267 km/ 3500 Hm: Port nan Gael (CP2) – Isle of Skye

Am Morgen noch schnell einen Kaffee getrunken am Panceltic-Zelt und ich schmiere mir auch noch ein Toastbrot mit Erdnussbutter und Orangenmarmelade, das ich während der Fahrt esse will. Die ersten Kilometer begleitet mich Flynn und wir tauschen Erfahrungen aus. Bei den ersten Anstiegen lasse ich ihn ziehen, Hochfahren und Brot essen verträgt sich nicht so gut.

Wunderschön ist die Insel. Sehr einsam. Auf den letzten 10 Kilometern vor der Fähre erkenne ich, dass ich nicht erst die angepeilte 11-Uhr-Fähre, sondern vielleicht schon die um neun Uhr dreißig erwischen könnte, wenn ich weiter in dem Tempo fahren würde. Die beiden Berge hatte ich nicht mehr auf dem Schirm, es wird ganz schön knapp. Zügig radle ich bergauf, versuche mein schweres Gepäck zu vergessen. Runter rase ich, dann nochmal hoch, wieder runter. Völlig verausgabt rolle ich ein paar Minuten vor Ablegen in den kleinen Hafen von Tobermory. Die Fähre hatte ich noch nicht gebucht, das musste ich nun noch. In der Hektik fällt mir nicht mal mehr ein, wie der Ankunftsort auf dem Festland heißt. Die App zeigt aber eh nur eine Fährverbindung. Wenn die Fähre jetzt schon ausgebucht wäre, dann hätte ich mich umsonst so gestresst. Aber ich habe Glück, auch einen Radplatz gibt es noch. Das Verflixte an den Fähren ist nämlich, dass es begrenzte Radmitnahmen gibt. Aufgrund dessen buchen einige der Fahrer mehrere Fährüberfahrten frühzeitig, weil sie nicht genau wissen, welche sie erreichen können. Damit sind die Radplätze ausgebucht, auch wenn sie gar nicht genutzt werden. Das ist ganz schön unfair. Ich buche nun auch noch die Fähre in Malleig, die Radplätze sind allerdings schon aus. Dann muss ich halt die Fähre am nächsten Tag nehmen. Wäre aber nicht fein sich jetzt zu verausgaben und pünktlich vor Ort zu sein und dann nicht mitzudürfen. Aber es bringt gar nichts, sich da jetzt den Kopf zu zerbrechen.

Durch die frühere Festlandfähre rückt das Erreichen der Sky-Fähre jedenfalls wieder in erreichbare Nähe. Es waren etwa 100 Kilometer, für die hatte ich nun gut sechs Stunden Zeit. Klingt recht großzügig, hängt aber von der Beschaffenheit der Strecke ab. Nach einem ersten hohen Berg, naja, hier sind 200m hoch … und einer rasanten Abfahrt fahre ich in ständigem Auf und Ab an der Küste entlang. Musik treibt mich an, unter anderem Evergreen und andere monumentale Stücke von Two Steps from Hell, Sirenia, Sonata Arctica, Hammerfall und besonders Wardruna mit Helvegen. Auf der Road to the Isles geht es auch zügig weiter. Es geht ins Inland, dann wieder runter ans Meer.

Erleichterung, es ist knapp nach 15 Uhr und ich bin schon fast da. Ein Spar-Geschäft liegt an der Strecke. Die Gelegenheit möchte ich noch nutzen. Eine Frau vor dem Geschäft bestätigt mir, dass es nur noch etwa 10 Minuten zur Fähre in Mallaig ist. Nach dem Einkauf frage ich den Chef an der Kasse noch nach Wasser. Er ist so nett, meine Flaschen aufzufüllen. Ich stelle auch ihm sicherheitshalber die Frage nach dem Hafen. Ja, das seien noch 11 Kilometer. Was? 11 Kilometer! Es ist viertel nach drei. Noch so weit und zeigt mir das Abgleichen mit meiner Planung  noch einige Aufstiege. Das schaffe ich nie und nimmer. Ich presche los. Hoch über den ersten Hügel, rase runter, weiter und weiter. Ich rase, als würde ich ein Kurzstreckenrennen bestreiten. Ich münde in eine Hauptstraße ein, verfehle den Radweg. Aber was hatte Mally, der Organisator gesagt, wir müssten selbst nach Sicherheitsempfinden entscheiden, ob wir auf der Straße oder auf dem Radweg fahren. Ich düse die Hauptstraße entlang, habe dabei schon ein bisschen ein schlechtes Gewissen.  Später sollte ich erfahren, dass viele Fahrer die Straße genommen hatten. Das trug bei mir zumindest dazu bei, dass ich zur Fähre komme, als die letzten Autos schon auf dem Schiffsdeck stehen. Brennend fällt mir ein, dass ich keinen Radplatz habe und außer Atem versuche ich dem Einweiser das zu erklären. Er fragt nur, ob ich ein Fußgänger-Ticket habe. Ja, das habe ich. Dann sollte ich zu seinen Kollegen an der Rampe gehen. Diese kontrollierten nur den QR-Code auf meiner App und schickten mich in den Schiffsrumpf. Oben im Aufenthaltsraum gibt es Kaffee.

Ich treffe hier mehrere andere Radfahrer und auch Mally mit seiner Crew sind da. Ich werde interviewt und aufgekratzt wie ich bin, erzähle ich in meinem gebrochenen Englisch jede Menge Quatsch. Ein Foto bekomme ich anschließend von Matt geschickt, es zeigt eine aufgekratzte kanariengelbe Frau. Oje! Aber ich bin so was von erleichtert, ich könnte die Welt umarmen. Der ganze Stress ist von mir abgefallen, jetzt kann ich das Rennen so richtig genießen. Dachte ich am Morgen in Tobermory noch, dass ich  so einen Zeitdruck wie dort nicht nochmal erleben möchte, da wusste ich zum Glück nichts davon, was vor Mallaig noch kommen würde. Aber erst mal gut, dass ich hier war, denn den ganzen Sonntag waren die Überfahrten ausgebucht.

Auf der Isle of Skye angekommen war es noch recht früh am Tag und ich rollte ohne Zeitdruck weiter. Ohne Zeitdruck? Ich kehre in einem netten Restaurant ein und genehmige mir die Suppe des Tages, eine Linsensuppe und Knoblauchbrot. Nebenbei beschäftige ich mich mit dem, was mich auf der Insel erwarten würde. Mein Puls erhöht sich schlagartig. Mit gemütlich würde da nichts sein. Ich hatte 230 Kilometer vor mir bis zur Festlandfähre nach Glenelg. Die letzte würde Skye um 19:00 verlassen. Das bedeutet auch am nächsten Tag muss ich mich sputen, sonst hinge ich bis 10 Uhr am Morgen fest.

Ich beschließe noch bis zum Dunkelwerden zu fahren, um am nächsten Tag nicht mehr so viele Kilometer zu  haben und mir einen Platz für mein Zeltchen zu suchen. Keine Ahnung wo. Immer mehr Zeug hat sich in meinen Taschen angesammelt. Ich schleppe 2-mal Milchreis mit, ein viertel Kilo Cheddarkäse, weiche Waffeln – die Kombi Waffeln/Käse ist übrigens sehr lecker-, Apfel, Cappuccino in der Flasche, zwei volle Wasserflaschen, Ingwerkekse, Schokolade, Nussmischung und so weiter mit mir. Meine Taschen bekomme ich kaum mehr zu. Ob das dem schlampigeren Packen geschuldet ist? Wohl eher der Überladúng. In den Bergen aber ganz schön schwer. Und ich habe unglücklicherweise kräftigen eiskalten Gegenwind. Ich gondele komot durch die Gegend.

Am Ende meiner Planungstrecke wollte ich mir einen Schlafplatz suchen. Die Kartenarbeit hatte ich wohl nicht ganz genau genommen bei dieser vorletzten Strecke. Am Ende nämlich befinde ich mich mitten in einem Berg. Den muss ich nun noch hoch. Hier ist es fast alpin. Hier geht es nun noch 12 Kilometer über eine Hochfläche hoch und runter. Hier schlafen? Zu kalt und zu windig. Die Sonne ist schon untergegangen. Von der Straße geht es ab auf Schotter. Auch das noch! Langsam rolle ich nun noch offroad einige Kilometer abwärts. Dann ein Glückstreffer. Ein Cattle Grid, ein Viehgitter, daneben, eingefasst von Farnkrautwedeln ein flacher Grasplatz. Wie geschaffen für mein Zelt.  Das Rad kann ich gegen den Zaun lehnen und hänge das Ladegerät für die Batterie meiner elektronischen Schaltung Di2 vorsichtshalber noch mal an meine Powerbank. Miges gibt es wegen des kräftigen Windes keine. Bald liege ich auf meiner Matte in den Schlafsack eingemummelt, alle verfügbaren Sachen an, denn recht warm ist es nicht.

Tag acht: 242 km/ 3400 Hm: über die Isle of Skye – Lochcarron

Halb vier Uhr schreit der Wecker. Ich bin so müde und lasse noch zweimal den 10-Minuten-Timer laufen. Gab es beim Zeltaufbau keine Mücken, so sind die Viecher jetzt um so lästiger. Aus Versehen sprühe ich mir auch noch Mückenmittel ins rechte Auge. Die beiden Becher Milchreis frühstücke ich nebenbei, dann verstaue ich die leeren Becher und anderen Müll in meiner Seitentasche. Irgendwo werde ich ihn wohl illegal in einem privaten Mülleimer am Straßenrand entsorgen.

Um fünf Uhr endlich Start. Ich schiebe ein paar Meter hoch, um mit Schwung über den Cattle Grid zu kommen. Dann geht es in fröhlichem Auf und Ab über Skye. Mitten im Nirgendwo entdecke ich einen roten Briefkasten, so einen müsste ich mal fotografieren, das gibt es auch nur hier. Schon bin ich vorbei und zurückfahren möchte ich nun auch nicht mehr. Wenn ich wüsste … dass ich genau diesen Postkasten doch noch fotografieren würde, die Nackenhaare würden sich mir vor Schock wohl aufstellen.

Ich genieße die Fahrt, die Anstiege nicht sehr lang, dann wieder feines Runterrollen. Irgendwann kommt ein Haus in Sicht, ein Mülleimer daneben außerhalb der Sichtweite des Hauses. Das war meine Gelegenheit. Hier werde ich den Müll einwerfen. Ich bremse, steige vom Rad und will in die Seitentasche greifen. Nanu, wo ist sie? Es beginnt in meinem Gehirn zu arbeiten. Entsetzen macht sich breit. Ich habe meine Tasche verloren! Ein rascher Blick auf den Tacho: Sechs Kilometer in Hügelgelände habe ich schon hinter mir. Ich muss zurück! Wo aber ist die Tasche? Hat sie inzwischen ein Auto überfahren oder ein Autofahrer mitgenommen? In der Tasche sind das Zeltgestänge und Regenzeug. Alles Dinge, die ich dringend brauche. Ich rase zurück – bis hin zu meinem Zeltplatz. Die Tasche liegt auf dem Cattle Grid. Das erste Holpern hat sie vom Rad katapultiert, ich hatte vergessen sie am Rahmen zu verriegeln. Nicht auszudenken, wenn ich wie üblich viele Kilometer, ohne anzuhalten gefahren wäre, 30, 50 oder mehr … und dann erst das Fehlen des Panniers gemerkt hätte. Mir wird ganz schlecht bei dem Gedanken …
Auf jeden Fall wäre eine Stunde mehr Schlaf gescheiter gewesen als dieses sinnlose Hin- und Herfahren.

Weiter geht die Pechsträhne, ich verfahre mich zweimal, anhalten und zurückfahren. Meine Beine fühlen sich zwischendurch auch schwer an, ich halte und esse etwas, dann geht es besser. Ein schwer bepackter Radfahrer kommt mir entgegen. Gehört der zu uns? Bin ich falsch oder er oder gibt es hier eine Gegenverkehrstrecke. Ich halte an, um das zu kontrollieren. Es will heute kein richtiger Rhythmus aufkommen, auf Musik habe ich auch keine Lust.

Nach Dunvegan steht wieder ein Berg im Weg. Wie fast überall ist die Straße einspurig, alle paar Meter gibt es einen Passing Place zum Ausweichen. Die meisten Autofahrer nehmen das sehr ernst, auch Radfahrern gegenüber. Aber nicht alle. Grad hat sich einer noch schnell an mir vorbeiquetschen wollen. Ich weiche auf den Straßenrand aus, klicke mein linkes Pedal aus, verliere das Gleichgewicht und mein linker Fuß tritt ins Leere. Im letzten Augenblick kann ich mich fangen. Ich schimpfe dem Autofahrer hinterher.

Flynn überholt mich und erzählt mir von seiner teuren Campingplatzübernachtung. Er konnte sie allerdings gar nicht nutzen, da er die ganze Nacht in den sanitären Anlagen gesessen sei, im Licht und der Wärme seinen Reifenschaden zu reparieren. Dementsprechend unausgeruht sei er jetzt und zudem schmerze sein Oberschenkel sehr.

Zusammen kommen wir auf dem höchsten Punkt an, dem Quiraing-Viewpoint  Dort erwartet uns ein grandioser Ausblick über das Quiraing-Bergmassiv mit seinen Felsentürmen bis hinunter in die Bucht von Staffin und ein Imbiss-Wagen.
Ich gönne mir einen Latte und einen Muffin, kaufe noch etwas Süßkram, dann stürze ich mich in die Tiefe.

Skye ist wunderbar. Küstenabschnitte wechseln sich mit Seen und atemberaubenden Bergblicken ab. Ich fahre durch Portree, ein von Touristen nur so wimmelnder Ort mit einer malerischen Häuserkulisse. Ich bin froh da wieder raus zu sein. Irgendwo komme ich in den Gegenverkehrsbereich. Da gibt es eine Vielzahl von Radfahrern, die mir entgegenkommt. Ob es die wohl pünktlich zur Finisher-Party nach Inverness schaffen?


Hatte ich gestern Gegenwind, so habe ich den auch heute wieder, der Wind hat unglücklicherweise gedreht. Zurück in Braedfort kehre ich erst mal im Supermarkt ein, denn ab hier gibt es laut meiner Planung über 150 Kilometer nichts. Das bedeutet aber, alles, was ich einkaufe muss ich vor der Fähre über einen höheren Berg und nach der Überfahrt zunächst über einen hohen und mehrere überschaubare Berge karren und dann stand da noch der Pass Bealach na Bà auf dem Programm. Beim Supermarkt treffe ich wieder Flynn. Er hat wieder Probleme mit seinem Reifen, da hilft meine Pumpe auch nicht und meinen Reserveschlauch kann ich ihm leider auch nicht anbieten. Ich versorge mich mit Milchreis, Käse, Tomaten, einem Thunfisch-Sandwitch- Keksen, Kefir, KitKat, Wasser, denn in den nächsten 120 Kilometern gibt es nichts. Ich fahre weiter, es tut mir sehr leid um den Radkollegen. So weit gekommen und nun soll Schluss sein? Auf der Insel gibt es keinen Mechaniker, der nächste keine Ahnung, wie weit weg.

Die letzte Fähre um 19:00 würde ich locker schaffen, egal, was sich mir nun in den Weg stellte an Steilheiten. Und steil wurde es wieder. Fast oben höre ich ein Geräusch hinter mir. Wer kommt da? Ja, Flynn! Irgendwie hat er es geschafft, seinen Reifen zu reparieren. Das freut mich für ihn. Vom höchsten Punkt geht es extrem steil runter. Leichtsinnig bremse ich mit einer Hand und filme mit der anderen. Irgendwann wird es mich wohl mal vom Rad werfen. Die Fähre liegt schon vor Anker. Es ist nicht mal fünf Uhr am Nachmittag.

Die Glenelg-Skye Ferry ist die letzte ihrer Art. Eine Autofähre, deren Deck gedreht wird – von Hand, wohlgemerkt. Sie quert das Meer zwischen der Isle of Skye und dem Festland. Die Strömungen beim Wechsel zwischen Ebbe und Flut sind sehr stark und so leistet die kleine Autofähre „Glenachulish“ hier eine bärenstarke Arbeit, wenn sie etwa sechs Autos auf einmal in nur fünf Minuten auf die andere Seite bringt. Und Hund hilft fleißig mit. Die Überfahrt ist ein ganz besonderes Erlebnis. Die zweieinhalb Pounds streckt mir Flynn vor, da ich nur einen großen Geldschein habe. Ich teile mit ihm dafür mein Sandwich und die Tomaten. Ich hoffe, die Organisatoren lesen das nicht. Support verboten!
Nicht sattsehen kann ich mich an den Vorgängen rund um das Beladen und Ablegen und beobachte sie durch meine Kameralinse noch einmal vom Berghang aus. Alle anderen Radfahrer sind schon lange weg. Aber mich kann nun nichts mehr stressen.

Ich muss mich nun aber auch auf den Weg machen. Auf meiner Skizze droht der Ratagan Pass in dunkelroten Farben vom Blatt. Das bedeutet nichts Gutes. Nach einigem Schieben bin ich am höchsten Punkt. Hört das denn nie auf mit den übersteilen Straßen? War es sonnseitig fast brütend heiß, so muss ich mich jetzt bei der Abfahrt im Schatten warm anziehen. An der Küste angekommen, dem Loch Duich, weiß ich wieder mal nicht, ob ich an einem See oder am Meer bin. Das muss ich zuhause mal recherchieren. Einige Häuser und eine kleine Einkehrmöglichkeit. Um viel Geld bekomme ich sehr wenig Suppe. Ich fülle noch meine Flaschen auf, um wieder so richtig viel zu tragen zu haben und fahre weiter.

Noch drei Hügel, mit kurzen steilen Schiebeeinheiten, wie üblich, und ich kann mein letztes Planungsblatt aufblättern. Und dann möchte ich mir meinen letzten oder vorletzten Schlafplatz suchen. Das wird auf jeden Fall vor dem gefürchteten Pass Bealach na Bà geschehen, das ist gewiss. Den Pass möchte ich mit möglichst frischen Beinen angehen. Unterwegs noch eine Überraschung. Ich drehe mich nach dem zweiten Berg zufällig nach links, als ich in eine Straße einfädeln möchte und da steht es da das Eilean Donan Castle. Ich war hier schon mal im Rahmen des Celtman Triathlons. Erinnerungen!

Jetzt muss nur noch ein Schlafplatz her. Glücklicherweise ist es trocken. Jetzt fällt mir auf, dass es in den letzten Tagen nie geregnet hat. Nun dämmert es schon und neben der Straße gibt es nichts, wo ich mein Zelt aufpflanzen könnte. Etwas weiter ein nun schon geschlossenes Restaurant. Auf der anderen Straßenseite ein Rasen mit einem Zelt und einem handgeschriebenen Zelt „pitch 10 pounds“. Hierher könnte ich zurückfahren, wenn ich demnächst gar nichts finde. Aber wenn mal ein paar Kilometer rum sind, tut ein Zurück weh. Ich hatte auf meiner Planung eine Kirche vermerkt und google diese: da steht geschlossen, ich finde sie aber auch nicht.

Etwas weiter taucht Lochcarron in meinem Blickfeld auf und … eine Kirche der Gemeinde der Free Church of Scotland, alle wären dort willkommen, das klingt schon mal gut. Rund um die Kirche ein hektargroßes gepflegtes Rasengelände mit unzähligen Grabsteinen aus Stein. Sollte ich dort …? Ich schaue links und rechts die Straße entlang, niemand da. Am großen Gitter ein Schild „Hunde haben keinen Eintritt“, entschlossen mache ich mich am Schließmechanismus zu schaffen, mit einem lauten Quitschen geht das Schloss auf. Recht profan wirkt ein Auto neben der Kirche mit einem „for sale“ Zettel an der Windschutzscheibe. Also ist ein kleines Zelt wohl auch nicht so fehl am Platz. Hinter zwei großen Thuyen ist es ideal. Hinter? Wo ist da hinten und vorne? Auf jeden Fall ist der Platz von der Straße aus nicht einsehbar. Rasch alles hergerichtet und rein in die gute Stube. Irgendwo zwischen den Bäumen habe ich ein Licht gesehen, also nicht zu viel Bewegung draußen machen.

Tag neun: 260 km/ 3500 Hm: Lochcarron – Inverness

Ich schlafe sehr gut, es ist so wunderbar ruhig. Früh raus aus den Federn, das Packen geht immer schneller und routinierter von der Hand. Das Quietschen des Gitters und weg bin ich. Dem Schild mit dem Hundeverbot werden sie wohl noch ergänzen müssen mit „Campieren verboten“. Mein Glück, ein paar Meter weiter gibt es sogar eine öffentliche Toilette, die ich schon öfters in Orten besucht hatte für ein Mindestmaß an Körperpflege und Wasserfassen. Exkurs bezüglich öffentlicher Toiletten: Man darf sich nur nicht einsperren lassen, wie es Steve bei der GBDuro vor zwei Jahren passiert ist. Nur mit vom Waschen der Kleidung nasser Kleidung war er, das Rad vor der Tür, rund 10 Stunden eingeschlossen, bis ihn der erste Kunde befreite. Oje, ein Horrorgedanke!
Noch einen letzten Blick in den Spiegel: Da blickt mich eine grau-wuschelhaarige Frau mit geblümtem Stirnband an, eigentlich noch voller Tatendrang. Kanariengelbes Radtrikot. Ein Wunder, dass das nach über acht Tagen noch so sauber ist, vermutlich liegt das wohl am Material. Ich werde das daheim mal in der Ausrüstungsliste auswerten. Ich spüre mein Sitzleder nach: Kein Problem nach so vielen Tagen im Sattel. Heute bin ich wieder mit meiner Triathlon-Hose ohne Sitzpolstere unterwegs und fahre gut damit.

Genug getrödelt, ich weiß schon, warum … Es ist nun wirklich Zeit mich an den Aufstieg des letzten hohen Passes zu machen, dem von mir gefürchteten Bealach na Bà.

Es ist ein berühmt berüchtigter Pass auf der Applecross-Halbinsel mit einer sich windenden einspurigen Straße, die bis auf 626 Meter ansteigt. Es ist eine der wenigen Straße in den Highlands, die wie unsere Bergpässe in den Alpen angelegt ist, mit engen Haarnadelkurven, die sich mit Steigungen von teils über 25 % den Berg hinaufschlängeln.

Und der Pass fühlt sich wirklich so an wie bei uns daheim. Nur dass bei uns keine Schilder stehen mit einem Abraten für Führerscheinneulinge. Und was „gradients of 1 in 5“ auf der Warnung bedeutet, google ich erst zuhause, aber es klingt nicht gerade beruhigend. Damit ist eine Steigung von 20% gemeint. Und wirklich, die 20% kommen und bedeuten für mich etwa einen halben Kilometer Schieben, der Rest ist fahrbar, auch wenn die Oberschenkelmuskulatur ganz schön brennt.

Unterwegs habe ich Zeit über den anstehenden Tag nachzugrübeln, denn in der dichten Nebelsuppe lenkt mich sonst nichts ab und auf Musik habe ich keine Lust, zu angenehm ist die Stille ohne auch nur ein Auto. Gut so früh gestartet zu sein. Was liegt nun aber vor mir? Es sind noch 260 Kilometer bis Inverness. Ist das machbar an diesem Tag? Oder sollte ich noch eine Nachtruhe einlegen irgendwo? Das wird sich wohl zeigen im Laufe des Tages.

Plötzlich tauche ich aus dem Nebel. Wunderbare Aussicht auf die umliegenden Gipfel. Auf dem Pass hat eine Gruppe Caravans ihr Nachtlager mit View aufgeschlagen. Die Sonne geht auf, ich treffe auf einen anderen Radfahrer und wir schießen gegenseitig Fotos, es gibt ja nur so wenige, auf denen ich selbst abgelichtet bin.

Dann die Abfahrt. Eine lange Abfahrt. Es ist ziemlich kalt und das hält mich davon ab, müde zu werden. Anhalten die Primaloft-Jacke anziehen ist die beste Option.

Beim Runterfahren weiß ich glücklicherweise noch nichts von Claudia. Im Ziel werde ich erfahren, dass Claudia Gugole genau in dieser Abfahrt gestürzt ist. Sie kann sich an nichts erinnern. Ich vermute, das könnte Sekundenschlaf gewesen sein. Sie ist glücklicherweise nicht schwerer verletzt, muss das Rennen aber abbrechen. Und von hier, vom Ende der Welt ist es nicht leicht nach Inverness zu kommen.

Wieder auf Meeresspiegelhöhe angelangt liegt Applecross. Der Campingplatz mit Restauration noch in tiefem Schlaf. Schade, also kein Wachmach-Latte.

Hinter einer niederen Mauer liegt ein Hirsch. Ist der angefahren worden? Träge hebt er den Kopf, schaut mir in die Augen, dann döst er weiter. Dem geht es gut! Etwas weiter macht sich eine Hirschkuh im Garten direkt neben dem Haus am Gemüse gütlich. Nur von mir bemerkt. Ich bekomme auch langsam Hunger und halte, um fast eine ganze Packung (250g!) Cheddar zu essen. Als Beilage gibt es eine kleine Ciabatta und einen Apfel. Ich lege Kekse griffbereit neben das Studentenfutter in meine Oberrohrtasche. Was jetzt kommt, braucht Mumm. Das weiß ich in dem Moment aber noch nicht.

Die Applecross Coast Route führt, wie der Name schon sagt an der Küste entlang. Wunderbare Blicke inbegriffen, aber einsamst bezüglich menschlicher Spuren. Auf meinem Planungsblatt schaut das Höhenprofil flach aus. Das täuscht, denn der letzte hohe Pass verfälscht das Bild, wie ich bald merke. Das Gelände ist kupiert,  es geht ständig hoch und runter. Hoch heißt hier wieder mal ständig sehr steil hoch und nicht selten muss ich wegen ein paar Metern runter vom Rad, aber 16+% komme ich mit der schweren Ladung ohne Leiden nicht hoch. Und Leiden will ich nicht, also absteigen. Tut meinen Muskeln eh gut, mal eine andere Belastung zu erleben. Wardruna mit Helvegen im Ohr nützt im Moment auch nichts.

Unterwegs erwischt mich eine Müdigkeitsattacke. Ich lege mich kurz ins hohe Gras,  der Wind hält die Midges davon ab mich lebendig aufzufressen. Aber schlafen kann ich doch nicht. Im Kopf schwirren mir die Kilometerzahlen rum, noch immer sind es 230 Kilometer bis Inverness. Und wenn ich so „schnell“, sprich langsam weiter komme, wie hier auf der Küstenstraße, dann würde ich wohl bis zur Finisher-Party unterwegs sein. Das lässt mir keine Ruhe, denn die Party wäre am nächsten Tag am Abend und um 5 Uhr früh müsste ich schon am Flughafen sein. Das Rad verpacken müsste ich dann wohl nachts. Ich rappele mich auf und starte, um die verlorenen 7 Minuten wieder aufzuholen. Keinen Spaß macht etwas später die Horde wild gewordener Ferraris und Co, die mit aufjaulenden Motoren die Küste entlangrasen, ohne Rücksicht auf Verluste. Die denken wohl, die Passing Places sind nur für die anderen da. Das ist nun wirklich der letzte, hoffe ich, und schon rast ein nächster um die Kurve. Die spinnen hochgradig!

Es ist schon später Vormittag, da hellt sich mein Gemüt schlagartig auf. In der Ferne erkenne ich eine weißgetünchte Häuserzeile. Shieldaig!!! Erinnerungen kommen auf: Fünf Jahre zuvor war ich schon einmal hier, beim Celtman Extreme Triathlon. Ich erinnere mich an die fast 4 km Schwimmen im 8° kalten Wasser mit Millionen von Quallen, die Radstrecke über die Highlands und der abschließende Marathon über drei Gipfel des Bergmassivs Beinn Eighe. Ein tolles Abenteuer, aber eine Marathonzeit von fast 9 Stunden zeugt von der Härte des Bewerbs, bei dem man fast weglos mit Kompass und Karte bewaffnet über die Berge irrte. In Shieldaig endlich ein Laden. Davor sitzt … Flynn. Er schwärmt mir vor, was er schon alles gegessen hat, wenn ich Glück habe, gibt es noch eine Dose mit dem leckeren Thunfisch-Salat mit Gemüse oder so. Das Geschäft schaut geplündert aus, vor Flynn waren da wohl schon viele andere. Aber ich bekomme meine gewohnte Kost: Kefir, Ingwerkekse, KitKat und wirklich eine Dose Fertignahrung ist noch da, die letzte. Einen leckeren Kaffee gibt es auch noch. Was will frau mehr? Flynn erkundet inzwischen, wo der auf Google Maps eingetragene Trinkwasserhahn ist. Dann noch ein kurzer Halt am Ende des Dorfes in der öffentlichen Toilette. Die erkenne ich, als ich sie sehe: Hier war die Radwechselzone, alle Triathlon-Räder waren auf der schmalen Straße aufgefädelt wie Perlen.

Zehn Kilometer weiter liegt Torridon, mein Herz hüpft. Hier war das Ziel des Celtman und die Straße, die ich jetzt nehmen muss, bin ich auch schon gefahren. Wunderschön unter den Berggipfeln entlang. Ich komme auch an dem kleinen Wäldchen vorbei, hier war der T2 Wechsel beim Laufen. 10 Minuten vor Cut off hatte ich es hierhin geschafft und musste dann noch über die drei Gipfel hoch über mir, anstatt rund um das Massiv. Memories …

Die Straße ist, nach all dem, was ich heute schon erlebt hatte, angenehm zu fahren. Leichte Steigung, viele Ausweichmöglichkeiten für den langsam zunehmenden Verkehr. Die Autofahrer sind allerdings sehr zuvorkommend gegenüber Radfahrern. Das muss ich rückblickend für fast alle Teile Englands und Schottlands sagen. Fast.

In Kinlochewe möchte ich nochmal meine Wasserreserven auffüllen. Die öffentliche Toilette ist mit einem Baustellenzaun gesperrt. Ich frage den Arbeiter dort, ob ich trotzdem etwas Wasser einfüllen könne. Er öffnet. Wir quatschen etwas. Beeindruckt von dem, was ich gerade mache, bringt er mir eine kleine Wasserflasche. Höflich bedanke ich mich und traue mich nicht nein zu sagen, obwohl ich weiß, dass ich eh nur meine kleine Flasche austrinken werde, die große und nun auch die neue kleine über die Hügel tragen werde. Und wirklich, die kleine Wasserflasche sparte ich mir auf und trank sie vor dem Flugplatz-Security-Check in einem Zug aus. Wie krank ist das denn … Daran muss ich arbeiten. Beim Losfahren nuschelt der Mann noch was von einem Berg. Den hatte ich durch das verzerrte Profil auf meinem Blatt nicht auf dem Schirm. Schock!

Am Beginn des 200-Meter-Anstiegs treffe ich wieder auf Flynn. Ich werde ihn erst wieder am nächsten Tag im Ziel sehen, wo er von seiner besseren Hälfte und Schwiegerfamilie empfangen wird. Er ist vernünftig und plant, vor allem wegen seines immer mehr schmerzenden Knies, eine Übernachtung in einer Pension oder ähnlichem ein. Unterwegs werde ich noch mehrmals daran denken, wie sinnvoll diese Taktik auch für mich gewesen wäre.

Was nun kommt, ist zwar vom Profil her eine Wohltat. Es geht fast 50 Kilometer stetig leicht bergab und ich komme mega schnell weiter. Wermutstropfen ist nur, dass wir auf der ziemlich befahrenen Hauptstraße unterwegs sind. Unterwegs wieder mal ein obligatorischer Powernap, bei dem ich wie üblich nicht einschlafe, aber das Rasten mit geschlossenen Augen bringt auch was. Auf den letzten Kilometern wird der Verkehr noch stärker, hier hätte es allerdings eine optionale Gravel-Ausweichstrecke gegeben. Ich verzichte dankend und hoffe, mein Leben nach so vielen Kilometern nicht aufs Spiel zu setzen. Dann aber schickt mich mein Navi urplötzlich nach rechts weg und bis zum Ziel darf ich nun wieder auf sekundären Sträßchen radeln, natürlich wieder etwas profilierter. Man gönnt sich ja sonst nichts.

In großem Bogen geht es um einen See herum. Sehr idyllisch. Aber bei jedem Stopp bin ich von Bremen und ähnlichem umvölkert. Besser nicht stehen bleiben. Mein Rad macht wie schon in den letzten Tagen einen Höllenspektakel, ich höre es schon gar nicht mehr und mache mir auch keine Sorgen mehr. Was kommt, kommt …

Es ist schon später Nachmittag als ich in Muir of Ort einrolle und mich zum Supermarkt durchfrage. Auch hier das volle Programm: Das Wichtigste ein Latte (-Macchiato mit zweimal Zucker!), Kefir, Käse, Tomaten, Sandwich, Ingwer-Kekse und eine Eineinhalbliter-Flasche Wasser. Wie vorher vermutet, ist die große Trinkflasche noch fast voll und ich nutze sie mein Rad etwas zu säubern. Hhhahahhaaa!

Ich rechne nach: Bis ins Ziel sind es nun noch schlappe 90 Kilometer. Das ist doch nicht viel, grad mal so wie Brixen-Bozen-Brixen. Wenn ich jetzt losfahre, wäre ich locker gegen halb zehn im Ziel. Mein Zelt müsste ich dann nicht noch einmal auf- und abbauen, das klingt verlockend, also los! Die ersten 30 Kilometer laufen auch recht flüssig. Dann stehen noch drei Berge an. Und die drohen vom Blatt mit saftigen Steigungen und mit insgesamt knapp 1000 Höhenmetern. Oh nein!

Unterwegs suche ich immer mal wieder einen guten Grund, um stehen zu bleiben. Eine Blindschleiche, unterarmlang, mitten auf der Straße. Wenn da ein Auto käme, dann wäre sie platt. Ich versuche sie wegzuscheuchen, aber auf dem glatten Asphalt hat sie keinen Halt und schlängelt auf der Stelle. Mit einem kräftigen Zupacken nehme ich sie auf und schleudere sie weit weg in die Büsche. Die hat nochmal Glück gehabt.

Der erste fängt schon sehr steil an, wird dann flacher, ich schaffe es im Sattel zu bleiben. Na also, nicht so schlimm. Der zweite ist zum Teil Schiebestrecke für mich, zwischen 15 und 20% Steigung. Dann wird es langsam dunkel, sprich 11 Uhr ist vorbei. Also ist wohl nichts mit Zieleinlauf um halb zehn. Weit muss ich hochschieben auf den dritten Hügel, denn bei uns zuhause wäre das so einer. Irgendwo auf der Hochfläche müsste eine Gravelpassage abgehen. Hermann hatte mich aber informieret, dass die meisten auf der Straße fahren würden. Nanu? Ich frage mal beim Organisator nach und bekomme auch bald eine Antwort via E-Mail. Und wirklich, bei der Abzweigung steht ein großes Holzschild, dass die Panceltic-Rider auf dem geteerten Radweg bleiben sollten. Mein Navi spielt verrückt, als ich mich von der hochgeladenen Strecke entferne, und will mich immer wieder zur Originalroute zurück zwingen. „Nein“, sage ich laut. Hier oben ist es ziemlich kalt. Oder ist das meiner Müdigkeit geschuldet? Die überkommt mich jetzt nämlich und ich denke wehmütig, dass meine Mitradler jetzt wohl alle irgendwo schlafen würden. Eine Nacht am Ende des Rennens durchfahren macht sicher niemand.

Dann bin ich wieder auf dem originalen Track und nah bei Inverness. Mein Navi hat allerdings seinen Dienst quittiert und schickt mich beim letzten Kreisverkehr mehrmals die Runde. Die richtige Abfahrt finde ich im Dunkeln nicht und so verliere ich viel Zeit, um Google zu befragen, wo es hier zum nahen Campingplatz, dem Zielort geht. Irgendwann bin ich dann dort, es ist kurz vor 1 Uhr in der Früh. Um ein wärmendes Lagerfeuer sitzen ein paar Leute und warten auf die letzten Ankömmlinge an diesem Tag, oder nein: der neue Tag hatte ja schon angefangen, es ist kurz vor eins. Auf einen Schlag ist die lange Reise vorbei, das muss frau erst mal fassen …

Ich bekomme noch was zu essen und mir wird angeboten, anstatt mein Zelt aufzubauen, im großen (Pferde-) Transporter der Organisation zu schlafen. Nach einer Dusche wickele ich mich in meinen zu dünnen Schlafsack und friere mich durch die restliche Nacht, nahezu schlaflos. Das kommt davon, wenn man von der „letzten Nacht durchfahren“ spricht. Trotzdem bin ich munter am nächsten Morgen, kann in aller Ruhe mein Rad auseinanderbauen. Das hat wider Erwarten gut durchgehalten. Als ich das Sattelrohr abziehen und die Schelle wieder zuschraube, funktioniert das nicht: das Gewinde ist kaputt. War das das Geräusch? Was wäre passiert, wenn die Klemmung unterwegs nachgelassen hätte? Ich hätte kein Ersatzteil mitgehabt. Und mit einem Sattel, der womöglich ganz runterrutscht und sich nicht fixieren ließe, hätte ich wohl das Rennen vorzeitig beenden müssen. Glück gehabt!

Den ganzen Tag ist viel los im Zielbereich, ständig kommen Fahrer an, ein Plausch hier, einer da. Später ziehe ich ins Hotel, nutze meinen Essensgutschein bei der Finisher-Party, trinke endlich mal ein schottisches Bier. Ich erstaune dabei die Barfrau, indem ich meinen Wunsch äußere, die Hälfte Bier, die andere Hälfte bitte Apfelsaft – das beste nach-dem-Sport-Getränk!!! Ich lerne ein paar Leute kennen, verabschiede mich frühzeitig, denn ich habe Schlaf bitter nötig. Allerdings sei mir der schon wieder nicht lange gegönnt: Um vier muss ich schon wieder raus aus den Federn, das Taxi zum Flughafen wartet.

Begriffsklärung: Ein solches Event nennt sich zwar Rennen, aber für mich ist es eher eine gemeinsame und doch nicht gemeinsame Fahrt mit vielen Gleichgesinnten. Das einzig, das mich an ein Rennen erinnert ist die vorgegebene Zielzeit, durch die die Tage auf dem Rad für mich gezwungenermaßen etwas intensiver sind und die Nächte recht kurz, damit ich es zeitlich ins Ziel schaffe.

Fazit: Meine Planung hat sich zwar schon nach einem Tag in Luft aufgelöst und ich hinkte meinem Pensum immer nach, aber am Ende war ich doch nur 4 ½ Stunden hinter meinem Plan im Ziel. Ich bin doch ein bisschen stolz auf meine Leistung.

Geamt-Ergebnis:

64. von 165 der Full Route – lange nicht die letzte … denn: gestartet waren insgesamt gut 300 Fahrer, ins Ziel kamen 101 von 165 der langen Strecke und 88 von 139 der kurzen. Dabei muss erwähnt werden, dass ziemlich einige der Long Distanz unterwegs auf die kurze Strecke wechselten. Diesen Wunsch verspürte ich überhaupt nie! Zu schön war das Abenteuer Full Route des Panceltic Ultra … Ich genoss (fast) jeden Kilometer.

Gabriele Winck, 111 in the Pan Celtic Race 2024 event – MAProgress

Kommentar zum Video:

“Cracking video and photos – it does make it look all a bit easy doesn’t it! Or maybe that’s just me – no images of suffering 😆 – I’ve showed it to my wife to give her an insight into the stunning scenery we were privileged to see.” (Sean Case)

Übersetzung: Tolles Video und Fotos – es sieht alles ein bisschen einfach aus, nicht wahr! Oder vielleicht bin das nur ich – keine Bilder des Leidens 😆 – ich habe es meiner Frau gezeigt, um ihr einen Einblick in die atemberaubende Landschaft zu geben, die wir sehen durften. (Sean Case)

Ich: Naja, die Bilder des Leidens (gab es die überhaupt?), dazu hatte ich wohl keine Kraft …, aber die sind sicher irgendwo zwischen den Bildern wunderschöner Landschaften …

Einige Bilder, bunt gemischt …

VGG-Verona-Garda-Gravel

italiano english

VGG500 – das steht für Verona Garda Gravel 500, einer 540 Kilometer-Runde durch den oberitalienischen Raum unter der Federführung von Giorgio Murari, alias Musseu, Sport Verona. Wer mal ein Event bei ihm mitgemacht hat, der weiß, es ist etwas Besonderes. Dachte ich diesmal, die NUR 540 km würden wohl ereignislos verlaufen, so wurde ich eines Besseren belehrt …

Zuerst mein Video:

Donnerstag/Freitag, Nacht 1:

Traumhafter Sonnenuntergang Mitte März, nicht weit vom Gardasee. Ein kleiner Plausch mit einigen ciclisti, die ich schon von anderen Events kenne. So früh im Jahr sind schon ziemlich einige aus ihrem Radl-Winterschlaf erwacht … 540 Kilometer für den Anfang ist nicht wenig. Am Stück ist mir das zu viel, ich schleppe deshalb etwas mehr mit mir herum: meine vier Wände, sprich Leichtzelt, Matte, warmen Schlafsack. Schon zu wissen, dass ich eine Schlafpause machen kann, wann ich will und wo ich will – auch schon in der ersten Nacht- lässt mich gelassen starten. Naja, gelassen, beim Briefing betont Giorgio „Musseu“ Murari, dass es ideal wäre, mit leichtem Gepäck zu fahren. Zu spät.

Aber in meinem Kopf beginnt es zu rumoren, was wird da wohl auf uns zukommen? Die Handschrift Musseus bei der Streckenplanung lässt wohl nichts Gutes ahnen. Habe ich zu viel Ballast mit? Ich wüsste nicht, was ich weglassen könnte – aber ob 20 kg oder 25 – was soll’s? Mir kommen auch Zweifel, ob ich mit meinem MTB nicht besser dran wäre … Zudem warnte Musseu, dass aufgrund der vielen Regenfälle in den vergangenen Wochen wohl etwas Matsch auf den Wegen liegen würde – eine leichte Untertreibung. Zu 50 geht es los auf die große Runde durch den oberitalienischen Raum. an das Ufer des Gardasees, den Mincio entlang, dann weiter nach Verona, durch die Colli Euganei nach Abano Terme, weiter nach Vicenza, durch die Colli Berici und Richtung Westen, zurück über unzählige „Berge“. Anfangs flach, dann mit ordentlich Höhenmetern garniert (7600m sollten es am Ende sein).

Beim Losfahren vermute ich, die Fahrt würde vielleicht etwas ereignislos werden, egal, dann würde die Geschichte benutzerfreundlich kurz … Aber …

Schon auf den ersten Kilometern zum Ufer des Gardasees macht mein Vorderlicht schlapp. Durch das Gerüttel auf dem Gravel-Untergrund kippt die Lampe plötzlich nach unten und ich sehe auf einmal nur noch Schwarz vor mir. Vollbremsung. Rad an eine Mauer lehnen, Werkzeug rauskramen und die Lampe fest anschrauben. War ich wohl zu schlampig beim Montieren gewesen zuhause. Fazit- alle anderen sind nun weg, nicht ein einziges Rücklicht sehe ich mehr. Auf schottrigem und schlammigen Untergrund gravele ich entlang des Canale Virgilio. Die kleine Fußgängerbrücke übersehe ich. Verhauer. Zurück.

Schlagloch. Hart drückt es meinen Allerwertesten in den Sattel. Ein Gedanke schießt mir plötzlich in mein Hirn, das jetzt im Dunkeln keinerlei Ablenkung hat: Ich habe meine neue Colombier-Radhose von Skinfit an, mit einem ganz ganz dünnen Gelpolster. Na und? Ja, aber ich habe als Wechselhose nur die andere neue Hose ohne Radeinsatz mit, auch ungetragen. Wie unvernünftig! Was, wenn …? Selber schuld, wenn ich mich ab Kilometer 100 oder so mit Sitzproblemen rumquälen muss. (Blick in die Zukunft: Es gibt keinerlei Probleme!!! Aber hier würde die Überschrift passen: Unvernunft löst sich in Wohlgefallen auf …)

Einer Radler-Gruppe (ach, sind da doch noch welche hinter mir?) rufe ich noch „sbagliato strada“ zu, aber die ignorieren mich. Mit etwas Schadenfreude (ich hatte es ihnen ja gesagt!) sehe ich wie sie den Canale an der anderen Seite folgen, dann verloren sich ihre Lichter im Wald, sie fahren bergauf … Immer wieder Pfützen und Schlamm, in den sich mein Vorderrad bohrt. Ich sollte wohl etwas langsamer fahren, um einem Sturz vorzubeugen.

In der Ferne über mir erscheint das beleuchtete Castello Scaligero, wunderschön. Hier in Valeggio muss ich weg vom Mincio. Durch Olivenhaine und Weingärten pedaliere ich nun Richtung Osten. Ab und zu überhole ich einen nächtlichen Radfahrer.

Ich fahre durch Villafranca mit seinen schön beleuchteten Stadtmauern und dem Schloss. Im Schlosspark finde ich zum Glück eine Wasserstelle, ich habe nur eine Flasche und es ist fraglich, wann ich wieder Wasser finden würde.

Dann das nächtliche Verona. Mein Track geht geradeaus. Straßensperre. Eine Menge an Polizisten und Militär steht herum. Nanu? War ich zu schnell und bin in die Tempofalle getappt? Ich scherze. Sperre, weil um die Ecke die Arena di Verona sei. Da wird wohl gerade ein Event zu Ende sein.

Ich suche mir eine Ausweichstrecke. Ein erster ernsterer Berg liegt vor mir. Sehr steil folge ich nun in Einsamkeit den Mauern des Castello San Felice, mit etwas schlechtem Gewissen, ich habe mich nämlich an einem Sperrschild vorbeigezwängt. Zwischen zwei Festungsmauern geht es durch, komplette Finsternis. Als es wieder abwärts geht und auf meinem Track aber kein Gefälle angezeigt wird, rauschen ein paar Radfaher an mir vorbei. Ich folge ein Stück. Das kann doch nicht stimmen. Ich schiebe mein Bike steil zurück. Da! Unscheinbar eine bogenförmige Öffnung in der Mauer, versperrt mit einem großen Stein. Da soll es durchgehen? Ich muss mein voll bepacktes Rad über das Hindernis hieven. Erinnerung an die GBDuro kommen auf. Uff! Dann ein schmaler Weg der Mauer entlang durch den Wald. Ob das wohl stimmt. Doch!

Bald sause ich runter in Richtung Montorio. Sause ist zu viel gesagt, denn ein unregelmäßiges Kopfsteinpflaster wirkt sich doch ziemlich auf meine Geschwindigkeit aus. Den Kanal, dem ich ab Montorio folge, kenne ich schon. Tagsüber sehr idyllisch zwischen den beiden Wasserläufen zu radeln. Nun etwas unheimlich, links und rechts die tiefschwarzen glänzenden Bänder, Nebelschwaden, ein Käuzchen oder etwas Größeres ruft und sind das Frösche, die da quaken? Frieren die nicht? Mir kriecht die feuchte Nebelluft überall hinein. Schnell weiter, damit mir wieder warm wird.

Zum Glück nun zwei kleine Berge, dann Ebene bis zu den Colli Euganei.
Soave bietet Abwechslung. Auf dem beleuchteten Platz vor den Stadtmauern eine Überraschung, die nach einer Fotosession ruft. Eine riesige pinkfarbene Schnecke mit Kind. Und ich die „lumacagabi“. Lumaca bedeutet Schnecke auf Italienisch, ich nämlich langsam, aber ausdauernd. Filippo und Luca (?), denen ich in den nächsten Stunden und am nächsten Tag mehrere Male über den Weg fahren würde, bringen geduldig meine Bilder in den Kasten. Dann weiter, eine kleine Gruppe startet. Ich hänge mich nicht dran, das Fahren in der Gruppe ist nicht so meins. Ich möchte ungebunden sein und möchte nicht, dass sich Leute für mein Fortkommen verantwortlich fühlen müssen und in den Anstiegen auf mich warten.

Die Wege werden immer matschiger. Zum Glück sehe ich mein Rad im Dunkeln nicht so gut … es ist vermutlich schlammverspritzt. Egal. In Gedanken an die nächste Radreinigung und vermutlich habe auch ich einiges abbekommen fahre ich durch eine Unterführung – und stecke fest, im Schlamm. Hier hat sich das Wasser gesammelt. Fuß von den Pedalen runter und auch der steckt fast knöcheltief fest. Mit einem saugenden Geräusch ziehe ich meinen Radschuh aus dem Matsch. Das wäre es dann gewesen mit sauberen Schuhen. Der Weg verliert sich nun in einer Wiese. Die Ruine eines verfallenen Hauses trägt zur gruseligen Stimmung bei. Mir fallen auf einmal Szenen aus dem Hörbuch-Thriller ein. Mein Navi spielt verrückt. Ich kann nicht ausmachen, wo ich mich im Vergleich zur korrekten Spur nun befinde. Ich fahre zurück. Da! In der Ferne kann ich zwei Rücklichter erkennen, die in die andere Richtung radeln, ich hinterher. Meno male! Zum Glück! Ich bin wieder auf der richtigen Spur.

Es ist nun schon weit nach Mitternacht, genau halb drei Uhr. Schon seit einiger Zeit gähne ich an einer Tour, im nächsten Schritt werde ich irgendwelche Dinge sehen, die gar nicht da sind und dann … Sekundenschlaf! Ich kämpfe innerlich mit mir, soll ich? Soll ich nicht? Wenn, dann … Will heißen, soll ich mein Zeltchen aufstellen? Dann werde ich wohl völlig abgeschlagen sein und dem Feld am nächsten Tag hinterherfahren … Aber was soll’s … ich fahre an einer kleinen Kapelle vorbei, umgeben von einem kleinen Rasenstück. Das ist es! Mein Campingplatz! Rad an das Kirchlein gelehnt und die Zeltunterlage rausgezogen. Leider ist unter dem spärlichen Gras der Boden nahezu flüssig. Matsch auch hier! Aber mein Hirn möchte nun nicht mehr zurück. Dann muss ich später wohl verdreckte Utensilien zusammenpacken. Ich verkrieche mich in meinem Schlafsack, auf Zahn- und Körperpflege verzichte ich. So bin ich halt gleichmäßig schmutzig. Igitt! Unruhig ist mein Schlaf. Immer wieder höre ich das Surren vorbeifahrender Fahrräder.

Obwohl ich den Schlafsack am Hals gut zusammenziehe, fröstelt es mich immer wieder. Zweieinhalb Stunden liege ich so, dann beschließe ich aufzustehen. Ob ich viel geschlafen habe, ist fraglich. Das Zelt ist innen und außen klatsch nass. Die Luftfeuchtigkeit ist fühlbar sehr hoch hier in der Ebene. Und gleichzeitig ist es kaum wärmer als 2-3°C. Ich packe meine nassen und klammen Schlafutensilien in meine Taschen und radle los, Vögel fangen an zu zwitschern, es dämmert. Natürlich fahre in die falsche Richtung. Man gönnt sich ja sonst nichts. Den Irrtum gemerkt und umgekehrt trete ich nun ordentlich in die Pedale, damit mir warm wird.  Auf der SeteTrack App sehe ich, dass hinter mir wohl kaum mehr jemand ist. Am Abend jedoch werden die meisten anderen wohl eine längere Schlafpause bei Vicenza einlegen, da werde ich Plätze gut machen, vermutlich.  

Freitag, Tag 1:

Ich erreiche bei den ersten Sonnenstrahlen, die sich durch die dichte Nebeldecke fressen, Montagnana mit seinen mittelalterlichen Stadtmauern, der gotischen Kathedrale und den wunderschönen Palazzi. Frühstück-Stopp mit Brioche und Lattemacchiato. Ich verschwinde zuerst mal im Bagno – mindestens eine halbe Stunde Körper- und Kleiderpflege und ein komplett versautes und überflutetes Bad. Halbwegs sauber erscheine ich, nachdem ich auch noch Boden und Waschbecken das Bades notdürftig gesäubert habe, im Gastraum.

Glücklicherweise ist der Kaffee noch nicht zubereitet worden, er wäre jetzt wohl Eiskaffee … Ich drehe ein paar Runden durch das Städtchen, da ich mich verfahre, dann wieder freie Fahrt entlang des Flüsschens Frassine. Freie Fahrt?
Musseu hatte schon angekündigt, es gäbe hier eine Baustelle und die müsste man großräumig umfahren. Da die Maschinen noch still stehen und ich einige Radspuren im Schotter ausmachen kann, setze auch ich mich über das Fahrverbot hinweg. Anfangs ist auch noch alles easy. Dann wird die Weiterfahrt kniffelig, Umdrehen keine Option, da ich einige Kilometer zurückmüsste. Schwere Maschinen hatten die Asphaltdecke hier auf dem Bachdamm aufgerissen. Ich eiere langsam über den unregelmäßigen Untergrund. Und da ist es schon passiert. Mein Vorderrad rutscht ab und bohrt sich in den tiefen feinen Schotter. Ich fliege über den Lenker. Aua! Nachdem ich meine Gliedmaßen sortiert habe, steige ich mit zitternden Knien wieder auf, bzw. schiebe mein Rad zunächst ein paar Meter. Alles ok bis auf eine Schnittwunde an der Hand, ein aufgeschürftes Knie und vermutlich einen großen blauen Fleck am Oberschenkel. Wie ich aussehe, zählt nicht: Mein rechter Beinling ist völlig verdreckt, die Radhose über meiner rechten Po-Backe ebenso. Oje! Nun passe ich wieder perfekt zu meinem völlig verdreckten Rad. Etwas Gutes hat das ganze jedoch – bei den vielen schlammigen Passagen, die nun vor mir liegen, brauche ich nicht langsam durchzurollen, um den Schade möglichst gering zu halten. Das hat eh keinen Zweck mehr. Also mit Vollgas durch!

Mir fällt ein, dass ich eigentlich meine Lampe, gespeist durch den Nabendynamo, nun langsam mal ausschalten könnte. Nanu? Was ist das? Wo ist der Schaltknopf meiner Edilux? Da wo der Drehbogen zum Ein- und Ausschalten war, ist nichts außer einer leeren Rille. Wie das? Kann das abgehen? Ich hole mein Werkzeug raus und will versuchen, das Ding manuell auszudrehen. Geht nicht. Beim kurzen Telefonat mit Hermann zuhause, erfahre ich erst mal einen Tadel: „Mit den Lampen da hast du es wohl …“, damit spielt er auf mein Erlebnis bei der GBDuro an, bei der die Lampe abgebrochen war bei meinem Sturz und ein Kurzschluss dann noch den Pufferakku außer Gefecht gesetzt hatte. Was sollte ich nun tun?

Zumindest erfahre ich nun, dass das Ding durch einen Magneten an- und ausgeschaltet werden könne. Und den hatte ich ja verloren. Bliebe die Lampe an, wäre das ja kein Problem. Allerdings könnte ich dann keine Geräte mehr laden. Ohne Licht käme ich auch nicht weit in den nächsten beiden Nächten, denn auch die Lupine Piko auf meinem Helm wäre irgendwann am Ende ihrer Leuchtkraft. Was nun? Ich fahre mal weiter, vielleicht gibt es eine Lösung bei der Kontrollstelle beim Bikeshop Aloha 1 in Abano Terme.

Es wird nun sehr warm, mein Wasservorrat geht wieder mal zu Neige. Ein Brunnen kommt zurecht. Hier versuche ich notdürftig mich und mein Rad zu säubern. Ob das viel Sinn macht, ist fraglich, vermutlich werden die Wege vor mir deshalb auch nicht besser und schlammfrei. Ich besuche hoch oben am Berg noch das Wohnhaus von Francesco Petrarca, einem der wichtigsten Vertreter der frühen italienischen Literatur. Dann wieder Abfahrt.

Durch den Kopf schwirrt mir immer wieder die Lampe. Vielleicht könnte ich irgendwo einen Magneten bekommen, den ich an der Lampe festkleben kann … Ja, das muss so gehen! Und wirklich, Ricardo vom Bikeshop Aloha, CP1, verschwindet in seinem Shop, um mit einem Stück Metall zurückzukehren und einem langen Stück Powertape. Wir probieren, wie sich das magnetische Metall auswirkt, wenn man es an verschiedene Stellen der Lampe hält. Und siehe da. Leicht links geht die Lampe an, weiter rechts geht sie aus. Ich stecke das Stück Metall ein und bekomme auch noch ein langes Stück Powertape. Die nächste Nacht kann kommen. Nachdem Ricardo auch noch meine Kette geölt hat (mille mille grazie, Ricardo!), starte ich wieder.

Ein Drittel der Fahrt liegt nun hinter mir. Alle Höhenmeter aber noch vor mir. Es ist nun fast Freitag Mittag und das Wetter herrlich. Nun geht es sofort in die ersten ernsteren Berge, bei Sossano geht es in die Colli Berici. Die Steigungen sind ungnädig. 26% – das kann ich nicht im Sattel bewältigen. Vor mir schiebt auch wer. Elena! Wir schieben und fahren einige Kilometer miteinander, bis ich die Gelegenheit nutze zu einem Stopp – heiße Schokolade und was Süßes. Bald aber sehe ich Elena wieder vor mir – schieben. So geht es über drei Berge. Und wieder Salami-Brotstopp, Elena startet, als ich ankomme. Auf den 30 Kilometern Ebene vor Vicenza bin ich -gelehnt auf meinen Triathlonlenker- ordentlich schnell. Elena verliere ich dabei. Sie wird, da sie die dritte Nacht durchfährt, etwas vor mir im Ziel sein.

Unterwegs mache ich noch einen großen Umweg entlang eines Kanales. Die Brückenbauer lassen mich leider nicht durch und schicken mich ins Gelände. Um auf die Straße zurück zu kommen, lässt mich ein Bauer gnädigerweise durch seinen Privatgrund. Die Hunde des Nachbarn sind nicht sehr erfreut.

Ich mache mir Gedanken, wo ich was zu Abend essen könnte. Finde ich ein Lokal bei Vicenza, wo ich mein Rad sicher abstellen kann und wo ich auch so schmutzig Einlass bekomme? Da! Ein Schild kündigt eine Pizzeria an: Ristorante e Pizzeria Giorgio & Chiara. Wo ist der Eingang? Ich irre im Innenhof herum und treffe auf jemanden, der mich von oben bis unten etwas argwöhnisch beäugt. Ja hier sei ein Lokal und in 10 Minuten öffneten sie. Ich warte vor dem Haus und entdecke einen Gartenschlauch. Notdürftig reinige ich meine Kleidung, wische die Schlammspritzer von meinem Gesicht. Ich frage, ob ich mein Rad etwas abspritzen darf. Darf ich! Und ich darf es nun auch auf der Terrasse etwas versteckt abstellen. Noch bin ich einziger Gast. Darüber bin ich froh. Ein Blick in den Spiegel zeigt mir nämlich, dass die Katzenwäsche draußen nicht so viel gebracht hat. Ich komme ins Gespräch mit den Chefleuten. Sie staunen über meine Fahrt. Die Welt ist zudem klein. Gemeinsam haben wir einige Radfreunde. Auch sportmäßig gibt es Anknüpfungspunkte: Triathlon, wir fachsimpeln, im August werde ich Giorgio beim Inferno Triathlon von der Ferne verfolgen und in Erinnerungen schwelgen … Ich werde mit einer der köstlichsten Pizzas ever verwöhnt und gönne mir auch noch eine Crema Catalana. Ungern verlasse ich den feinen Ort. Inzwischen hat sich die Dämmerung über den Vorort Vicenzas gelegt.

Die anderen Radfahrer haben nun wohl schon ihre Hotelzimmer bezogen. Die haben es gut … Beim Weiterfahren fällt mir auf, dass es in den Senken bitterkalt ist und sobald man etwas an Höhe gewinnt, wird es spürbar wärmer. Ich werde meinen Schlafplatz wohl dementsprechend auswählen. Aber noch ist es nicht soweit. Ich möchte noch am Lago di Fimon vorbei und über mindestens zwei Berge. Meine Lampe geht irgendwann von alleine an – Spuk? Fragt mich nicht wie … Ich bin sowas von erleichtert, ich habe Licht. Vorbei am Fimonsee, dann wird es sehr ernst, eine Steigung, die nicht nur steil, sondern steinig wie sie ist, mich aus dem Sattel zwingt. Das Hike a Bike, geht nicht nur hoch, sondern auch runter. Ich schimpfe innerlich wie ein Rohrspatz mit dem Streckenkonstukteuer Musseu. Mit meinem MTB wäre ich hier viel besser dran gewesen.  

Freitag/ Samstag, Nacht 2:

In der anschließenden Steigung finde ich auch meinen nächsten Traum-Schlafplatz: wieder am Vorplatz einer kleinen Kapelle. Als ich beim Zeltaufbau bin, kommt Alessandro vorbei, nach einem kleinen Schwätzchen schiebt er weiter. Etwas Wegabwärts höre ich ein Auto und sehe Scheinwerfer durch die Bäume irrlichtern. Dann wieder Stille. Das beunruhigt mich etwas. Mir ist mulmig zumute. Das hier ist ein Forstweg und eigentlich nicht für Autoverkehr geeignet. Wer ist da hochgefahren? Und warum nicht weiter? Was, wenn jemand kommt und mir das Rad klaut, während ich schlafe oder so …? Sobald ich in meinen Schlafsack sinke, schlafe ich sehr gut, ich wache erst kurz vor dem Wecker gegen 5 Uhr auf, mein Rad ist noch da und mir nichts passiert. Kurz vor 6 geht es weiter. Zelt abbauen und packen muss ich unbedingt noch üben und dabei schneller werden. Vielleicht in der kommenden Nacht?  

Samstag, Tag 2:

Meine Schaltung macht Probleme, ich kann nicht mehr auf die großen Gänge vorne schalten, aber wer braucht auf diesem Parcours denn große Gänge? Es geht in einer Tour hoch und runter. Angst habe ich nur, dass das Vorbote eines Schaltkabel-Risses sein könnte. Lieber nicht mehr versuchen vorne zu schalten … Bei Morgen-Dämmerung komme ich an einem Burgfelsen vorbei, der Rocca dei Vescovi, dann verfahre ich mich wieder mal, denn wer glaubt schon, dass das große Eisengitter Durchschlupf erlaubt. Gleich darauf wieder ein Verhauer. Ich fahre einen Bauernhof an, anstatt außen herum.

Wieder auf dem richtigen Weg mache ich eine erstaunliche Entdeckung: auf einer Wiese steht ein Sammelsurium an alten Flugobjekten aus dem letzten Weltkrieg. Schauriger Anblick, wie die Läufe der Artillerie-Geschütze in den düsteren Himmel drohen. Panzer und Motorflieger stehen hier herum. Seltsame Sammelleidenschaft.

In Altavilla, im nächsten Tal, locken Latte Macchiato und Gipfele mit Vanillecreme. Gestärkt fahre ich weiter in den Tag hinein. Mal sehen, was kommt. Nach der ausgiebigen Nachtruhe gehe ich ausgeruht in die Steigungen, die ihrem Namen alle Ehre machen. Viel-prozentig geht es hoch, oft hike a bike und oft so schlammig, dass auch geringere Steigungs-Prozente mich aus dem Sattel zwingen. Ich schimpfe -nicht immer leise- vor mich hin. Aber die schönen Abschnitte überwiegen.

Es gibt einen Extra-Aufstieg zu den Castelli di Romeo e Giulietta, hoch über Montecchio Maggiore.

Kurz vor Ende des zweiten Strecken-Abschnitts falle ich in einem Supermarkt ein. Ich hatte zuvor keinerlei Möglichkeit, meine Kleidung, Gesicht, geschweige denn das Rad zu reinigen. Ich schäme mich nicht, die Leute gucken trotzdem. Ich sammle rasch das Notwendigste zusammen und zahle. Vor dem Geschäft gibt es zwar keine Sitzgelegenheiten, aber eine Kinderschaukel tut gute Dienste. Ich bemerke, dass ich vergessen hatte, Wasser zu kaufen. Die Supermarkt-Chefin kommt heraus und ich frage, ob es rund um den Shop zufällig eine Wasserleitung oder so gäbe. Sie verneint und meint ich solle einen Moment warten. Kurz darauf kommt sie mit einer Mineralwasserflasche heraus und schenkt diese mir. Wahrscheinlich schaue ich so abgerissen aus … vermutlich regierte das Mitleid mit dieser armen schmutzigen Frau, die vermutlich schon wochenlang durch die Gegend fuhr … Oder wollte sie einfach nicht, dass ich das Geschäft nochmal betrete?

Immer wieder hike a bike, Steine, Schlamm, … Irgendwann platzt mir der Kragen, als ich innerlich wieder und wieder Musseu „verfluche“, scheibe ich in der WhatsApp Gruppe, dass ich das nächste Mal lieber mit dem Club Alpino wandern gehen würde, aber ohne Fahrrad an der Hand. Dann werde ich wieder besänftigt durch wunderschöne Abfahrten. Verschämt lösche ich meinen Eintrag wieder. Hoffentlich hat ihn niemand gelesen.

Einen ewig langen Buckel geht es hoch durch Olivenhaine und Weinreben. Auf einmal sichte ich Plakate mit den Namen der teilnehmenden Mädels, u.a. „Vai, Gabi!“ Ich muss grinsen, bei der Verona Garda Gravel extreme vor zwei Jahren hatte das Giancarlo auch gemacht, cool! Mittag bin ich in Campiano, hier hatte ich schon vor zwei Jahren mit Hermann bei der Verona Garda Gravel Extreme gegessen. Ich treffe hier auf Alessandro, Stefano und Roberto und lasse mich zu hausgemachten Nudeln mit Tomatensauce nieder. Sehr lecker.

Mit Alessandro fahre ich dann weiter, kurzweilig beim Quatschen gehen die nächsten Steigungen (es gibt noch 5 lange) von der Hand. Oder muss man sagen „vom Fuß“?   Ein Brunnen, ich verlasse den Track ein paar Meter. Das war wohl mein größter Fehler an diesem Tag, denn das Unheil folgt stante pede: Als ich nämlich losfahren will, spielt mein Garmin-Navi verrückt, wieder mal. Streik!

Die Karte wird nicht in Fahrtrichtung angezeigt, sondern erscheint genordet. Das bedeutet für mich Gehirnjogging pur: Fahre ich nach Norden, ist alles normal. Nach Süden ist es auch noch easy, da kommt mir der Richtungs-Pfeil einfach entgegen. Es ist auch leicht nachzuverfolgen, wenn die Strecke rechtwinklig nach links oder rechts abbiegt, da muss ich einfach in die Gegenrichtung abbiegen. Schwierig wird es allerdings, wenn es Richtung Süd-Westen, Nord-Osten oder noch schlimmer Nord-West-Nord oder so ähnlich geht. Völlig verwirrt biege ich immer wieder falsch ab. Jetzt am hellichten Nachmittag geht das ja noch halbwegs, aber was, wenn es dunkel wird und wenn  ich  die Konzentration nicht mehr aufbringe?  

Samstag/ Sonntag, Nacht 3:

Alessandro und ich gönnen uns eine Pizza-Pause im Örtchen Avesa. Anschließend starte ich, während Alessandro sich noch für die Nachtfahrt richtet. Natürlich kommt mein Gehirn bei der Ausfahrt aus Avesa nicht so rasch in die Gänge. An zig Abzweigungen fahre ich logisch in die verkehrte Richtung. Ich bin nicht weit von Verona und der Verkehr ist dementsprechend dicht. Samstagabend – Partytime. Bin ich froh, als es wieder ins Gelände geht.

Hier holt mich Alessandro ein und gemeinsam radeln wir weiter bis Domegliara, wo der CP2 in der Bar La Prua ist. Wir gönnen uns eine heiße Schokolade, dann geht es weiter. Bei dem nun folgenden Abschnitt auf einem schmalen Pfad direkt an der Etsch entlang, bin ich froh, dass ich hier nicht alleine bin. Da der Abend nun schon sehr fortgeschritten ist, beschließe ich bei nächster Gelegenheit mein Nachtlager aufzuschlagen. Es sind zwar NUR noch rund 65 Kilometer bis ins Ziel und Alessandro meint, das sind gut 3 Stunden auf dem Rad, ich hatte aber wohl einen guten Riecher, dass ich mir das nicht antue.

Ich sollte am nächsten Tag erfahren, dass Alessandro nur ein paar Stunden vor mir angekommen war, also nichts da mit 3 Stündchen. Ich selbst werde noch 6 Stunden inklusive Frühstück, Flussüberquerung und diverser Fotosessions brauchen. Kurz nach Cavaion scheint sich mir der ideale Zeltplatz zu bieten: Ein kleiner Olivenhain in  der Nähe der großen Windräder. Der Platz ist etwas höher gelegen und außerhalb der eisigen Kaltluftseen, die es auch heute gab.

Ich beginne mit dem Zeltaufbau. Auf einmal summt es in meinen Ohren: ein ohrenbetäubender hochfrequenter Ton. Was ist denn das? Ich vermute, dass der Bauer mit einem Gerät irgendwas abwehren möchte. Aber was? Unerwünschte Camping-Gäste? Wird in Kürze der Olivenbauer hier erscheinen und mich verjagen? Ich ziehe mein Zelt auf der Unterlage drei Oliven-Bäume weiter. Der Lärm verstummt (zuhause  google ich das Erlebte: es  ist ein Ultraschall-Tiervertreiber). Kaum ist mein Zelt aufgestellt und ich habe mich in meinem Schlafsack verkrümelt, da ist es mit windstill vorbei und das große Windrad in nächster Nachbarschaft beginnt sich zu drehen. Es wird laut. Das und das Wissen, dass ich hier wohl unerwünscht bin, lassen mich nur sehr leicht und unruhig schlafen.  

Sonntag, Tag 3:

Bei Dämmerung packe ich meine Sieben-Sachen (ich bin sage und schreibe 10 Minuten schneller als nach den letzten beiden Nächten, also kann man sagen Übung macht den Meister!)

Dann starte ich auf die letzten Kilometer. Kurz darauf werde ich in meiner Fahrt jäh gestoppt. Ein Bach fließt über den Weg. 5-6 Meter breit, etwa zwanzig Zentimeter tief, linker Hand ein kleiner Wasserfall. Der Untergrund besteht aus faustgroßen Kieseln. Da durchfahren? Wohl lieber nicht, wenn ich nicht nasse Füße bekommen möchte oder noch schlimmer ein Vollbad (das ich aber eigentlich dringend nötig hatte). Traue ich mich zu fahren? Nein, absolut NEIN! Schuhe, Socken aus und rüber schieben, schön an der Kante des Abbruches entlang. Hatte ich die Füße bisher kalt, so bewirkt das eiskalte Bachwasser, dass meine Zehen in kürzester Zeit direkt heiß werden. Toll!

Keinen Kilometer weiter schon wieder ein Bach. Diesmal gibt es aber schmale wackelige Latten, über die man balancieren kann.

Kurze Zeit später, in Caprino, der übliche Lattemacchiato-Stopp (mit 2 Zucker, wie immer). Die Baristin meint, sie bringe mir das Bestellte hinaus. Das sagt wohl alles aus … die „abgerissene“ Person, ICH, werde nicht mal vor die Wahl gestellt, ob ich meinen Kaffee drinnen oder draußen genießen möchte. Über Radwege und nette Trails geht es vorbei an Costermano.

Durch das Valle Lunga führt wohl ein beliebter MTB-Trail, denn immer wieder überholen mich als Hike-a-Bikerin Leute mit ihren E-Bikes und ich ernte mitleidige Blicke. Ich will trotzdem keines – E-Bike – meine ich.

Und dann taucht er plötzlich auf: der blitzblaue Gardasee, tief unter mir. Am Hang entlang mit Blick auf den See, durch schöne Olivenhaine geht es nun Richtung Süden. Nach der Punta San Virgilio geht es nach einem fast unüberwindbaren Hindernis direkt an das Ufer des Sees. Das Hindernis stellt sich mir als ein Fußgängerdurchgang in den Weg. Die Spaziergänger können sich rechts durch einen schmalen Durchgang zwängen, mit einem Rad unmöglich. Kein Mensch weit und breit, ich mit meinem schweren Rad alleine. So was hatten wir doch auch unzählige Male bei der GBDuro in Schottland, dort in Form von versperrten Viehgattern. Ich wuchte das Vorderrad hoch, hebe es über die Stange, schiebe mit der Schulter das Hinterrad mit der schweren Tasche nach, wenig rückenfreundlich muss ich das ganze nun auf der anderen Seite langsam runterlassen. Geschafft!

Nun am Ufer entlang bis Garda. Viele Fußgänger und Zuschauer der Regata delle Bisse, die heute stattfindet, lassen mich nur langsam weiterkommen. Nach Garda geht es wieder ins Gelände, zum Glück, denn die Uferpromenade wäre heute wohl nicht ratsam gewesen.

Einen kurzen Kaffee-Stopp in Peschiera, im Bikehotel Enjoy, lasse ich mir nicht nehmen.

Dann geht es ins Ziel beim Agriturismo Le Fornase in Castelnuovo. Bei einem leckeren Teller Bohneneintopf und anderer Leckereien und nach „chiacchierate“ mit anderen Radfahrern findet das Abenteuer VGG langsam ein Ende.

Schade, zweieinhalb Tage durch die Gegend graveln sind leider viel zu schnell vergangen. Höhen und Tiefen sind allzu schnell vergessen. Aber das nächste Abenteuer kommt bestimmt …

Danke Stefania und Giorgio für das Erlebnis VGG. Schön war es durch neue schöne Landschaften zu fahren, Giogio, alias Musseu, überrascht immer wieder … und nette Rad-Bekanntschaften zu machen.

Leider gibt es nur wenige Frauen, die an solchen Events teilnehmen. Deshalb: Cicliste – traut euch!!! Vielleicht animiert mein Bericht und das Video euch ja …  

GPX-files:
VGG500: Teil 1Teil 2Teil 3

Pan Celtic Ultra für Südtirol hilft

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Quelle: pancelticrace.com/ultra

🩷💜Ein Herzensprojekt 🩷💙

siehe hier: Dank an die Spender*innen für Südtirol Hilft!!!

Im Juli war ich auf Abenteuer-Fahrt. 2400km mit 26.000 Hm durch Isle of Man, England & Schottland beim Pan Celtic Ultra.


Wie 2020 und 2021 (Northcape4000) unternahm ich meine Fahrt wieder zu einem guten Zweck . Jeder Cent ging direkt an Südtirol hilft .
Rückblick: Dank der Spender*innen gingen bei NC4K einmal 9000€ und einmal 10.000€ direkt an Südtirol hilft und an den AEB. Ihr wart großartig!



Die Motivation mit meinem Steckenpferd (Carbon-Renner) durch England und Schottland zu düsen war ungebremst … 😂🚴‍♂️

Das war meine Idee – gerne kann jemand auch im Nachhinein noch teilnehmen!!
5 verschiedenen Paketen :

  • Pan Celtic Ultra Bronze:
    1 Cent/ Kilometer gehen direkt an Südtirol hilft. Das sind 24€
  • Pan Celtic Ultra Silber:
    2 Cent/ Kilometer, nämlich 48€
  • Pan Celtic Ultra Gold
    5 Cent/ Kilometer, = 120€
  • Pan Celtic Ultra Titan, = 240€
  • Pan Celtic Ultra – Premium

    Du möchtest mehr spenden? Wähle einen eigenen Betrag!

Was bekommst du dafür?

  • Vor allem ganz viel Dankbarkeit von Seiten Südtiroler Familien in Not
    (ich möchte betonen, der gesamte Betrag geht an Südtirol hilft)
  • Eine Spendenbestätigung von Südtirol hilft für die Steuererklärung 2025
  • Wer möchte, kommt auf meine Danke-Liste

Seid ihr dabei? Fantastisch!
Meldet euch bei mir für nähere Informationen: gabi_winck[at]yahoo.de
Schreibt mir , wie ich euch auf die Danke-Liste einfüge, mit Namen, anonym, mit oder ohne Nennung des Betrags. Firmen mailen mir bitte ihr Logo.

Falls ihr mitmacht ohne mich zu informieren via Mail (lumacagabi[at]gmail.com) oder WhatsApp, hier ist die IBAN von Südtirol hilft. Gebt bitte Panceltic als Überweisungsgrund an und eure Mailadresse für den Spendenbeleg:

Südtirol hilft – Spendenkonten:
Bitte schreibt bei der Spende auch eure Steuernummer und Mailadresse bei Grund dazu, dann bekommt ihr die Spendenquittung von Südtirol hilft unkompliziert zeitnah.

  • Raiffeisenkasse Bozen        IBAN: IT47 K 08081 11600 000300001112
  • Südtiroler Sparkasse           IBAN: IT50 K 06045 11601 000000464000
  • Südtiroler Volksbank           IBAN: IT56 W 05856 11601 050571323483
  • Intesa Sanpaolo       IBAN: IT88 B 03069 11619 651100902811

💜🩷🩷💜 Mein Herzensprojekt 💜🩷💙💜💙🩷💙💙

AN TÉ A BHÍÓNN SIÚLACH, BÍONN SCÉALACH — in einer keltischen Sprache – wer unterwegs ist, der kann was erzählen … schaut immer mal wieder auf meinem Blog vorbei … Geschichtchen & Videos warten auf euch …  

Das sagt der Brixner … (Nr. 411, S.49) – danke, Sabine!

Ausrüstungsliste: Exceltabelle

Superrandonnee dei 100 Bersaglieri

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Superrandonnée dei 100 Bersaglieri – das bedeutet mehr als 600 Kilometer und 15000 Höhenmeter in nur 60 Stunden, Pausen eingerechnet.  

Hier mein Video (6 min):

Mein Geburtstag naht – Hilfe! Schon der 61.– auf Facebook sehe ich, dass wieder mal einer gewagt hat, die Superrandonnée dei Cento Bersaglieri zu fahren. Bisher haben nur gut zwei Handvoll dieses herausfordernde Abenteuer gewagt, darunter nur eine Frau. Welcher Teufel mich da wohl wieder mal geritten hat, denn spontan beschließe ich, mir damit ein Geburtstagsgeschenk zu machen. Aber, ob ich das schaffen kann? Zäh bin ich ja, aber doch als „lumaca“ wohl zu langsam. Ich verspreche mir, wenn ich nicht durchkommen sollte, dann werde ich mich demnächst zum Seniorenturnen anmelden. Das muss Motivation genug sein. Und wenn ich nur im entferntesten eine Chance haben sollte, dann nur auf Kosten von Pausen und Schlaf.  

Um 5 Uhr am 6. Oktober sollte es losgehen. Der Schock bringt macht mich vollends wach: Musseu steht plötzlich und unerwartet vor meinem California, die unausgeschlafene Gabi gnadenlos filmend. Dann wird der Start festgehalten. Ich muss nun nur noch in die Pedale treten und 18 Kontrollstellen abfahren mit massenhaft Höhenmetern dazwischen. Die Fotos soll ich zur Beweisführung sofort auf WhatsApp schicken. Das Abenteuer kann beginnen.

Und was in den kommenden zweieinhalb Tagen (60 Stunden) auf mich zukommen wird, bekomme ich auf den ersten Kilometern im Kleinen zu spüren, es geht nämlich gleich schön steil einige Hügel hinauf. Musseu bezeichnete das vorher mit „spaccagambe“ – eine direkte Übersetzung gibt es nicht, spaccare bedeutet „zertrümmern“, gambe sind die Beine.  

Im steten Auf und Ab bin ich nicht besonders schnell am Gardasse, wo ich mir doch gedacht hatte, die paar Kilometer werde ich schnell runter spulen – das Höhenprofil- hat mich da schändlich an der Nase herumgeführt. Klar, gegen das was mir bevorsteht, sind diese paar „Hügel“ Pipifax. Na warte, Gabi!  

Kurzes Verschnaufen am See entlang, wenig Verkehr, sehr schöne Morgenstimmung. Plötzlich werde ich bleich, die Kinnlade fällt mir runter vor Schreck. Der Musseu wird doch wohl nicht … Nicht weit vor mir die Punta Veleno, die als härtester Anstieg am Gardasee gehandelt wird. Eine durchschnittliche Steigung von 14,6% mit Spitzen von 20%. Und es gibt keine Atempause. Zu meinem Glück muss ich früher abbiegen. Das Glück währt nur kurz, denn ähnlich wie bei der Punta Veleno geht es nur mit bis zu 18% Steigung hinauf nach Lumini. Später wird man mir sagen, dieser Anstieg wird unter Insidern „la sorella piccola“ – die kleine Schwester der Punta Veleno genannt.  

Abfahrt und ich suche vergeblich den nächsten Kontrollpunkt „die Platane der 100 Bersaglieri“. Die Bersaglieri waren ein Korps der italienischen Armee, ursprünglich der piemontesischen Armee, die später zur Königlichen Italienischen Armee wurde. Anscheinend hatten sich im Zweiten Weltkrieg einige Soldaten in den Ästen der monumentalen Baumes versteckt. Ich habe keine Zeit mich im Schatten dieses Baumes, der wohl im 14.Jahrhundert aus einem Samenkorn gesprossen ist, auszuruhen. Ich bin am Baum vorbei gefahren und muss nochmal ein paar Kilometer zurück für das Beweisfoto. Pech, wo ich doch keine Zeit zu verlieren habe.

Nun geht es auch wieder stramm nach oben. Keine beinfreundlichen Prozentangaben auf meiner Garmin … Hoch über mir sehe ich Spiazzi. Ich beschließe zwar nicht Wallfahrten zu gehen (in der Nähe ist das spektakulär in den Fels gehauene Kloster Madonna della Corona), aber mich doch mit Cola und einer Fiamma zu stärken, einem mit Schokolade überzogenen Schoko-Mousse-Törtchen. Wasser fassen muss ich auch.   Dann weiter – weg vom Touristen-Rummel. Dass Flämmchen gibt nicht lange Kraft, das merke ich bald.

Wenige Kilometer, aber einige Höhenmeter später lädt mich ein Bänkchen zur Brot-Ess-Pause ein. Ich kann nicht mehr. Es ist sowas von heiß, dass man glauben könnte wir haben Hochsommer, nicht seit zwei Wochen Herbst. Wenn ich jetzt schon schlapp mache, nach nicht mal 100 Kilometern und 3000 Höhenmetern … wie wird das sich wohl weiter entwickeln? Bis zum geplanten Schlafplatz habe ich noch fast 150 km und nochmal 3000 Höhenmeter. Ich sehe schwarz, obwohl es hier blendend hell ist. Nachdem ich mein Brot hinuntergeschlungen habe, Wasser zum Nachspülen ist auch schon wieder aus … lege ich mich kurz flach auf die Bank zu einem Powernäpchen. Der Schlaf will aber nicht kommen und als mir eine Buchecker auf den Kopf fällt, fahre ich entnervt weiter.  Motivation ist was anderes.

Es wird jetzt megasteil und ich steige vom Rad und schiebe einen Kilometer lang. Ich überlege mir schon, dass ich das Etschtal nicht überqueren werde, sondern dass ich dort in Richtung Norden nach Hause abbiegen werde oder doch besser nach Süden und das Auto hole. Die 100 Bersaglieri sind absolut nichts für mich!   Es wird wieder flacher und eine kraftschöpfende Miniabfahrt bringt mich bis zum Beweisfoto zum Rifugio Graziani unter dem Altissimo-Gipfel. Rasant geht es nur viele Kilometer abwärts.

Im Tal unten wartet das Bicigrill Ruota Libera auf mich. Ich sitze dort gemütlich im Schatten und überlege. Was tun? Bringt es das, sich so zu schinden? Es ist schon Nachmittag und wer weiß, wann ich meinen Schlafplatz aufschlagen kann. Die Nacht durchfahren und womöglich die nächste auch? Unmöglich! Macht das ganze Unterfangen überhaupt Sinn? Ich komme doch unmöglich pünktlich nach Verona ins Ziel. Warum sich dann weiter schinden? Die Schatten sind nun schon länger, die Hitze ist vorbei, ich beschließe dem Ganzen noch eine kleine Chance zu geben. Die Peri-Fosse will ich noch hinauf. Runterrollen kann ich immer noch.  

Es ist nun etwas kühler und die 11 Kehren duch den lichten Buschwald hinauf gehen mir relativ leicht von der Hand. Nach jedem Kilometer „zwinge“ (Scherz!) ich mich kurz zum Trinken stehen zu bleiben. Auch die kurze Passage mit 15%-Steigung fast am Ende der Strecke, deren Existenz mir unterwegs brennend einfällt, ist nicht so schlimm. In Fosse wieder Cola & Eis -Pause. Aus dem Pausieren komme ich wohl heute gar nicht raus … Naja, egal, nach Verona schaffe ich es eh nicht. Weiter geht es.  

Hinauf auf die Lessinische Hochebene muss ich. Die Bar liegt schon hinter mir, da fällt es mir ein: Ich habe zu wenig Wasser. Nur noch eine kleine Flasche voll. Wer weiß, wann ich am nächsten Tag den nächsten Brunnen finden werde … Habe ich einen Radkollegen belächelt, der wegen Sonnencreme, Wasser und Klogang an Haustüren klingelt, so erscheint es mir jetzt die einzige Lösung zu sein: Ich muss an einem der letzten Häuser von Fosse fragen. Ich klingle. Eine nette Seniorin öffnet mir, sie versteht anscheinend nicht ganz, was ich möchte, aber als ich ihr meine Trinkflasche hinhalte, versteht sie. Glück gehabt! Denn danach kommt wirklich sehr lange kein Wasser mehr.  

Motiviert überwinde ich nun auch ein unangenehmes Schotterstück und schraube mich nach oben Richtung Malga Lessinia. Es dämmert nun langsam. Der Himmel ist traumhaft rot gefärbt. Am nahen Horizont tauchen zwei große Gestalten auf, zwei Hirsche, die sich gleich erschrecken wie ich und von dannen springen. Die Bäume werden spärlicher, dafür das kühle Lüftchen stärker. Auf dem höchsten Punkt ziehe ich meine dünne Daunenjacke an. Kurze Abfahrt und dann muss ich nochmal hoch zur Malga San Giorgio.

Eigentlich hatte ich geplant auch den nächsten „Berg“ noch hochzufahren, aber es ist schon fast 10 Uhr und ich beschließe nur noch bis Selva di Progno zu rollen, denn an einem Tag mehr als 6000 Höhenmeter scheint mir doch etwas übertrieben. Und vielleicht fällt das kommende „giftige“ Steigungsprofil am frühen Morgen leichter.  

Die letzte Abfahrt an diesem Tag führt über eine neu asphaltierte Straße. Was hab ich für ein Glück! Mit Karacho geht es hinab. Aus den Augenwinkeln eine Bewegung und schon rollt (?) ein dicker grauer Kloß auf mich zu. Ich höre Krallen auf dem Teer klicken, da ist das Ding auch schon neben mir, ich mache einen Schlenkerer und schaffen gerade noch auszuweichen. Was war das denn. Es dämmert mir, das war ein ausgewachsener Dachs. Mit zitternden Knien nehme ich wieder Fahrt auf. Nun aber rolle ich nur noch in verhaltenem Tempo. Wer weiß, was da des Nachts noch alles unterwegs ist. Schade, dass ich hier im Dunkeln durch komme. Anscheinend ist es hier recht spannend, ich sehe Felswände neben mir und große Steine, eine Schlucht vielleicht? Eigentlich nicht meine beliebte Art zu Radeln, denn ich schaue mir die Landschaften lieber tagsüber an.  

Die Nachpause ist kurz, gegen 4 sitze ich wieder auf dem Sattel. Zwei Anstiege (wie vermutet „giftig“) und ich rolle Richtung Recoaro Terme, das an den Ausläufern der kleinen Dolomiten liegt. Frühstücks-Zeit! Dann wird es ernst, 1200 Höhenmeter soll es hoch gehen bis zum Rifugio Campogrosso unter den schönen Gipfeln der Carega-Gruppe. Die dunkelrote Farbe auf dem Höhenprofil kündigt zudem Böses an. Die Steigung in der immer wärmer werdenden Sonne ist wieder unerbittlich und lässt mich zum x-ten Male zweifeln.

Aber das Leiden geht vorbei und die nächste Abfahrt und Einkehr am Passo Xomo wirkt Wunder.   Bis zum Aufstieg auf die Hochfläche der Sette Comuni ist es auch noch ein Stück, zunächst Abfahrt, dann ein, wie der Italiener sagt „falso piano“, man meint nur, dass es flach ist … Die unzähligen Kehren hinauf zu den 7 Comuni sind zwar in sengender Hitze, aber dafür in moderater Steigung. Irgendwie muss man sich das Positive einreden. Beweisfoto in Rotzo (witziger Name, in dieser Sprachinsel wird zimbrisch gesprochen). Für die Gnocchi-Spezialitäten, die hier oben angeboten werden ist es leider eine halbe Stunde zu früh, aber einen leckeren Tost mit Asiago-Käse gönne ich mir.   Dann bald mal Supermarkt-Stopp, ich muss mich noch eindecken, denn am nächsten Tag ist Sonntag. Das Kefir, das ich interessanterweise nur bei langen Radfahrten trinke, erfrischt mich sofort. Mein Körper braucht das irgendwie. Und auf seinen Körper soll frau hören, naja, zumindest in dieser Beziehung. Hätte ich gestern schon auf meine Körper gehört, wäre ich jetzt wohl nicht hier … der hatte mir ja schon nach 100 Km und 3000 hm zu verstehen gegeben „Gabi, du spinnst!“    

Toll, jetzt geht es fast flach flott über die Hochfläche, unter anderem durch Asiago. Den Verkehr hier finde ich allerdings weniger angenehm. Am anderen Ende der 7 Comuni dann Abfahrt und die Valsugana und auf der anderen Seite bei Primolano gleich wieder hoch, vorbei an den Festungswerken aus dem Ersten Weltkrieg.    

Eine weitere Krise ereilt mich: Ich nähere mich Caupo, Startpunkt der Auffahrt auf den Monte Grappa. Hier war ich schon mal. Aber ich bin damals natürlich am frühen Morgen hinauf gefahren. Jetzt hingegen ist es kurz nach 18:00 und es dämmert schon langsam. Ich erinnere mich, dass wir damals in Seren del Grappa in einer kleinen Pizzeria gegessen und dort auch ein Zimmerchen mieten konnten. Ich könnte ja das Schicksal herausfordern und da mal kurz anrufen? Falls sie ein Zimmer frei hätten … dann könnte ich morgen gemütlich frühstücken und anschließend über den schönen Radweg nach Bassano del Grappa rollen, anstatt jetzt bei Dunkelheit über den Berg … Soll ich?  

Eigentlich hatte ich ja vor den Monte Grappa zu überqueren und dann irgendwo ein Zimmer nehmen. Das würde sich wohl nicht mehr ausgehen, denn bis ich auf der anderen Seite wieder am Fuß des Berges sein würde, ist Mitternacht hundertprozentig schon vorbei. Au weh! Kann ich mir ein paar Schlafstunden überhaupt leisten? Und wie gesund ist das denn? Nach 400 Kilometern und über 12.000 hm dem Körper keinen Schlaf zu gönnen? Und was wird mit der Abfahrt vom Monte Grappa? Über 20 Kilometer … werde ich mit der Müdigkeit kämpfen müssen?  

Ich überlege lang hin und her und inzwischen bin ich schon richtig abgebogen. Hier beginnt der längste Anstieg zum Rifugio Bassano mit fast 29 Kilometern verteilt auf 1600 Höhenmeter.  Ich kann ja mal ein Stück hoch und dann wieder runter rollen … Während ich rechne und rechne … für einen Kilometer brauche ich mehr als 8 Minuten, wie lange bin ich dann bis zum Gipfel unterwegs? Oje, viel zu lange! Während mein Gehirn “joggt“ – also mit Gehirnjogging beschäftigt ist, Rechnen geht nach so vielen Strapazen nicht mehr leicht von der Hand, also während ich rechne und rechne, habe ich die ersten 8 Kilometer schon hinter mir.

Ich mache eine kurze Ess-Pause und dann ist es gar nicht mehr so böse. Kurze schlimme Steigungen wechseln mit flachen Passagen.

Da! In der Dunkelheit hält plötzlich ein Wagen vor mir. Das Fenster wird hinunter gekurbelt. Ob ich was gehört oder gesehen hätte. Der Fahrer hatte am Nachmittag seine zweijährige „femmina“, ein Mädchen, verloren und hier gebe es Wölfe … Das ist ja schrecklich, wie kann ein Kind verloren gehen? Ich drücke noch mein Entsetzen aus. Beim Weiterfahren dämmert es mir, die „femmina“, war eine junge Hundedame. Aber trotzdem, die Arme! Und Wölfe? Hier? Ich lege einen Zahn zu.  

Irgendwann bin ich dann an der Abzweigung zum Gipfel. Die knapp drei Kilometer ziehen sich noch wie Kaugummi, aber dann bin ich oben! Und es ist erst halb zehn Uhr, früher, als ich mir erhofft hatte. Hier bläst ein strammer Wind und reißt mir fast das Rad aus der Hand. Trocken umgezogen, fahre ich sofort wieder abwärts. Hatte ich anfangs Angst, dass mich bei der nächtlichen Abfahrt Sekundenschlafattacken heimsuchen würden, so bin ich noch relativ frisch, als ich in Bassano ankomme.  

Die „Herbergsuche“ erweist sich als wenig erfolgreich zunächst, ein Park ist zu hell und Blicken ausgesetzt, ein Hotelgarten würde wohl abgesperrt werden und sonst gab es außer Straßen und Bürgersteigen nichts. Kurz vor dem nächsten Anstieg dann der perfekte Schlafort. Eine Kirche mit versteckter Parkanlage. Ich richte mein Lager her und will mich gerade in meinen Schlafsack zwängen, da höre ich Schritte. Zwei Männer biegen um die Ecke und streben einem Eingang in meiner nächsten Nähe zu. Oje, was mache ich jetzt, unsichtbar bin ich ja nicht und Reflektoren an meinem Rad spiegeln das plötzlich angehende Licht. Ich frage zaghaft, ob ich hier schlafen dürfe. Einer der beiden Männer, ich vermute es sind Pfarrer und Messner, bejaht bereitwillig und sperrt mir sogar einen Veranstaltungsraum auf, in dem ich das WC und Waschbecken benutzen darf. So nett!  

Ich möchte mir nun 3 Stunden Schlaf gönnen, mehr ist nicht drin, denn ich habe noch einiges vor mir und um Punkt 17:00 muss ich in Verona sein, um in die Randonneur-Wertung zu kommen. Für die Tourist-Wertung hätte ich insgesamt 8 Tage Zeit, am Montag muss ich jedoch arbeiten. Ich schlafe gut, viel zu früh klingelt mein Wecker und gegen 3 Uhr habe ich meine Sachen zusammengepackt und radle weiter.

Nun steht noch ein erster ernstzunehmender Berg vor mir mit etwas mehr als 1000 Höhenmetern, dann noch 6, ich nannte sie zu der Zeit noch „Hügel“. Heute sollten es nicht mehr wie 4500 Höhenmeter mit knapp 150 Kilometern werden. Erst jetzt erkenne ich, dass ich nun wieder auf die 7 Comuni – Hochfläche muss. Die Straße schraubt sich im Dunkeln nach oben. Ab und zu kommt mal ein Auto entgegen. Was machen die denn so früh. Ich hoffe, dass die mich sehen, ganz verschlafen, wie sie wahrscheinlich sind.  

Irgendwann fühle ich, dass ich unbedingt was essen muss und mache eine kleine Pause. Kurz darauf komme ich durch ein Dorf und kann es kaum glauben, jetzt um halb fünf Uhr stehe ich vor einer hell erleuchteten Bar, aus der Musik und lautes Gröhlen ertönt. Nanu? Haben die schon offen? Ich brauche unbedingt einen Latte Macchiato mit zweimal Zucker!! Nein, die haben nicht „schon“ offen, sondern „noch“! Meinen Kaffee bekomme ich und lasse mich in ein Gespräch verwickeln, ungläubiges Staunen, wo ich herkomme so früh. Ein Luciano erzählt mir, dass seit gestern abwechselnd jeder mal eine Runde spendiert, lustig sind sie ja alle. Luciano kann mein Unternehmen kaum glauben, er meint sogar, mir ein Zimmer anbieten zu müssen, da ich wohl dringend Schlaf brauche. Nein, danke, ich muss nämlich vielmehr dringend weiter. Leicht ist es nicht, sich zu verabschieden.  

Dann aber radle ich wieder durch die kühle Nachtluft Richtung höchsten Punkt. Einsamer Wald. Da! Ein Auto hinter mir, bremst, fährt an, bremst und hält schließlich neben mir. Fenster aufgekurbelt meint Luciano, das mit dem Zimmer gilt noch. Er wolle mir helfen. Ich sage ausdrücklich „nein danke!“ und das Auto fährt weiter. Kurz darauf kommt mir ein Wagen entgegen, kurze Zeit später wieder ein Auto hinter mir, bremst, fährt an, bremst, … dann überholt es mich und ist weg. Ich atme erleichtert auf, dachte ich doch, dass das wieder derselbe Hilfebietende sei.   Und hatte ich gedacht, die Autofahrer hier sind Frühaufsteher, so wurde ich eines Besseren belehrt: Da sind Leute unterwegs, die dürften mit ihrem Alkoholpegel eigentlich gar nicht mehr Auto fahren …

Zum Glück muss ich nun abbiegen bei der Bocchetta Galgi mache ich mich schnell bereit für eine rasante Abfahrt. Unterwegs wird es hell und zu früher Stunde finde ich eine geöffnete Bar voller Jäger. Hier decke ich mich ordentlich mit Brioches ein.   Gestärkt geht es weiter.

Der erste Hügel ruft. Hätte ich über das, was nun vor mir liegt nicht so abschätzig gedacht, die paar Hügel … Mir wird bei den ersten Anstiegsmetern klar, das sind keine Hügel, sondern „Giftzwerge“! Unbarmherzige Steigungsprozente machen die 300 bis 400 Höhenmeter langen Aufstiege zur Qual. Zudem brennt die Sonne bald erbarmungslos hernieder. Jeden möglichen steilen Berg hat Musseu da noch hinten dran gehängt. Ich komme vom Rechnen nicht weg … Schaffe ich es bis 5 Uhr?  

Inzwischen hat meine Garmin Edge für sich entschieden, dass nun genug sei … Der Bildschirm zeigt nicht mehr in Fahrtrichtung, sondern ist genordet. Was das bedeutet, wünsche ich niemandem. Ist mein armes Radlerhirn nicht schon gepeinigt genug, so stehe ich nun vor einer schier nicht mehr zu leistenden Aufgabe: Fahre ich nach Norden, dann ist alles gut, mein Pfeil zeigt in die richtige Richtung. Fahre ich gegen Süden, dann kommt mir mein Streckenpfeil auf dem Bildschirm entgegen. Auch noch leistbar. Verzwickt wird es aber, wenn ich an eine Abzweigung komme. Ist meine Fahrtrichtung Süden so bedeutet das, dass nach Rechts fahren muss, wenn der Pfeil auf dem Gerät nach Links zeigt. Oh je, oh je. Was kostet mich das Zeit. Ganz besonders schlimm ist es, wenn ich nach Südwesten abbiegen muss oder nach Südosten … Ich glaube ich habe meine Leser nun genug verwirrt … Die Garmin ist zwar immer meine treuer Begleiterin, aber so einen Brocken am Stück darf ich wohl nur mir zumuten, nicht aber meinem Gerät.

 

Irgendwann dann trotz allem der vorletzte Anstieg. Den kenne ich, allerdings nicht von dieser steilen Seite. Dann fehlt nur noch Castel San Pietro, der wunderbare Aussichtspunkt hoch über Verona. Beweisfoto und nun rolle ich nur noch abwärts. In meiner Freude verpasse ich natürlich das Ziel. Ich hatte die fixe Idee, Endpunkt sei Negrar, wo ich gestartet bin. Bis ich draufkomme, habe ich mich schon völlig verloren in den Gassen von Verona. Das Garmin-Problem ist mir nun auf keine Hilfe, ich habe keine Ahnung, wo ich bin, Google muss helfen.  

So verplempere ich eine ganze Stunde, bis ich zur letzten Kontrollstelle finde. Egal, ich bin immer noch eine Stunde und 15 Minuten vor meinem „Zielschluss“ da … Endlich.

Das Abenteuer endet mit einem Riesen-Eis mit 4 Kugeln … Die habe ich mir wirklich verdient!!!  

Rückblickend bin ich megastolz auf mich, 600 Kilometer mit 15.000 (!!!) Höhenmetern … da habe ich mich wohl total naiv in dieses Abenteuer gestürzt und kann es heute immer noch nicht glauben, dass ich es geschafft habe, auch zeitlich  – und dass ich nun doch noch nicht zum „Seniorenturnen“ muss …

Fazit: Ich kann die Superrandonnée dei 100 Bersaglieri nur jedem empfehlen, der ein bisschen (viel) leidensfähig ist …

Danke, Musseu! Als ich davon das erste Mal gehört hatte, da dachte ich bei mir: So was Verrücktes, auf jeden Fall nichts für mich … Keine Ahnung, welcher Teufel mich dann geritten hat …

Bike Haderburg

italiano english

Ich freue mich schon auf den Mai 2024, da möchte ich diese traumhaft schöne Runde nämlich wieder fahren …

Hier mein Video von 2023:

Nach dem wunderbaren Sabbatjahr 2023 mit viel Rad … (AMR, TBR, GranGuanche, BTG) sollte ich langsam ans „Abgewöhnen“ denken, im September ging dann der Ernst des Lebens wieder los … Abgewöhnen? Deshalb wollte ich das Event Bike Haderburg Mitte September fahren … Der Zielort, die Haderburg, auf einem Felsen hoch über Salurn klang vielversprechend.

Profuminviaggio (Giorgio Murari und Stefania Segna) organisierten 2023 die Edition 0 der Bike Haderburgin Zusammenarbeit mit der Gemeinde Salurn und der Radsportgruppe Ciclisti per Caso.

Dieses Jahr (2024):
Der Start ist am Samstag, den 18. 19. Mai 2024, Zielschluss ist Sonntagabend. Für die 450 km sind 40 h vorgesehen. Es gibt dieses Jahr mehrere Streckenlängen zur Wahl: 100 km, 200 km und 450 km.
Die wunderschöne Strecke führt durch die Natur zwischen Italien und Österreich; Etschtal, Brenner, Silltal, Inntal, Kaunertal, Vinschgau.
Das ideale Rad? Ein Gravelbike mit Slick 35-Reifen oder ein Rennrad mit etwas „großzügigerer“ Bereifung.
Das Highlight wird nach der Anstrengung wohl die abschließende Pasta-Party auf Schloss Haderburg sein; das spektakulär gelegene Schloss ist exklusiv für diese Veranstaltung geöffnet.

Wenn jemand mit möchte, beeilen, es gibt nur hundert Startplätze!

Einschreibungen

Events auf ähnlicher Strecke aus der Feder Giorgios gab es schon mal, es war immer sehr unterhaltsam und schön organisiert: Edelweiß ’17
oder auf südlicher Route: Edelweiß ’21


BTG – allein 1x längs durch Deutschland

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1650km einmal längs  durch Deutschland radeln – das wünschte ich mir immer schon, bin ich doch in Frankfurt geboren und kenne Teile des Landes allerhöchstens von der Autobahn aus.
Im Juli 2023 ist es dann soweit.

Zuerst mein Video/ hier die Kurzfassung

Infos & Anreise

Streckendownload strava

Tag 1, Sonntag, 2.Juli 2023
172 km/ 2250 Hm/ 10:35 h

In Basel starten wir zu viert, Kevin, Jörg, Stephan und ich. Ab etwa 60 Kilometern werde ich keinen meiner Mitstreiter mehr sehen und die nächsten 10 Tage werden ziemlich einsam sein, abgesehen von den vielen netten Menschen, die ich unterwegs treffe. Einer kommt vor mir an, die anderen beiden einen Tag später. Den ersten halben Tag radle ich meist recht flach in Nähe des Rheinufers. Ziemlich einige Kilometer auch in sehr großer Nähe, sprich, aus dem Gleichgewicht sollte frau nicht geraten, denn das Wasser ist nur Zentimeter entfernt vom Single Trail. Hatte mir einer der Jungs am Vorabend von dem Weg am Rheinufer mit Absturzgefahr erzählt, so fand ich es doch etwas übertrieben, als ich auf breitem etwas holprigen Weg am Ufer entlang düste und glaubte, das sei der besagte Streckenabschnitt.

Was kurz darauf kommen sollte, hatte ich mir so nicht vorgestellt. Schotter und Wurzeln, schmalster Weg, rechts ein steiler Hang nach oben und links das besagte Flussufer und das kilometerlang. Ehrlich gesagt bin ich ein paarmal schiebend anzutreffen gewesen. Hübsche Ortschaften unterwegs. Dann geht es auf und ab und fast unerwartet stehe ich am Eingang der Teufelsküche. Hinter mir taucht Kevin auf, nanu, ich dachte, er sei schon längst über alle Berge … Er hatte sich verfahren. Nach der Teufelsküche werde ich ihn nicht wieder treffen.

Die Teufelsküche, der Name ist Programm, ist eine Schlucht, die glücklicherweise im Moment nicht viel Wasser führt, so dass man den Weg, sprich die Steigspuren, gut erkennen kann. Allerdings sind die Steine und Wurzeln äußerst rutschig. Mühsam schiebe ich durch die Schlucht, dann geht es auf unregelmäßigen erdigen Stufen steil nach oben. Wie soll ich mein Rad, 26 Kilogramm schwer, da hinaufbringen? Ein Drahtseil soll Halt bieten. Ich habe aber leider keine Hand frei. Das Gewicht droht mich in die Tiefe zu ziehen, oje! Irgendwie schaffe ich es um die Kurve und über den glitschigen Pfad über den Abgrund. Wie ich später hören werde, hat Stephan weniger Glück. Er rutscht an besagter Stelle ab, Mann und Bike erleiden Blessuren. Nach der Teufelsküche geht es dann auch stetig hoch und runter, Höhenmeter sammele ich so ordentlich, bis ich ans Donauufer wechsele.

Mein angepeiltes Ziel, ein Radzeltplatz in Tuttlingen, erreiche ich viel zu früh, so beschließe ich noch den nächsten „Berg“ mitzunehmen. Unterwegs treffe ich auf Sven, einen Radfahrer aus der Schweiz, der auch auf der BTG-Strecke unterwegs ist und das schon zum 7. Mal. Idyllisch und mäßig steil geht es durchs Ursental und das Klippeneck ist bald erreicht. Hier steht die kleine Kreuzsteighütte, eine auf der Vorderseite offene Schutzhütte, wie ich sie in ganz Deutschland in den Wäldern finden werde. Mein Nachtlager wird hier aufgeschlagen, mit Blick auf die weit unter mir liegenden Dörfchen. Die Sonne liefert einen traumhaften Untergang. Das Zelt steht und langsam mache ich mir Gedanken, dass ich hier mutterseelenalleine bin. Aber Abhilfe naht in Gestalt eines jungen Fern-Wander-Paares.

Ich bin erleichtert, als sie mich fragen, ob sie ihr Zelt auch hier aufstellen dürften. Kaum sind wir in unseren Unterkünften verschwunden, fängt es nämlich im Wald schon an zu rumoren, blöken, röhren, bellen, grunzen, keine Ahnung welche Tiere das alles sind und es geht die ganze Nacht zu wie in einem Zoo.

Tag 2, Montag, 3. Juli 23
158 km/ 3300 hm/ 11:30 h

Ich schlafe kaum bis gar nicht. Um vier wird es hell, ich fröstle in meinem dünnen Schlafsack, obwohl ich alles Verfügbare anhabe (Sommerdaunenjacke, Regenjacke, Regenhose, …). Ich lasse die Luft aus der Luftmatratze und Kopfpolster, lege Zelt, Schlafsack zusammen, packe meine Siebensachen und starte in den angehenden Morgen. Eine Teerstraße sause ich voller Tatendrang abwärts, nur um die Höhenmeter mühsam wieder hochgurken zu müssen, weil ich die Abzweigung versäumt hatte.

Das wird allerdings nicht das einzige Mal gewesen sein … Einige Kilometer geht es nun über Waldwege abwärts und ich kann mein Glück kaum fassen: In Gosheim hat die Bäckerei schon um 6 Uhr auf und ich komme so an den geliebten Latte Macchiato (mit zweimal Zucker) und gönne mir mehrere Gebäck-Teilchen. Ein Kunde ist erstaunt, was ich mir da zutraue so als Frau alleine, ob ich nicht gehört habe, was letztens wieder alles passiert sei … Das will ich gar nicht hören und „klappe“ meine Ohren zu.

Wald, Wald, Wald. Es geht ständig rauf und runter, nicht selten über 15% steil. Nun 20% Steigung, für mich bedeutet das einen Kilometer schieben. Ich entdecke vor einer weiteren unmenschlichen Steigung ein Schild, fast zugewuchert vom Gebüsch; unter dem Logo der BTG steht „RÜGEN – nur noch 1450 Kilometer“. Aha, ich bin hier also richtig! Manchmal bekommt mein Rad beim Bergauffahren fast das Übergewicht nach hinten, obwohl in der Lenkerrolle ordentlich Gepäck steckt und auch mein Wasserbauch vom vielen Trinken in der Hitze wäre wohl ein gutes Gegengewicht.

Wald, Wald. So viel hatte ich nicht erwartet. Menschen trifft man nur sehr wenige, manchmal ein Radfahrer oder ein Spaziergänger mit Hund, Kaninchen, Eichhörnchen, Füchse, Rehe … Ich fühle mich im Wald aber recht sicher. Noch …

Und dann plötzlich das überraschende Panorama mit Blick auf das Schloss Hohenzollern auf einem Hügel gegenüber. Ich bin am Kontrollpunkt CP1 angelangt. Nach einem „Ratscherle“ mit einem Wanderer geht es weiter.

Wie schon gehabt geht es weiter über Stock und Stein, durch Wälder und Felder. Beim Schloss Lichtenstein, das auch Märchenschloss Würtembergs genannt wird, wähle ich aus den vielen Wurst- und Fleischgerichten den Kartoffelsalat pur und werde verständnislos angeguckt. Ich treffe hier eine Familie aus Italien, die Welt ist klein, denn sie kennen Brixen aus vielen Urlauben gut. Weiter dann durch die nachmittägliche Hitze.

Die nächste Pause am Fuß der Schwäbischen Alb in Bad Urach muss sein, schweißtreibende Anstiege erwarten mich. Ich sitze mitten auf dem spätmittelalterlichen Marktplatz mit dem Rathaus und den Fachwerkhäusern aus dem 15. und 16. Jahrhundert und lasse mir Obstkuchen munden, auch meine Wasserreserven muss ich auffüllen. Die angepeilte Waldliegewiese zum Campen mit Blick auf Schloss Hohenneuffen und Burg Teck lasse ich hinter mir. Es ist nun kühler, die Steigungen aber weiterhin unbarmherzig. Mitten in der steilsten Steigung krabbelt ein riesiger Hirschkäfer über den Weg. Ich sehe meine Chance gekommen … nein, nicht drüber fahren und schauen, wie stark der Kerl wirklich ist, sondern … Foto machen. Geht natürlich nicht während des Fahrens. Also absteigen und danach mit Hundsschanden wieder aufsteigen, ohne hintüber zu kippen. Wer ist denn so blöd sowas zu machen?

Ich treffe Sven wieder, der mit Magenproblemen zu leiden hat.

Wo soll ich heute schlafen? Ich fahre in den Sonnenuntergang hinein, es wäre an der Zeit ein Plätzchen zu finden. Da! Vor mir eine Umleitung. Hier steht auch ein Auto, davor zwei Männer, die mir nachschauen. Ich biege ab und im Streckengalopp rase ich durch den Wald. Was, wenn mich diese beiden Männer jetzt verfolgen? Was hatte am Morgen der Mann beim Bäcker gesagt, eine Frau allein, wo so viel passiere? Mein Herz schlägt wie wild, als ich weiter beschleunige. Der Wald wird immer düsterer, die Angst nimmt zu. Ein Auto kommt entgegen, da lichtet sich schon der Wald und spuckt mich aus.

Unentschlossen bleibe ich kurz danach bei einem Bauernhof stehen, aus einem Wirtschaftsraum höre ich Stimmen. Soll ich fragen? Im Gastgarten könnte ich mein Zelt aufstellen und mit Blick auf den mit schweren dunklen Wolken behangenen Himmel, könnte ich bei Regen Schutz suchen und zudem wäre ich nicht allein irgendwo im Wald. Ich gehe den Stimmen nach und frage, ob ich draußen beim Zaun mein Zeltchen aufstellen dürfe. Ja, natürlich. Als mein Nachtlager steht, ich war doch etwas näher zum Gastgarten gerückt, steht plötzlich die Bäuerin vor mir, ob ich hier wohl zelten wolle? Ich sagte ihr, dass ich gefragt hatte. Aha, der Sohn, aber kein Problem.

Logisch darf ich, ich bekomme sogar noch einen halben Liter Sauermilch im Porzellanbecher und Eis. Obwohl die Frau abwehrt, gebe ich ein kleines Trinkgeld und bestehe darauf als Stellplatz-Gebühr. Sogar das Gäste-WC wird mir noch aufgesperrt. Sehr nett ist es hier bei der Hofstelle Reußenstein. Der Schlaf ist nicht ganz ruhig, in meiner Nachbarschaft muht eine Kuh die ganze Nacht. Die Sauermilch hebe ich für das Frühstück auf, lege einen Bierdeckel darüber und stelle das Glas in einen ausgehöhlten Baumstumpf.

Tag 3, Dienstag, 4. Juli
114 km/ 1900 Hm/ 8 h – sozusagen ein „Pause-Tag“

Vom Regen in der Nacht hatte ich nichts gemerkt, aber der Asphalt ist nass, als ich aufbreche und in den jungen Tag hineinfahre. Zuvor noch Frühstück. Der Bierdeckel war verrutscht und in der Sauermilch hatten leider einige Ameisen und ein Ohrwürmchen den Tod gefunden. Ich klaube sie raus und ausgehungert, wie ich bin, mundet die noch ein wenig mehr vergorene Milch köstlich. Dazu gibt es das Hefeteilchen Henry. Hahaaaaa! Ich hatte Hermann von dem Hefekuchen geschrieben und das Smartphon „auto-infill“ macht „Henry“ draus …  Mit dem Start lasse ich mir etwas Zeit, sonst würde ich wohl zu früh nach Kuchen kommen zum zweiten Frühstück und Supermarktstopp. Wunderschön zwischen den Wolken kommt nun doch die Sonne durch.

Aber recht schnell komme ich doch nicht weiter, wieder unmenschliche Steigungen und viel Wald. Streckenabweichung! Garmin meldet sich, also zurück. So morgens früh ist mit Konzentration halt noch nichts, aber wer denkt sich denn, dass von einem schön geschotterten Weg plötzlich ein Trail abgeht und schon bin ich 100 Meter tiefer und muss alles wieder hoch. Das nächste Mal lässt nicht lange auf sich warten. Ich bin in Gedanken versunken und rase den Schotterweg abwärts, die Abzweigung fällt mir nicht auf, warum sollte hier denn plötzlich ein Teerweg weiter gehen, der Weg des geringeren Widerstands passt gar nicht ins BTG-Konzept, das hatte ich schon bemerkt. Da dieses Sträßchen lange parallel zum Schotterweg führt, merkt die Garmin lange nichts und ich so erst recht nicht. Alles zurück … Warum war ich abgelenkt? Ich führe heute sozusagen schon eine Weile wissenschaftliche Überlegungen: Mir ist nämlich was aufgefallen. Die Weinberg-Schnecken hier, die zuhauf über den Weg kriechen, haben ein rechtsdrehendes Schneckenhaus. Wenn man sie fotografieren will, muss man darauf achten, dass sie von links nach rechts über den Weg krabbeln, sonst ist das schöne Gehäuse nicht drauf. Ich betreibe vergleichende Naturwissenschaften: Auf dem Balkan, drei Wochen zuvor, war es genau umgekehrt, die Schnecken, die nach links krochen, da sah man das schöne Gewinde. Das bedeutete doch, dass dort die Schnecken linksdrehend waren oder rechtsdrehend? Egal …

Ich wundere mich weiters sehr, wollte ich am vergangenen Abend noch weiter fahren bis Gammelshausen, wo Karsten, der zwei Tage früher gestartet war, übernachtet hatte. Ich hatte aber darauf verzichtet, weil ich keine Lust hatte, 150 m hoch zu fahren, wie mir die Karte anzeigte. Ich stand nun am Abzweigungsort, Gammelshausen tief unter mir. Ich glaub, ich sollte mal einen Kartenlesekurs absolvieren, Höhenlinien betreffend. Gut, an der Tatsache änderte es wenig, denn, wenn man runterfährt, muss man halt wieder hoch oder umgekehrt.

Gerade wäre mir vor Schreck fast das Handy aus der Hand gefallen. Ich bin grad beim Notizen machen (Sprachaufnahme), da bricht aus dem Unterholz vor mir, eine Etage höher natürlich, ein riesiger Raubvogel und biegt einen Meter vor mir auf den Forstweg ein und fliegt ein paar Sekunden vor mir her. Ich sollte auf mein neues Handy etwas besser aufpassen …

Wie üblich im Wechsel Wälder und Felder, mancher Single Trail und manche bittere Steigung, wie die 500 m mit 110 m Höhenunterschied, man kann sich die Steigungsprozente leicht ausrechnen, es sind genau 22% und das auf Schotter und mit 26kg. Als ich mich mitten drin umdrehe, um zu sehen, ob ich mich da runter zu fahren trauen würde, sehe ich, dass ganz unten ein Mann mit kurzer Hose und weißem Schlabber-T-Shirt in den Weg einbiegt. Folgt der mir? Immer wieder drehe ich mich um und schaue, ob er näherkommt. Soll ich mein Pfefferspray mal in Reichweite legen? Schneller kann ich nicht. Aber der Mann wird glücklicherweise auch nicht schneller und schaut auch nicht so aus, als hätte er ein Messer oder so. Aber die Gedanken fahren Karussell. Was hatte der Bäckerkunde am Tag zuvor zu mir gesagt? Bald wird es aber wieder flacher und ich radle erleichtert von dannen. So steil, wie es grad hoch ging, geht es nun runter, wenn nicht steiler. Ich traue mich nicht und schiebe. Runter über den nassen Waldboden durchsetzt mit losen Kalksteinen. Wenn das so weiter geht, werde ich wohl drei Wochen mindestens brauchen bis nach Kap Arkona.

Aber es wird wieder flowiger und ich erreiche Kuchen, natürlich nicht zu früh. Und der Ort heißt wirklich so. Nomen ist Omen, beim Supermarkt gibt es einen Bäcker und hier stärke ich mich mit Latte Macchiato (mit 2 Zucker), Laugenbrot mit dick Butter und Zwetschgen-Streuselkuchen. Ich lasse es mir schmecken und nutze das Gratis-Wlan, kann mich nicht aufraffen zu starten, 300 Hm stehen an. Hatte ich eine Vorahnung? Glücklicherweise weiß ich noch nicht, was auf mich zukommt.

Altes Wasser ausgeleert, neues aufgefüllt, dann los! Es geht gleich zünftig zur Sache. 18% plus, aber auf Asphalt keine große Sache. Na, warte, Gabi, der Weg geht in einen Forstweg über, der aber etwas weniger Steigung hat und dann plötzlich zweigt links ein Wanderweg ab. Auf beiden Seiten je ein steiler Hang, rechts steil nach oben, links steil nach unten, dazwischen der sehr schmale Weg. Den muss ich augenscheinlich nehmen. Und bald schon das erste Hindernis. Ein Baumstamm liegt im Weg. Minutenlang stehe ich davor und bringe die Energie nicht auf die 26 kg drüber zu wuchten. Dann bald der nächste.

Ziemlich hoch. Drunter durch passt mein Rad nicht mit dem ganzen Gepäck. Ich wuchte das Vorderrad darüber und will das Hinterrad nachziehen. Fast geschafft, da merke ich, dass das Gewicht des Rades mich nach außen drückt, in Richtung „Abgrund“. Schnell versuche ich einen Holunderzweig zu fassen, aber „knacks!“ bricht dieser und in Null-Komma-Nichts, ich weiß nicht, wie es mir geschieht, liegt Frau und Rad zwei Meter unterhalb des Weges.

Knochen sortiert, alles noch dran … Wie aber jetzt das bepackte Rad wieder auf den Weg bekommen? Ich bringe alle Kräfte auf und habe das Vorderrad schon wieder auf der Strecke, aber was ist das? Irgendwas klemmt … Der Sattel hatte sich eingehakt in einen Holunderstamm, das Vorderrad wird vom Baumstamm blockiert. Nichts geht mehr.

Die Kräfte verlassen mich und mein Rad ist wieder da, wo es zuvor lag. Trotz aller Anstrengungen ich komme am Stamm auch das nächste Mal nicht vorbei. Schweißgebadet und beinahe den Tränen nahe denke ich schon daran, die gesamten Taschen abzubauen, da hat wohl irgendeine höhere Macht ein Einsehen und ich weiß nicht wie, aber beide, Frau und Rad, sind wieder auf dem rechten Weg. Mein Willen ist gebrochen, das kannte ich ja vom Trans Balkan Race, wo es mir bei einer schlimmen Schlamm-Passage so ging.

Im Kopf läuft nichts mehr ab. Ich lebe nur noch im Moment. Mehrere Bäume sind noch zu überklettern und dann ein paar steile erdige unregelmäßige Stufen. Meine Gedanken sind damit beschäftigt, wie schaffe ich den nächsten Baumstamm. Keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen ist, bis ich am Aussichtspunkt Höhenstein stehe. Mit zitternden Knien, fix und fertig. Zumindest sind die kommenden Anstiege nicht so fordernd. Meine zerschrammten Beine kühle und reinige ich einigermaßen beim nächsten Brunnen.

Picknickzeit. Mein Frischkäse-Gemüse-Laugenbrot muss dran glauben, Tisch ist ein umgestürzter Baumstamm. Mit Kefir gestärkt geht es weiter. Das Wental mit seinen bizarren Dolomitfelsen liegt vor mir. Sehr schön. In Aalen muss ich unter einer Bahnunterführung durch. Ich und die Garmin sind verwirrt und als wir mit Versuch und Irrtum endlich wieder am Licht sind, steht Stephan vor mir. Welch ein Zufall, wie ausgemacht. Er war auf mein gepostetes Absturzbild in den nächsten Zug gestiegen und hatte die Strecke abgekürzt; er wolle Radfahren und nicht Radschieben …  Gemeinsam fahren wir bis Ellwangen. Dort erwartet mich ein bequemes Bett, ich kann mich, meine Garderobe und mein Rad pflegen. Es gibt lecker Essen und erholsamen Schlaf, das erste Mal seit drei Nächten.

Tag 4, Mittwoch, 5. Juli
141,08 km/ 2.365 m/ 9:25 h – sozusagen der zweite „Pause-Tag“

Und gegen halb sechs am 4. Tag bin ich wieder im Sattel. Unwetter soll es geben? Bei dem blauen Himmel doch nicht … Vorbei an Kreßbachsee und Fischbachsee, eintauchen in die deutschen Wälder. Die Wolken verdichten sich und versprechen nichts Gutes. Die ersten Regentropfen und in Kürze prasselnder Regen, ich rette mich unter einen Laubbaum. Lange bleibt es nicht trocken darunter und ich wechsle die Wegseite und „verstecke“ mich unter einem Hochstand. Ich muss allerdings zuerst die dichten Dornenranken niedertreten, die mich an Armen und Beinen zerren. Und da kracht es auch schon, den Blitz hatte ich gar nicht gesehen. Angst! Gewitter im Freien löst bei mir immer irgendwie Panik aus. Ich zerre mein Smartphon heraus und tippe hektisch darauf herum. Regenradar! Ich sehe, ich bin genau im Kern der Gewitterfront. Als das Schlimmste vorüber ist, fahre ich weiter. Es regnet noch leicht. Die Wege sind nun voll verschlammt und ich schaue in kürzester Zeit wie ein Schweinchen aus. Hoffentlich finde ich für Rad und mich irgendwo einen Gartenschlauch. Das ist allerdings der Beginn meiner müffelnden Schuhe.

Es geht nun mal wieder abwärts, aber äußerste Vorsicht ist geboten, denn der Forstweg scheint mit Haufen frischen Splits aufgeschüttet, ich fahre langsam, damit sich mein Reifen nicht in die Menge bohrt und mich abwirft. In Schnelldorf gönne ich mir ein schönes Frühstück, dann geht es weiter Richtung Schillingsfürst. Hoffentlich wird das Wetter mittags besser. Dieses Tief hatte ich nicht auf dem Schirm gehabt. Meine nassen Sachen behalte ich an. Sie trocknen in wechselndem Gegen-, Seiten- und Rückenwind rasch. Gespannt bin ich, ob es heute noch mal regnen wird.

Unterwegs muss ich schmunzeln, ein Bild vom Vortag vor Augen. Gabi auf dem Boden kniend, Kameralinse auf eine Schnecke gerichtet, wartend, dass das Tierchen wieder seine Fühler ausstreckt. Der Name Lumacagabi ist Programm und ein Bild mit Schnecke Pflicht. Oder was macht man nicht alles, um ein paar Minuten Pause rauszuschinden …

Die Wälder hier sind schier endlos. Seit fast fünf Kilometern fahre ich geradeaus durch einen Forst. Einzige Abwechslung zwei Reiterinnen mit mindestens 15 Hunden. Immer wieder wechselt der Schotter in tiefen Schotter.

Immer wieder nette Singletrails, aber nach dem Regen sind die Wurzeln und Steine spiegelglatt, ebenso der festgefahrene Lehmboden und ich muss höllisch aufpassen, um keinen Abflug zu machen. Am Nachmittag durchfahre ich mehr landwirtschafliches Grün, mit den fehlenden Bäumen kommt nun auch die Hitze.

Die alte Höhenstraße vor Erlangen aus vergangenen Zeiten ist heute ein Singletrail und nett zu fahren. Am späten Nachmittag erreiche ich Doris, die mich am Weg abholt und nach Großseenbach führt. Wieder mal hatte ich mich getäuscht, ich hatte gedacht nach dem Ort ginge es eben oder aufwärts. Dabei fahren wir fast 200 Höhenmeter hinunter, Hilfe, die müsste ich am kommenden Morgen wieder hinauf … Das blende ich jedoch im Moment aus, die köstliche Bewirtung und das angenehme Nachtlager, die erfrischende Dusche und auch der Gedanken, dass auch mein Rad wieder gepflegt auf die nächsten Kilometer gehen würde, lassen mich ruhig die Augen schließen.

Tag 5, Donnerstag, 6. Juli
160,79 km/ 2.766 Hm/ 11:40 h

Nun muss ich die Höhenmeter wieder hoch zur Strecke, gut zum Wachwerden. Ich darf gar nicht daran denken, wie viele Höhenmeter sich da heute noch dranhängen werden. An den vergangenen Tagen gab es ja Bergauffahren und -schieben ohne Ende. Die Beine drehen sich heute schwer, jede kleine Steigung spüre ich. Der Kaffees-Stopp an Tankstelle in Erlangen weckt meine Geister etwas. Allerdings werde ich im nächsten Wald bei 10% Steigung sogar von einer Joggerin ein- und fast überholt. Uff!

Zum CP2 finde ich fast nicht rauf. Zuerst ein Verhauer, denn ich fahre gemütlich auf dem Schotterweg weiter hinauf und übersehe den Einstieg zum Singletrail. Frau kann wohl keine Fahrverbotsschilder deuten. Selber schuld. Also wieder zurück und über eine Art Pumptrail Richtung Ruine Neideck. Nun halte ich mich peinlichst genau an die Vorgabe mit dem Ergebnis, dass ich mein Bike statt auf dem Normalweg zur Burg einen schmalen überaus steilen Fußweg runterbremse und dann unter Absturzgefahr wieder hochwuchten muss über Wurzeln.

Nun geht es weiter durch die Fränkische Schweiz mit den im Wald versteckten Felsformationen. Zunächst Waldweg gesperrt wegen Holzfällerarbeiten. Wo soll ich da bloß umleiten? Ich konsultiere die Garmin.

Nun geht es viele Kilometer angenehm auf einem Radweg dem Fluss Wiesent entlang. Der nächste „Berg“ ist nah, zuvor noch Freiluftmittagessen mit Humus und leckerem Olivenbrot von Doris. Gestärkt geht es in der Hitze wieder hinauf. Meine Beine sind wie Gummi, Schieben ist angesagt. Was? Bei der bisschen Steigung muss ich schon zu Fuß gehen? Mein Blick auf das Display meiner Garmin bestätigt aber 18% und es wird noch steiler. Meine Wahrnehmung ist wohl etwas gestört.

Ich muss durch Bayreuth durch. Zwar geht schön durch einen Radweg am Roten Main entlang. Aber es sind mir hier bedeutend zu viele Menschen. Es kommt mir schmutzig vor, obwohl das gar nicht stimmt. Ich bin wohl in den vergangenen vier Tagen schon so ziemlich zum „Naturburschen“ oder besser Waldmädchen geworden. Ich freue mich, als ich wieder in die kühlen Wälder eintauchen darf.

Ein Eiscaffeé am Weg vor Bad Berneck. Die kühle Leckerei (Mandel und Melone) schmeckt wie echtes italienisches „gelato“, der Lattemacchiato (mit zwei Zucker) weckt meine Lebensgeister. Ich darf mich zu Jürgen an den Tisch setzen und wir kommen ins Gespräch. Zusammen fahren wir ein Stück. Er versucht mir die Vorteile eines E-Bikes nahezubringen. Ich komme in den Genuss einer Testfahrt mit Jürgens Rad, der Arme muss über den holprigen und verblockten Weg vor Gefrees mit meinem Packesel hoch, was er ohne Murren macht. Dann nach einem „Verhauer“ müssen wir zurück und in einen unwegsamen Singletrail einbiegen. Wieder mal versperrt ein riesiger umgestürzter Baum den Weg. Jürgen hilft mir mein Rad da drüber zu bekommen, allein hätte ich das wohl nicht geschafft. Noch ein kurzer Plausch und ich bin wieder allein. Danke, Jürgen, für die unterhaltsame Begleitung! Wieder im Wald allein. Ich höre Motorsägen-Lärm. Mit einem „Hallo“ versuche ich auf mich aufmerksam zu machen. War da irgendwo ein Schild gewesen? Nichts gesehen, mein Weg hatte mich aber durch zugewucherte Wildnis mit umgestürzten Bäumen hierhergebracht, da ging normal wohl niemand. Der Lärm verstummt, ich höre Hammergeräusche, klingt, als ob ein Keil in eine Kerbe geschlagen wird; ich bleibe zum Glück stehen, denn da hört man schon einen gewaltigen „Tusch“ und nicht weit von mir schlägt der Wipfel eines großen Baumes hart auf dem Boden auf. Oh oh! Glück gehabt. 

Durch die E-Bike-Fahrt hatte ich wohl einige „Körner“ gespart und nach Shopping in Gefrees in der Aral tanke, wo ich mich für das Frühstück eindecke, schaffe ich es in dem nun kühler werdenden Abend noch über den Großen Waldstein und nehme auch noch die nächste Steigung in Angriff. Interessant folgende Beobachtung. Nachdem ich von der E-Bike-Erfahrung wieder auf meinem eigenen Rad saß, hatte ich bei den Steigungen das Gefühl, dass das Rad von allein wegzieht, ähnlich, wie wenn man über eine schwankende Brücke geht und auf dem Festland das Gefühl hat, dass der Boden schwankt. Naja, schade, dass dieses Gefühl wenig später wieder dem mühsamen Bergauffahren Platz machte.

Schlafplatz hatte ich schon auf Google Maps gewählt, das Kornberghaus. Ein recht neues Restaurant neben einem Skilift, jetzt geschlossen und verwaist. Hier mein Zelt aufzustellen, bedeutet für mich nicht mitten im Wald zu campieren und damit fühlte ich mich nicht so schutzlos.

Aber was war das? Sobald ich mich häuslich einrichte, schwirren Millionen winziger Midges, die ich bei der letztjährigen GB-Duro von Schottland kenne. Unangenehm schwirren die kleinen Biester um Augen, Nase, Ohren und andere ungeschützte Körperteile. Mückenmittel hilft nicht. Ich werde gepiesackt mit kleinen Stichen, die Haut schwillt zumindest nicht auf, wie nach einem Mückenstich, zumindest noch nicht. Immer wieder renne ich hektisch zwischen Rad, das ich an die Wand des Hauses gestellt hatte und Zeltplatz hin und her. Es dauert immer nur kurz bis die Viecher mich wieder haben. Ich muss die Tierchen an der Nase rumführen, um beim Einsteigen in meine vier Wände nicht verfolgt zu werden. Bin ich froh, als ich im Zelt liege und meine Ruhe habe und glücklich, dass ich mich zuhause nicht für den Biwaksack entschieden zu haben.

Tag 6, Freitag, 7. Juli
135,25 km/ 2.373 Hm/ 10:02:31 h

Ich schlafe recht gut, bis ich im Morgengrauen irgendwo eine Tür höre und Stimmen, die sich entfernen. Da bin ich wohl doch nicht so einsam gewesen. Oder habe ich geträumt? Ich packe. Die Midges schlafen vermutlich noch. Ich lasse mir auf den nächsten Kilometern Zeit, ich hoffe nicht zu früh beim Bäcker in Rehau, das 2 Kilometer offroad liegt, zu sein. Aber keine Angst, für die 10 Kilometer brauche ich überdurchschnittlich lange, es geht immer wieder auf Trails durch den Wald, mehrmals verfahre ich mich, weil ich nicht merke, dass es wieder mal vom Schotterweg auf einen Singletrail geht. Ich höre ein seltsames Geräusch im Wald ähnlich Maschinengeräuschen, mal lauter, mal leiser. Ich denke schon Halluzinationen zu haben, da komme ich auf des Rätsels Lösung: Ich bin nicht weit weg von der Autobahn und dort gibt es um 6 Uhr morgens schon einen ziemlichen Verkehr.

Ich entscheide mich Rehau links liegen zu lassen und die nächste Ortschaft anzusteuern. Plötzlich sitzt vor mir auf einem schmalen verwurzelten und verblockten Trail ein großer schwarzer Hund mit dem Rücken zu mir. Das Herrchen ist 10 m weiter. Was tun? Wie mache ich mich bemerkbar? Wie wird das Tier reagieren? Ich sage mal laut „Guten Morgen“, aber Herrchen hört das wohl nicht. Dafür kommt der riesige Hund auf mich zu galoppiert. Schwanzwedelnd! Fritz, so sein Name, ist mir glücklicherweise freundlich gesinnt.

Frühstück im Wald mit Butterbretzel von gestern und einem nicht gekühlten Eiskaffee-Getränk. Schon der Gedanke an „Eis“ lässt mich schaudern. Es ist nämlich sehr frisch – grad mal 7° Celsius. Ich fahre mit Daunenjacke und überlege schon meine dünnen Wollhandschuhe anzuziehen, aber das wäre schon übertrieben mitten im Sommer. Weiter geht es. Ein dick mit frischem Schotter aufgefüllter Weg ist zu meistern. Mein Vorderrad schwimmt. Ich sehe nur eine Radspur, das heißt das ist ganz frisch.

In Kürze werde ich das erste Mal die tschechische grüne Grenze überfahren. Zum x-ten Mal fahre ich falsch, der nächste Singletrail biegt nämlich fast parallel zur Schotterpiste ab und bis Gabi und die Garmin drauf kommen, ist Gabi schon vorbei. Ich glaube, dass ich die 1700 km locker zusammen bekomme bis Kap Arkona.

Ich wechsle nach kurzem Tschechien-Intermezzo wieder nach Deutschland und Frühstück in Adorf ist angesagt. Was sich wohl im Supermarkt die Bäckersfrau an der Theke denkt von der „abgerissen“ aussehenden Frau mit Helm und nicht ganz sauberer Radkleidung, die in einer Fremdsprache, nämlich nicht Sächsisch, Kaffee, altdeutschen Quarkkuchen, eine Mohnstreuselschnitte,  zwei Bretzeln, und ein belegtes Brot bestellt? Misstrauisch werde ich beäugt und wenig freundlich abgefertigt. Ich bin im Vogtland, fahre nahe der tschechischen Grenze, die ich immer wieder überqueren werde. War es am Morgen noch unter 10°, so hat es jetzt beim Aufstieg schon über 28° und es geht die nächsten 50 km immer aufwärts bis zur höchsten Erhebung der gesamten Tour, dem Fichtelberg.

Aber zunächst wieder viel Wald durch die Sachsenforste, immer wieder unterbrochen von hübschen kleinen Singletrails. Mit einem leichten MTB wäre das total spritzig, aber so schaukele ich etwas schwerfällig durch die Gegend.

Hat es sich am Morgen recht schleppend angelassen, so geht es irgendwann recht zügig weiter. Bald geht es wieder über die Grenze, dort werde ich in einem Ort wohl Wasser nachfüllen müssen. Keine Ahnung, wie weit ich heute noch komme.

Johanngeorgenstadt ist eine Bergstadt im sächsischen Erzgebirgskreis. Sie liegt unmittelbar an der Grenze zu Tschechien. Komme ich aus endlosen Kilometern durch die sächsischen Forste, so erschlägt mich im ersten Moment der plötzliche Rummel und die vielen Souvenirläden und duty free Shops am Ortseingang. Ich umrunde den Kreisverkehr ganze drei Mal, bis ich mich entschlossen habe, was ich tun möchte. Ich kaufe in einem der Läden etwas Wasser und flüchte aus dem Getümmel.

Der mit etwas Angst erwartete Anstieg zum Fichtelberg ist milder als gedacht. Zunächst eine mäßig steigende Teerstraße, dann weiter auf angenehmem Schotterweg. Eine hübsch geschnitzte Bank lädt zum Verweilen ein und ich setze mich in den Schatten, um meine letzten Vorräte aufzuessen. Halt, nein, zuerst kommt mein Bike dran, die Kette muss dringend wieder mal geölt werden, so muss Apfel und Brot noch warten. Etwas weiter nutze ich ein Bächlein, um Abkühlung für mich zu suchen und mein Prokaliber zu säubern. Die letzten Tage hatten Spuren hinterlassen, die Farbe des Rades war kaum mehr zu erkennen.

Die letzten Kilometer doch noch mal Schieben angesagt, der grobe Untergrund und die Steilheit des Weges tun weh, überhaupt, wenn fünf Meter nebenan eine feine Asphaltstraße nach oben führt. Aber „Schwindeln“ ist nicht drin.   Belohnt werde ich auf dem Fichtelberg mit einem traumhaften Panorama und der Aussicht auf ein leckeres Essen, gefüllte Paprika mit Kartoffelpürree.

Da ich auf das Essen etwas warten muss, nutze ich die Zeit zur Körperpflege. Ob das die sanitären Anlagen des Restaurants wohl jemals gesehen hatten? Die Frau wäscht sich doch wirklich Füße, die Socken und die Haare, na sowas! Und die Überschwemmung unter dem Waschbecken, zum Glück hat das niemand gesehen. Ich muss sogar kurz das Männerklo heimsuchen, denn auf der Damenseite sind die Papierhandtücher ausgegangen. Wieder sauber am Tisch ist auch das Abendessen da. Es mundet göttlich.

Voller Energien mache ich mich dann an den Downhill. Im wahrsten Sinne des Wortes geht es steil und über Stock und Stein den Berg hinunter. Und dann sehe ich sie: die gelben Streckenschilder des Stoneman Miriquidi. Es heimatet, denn den Stoneman Gold bei mir daheim, in Sexten, haben wir schon absolviert. Bea (Sportmiez) hatte mich kontaktiert, sie wollte mich irgendwo abfangen, sie fahre heute den Stoneman Miriquidi, ich kenne sie vom Trans Balkan Race. Anscheinend bin ich aber zu schnell.

In Bärenstein muss ich meine Reserven auffüllen. Ich weiß gar nicht, wohin mit den ganzen Sachen. Der Ort liegt direkt an der deutsch-tschechischen Grenze, Grenzlinie ist der Pöhlbach und der Ort sozusagen zweigeteilt. Ich wechsle nun für ein paar Kilometer nach Tschechien. Einsame Wälder erwarten mich hier, mir ist hier etwas mulmig zumute, da die Dämmerung nicht weit ist, die Wälder düster, die Wege in einem Zustand, dass ich nur langsam weiterkomme.

Wollte ich zuerst bis zu einem Picknickplatz an einem Teich fahren, so entschließe ich kurzerhand in Jöhstadt zu nächtigen, in der Frühstückspension Schlösselmühle. Ob ich aber einen Platz bekomme? Laut Booking ist ausgebucht, auf meinen Anruf meldet sich niemand, der letzte Versuch ist auf der Rückseite des Gebäudes zu klingeln. Mit Erfolg. Die Wirtin kommt aus dem Garten. Ja, ein Zimmer habe sie noch frei, die anderen seien belegt mit einer Hochzeitsgesellschaft. Ich befürchte, dass es dann nachts lustig zugehen würde, aber weiterfahren ist keine Option. Von den Hochzeitsgästen höre ich nichts, mein Schlaf ist jedoch etwas unruhig, denn mitten in der Nacht beginnen meine Knöchel und Handgelenkt zu jucken. Interessanterweise trat die allergische Reaktion auf die Midges-Stiche an den ungeschützten Stellen vom Campen am Kornberghaus zuvor spät ein.

Tag 7, Samstag, 8. Juli
149 km/ 2.400 m/ 10:50 h

Halb fünf Weckruf meiner Uhr, ich habe die Erlaubnis mir im Gastraum einen Kaffee zu machen, esse von meinen Einkäufen in Bärenstein und bin kurz darauf wieder auf dem Weg. Heute ist es nicht so kalt wie gestern, auch im Wald kommt mir schon warme Luft entgegen. Ich bin gespannt, wie sich die Temperaturen heute entwickeln. Mir schwant nichts Gutes. Kilometerlang Singletrail durch eine Art Moorlandschaft, abgelöst von einem Waalweg. Schön verwurzelter Weg, so muss ich aufpassen, nicht im Wasser zu landen.

Dann bin ich am See, an dem ich eigentlich zelten wollte. Zwei Stunden war ich unterwegs, gut, dass ich die Pension gewählt habe. Mücken gibt es hier auch. Weiter nach kurzer Pause, nächste Anlaufstelle ist Olbernhau. Danach gibt es 100 Kilometer nichts mehr. Überheblich hatte ich beim Start gedacht, ich würde dort lange vor sieben sein, jetzt ist es schon halb acht vorbei. Die Strecken lassen sich schwer einschätzen.

Das nächste große Ziel ist vor 20 Uhr in Bad Schandau zu sein, denn anschließend gibt es fast 140 km keine Einkaufsmöglichkeit mehr.

Ich entscheide Olbernhau links liegen zu lassen, ist es doch off route. Ich habe noch einiges an Essen und bald kommt der Kurort Seiffen, dort sollte es eine Bäckerei geben. Etwas „weh“ tut es, dass der Ortskern dort etwa 100 Hm unterhalb der Strecke liegt, aber es lohnt sich bei der Bäckerei Schmieder einzukehren. Sehr netter Laden und leckeres Frühstück. Ich decke mich zudem mit Kuchen und Broten ein, denn vermutlich wird es lange nichts geben, wenn ich Bad Schandau nicht pünktlich erreiche, dann wohl sehr sehr lange. Zudem ist morgen Sonntag, da gibt es dann gar nichts. Es bleibt also spannend. Hatte ich das mit der mageren Versorgungslage im Osten im Vorfeld gelesen, ich realisiere es erst jetzt so richtig.  

Durch Wälder und grenzüberschreitende schön breite Wanderwege geht es zunächst weiter durch Sachsen. Interessantes Detail, am Wegesrand stehen Hunderte von kleinen weißen Täfelchen mit Namen von Frischvermählten drauf. Ist das hier so Brauch? Vielleicht soll das Glück bringen. Ich frage mich, ob die vielen Paare noch alle zusammen sind, die ältesten Schilder stehen hier schon über 20 Jahre.

Über einen holprigen Singletrail wechsle ich auf den nächsten feinen Schotterweg und werde aufgehalten von einem jungen Paar mit Gravelbikes. Ob ich einen passenden Inbus-Schlüssel habe. Sie sei da vorne über einen Reißnagel, von denen es da mehrere gebe, gefahren und jetzt ist der Reifen platt. Wir quatschen etwas, dann schiebe ich vorsichtshalber ein Stück. Reißzwecken … Wem fällt denn sowas ein. Nun wechselt der grenznahe Weg nach Tschechien. Die Wege werden wieder holpriger, ein schnelles Vorwärtskommen ist nicht. Zudem wieder mehrere „Verhauer“. Auch geht es jetzt durch wunderschöne aber der Sonne stark ausgesetzte Hochmoore. Die Sonne brennt vom Himmel. Ein kleiner Badesee am Weg kommt sehr gelegen. Schnell aus den Klamotten raus und auf dem Boden verstreut und rein ins Vergnügen. Bei der Hitze eine willkommene Abkühlung. Aber wie soll ich wieder raus? Ohne nichts an … Nicht alle baden hüllenlos.

 

Nun etwa 25 Kilometer, wie die italienischen Ciclisti sagen „falso piano“ … also es schaut auf der Karte eben aus, ist aber immer leicht aufwärts, hier auf der Karte leicht abwärts, fühlt sich aber an wie eine Steigung über Grasnarben, Singletrails. Etwas mühsam.

In Grenznähe nun die sehnlichst erwarteten ersten Felsformationen des Elbsandsteingebirges. Spektakel. Und bald erreiche ich auch den CP3, den Katzstein. 50 Stufen führen auf den Gipfel des Felsens, schwindelfrei muss man unbedingt sein, über die steile Leiter hochzukraxeln und vor allem wieder runter. Einen Fehltritt darf man sich keinesfalls erlauben. Zudem ist kein Mensch weit und breit und ein Unfall würde lange nicht bemerkt werden. Ich esse meinen Streuselkuchen, den ich schon den ganzen Tag mitschleppe.

Das ist wieder mal Grundlage einer wissenschaftlichen Studie. Frage: Was wird aus einem prismenförmigen Stück Streuselkuchen, das den ganzen Tag über Singletrails holpert? Genau, daraus entstehen andere geometrische Figuren, nämlich Kugeln. Und Nachtrag, Kefir, das den ganzen Tag durchgeschüttelt wird, verwandelt sich zu einer butterähnlichen Masse, aber trotzdem noch lecker. Man gönnt sich ja sonst nichts …

Nach kurzer Schiebepassage durch den Wald nun schnelle 10 Kilometer nach Bad Schandau. Ich suche den Supermarkt und ernte wieder mitleidige oder verständnislose Blicke. Die vielen eingekauften Sachen kann ich gar nicht unterbringen, vor allem ist viel Wasser wichtig für den nächsten Tag. Guter Rat ist nun teuer, ich schaue mich nach einer Unterkunft um. Verschwitzt wie ich bin, sehne ich mich nach einer kühlen Dusche und nach frisch gewaschener Rad-Kluft.

In Bad Schandau alles ausgebucht, auch in der näheren Umgebung. Schicksalsergeben fahre ich weiter. Dann werde ich halt zelten, aber wo? Zuerst führt mein Weg durch ein düsteres Tal, vorbei an einem riesigen historischen Fabriksgebäude, den Linoleumwerken von Kohlmühle. Beeindruckend. Es wird immer einsamer. Ich mache mir nun wirklich Gedanken um die kommende Nacht. Unvermutet wird es wieder lichter, ein Dorf, Lohsdorf, liegt vor mir und etwas abseits ein Picknickplatz. Juhu, das scheint der ideale Platz zu sein. Ich stelle, etwas versteckt hinter Tisch und Bank mein Zelt auf, richte mein Abendessen, griechischer „Salat“ in Form einer Packung Feta, einer Gurke und einem Schächtelchen Cocktailtomaten. Als Nachtisch gibt es Grießpudding. Lecker!

Die Sonne geht unter, ich telefoniere mit Hermann und nach kleiner Katzenwäsche verschwinde ich in meinen vier Wänden. Gute Nacht! Zuletzt war noch ein bisschen Pechtag: Beim Aufbau des Zeltes trete ich in einen Hering (nein, nicht auf einen Fisch), ein dicker Blutstropfen läuft vom Zeh, das Pflaster klebt nicht und als ich ins Zelt schlüpfe, merke ich unter mir eine Pfütze … Hilfe, bin ich undicht? Nein, der Trinkrucksack war unter die Matte gerutscht und das Mundstück nicht geschlossen. Mist. Dann werde ich besänftigt durch den Gedanken, dass ich genau hier, wo mein Zeltchen steht, auf Kilometer 1000 schlafe.

Vorwarnung: Was jetzt kommt, klingt manchmal unsäglich schwierig und mitunter ätzend. ABER ich muss vorwegnehmen, dass die meisten Streckenabschnitte wunderschön sind und fein zu fahren.

Tag 8, Sonntag, 9. Juli

171 km/ 1.600 m/ 10:40 h

Wecker um 4:45, in der Ferne gab es nachts irgendwo Musik. Disco? Es hat jetzt 11°, irgendwann hatte ich angefangen zu frösteln, Packen, Frühstück und los. Heute stehen die letzten „Berge“ auf dem Programm. Heute Sonntag ist alles geschlossen, mal sehen, ob ich irgendwo mal was zu essen finde. Gestern habe ich vergessen mein Smartphon unterwegs zu laden und habe dann entdeckt, dass die mitgeschleppte Powerbank leer ist. Dasselbe ist mir schon beim Trans Balkan Race passiert.

Wald und Felder wechseln sich ab, es geht nun wieder über die tschechische Grenze und Singletrails gibt es einige heute. In einem Dörfchen sehe ich einen Mann mit einer Einkaufstüte und zwei Joghurt in der Hand. Auf meine Frage, ob denn heute irgendwo ein Geschäft offen sei, bejaht er und zeigt in die andere Richtung. Erfreut fahre ich los, ein Kilometer, nichts, zwei Kilometer, drei … immer noch nichts. Also zurück, so weit wird der wohl nicht zu Fuß gegangen sein. Schade, ich hätte meine Vorräte gerne aufgefüllt.

Die Berge heute haben es in sich. 114 Höhenmeter, bei uns wäre das easy, hier kommt es mir wie der Everest vor, es ist so steil, dass ich schieben muss. Rund um mich zudem Brennnesseln und rankende Pflanzen, wer weiß, wie oft diese Wege begangen werden. Zu den vielen Mücken- und Midges-Stichen auf meinen Beinen kommen nun auch noch diverse Verletzungen durch Pflanzen dazu.

Auf der vorletzten Erhebung bekomme ich im Gasthaus Biehleboh zwar ohne Reservierung kein Frühstück am Buffet, aber ich kann Getränke und Erdbeerkuchen erwerben. Sehr lecker. Und der Kaffee weckt meine Lebensgeister, die durch die schwierigen Aufstiege hier irgendwie verloren gegangen waren, zudem waren wiedermal schweißtreibend ein paar Bäume zu überklettern gewesen. Ich muss weiter, es ist sehr heiß heute.

Der letzte Anstieg, Vortäuschung falscher Tatsachen, Garmin sagt „Anstieg abgeschlossen“, ich fahre erst mal falsch, da ich den Weg hinunter nehme, wieder zurück. Es geht einen zugewachsenen Fußweg hoch, es ist extrem heiß, ohne ein Lüftchen und das nachdem ich zuvor schon über einen Kilometer geschoben hatte und Baumstämme überklettert, aber dann kommt endlich der Moment: Ich bin oben auf dem letzten Hügel. Auf die Abfahrt hatte ich mich gefreut, aber auf dem zugewachsenen Weg liegen größere Äste und dicke Grasbüschel erfordern konzentriertes Fahren.

Irgendwann wird es leichter und ich komme an einem Brunnen vorbei. Nicht Trinkwasser, aber ich nutze die Gelegenheit mich in das eiskalte Wasser des Brunnens zu stellen und die Haut meiner Beine etwas zu betäuben, fast die gesamte freie Fläche ist nämlich übersät mit Pusteln, Quaddeln und Kratzern und es juckt fürchterlich.

Durch Felder radeln ist zwar auch heiß, aber der Fahrtwind kühlt zumindest etwas und dann die erste Sandpiste. Das wird noch lustig werden.

In Dauban mache ich Mittagspause im „Grillhaus“. Der iranische Chef richtet mir einen sagenhaften Salat-Teller mit Halloumi und Falafel. Abgerundet wird das Ganze von einem Latte Macchiato mit zwei Zucker und einem Eis.

Nicht lange nach meiner Mittagspause radle lange über einen flachen Asphalt-Radweg und lande fast direkt am FKK-Strand am Bärwalder See. Super! Nun muss ich nicht mal meinen Bikini rauskramen. Sagenhafte Erfrischung, ich mag gar nicht mehr raus aus dem kühlen Nass. Die lichten Kiefernwälder der Oberlausitz, die ich nun durchquere ´liefern kaum Schatten. Vorbei geht es an der Gedenkstätte Ravensbrück, das traurige Bekanntheit als Frauen-KZ erlangte.

Dann wird es wieder grüner. Bad Muskau mit seinen einzigartigen Parkanlagen im Stil englischer Landschaftsgärten. Am Stadtrand beginnt die Muskauer Heide, ein ausgedehntes Waldgebiet, das in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre das erste Revier der wieder in Deutschland ansässigen Wölfe wurde. Zum Glück hatte ich auf meiner einsamen Fahrt keine Begegnung mit den großen Raubtieren.

Nun muss ich über die deutsch-polnische Grenze und fahre gut 30 Kilometer immer nahe dem Fluss Neiße, der die Grenzlinie markiert. Hier ist es sehr einsam. Eine lange Sandpiste. Manchmal wirft es mich vom Rad, dann muss ich ein paar Meter aus dem tiefsten Sand rausschieben. Wenn ich Glück habe Reifenspuren von einem Auto, dort ist der Sand etwas verdichtet. Ist es mir hier schon etwas unheimlich, so sind die letzten etwa 10 Kilometer, die auf einem rumpeligen Plattenweg durch den Wald führen eine Steigerung von furchteinflößend. Das, was ich hier sehe ist geisterhaft: Im Kiefernwald ducken sich unzählbar viele verfallende Bauten in zugewachsene Kuhlen. Die leeren Fensterlöcher scheinen mich anzustarren. Trotz der Hitze fröstele ich. Ich nehme mir vor zuhause recherchieren*, was es mit diesem dämonischen Gebiet nahe der deutschen Grenze auf sich hat. Erleichtert bin ich, als ich in die Nähe von Forst komme und dann nach einem Tankstellen-Stopp die deutsche Grenze wieder überfahre.

In Forst wollte ich eigentlich in ein Restaurant, das ich auf Google Maps ausgemacht hatte, aber es gibt hier von Polen keine Brücke über die Neiße. Es hätte einen langen Umweg bedeutet. So ist die polnische Tankstelle mit angeschlossenem Shop unbedingte Pflicht, denn am nächsten Tag muss ich gut 100 Kilometer radeln, bis es wieder eine Versorgungsmöglichkeit gibt.

Recherche: Bei dem unheimlichen Wald handelt es sich um die Sprengchemie Forst-Scheuno, einer in der NS-Zeit, 1938, errichteten Sprengstoff-Fabrik.  Sie diente zur Herstellung von Munition aus Nitroglycerin. Das 550 Hektar große Areal umfasste circa 400 Gebäude, 80 km Straße und 36 km Gleise.

Ausgehungert futtere ich mich durch das Sortiment der Tankstelle. Die beiden polnischen Frauen behandeln mich sehr herablassend und unfreundlich und scheinen sich über mich lustig zu machen. Blöde Puten, Stephan ging es einen Tag später ähnlich, er meinte die seien einfach nur dumm. Dann folgen angenehme Kilometer auf dem Neiße-Radweg.

Bei Sonnenuntergang komme ich nach Grießen zum CP4, zum riesigen Gelände des Braunkohle-Tagebaus Jänschwalde. Im Tagebau wird hier auf 60 km² Braunkohle abgebaut. Nur ganz in der Ferne kann ich die enorm großen Abbaugeräte sehen.

Planmäßig bin ich hier, denn nur 5 Kilometer weiter habe ich schon zuhause meinen heutigen Schlafplatz ausgekundschaftet – einen Unterstand bei Taubendorf.  Unterstand finde ich zwar keinen, aber einen Picknickplatz. Mein Zeltchen stelle ich auf der Rückseite einer kleinen Freilichtbühne auf und habe mit einem Wasserhahn sogar „Dusch- und Waschmöglichkeit“. So kommt sogar meine mitgeführte Wäscheleine zum Einsatz. Ich bin alleine, kein Dorfbewohner lässt sich blicken. Eingelullt werde ich durch den leisen Erntemaschinen-„Lärm“ in der Ferne. Die Getreide-Ernte geht bis etwa zum Dunkelwerden gegen 23 Uhr.

Tag 9, Montag, 10. Juli
174 km/ 900 m/ 11:30 h

Pünktlich zur Morgen-Dämmerung, noch vor 4 Uhr, wird auf den viele Hektar großen Feldern in der Nachbarschaft wieder fleißig weitergearbeitet. Zeit für mich, mich aus meinem Schlafsack zu pellen und ans Packen zu gehen. Frühstück vor der Abfahrt. Das vermeintliche Trinkjoghurt von der Tankstelle gestern entpuppt sich als Erdbeermilch, rosarot und geschmacklich ähnlich der Zahnpasta aus meiner Kinderzeit. Grässlich!

Bald der erste „Verhauer“, mein Weg zweigt links ab in ein dichtes Brennnesselgebüsch. Es geht auf Sand aufwärts, ein Baum versperrt den Weg, ich muss mein Rad ein paar Meter den Hang hochwuchten, um den Baum herum. Dann schon der nächste. Meine Beine sind zerkratzt und zerstochen. Nun kommt ein weiterer etwas unheimlicher Teil. Es geht durch den Wald, linkerhand verfallende Stützen mit rostigem Stacheldraht, weitere über den Weg gestürzte Bäume, von Wildschweinen aufgewühlter Boden, irgendwo liegt ein weißer sauber abgenagter Schädel herum. Im Gras und Moos kann ich nur drei Radspuren ausmachen. Ich glaube außer uns kommt hier wohl nie jemand vorbei. Schnell weiter!

Es fängt an zu tröpfeln. Dann wieder Felder. In der Ferne sehe ich große graue Vögel herumstolzieren, Kraniche, wie ich später erfahre. Dann wieder Wald und Sandpiste. Ein großer Holztransporter vor mir, er sieht mich nicht, ich komme nicht vorbei. Sand, Sand, ja nicht zu schnell rein fahren, das Vorderrad schlingert, das hinten zieht nach und man steht ohne Vorwarnung still und es wirft einen runter. Nach dem Sand folgen Kilometer Plattenweg, der einen durchrüttelt. Dann wieder Schotter- Sand-Gemisch. Schon seit Wegfahren am Morgen überlege ich, wie die Bäume mit den großen Dornen dran heißen. Jetzt fällt es mir ein: Akazien. Bin ich froh, dass ich schlauchlose Reifen fahre.

Irgendwann überquert ein Reh den Weg, dann ein zweites. Genau zwischen einem entgegenkommenden Radfahrer und mir. Beide bremsen wir und tauschen uns etwas aus. Es ist ein Belgier, der auch auf der BTG unterwegs ist, allerdings in umgekehrter Richtung.

Jeder Richtungswechsel wird herbei gesehnt, wenn es mal schwieriger wird, ob es nach der nächsten Kreuzung dann besser oder schlechter ist, wird sich dann rausstellen. Jetzt grad zwei Kilometer Singletrail um einen See rum. Fein, allerdings viele Hindernisse und so ein Wechsel von Schieben, Tragen, Fahren. In der Ferne fängt es an zu grollen, Gewitter? Ich komme an einem Schild im Wald vorbei „Wölfe suchen auch in diesem Gebiet nach Nahrung, Hunde an kurzer Leine führen, Kinder bitte beaufsichtigen“ Oh oh! Was ist mit Radfahrerinnen, die allein durch den Wald radeln? Soll ich mein Pfefferspray bereit halten?

Immer wieder absolute „Willenbrecher“-Wege: man kommt nur langsam weiter, muss immer wieder absteigen und aus dem Sand raus schieben. So hatte ich mir das Fahren nach den Bergen nicht vorgestellt. Ich bin zweieinhalb Stunden unterwegs und habe nicht mal 30 Kilometer hinter mir. Ich ahnte schon, dass ich mir die Berge noch mal herbeiwünschen würde. Es geht hoch und wieder runter und hier eben, aber im Schritttempo. Anstrengend. Ich schaue inzwischen verboten aus, übersät von blauen Flecken, Schrammen, Stichen. Kein Wunder, dass die Leute im Supermarkt in Fürstenwalde mich so komisch anschauen. Wieder 10 Kilometer Singletrail, richtig nett, das einzige Lästige, wenn man mal langsamer wird oder stehen bleiben muss, um ein Törchen auf- und zuzumachen, wird man überfallen von unzähligen Stechmücken.

Viele Seen gibt es hier. Wieder mal einer. Schnell Rad-, Körper- und Kleiderpflege, vor allem die Socken haben es bitter nötig, dann schnell hüllenlos reingehüpft, bevor jemand vorbeispaziert. Heute ist wirklich Seen-Tag. Irgendwann am späten Nachmittag setze ich in der WhatsApp-Gruppe die Nachricht ab, ich mag keine Singletrails mehr. Irgendwann dann liegt eine kleine Ortschaft an der Strecke. Frustriert will mir eine gemütliche Unterkunft suchen, keine Lust mehr auf Gelände und Mücken. Der Blick auf meine Uhr aber sagt, es ist noch zu früh. Eigentlich wäre geplanter Endpunkt heute ja eine Radpension in Joachimsthal. Die sollte ich erreichen, um am Tag darauf um 20 Uhr die letzte Fähre in Aalbude zu erwischen. Also weiter. Es geht weiter wie gehabt, viele See-Ufer, viel Dschungel.

Zwei Stunden später aber gebe ich auf. Egal, dann halt nicht Joachimsthal. Ich telefoniere mit einem Hotel beim Schiffshebewerk Niederfinow. Die haben zum Glück noch ein Zimmer frei. Es gibt Abendessen und ich bleibe sogar noch bis zum Frühstück. Aalbude wird sich eh nicht ausgehen zeitlich. Ist aber auch nicht so schlimm, denn dort gibt es eine Ausweichstrecke. Aber wer fährt denn freiwillig gerne 13 Kilometer mehr, als er/ sie muss?

Tag 10, Dienstag, 11. Juli
184 km/ 1.100 m/ 10:40 h

Nach dem Frühstück radle ich am Schiffshebewerk vorbei. Das 1934 in Betrieb genommene Schiffshebewerk Niederfinow ist das älteste noch arbeitende Schiffshebewerk Deutschlands, daneben steht ein Neubau von 2022, das noch größere Schiffe 36m heben kann. Die enormen Bauwerke ermöglichen die Verbindung der Havel-Oder-Wassersstraße. Der Wassertrog ist über 100m lang, etwa 30m breit und hat eine Tiefe von 4m. Unvorstellbar für mich, dass man damit große Schiffe etwa 40m heben kann. Das würde ich mir gerne mal in Betrieb ansehen, aber ich habe keine Zeit dafür.

Jetzt geht es schon wieder in den Wald. Etwas ist hier neu und wird mir bis ins Ziel immer wieder begegnen, besonders bei den Ortsdurchfahrten: ein unregelmäßiges kantiges Kopfsteinpflaster. Die Autos sollen wohl daran gehindert werden zu schnell zu fahren, mit dem MTB ist es ziemlich unangenehm, wenn nicht die Möglichkeit besteht am Rand auf Gras oder Sand auszuweichen, dann bin ich zu Schritttempo gezwungen. Ich komme am Kloster Chorin vorbei, Kirche und Gebäude sehr schön aus roten Backsteinen gefertigt. Dann wieder Kopfsteinpflaster. Und es gibt sogar einen Berg hier. 8% Steigung. Aber da wo es hochgeht, da kann man auch wieder runter rollen. Entlastung für die Beine, die hier sonst in Dauerbeanspruchung pedalieren.

Ohne Vorwarnung wieder mal ein tiefes Sandstück, dann geht es wieder hoch, dann bin ich da, wo ich gestern aufgehört hatte, einen Singletrail durch den Wald. Vorbei an Joachimsthal auf einem feinen Radweg. Den Weg hierher hätte ich vor Dunkelwerden wohl nicht geschafft. Immer wieder geht es mal aufwärts. Ja, es gibt Hügel hier. Trotz Mückenmittel laben sich gleich wieder zig Mücken an mir und zugleich bleibt der Sand so schön an den Beinen kleben. Sandpiste: eineinhalb Stunden für läppische 15 km. Davor im Wald irgendein Geräusch. Was war das? Ein Hund in dieser Einsamkeit? Besser schnell weg!

Auch heute wieder Bäume im Weg, stehen bleiben, darüber heben. Ätzend! Brombeer-Ranken zerkratzen meine mückengepeinigten Beine.

Dann habe ich CP5 erreicht, die Air Base Groß Dölln. Zur Zeit seiner militärischen Nutzung von 1955 bis 1994 durch die sowjetischen Luftstreitkräfte war Templin der größte Militärflugplatz auf dem Gebiet der DDR. Jetzt sind die Flächen ein Solarpark.

Ausweichstrecke wegen Schleusenbau. Zunächst feiner Radweg, dann wie gehabt Sand. Mein erster Sturz. Man fällt zwar relativ weich, aber alles ist voller Sand. In Himmelpfort mache ich Halt in einer Fischbude. Es gibt leckeres Fischbrötchen. Ich mache den Fehler hier kein Wasser zu kaufen, nun ist es schon wieder Nachmittag und ich habe fast kein Wasser mehr. 50 Kilometer liegen vor mir, bis ich wieder was einkaufen kann. Ich bin gerade am Rechnen, wie langsam ich bin, da vor mir eine Absperrung wegen Holzarbeiten, der Weg nach links auch gesperrt. Durchgang strengstens verboten. Was tun? Meine Garmin wirft keine überschaubare Umleitung aus. Ich kann doch nicht 10 Kilometer zurück? Ich schlüpfe durch und schiebe mein Rad unschlüssig weiter. Welche Ausrede sollte ich wählen, wenn ich einen Forstbeamten treffe? Neben dem Weg aufgestapelte Baumstämme, aber weit und breit keine Menschenseele. Ich höre in weiter Ferne Maschinen und entscheide weiterzufahren – Gefahr ist hier, wo ich bin, keine. Nach kurzer Zeit schlüpfe ich unter der Absperrung in der Gegenrichtung durch. Gerettet! Jetzt geht es weiter in der Sonne. Es ist heiß und ich entscheide mich für einen kurzen Badestopp am nächsten See.

In Möllenhagen etwa 40 Kilometer vor Aalbude endlich ein Supermarkt. Ich lasse mir Zeit, esse gemütlich, überlege, wie ich die ganzen Sachen bunkern kann und muss mehrmals umpacken. Ich brauche viel, da am letzten Tag wieder flaute ist mit Einkaufsmöglichkeiten. Ich brauche mich aber nicht beeilen, die letzte Fähre würde ich sowieso nicht erwischen.

Kurz vor 20 Uhr bin ich kurz vor dem Kummerower See. Am Ostende des Sees fährt zu der Zeit gerade die letzte Fähre. Ich könnte ja am Campingplatz übernachten. Es meldet sich auf meinen Anruf niemand und so biege ich erst mal in den Singletrail um den See ein. Ich finde ein wunderschönes Picknickplätzchen, Bank und Tisch, rundherum gemäht, aber in Sichtweise von einer Bungalow-Siedlung. Hier möchte ich bleiben.

Ob mich da wohl jemand aus der Siedlung wegschickt? Nebenan gibt es schließlich einen Campingplatz. Misstrauisch äuge ich immer wieder zu den Häuschen in erster Reihe, alles ruhig. Ich esse zunächst mal meine Gurke mit Tomaten und Feta, alias griechischen Salat. Bei Sonnenuntergang fange ich an mein Zeltchen aufzubauen, fixiere es zwischen Bank und Zaun, da ein kräftiger Wind aufgefrischt hat. Niemand beschwert sich. Dann „Gute Nacht!“

Tag 11, Mittwoch, 12. Juli
162 km/ 670 m/ 8:50

Uhr-Weckruf recht früh wieder, denn ich will nicht zu spät in Kap Arkona ankommen. Ich habe bisher nur bis ans Ziel gedacht, was dann kommt – keine Ahnung. Aber besser dann nicht zu spät dort zu sein. Der Wind war noch etwas stärker geworden. Ich habe mit Zelt, Schlafsack und Matte zu kämpfen, die der Wind an sich reißen will. Der Himmel ist bleiern. Ich esse was und breche auf. Singletrail weiter um den See. Mehr schieben als fahren. Am Hafen vorbei und am Campingplatz. Dann höre ich es grollen in der Ferne. Die erste Fähre würde erst in 4 Stunden fahren, so bin ich wohl zur Ausweichstrecke gezwungen. Die ersten Tropfen. In Aalbude rette mich in ein Bushäuschen aus Blech. Da fängt es auch schon an. Weltuntergangsstimmung. Blitze aus allen Richtungen, es fängt an wie aus Kübeln zu schütten. Etwas mulmig ist mir schon zumute, ob das Häuschen wohl im Ernstfall wie ein Faradayscher Käfig wäre, es ist ja schließlich nicht rundum geschlossen. Jetzt sitze ich hier fest. Wann ich wohl in Kap Arkona ankommen würde, ist fraglich, ob ich dann ein Zimmer finden würde, ist ebenso fraglich. Ich frühstücke erst mal meinen Milchreis. Welch ein Glück, dass ich so früh mein Zelt zusammengebaut hatte, etwas später und alles wäre durchnässt gewesen.

Das Regenradar zeigt, ich bin im Zentrum des Unwetters, aber in etwa einer Stunde wird alles vorbei sein. Als es aufhört zu blitzen, radle ich weiter. Regenjacke und – hose sind in Kürze klatschnass. Die Ausweichstrecke hat auch was Gutes, viel läuft auf Teer und in Demmin komme ich an der Tankstelle in den Genuss von Latte Macchiato (mit zwei Zucker) und einem Croissant. Weiter ein kurzes Stück Waldweg, das Rad ist in Kürze verdreckt. In einem Garten sehe ich einen Mann graben und frage, ob er einen Gartenschlauch habe, wo ich mein Rad etwas reinigen könnte. Erst guckt er verständnislos, das hat er wohl noch nie erlebt. Dann dauert es nicht lange und ich muss wieder vom Radweg runter und über matschige Pfade. Schade, das Rad schaut wieder aus wie die Sau. Friedhofstopp und oberflächliche Reinigung. Weiter und wieder Matsch. Ich glaube, Reinigungsaktionen haben heute keinen Sinn.

Heute komme ich etwas rascher weiter als an den letzten Tagen. Zwischendurch wieder mal Kopfsteinpflaster und Sandpiste. Vor Stralsund kann ich aber kilometerlang einen Radweg entlangdüsen. Vor mir die hohe Brücke hinüber nach Rügen. Ich rätsele eine Weile, wie ich dort hinaufkommen sollte, Beschilderung gab es keine. Meine treue Garmin zeigt mir dann, dass ich nicht über die Rügenbrücke muss, sondern über den Rügendamm direkt vor meiner Nase. Auf Rügen meldet mein Vorderrad, dass ich wohl in irgendwas gefahren bin, es zischt Luft heraus, die Dichtmilch tut jedoch, was sie tun soll und es ist bald wieder Ruhe am Reifen.  

Im ersten Dörfchen mein zweiter Friedhofstopp heute, der Himmel ist nun blau, die Aktion könnte Erfolg haben, wenn schon ich nicht mehr ganz sauber bin, so soll zumindest mein Gefährt nicht so ungepflegt über Rügen düsen.  Ich hole mir eine Gießkanne,  suche das Wasser, finde es am gegenüberliegenden Ende des Friedhofs, wie unpraktisch. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Dann meinen Picknickkorb ausgepackt. Hier ist es so friedlich und ruhig. Ein Senior gesellt sich zu mir, er ist auf Besuch bei seiner Frau. Nun ist es nicht mehr so ruhig, er erzählt mir seine gesamte Lebensgeschichte.

Weiter geht es. Die Wittower Fähre werde ich leicht erreichen. Der Wind treibt mich an der Küste entlang. Der Plattenweg rüttelt mich etwas durch. Auf einmal ein komisches Geräusch hinten. Ich bleibe stehen und richte meine Tailfin-Tasche hinten. Die Befestigung an der Sattelstütze ist etwas nach unten gerutscht und womöglich ist sie auf dem Reifen aufgesessen bei einem Holperer. Irgendwie kommt mir beim Weiterfahren vor, dass das Rad beim Lenken etwas „schwimmt“. Ich bleibe wieder stehen und greife nach dem Hinterreifen. Oh, da ist aber wenig Luft drin. Luftpumpe rausgepult. Irgendwie funktioniert da was nicht, auf jeden Fall zischt die Luft beim Pumpenschlauch raus und nicht rein in den Reifen. Oje!  Ich fahre zurück, auf einer Bank saß ein Radfahrer-Paar aus Belgien. Mit geliehender Pumpe wird der Reifen schön prall, aber als wir noch etwas quatschen, ist der Reifen wie davor.

Anscheinend gibt es ein Loch das sich dehnt und das Luft entweichen lässt, bis der verkleinernde Druck wieder ausgleicht. Ich fahre weiter. Was soll ich aber tun, wenn die Luft ganz raus geht? Ich habe keine funktionsfähige Pumpe. Ich kann einen Schlauch einlegen, aber ob dann wieder jemand mit Pumpe vorbei kommt? Ob ich am Abend wohl in Kap Arkona ankommen werde? Glücklicherweise entweicht nicht mehr Luft aus dem Reifen, obwohl ich immer wieder argwöhnisch nach unten gucke. In Wiek mache ich einen Kaffee-Stopp. Latte Macchiato (mit zwei Zucker), Mohnkuchen, Erdbeer-Schnitte und Bienenstich. Ich hatte entdeckt, dass mein Smartphon fast leer ist und darf es im Geschäft anstecken, allerdings wollen sie in Kürze schließen. Dann weiter. Die Wittower Fähre ist nicht mehr weit, ich habe allerdings Gegenwind. Übergesetzt wird von der Süd- zur Nordseite der Insel und nun fehlen nur wenige Kilometer auf flowigem singletrailartigem Weg bis Kap Arkona. Dann stehe ich unter dem backsteinernen Leuchtturm. Etwas ratlos.

Eine lange Reise mit vielen Abenteuern ist vorbei. Es war eine Herausforderung sich ganz allein auf den Weg zu machen und ich bin dankbar, dass es keine technischen oder gesundheitlichen Probleme gab. Begeistert bin ich von den schönen einsamen Landschaften, die Deutschland zu bieten hat. Die unangenehmen Situationen habe ich längst vergessen.

Die Heimreise wird wohl die größere Challenge werden.

Mit oder nicht mit – das ist hier die Frage:

Mit 26 kg Rad und Gepäck hatte ich gefühlt sehr viel mit, bekleidungsmäßig habe ich alles gebraucht, auch die warmen Sachen. Ein paar Dinge könnte ich aber zuhause lassen …

Was ich alles umsonst mitgeschleppt habe:

  • Powerbank, die sich in Kürze selbst entleert
  • 2x gefriergetrocknetes Mahl
  • Snickers, Twix, Riegel – nach den heißen Tagen nur noch seltsam geformte Häufchen
  • Bärenglocke, bimmelte verhalten in der Tasche rum
  • Bikini und Handtuch – in den Seen badete ich hüllenlos oder in Unterwäsche, bei der Hitze trocknet man schnell ohne Handtuch

Zum Glück „umsonst“, muss aber mit:

  • Medikamente
  • Werkzeug (bis auf einen Inbus für andere)
  • Luftpumpe, funktionierte in Rügen eh nicht

Trans Balkan Race 2023

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Das Trans Balkan Race ist ein ABENTEUER über die Grenzen des Balkans hinweg. 1300 Kilometer mit dem Mountainbike durch die unberührte Natur von 11 Nationalparks – von Sežana (Slowenien) bis Risan im Golf von Kotor (Montenegro). Angekommen sind wieder mal nicht mal 50% der Starter, warum wohl … Genauere Infos hier: Trans Balkan Race … Daten & Fakten

Zuerst mein Video:

TAG 1 – 183 km/ 3800 Hm

Pünktlich um 8 Uhr geht es in Sežana in Slowenien nicht weit entfernt von Triest los – das Trans Balkan Race. Gleich zu anfangs zeigt sich, wer sein Zeug gut verpackt hat, über das ruppige steinige Terrain ´rollen schon nach weniger als einem Kilometer Flaschen, Riegel und Sonstiges. Einer hat Riesenglück, er steht da und klaubt die Fetzen seiner reflektierenden Hosentäger aus den Speichen. Das hätte ins Auge gehen können.

Nicht lange dauert es und eine Steinstufe bremst mich ab, mein Fuß schafft es nicht rechtzeitig aus dem Klickpedal und ein stacheliger Strauch fängt mich unsanft auf. Aua!

Zudem ist es heiß, „noch“ zeigt sich kein Wölkchen am Himmel. Stetig geht es aufwärts bis auf eine blumenübersäte Hochfläche, wunderschöne Aussicht inklusive. Der erste Brunnen, einer der wenigen auf unserer Fahrt nach Süden, ist sehr willkommen und wenig später gibt es Eis in einem Dörfchen unterwegs. Andrea und Gosia fahren vorbei. Etwas später kommt uns Gosia entgegen, Schrammen auf Armen und Beinen. Das Schaltwerk ist verbogen, leider bekommen wir das auch nicht repariert. Mit Tränen in den Augen hat sie vor auszusteigen. Es wird wieder unwegsam, noch ein paar Mal geht es Auf und Ab, zwar oft steil, aber meist nicht sehr viele Höhenmeter. Trotzdem läppert es sich zusammen, beim „Schlafengehen“ werden es bei 182 Kilometern fast 4000 Höhenmeter sein.

In Fužine sind wir zum Glück pünktlich zum Supermarkt-Stopp, denn auf den nächsten 150 km gibt es nichts. Dann stärken wir uns noch mit Suppe und Gnocchi im Restaurant. Ein Paar aus Südafrika quartiert sich hier ein, Neid, denn wir wollen noch weiter. Gosia, die trotzdem nachgekommen war, der aber in den steilen Aufstiegen der leichteste Gang fehlte, und Andrea fahren auch weiter. Da Wolken aufziehen, möchte Hermann zum Parkwächterhäuschen am Eingang des Velebit. Dort hätte man vielleicht ein Dach über dem Kopf.

Irgendwann wird es weglos, rundherum das Wummern unzähliger Windräder auf dem Bergkamm. Kein Wärterhaus in Sicht entschließen wir uns auf einer kleinen Wiese niederzulassen.

Mit etwas Angst verlasse ich den Weg, wir sind schließlich in der Minen-Warning-Zone und man sollte hier keinesfalls vom Weg runter. Ich schlafe mäßig bis garnicht, der Wind beutelt mein Mini-Zelt und der Lärm der riesigen Windräder um uns reißt mich immer wieder aus dem Schlaf. Die Ohrenstöpsel helfen nichts, denn mit einem „Plopp“ springen sie immer wieder aus meinen Ohren. Nach ein paar Stunden, gegen 5 Uhr machen wir uns wieder auf den Weg.

TAG 2 – 155 km/ 3000 Hm

Auf holprigen Wegen geht es weiter und immer wieder erhaschen wir Traumausblicke auf das türkisblaue Meer und die der Küste vorgelagerten Inseln. Dann müssen wir uns verabschieden von den Meer-Tiefblicken. Erst in Kotor, 9 Tage später, wird das Meer uns wieder begrüßen, hoffentlich! 

9Tage mit unzähligen Pfützen

Nun geht es waldig weiter. Irgendwann kommen wir nun auch am Parkwärter-Häuschen vorbei, bei dem wir je 5€ Eintritt zahlen müssen. Da hätten wir nachts aber noch ganz schön weit fahren müssen …  Irgendwann überholt uns auch Gosia, die von ihrer abenteuerlichen Nachtunterkunft erzählt. Sie überholt uns, klar, sie ist ja ohne leichtesten Gang schneller. Am Ende des Tages werde ich das Gefühl haben, den ganzen Tag nur Wald, Wald und nochmal Wald gesehen zu haben.

Bären? Bis auf meinen kleinen weißen Teddy haben wir keine gesehen, zwei Teilnehmer aber hatten eine Bärenbegegnung. Wir sahen nur viel „Bärendreck“, ja genau, der sah ähnlich aus wie Lakritz, jetzt weiß ich auch, warum diese schwarzglänzende Süßigkeit bei uns „Bärendreck“ genannt wird.  Den kurzen Abstecher zum höchsten Punkt, der Hütte Dom Zavižan, sparen wir uns. Dort soll es eh nur Cola und Bier geben.

Kurz vor Gospić, irgendwo werden wir über die kroatische grüne Grenze gerollt sein, gibt es einen Restaurant-Stopp und dann „überfallen“ wir auch noch einen Supermarkt im Ort und decken uns ein für die nächsten 180 Kilometer ohne Einkaufmöglichkeit.

Als wir aus dem Ort fahren, fängt es an zu regnen, zum Glück hört es bald wieder auf, der Untergrund jedoch zeigt uns, was wir in den nächsten Tagen noch zur Genüge haben würden: jede Menge Pfützen und Matsch. Wir wollen noch über den nächsten Hügel und uns einen Schlafplatz suchen. Dieser ist gefunden, Hermann tritt in einen Kuhfladen. Wir wähnen uns in der Einsamkeit, aber Motorgeräusche belehren uns eines anderen. Irgendein Karren fährt vorbei. Wenig später kommt er in der Gegenrichtung wieder vorbei, bleibt stehen, jemand kurbelt das Fenster runter und fragt in gebrochenem Englisch, was wir hier machen. Wir sollten vorsichtig sein, wegen des „big bear“.  Was? Ein Bär? Ich frage nach. Da ertönt Gelächter von den hinteren Sitzen. Jemand ruft noch „Spaghetti!“, keine Ahnung, warum. Wollten die uns „veräppeln“? In meinem Zelt, eingemummelt in meinen Schlafsack versuche ich einzuschlafen. Immer wieder schrecke ich hoch. Was war das? Dauernd höre ich Geräusche.

TAG 3 – 122 km/ 2300 Hm

Irgendwann dämmert es, der Wecker geht ab und ich packe mein Zeug zusammen. Es ist nebelig, alles ist triefend nass.

Kurz darauf sitzen wir wieder auf unseren Bikes und schon kommen wir am ersten Bauernhaus vorbei. Ich kurve um einen schwarzen anscheinend friedlichen Hund herum. Hermann hinter mir ist plötzlich umzingelt von den fünf schwarzen Brüdern und Schwestern. Das Sprichwort sagt ja: „Den Letzten beißen die Hunde“. Hermann geht lieber ein Stück zu Fuß.

Noch das Gebell in den Ohren sehe ich vor mir einen älteren Bauern mit einem Schäferhund. Mit einem Stock wehrt das Herrchen den Hund von mir ab. Auf Sprache reagiert das Tier anscheinend nicht. Ich fahre langsam vorbei. Ich bin schon fast außer Sicht, da höre ich hinter mir Schreien – und den Schäferhund im Streckengalopp auf mich zuschießen. In einer hundertstel Sekunde treffe ich eine Entscheidung. Was hatte Bea geschrieben im Race-Manual? Ja nicht versuchen davonzufahren, Hunde sind immer schneller. Also lege ich eine Vollbremsung ein und schaue dem Vieh entgegen, grimmig. Der Hund macht dasselbe wie ich, aus Vollgas eine Vollbremsung. Ich muss fast lachen, denn das Tier rutscht auf dem glatten Teerboden aus und schlittert dahin – wie in einem Comic … Dann sucht er das Weite.   

Ein paar Kilometer geht es nun durch landwirtschaftliches Grün. Auf dem holprigen Wiesenboden höre ich ein seltsames Geräusch, ein Klappern, irgendwo an meinem Rad. Das wird mich den ganzen Tag verfolgen und mir noch einiges Kopfzerbrechen bereiten. Dann und wann fahren wir an Radfahrern vorbei, die ihr Nachtequipment zusammenpacken. Und dann geht es wieder aufwärts. Bei Sonnenaufgang Steh-Frühstück mit Kefir und Brot. Michael gesellt sich zu uns, ihn werden wir noch öfters begegnen. Er ist mit einer Rohloff-Schaltung und Zahnriemen unterwegs.

Auch heute werden wir viel im Wald unterwegs sein. Immer wieder erinnert mich das Klappern bei jeder noch so kleinen Unebenheit, dass mich ein technisches Problem früher oder später ausbremsen würde. Zu schade! Pfützen und Matsch begleiten uns und irgendwann ist eine Radpflege fällig. Hermann schmiert die Ketten, dann versuchen wir nochmal rauszufinden, woher das Klappern kommt. Wir montieren die Taschen der Reihe nach ab und kommen drauf, dass die hintere Tasche das Geräusch verursacht. Falls sie unterwegs „den Geist aufgibt“, wo soll ich alle meine Sachen unterbringen? Könnte ich da noch weiter machen?

Irgendwann, ich werde schon langsam „stuff“ von dem ständigen Wald, treten wir aus dem undurchdringlichen Grün. Unter uns ein blühendes Tal. Auf Asphalt geht es ein paar Kilometer zur ersten Kontrollstelle. Hier können wir uns stärken mit Pasta. Ich dusche und wasche meine Sachen, bis zum Weiterfahren trocknet alles in der Sonne und der leichten Brise.  Es ist recht nett mit den anderen etwas Erfahrungen auszutauschen, beispielsweise mit dem lustigen Dave, dem Engländer, der in Berlin lebt. Dieser, 28 Jahre alt, meint, er habe gerade mit seiner Freundin gesprochen und ihr erzählt wie toll er es findet, dass Frauen, wie Andrea und ich DAS HIER durchziehen. Was er damit wohl meint? Frauen in unserem Alter, also 50+ oder allgemein Frauen. Viele sind ja nicht mehr im Rennen, wie wir auf follow.me erkennen können. Ziemlich einige, auch viele Männer, haben schon den Shortcut der Küste entlang gewählt. Schade, denn jetzt geht es nach den Wald-Tagen so richtig spannend los. Aber so richtig …!!!

Gestärkt geht es weiter. Bald wird es trailig. Nicht selten muss ich absteigen und ein Stück schieben. Hier ist Dave voll in seinem Element, er ist schon mit einem Höllenzahn an uns vorbei. Ob das wohl gut geht?

Der erste Berg naht. Steil geht es hoch. Weiter vorn noch steiler, hier sehen wir Andrea schieben. In näherer Ferne ein Grollen. Mein Blick wandert nach oben. Kohlrabenschwarze Wolken haben sich zusammengeballt. Und wir sind hier im Anstieg auf eine Hochfläche. Mein Puls steigt, nicht nur wegen der Anstrengung. Oben geht es noch etwas auf und ab. Der Stress lässt meine Energien schwinden, denn es wird immer dunkler rund um uns. Und „Versteck“ ist keines in Sicht. Andrea ist schon aus unserem Sichtfeld verschwunden. Sie wird uns nachher erzählen, dass sie und Marco einen Unterschlupf gesucht hatten. Karsttrichter, so genannte Dolinen, hätten sich angeboten, aber davor wird gewarnt. Hermann meint, wir sollten irgendwas machen, bevor es so richtig losgehe. Bei einer Gruppe kleiner Bäumchen zieht er seinen Biwaksack heraus und wir quetschen uns beide hinein. Bei jedem Blitz zähle ich und rechne. Meine Angst weicht irgendwie einer Schicksalsergebenheit.

So richtig hart kommt es nicht, wir packen wieder. Nun beginnt es stärker zu regnen. Die Abfahrt auf einem sehr steilen steinigen Wanderweg fordert einiges von mir. Es ist rutschig wie Seife. Es dämmert schon, als wir im Tal wieder auf Asphalt fahren können. Einige Häuser bilden den Weiler Velika Popina. Etwas weiter kommen mir Dave und ein anderer Radfahrer entgegen. Nanu? Da es bei heranbrechender Dunkelheit und dem Regen nicht sinnvoll sei, den nächsten Berg anzugehen, hätten sie beschlossen zurück zu dem Haus zu fahren, in dem einige Kerle sich sicher nicht erst seit Kurzem eine feuchtfröhliche Feier lieferten. Durchnässt wie ich bin fahre ich mit. Unterwegs sehe ich eine Gestalt in einem Garten vor einem neuen Haus. Ich versuche in meinem gebrochenen Englisch unsere Lage zu erklären und frage, ob es im Ort nicht ein Hotel gäbe. Das Irrwitzige dieser Frage wird mir erst hinterher bewusst. Ein Hotel bei drei Häusern am Ende der Welt? Vielleicht war mein Hintergedanke, dass wir in seinem neuen Haus ein Plätzchen für unser Biwak bekommen könnten…

Nikola, so werden wir nicht lange später erfahren, denkt etwas nach, dann erhellt sich sein Gesicht und inzwischen bittet er uns in seine Küche zum Aufwärmen und Trocknen. Er führt ein Telefonat und teilt uns mit, seine Nachbarn vermieten hie und da ihr Häuschen. Sie sei Ärztin, er Polizist. Wir sollten bei ihm etwas warten, der Schlüssel würde uns gebracht. Was wir nicht wussten, der Nachbar fährt extra für uns von Zadar hierher, 100 Kilometer!!

Inzwischen werden wir von der Mutter Nikolas, alias Johnny, bewirtet mit türkischem Kaffee, wärmendem Pfefferminztee, Keksen und später zieht er eine Speckseite heraus und leckeres Brot aus der lokalen Bäckerei. Lange Zeit später liegen wir in unseren Betten, unser Zeug trocknet vor einem gemütlich knisternden Holzherd. Lange dauert die Nachtruhe jedoch nicht, denn wir wollen das regenfreie Fenster nutzen, um über den nächsten Berg zu kommen.

TAG 4 – 167 km/ 2400 Hm

Bei Dunkelheit geht es los. Zunächst rollen wir auf Teer weiter talauswärts, dann wird es wieder ernst. Auf Schotterpiste, dann unwegsamer auf einem Bergpfad rollen und schieben wir bergauf. Das Klappern an meinem Rad begleitet mich. Ob da irgendwas kaputt ist? Ob mein Rad irgendwnn auseinanderfällt? Auf dem Bobija-Pass erwartet uns ein herrlicher Sonnenaufgang. Die Landschaft ist grandios. Die Abfahrt erfordert viel Konzentration von mir, Organisatorin Bea schreibt von anspruchsvollen Singletracks. Vermutlich hätte ich so einen Weg zuhause zu Fuß zurückgelegt … aber die Zeit drängt. Schon fallen die ersten Regentropfen. In Kürze sind wir wieder völlig durchnässt. Bei Plavno gibt es einen kleinen Aufstieg, dann würden wir wohl gemütlich bis nach Knin rollen können. Was auf der Karte so harmlos ausgesehen hatte, entpuppt sich als ein schmaler Lehmpfad, der bei dem Regen nur noch eine Folge von Pfützen und Schlammweg ist. In Kürze sind wir nicht nur bis auf die Knochen nass, sondern auch von unten bis oben verdreckt. Als wir in Knin einrollen, ist mein Willen das erste Mal gebrochen.

Es gießt in Strömen, ich friere erbärmlich. Was tun? Wir beschließen zunächst mal in einem Hotel einzuchecken. Die Räder, völlig verdreckt, lassen wir draußen stehen, Schloss haben wir vergessen, aber wer nimmt schon ein so schmutziges Rad? Ich fringe unsere Sachen aus, wickele sie in Frotteehandtücher in der Hoffnung, dass sie trocknen. Barfuß gehe ich zum Frühstück, das wir ausgehungert wie wir sind sehr ausgiebig umsetzen. Andrea gesellt sich zu uns. Von Gosia hören wir, dass sie im Auto sitzt auf dem Weg zu einem Mechaniker. In der Nacht war ihr Schaltwerk abgebrochen, sie hatte verzweifelt an einer Haustür geläutet und Hilfe bekommen. Etwas später ist sie zurück im Rennen.

Gegen Mittag klart es auf. Wir brechen voll motiviert sofort auf. Inzwischen hatte eine Eingebung auch dazu geführt, dass ich mein Problem Tailfin-Tasche lösen konnte: In der Tasche gibt es ein Metall-Gestell, mit dem die Tasche am Karbon-Rahmen festgemacht ist. Dieses Gestell hatte eine Gummi-Ummantelung, die ich aber, um Gewicht zu sparen, zuhause abgemacht hatte. Bei diesem Gerüttel hatte irgendwas gegen das Metall geschlagen. Das Problem, das meine Nerven zeitweise fast blank liegen ließ, war also „hausgemacht“ gewesen. Neu gepackt und gut war es.

Es geht nun vorbei am Krčić Wasserfall und dann durch die Schlucht entlang dem gleichnamigen Fluss. Angekommen auf der Anhöhe des Dinara Naturparks beginnt es wieder zu regnen. Hermann war vor mir querfeldein zu einer Bauruine gefahren. Als ich auch dort bin, wird mir ganz heiß vor Entsetzen. Wir sind hier wieder in einer Warning-Zone und sollten den Weg keinesfalls verlassen.

Ängstlich rolle ich auf einer Traktorspur wieder zum Weg zurück. Wir kommen an mehreren Schaf- und Ziegenherden vorbei, alle bewacht von Hirtenhunden. Vorsichtshalber steige ich immer wieder ab. Die Hunde kommen meist neugierig heran, friedlich mit dem Schwanz wedelnd. Schlechte Erfahrung haben wir keine gemacht auf der gesamten Fahrt, aber ein bisschen „Schiss“ war immer dabei, wenn ich in der Ferne Hunde sah. Absteigen und ein Stück zu Fuß vorbei, es geht bei uns ja nicht um irgendeine Platzierung. Unser Ziel ist es vor der Finisher-Party anzukommen. Apropos Hunde … streunende Hunde … habe ein Fläschchen Pfefferspray dabei, zum Einsatz wird es zwar nicht kommen, aber es wird mir schlussendlich einiges an Kopfzerbrechen bereiten. (*Pfefferspray – siehe unten)

Im Nachhinein habe ich entdeckt, dass wir nicht weit entfernt waren vom mystischen „Drachenauge“, der Quelle des Glavaš, der den Cetina-Fluss speist.

Es gibt eine Umleitung wegen Weg-Sperrung. Zuvor aber wird mein Wille fast wieder gebrochen: Die Streckenführung leitet uns über eine Wiese, eine überflutete. In knöcheltiefem Wasser schaffe ich es grad noch auf dem Rad zu bleiben. Dann irgendwann muss ich absteigen. Zurück? Das lohnt sich nicht mehr, also weiter. Ein kleines Rinnsal ist zu durchqueren. Es bringt eh nichts die nassen Schuhe auszuziehen, also beschuht durchwaten. Dann haben wir wieder festen Boden unter den Füßen. Vor einem Haus reinigen wir uns notdürftig und leeren die Schuhe aus. Ein Wasserhahn bringt mich auf die Idee mein Rad etwas zu putzen, ein Funktionstuch tut gute Dienste bei Körper und Rad. Wir werden beobachtet.

Zwei Frauen laden uns abgerissene Typen zum Kaffe ein. Wir radebrechen mit Händen und Füßen, auch der Translator kommt zum Einsatz. Was wir erzählen erscheint den Bauersfrauen unvorstellbar. Wieder on the road, müssen wir den Stausee Perućko jezero nun auf der Ostseite umfahren, auf einer stärker befahrener Hauptstraße. Die schnell heranbrausenden LKWs machen mir Angst und erinnern mich an meine unguten Erlebnisse beim Northcape4000. Nach einem Kaffee-Stopp mit „Rohloff“-Michael ist es nicht mehr weit, bis wir die nächste Steigung erreichen sollten und die Grenze zu Bosnien Herzegowina. Zuvor sollte es aber noch eine etwa sechs Kilometer lange Abfahrt offroad geben. Fein!

Das Wohlgefühl sollte mir aber bald vergehen. Die Abzweigung führt auf einem vom Regen aufgeweichtem Weg, durch unzählige Pfützen und durch viele Rinderklauen noch matschiger als sonst. Unzählige Male absteigen und vorbei schieben hilft nichts, der Untergrund wickelt sich auf die Reifen und blockiert den gesamten Antrieb. Zäher Schlamm umschließt auch die Kette. Unvermittelt ist meine Motivation weg. Als ich zu Michael und Hermann aufschließe seuftze ich: „Mein Willen ist gebrochen …!“

Dieses Gefühl kommt hier nicht das erste und nicht das letzte Mal auf. Hermann pult den zähen Matsch mit seiner Zahnbürste aus den Kettengliedern. Ich hingegen hocke mich neben eine rotbraune undurchsichtige Pfütze und schöpfe mit meiner Hand unermüdlich Wasser über die Kette und hoffe auch das letzte Sandkörnchen rauszubekommen. Rahmen und alles andere sind nur ästhetische Aspekte und mir in dem Moment egal. Irgendwann, die Sonne ist schon beim Untergehen haben wir die Serpentinen-Pass-Straße auf den Vaganj-Pass erreicht. Unser Plan heute noch Šuica zu erreichen hat sich vollends zerschlagen. Wir rollen vom höchsten Punkt, nachdem wir den Grenzposten zu Bosnien Herzegowina überschritten haben, hinunter nach Livno. Hermann sucht unterwegs auf Booking ein Hotel. Mit dem Wissen, bald in die Federn sinken zu können, sind auch noch die letzten Kilometer eine Herausforderung. Die Augen wollen jetzt schon zufallen. Nachdem wir noch eine Weile durch Livno geirrt sind, haben wir die Unterkunft gefunden. Ich kann mein Rad noch etwas abspritzen und vom Gröbsten reinigen, dann wartet auch auf mich die heiße Dusche. Unbeschreiblich!

TAG 5 – 160 km/ 2700 Hm

Früh geht es wieder los, es dämmert. Ein paar streunende Hunde schimpfen und schon geht es wieder offroad weiter. Und nun werde ich im wahrsten Sinne des Wortes wachgerüttelt. Eine übler Kopfsteinpflaster-Weg, zudem noch nass vom letzten Regenguss, führt auf das Cincar-Hochplateau. Mein Willen wird auch hier auf eine harte Probe gestellt. Einmal oben auf der weitläufigen Hochebene ist es nur noch zauberhaft. Hier sollen zudem die letzten echten Wildpferde Europas leben, rund 800 Tiere. Ich schaue sehnsüchtig nach links und rechts. Ob uns wohl das Glück hold sein wird? Und dann sind sie da. In der Ferne sehe ich das erste Grüppchen. Etwas weiter galoppiert eine kleine Herde daher. Die Rösser nähern sich sogar vorsichtig und etwas misstrauisch, aber neugierig.

Gosia schließt auf. Sie erzählt uns ihr Erlebnis vor Knin und von ihren Ängsten nicht durchzukommen, denn sie muss ihren Flug am Samstag erreichen. Es wird eine Zitterpartie werden bei ihr. Aber sie schafft es mit einer durchfahrenen Nacht im schwierigsten Abschnitt des Rennens. Genial, was Gosia gemeistert hat. Unsere Hochachtung!!

Dann Abfahrt nach Šuica. Die letzen Meter durch eine überflutete Wiese, wieder mal. Aber dann sind alle Strapazen vergessen: Es gibt köstlichsten Kaffee und Kuchen in der an den Supermarkt angegrenzenden Bar. Und dann füllen wir unsere Vorräte auf. Bis Mostar soll es über 120 Kilometer nichts geben. Ich lerne, dass man eine Mineralwasserflasche nicht zwischen die Knie klemmen sollte, während man sie öffnet. Das Ergebnis ist nämlich, dass die Hälfte des kostbaren Nass explosionsartig das Weite sucht. Für meinen Trinkrucksack ist nur noch etwa ein halber Liter übrig. Ob ich damit über die Berge komme? Ich will nicht nochmal Schlange stehen im Supermarkt. Zum Glück ist es nicht so heiß und der nächste Regenguss lässt nicht lange auf sich warten.

Nach einer Teerpassage geht es wieder ins Gelände. Mit Entsetzen betrachte ich die Szene, die sich uns bei der Abzweigung bietet. Ein Müllplatz. Rundherum notdürftig zusammengezimmerte Holzbaracken, rundherum Abfälle. Gibt es wirklich Menschen, die hier leben? Neben dem riesigen Müllhaufen mehrere geparkte Autos und auf dem Abfall ein Dutzend Leute, die die Wohlstands-Überreste durchforsten. Auch das gibt es noch in Europa. Die nächsten 50 Kilometer fahren wir durch die sogenannte Danger-Zone. Hier darf man auf keinen Fall vom Weg abweichen. Das Gebiet soll auch über 25 Jahre nach dem letzten Krieg noch vermint sein. Das Gebiet ist hügelig, trocken und karstig, abgesehen vom Regen. Sehr steile kurze Anstiege zwingen mich immer wieder vom Rad. Wir kommen nur sehr langsam weiter. Mit Entsetzen entdecke ich, dass ich vergessen hatte meinen Tracker am Morgen anzuschalten. Das hole ich nun nach fast 80 Kilometern schleunigst nach. Da wird Bea wohl meinen, dass ich im Hubschrauber hierhergeflogen bin. Grins. Dann im Blindinje Naturpark werden die Wege wieder besser. Wir treffen auf Christoph, der anfangs schnell unterwegs war, der aber Sitzprobleme bekommen hatte. Wir versorgen ihn mit Cremen und werden ihn in Mostar wieder treffen.

Nach dem Blindinje-See holt uns Gosia ein, sie hatte irgendwo einen verlängerten Powernap abgehalten. Ab Mostar werden wir sie nicht mehr treffen. Wir lernen Niko aus den USA kennen, der seit Monaten mit seinem Rad und Fotoapparat unterwegs ist, zuerst durch Marocco, dann der italienischen Küste entlang und kreuzt er immer wieder die TBR-Strecke. Wir werden in Risan zufällig wieder treffen und in unserem Apartment bewirten dürfen.

Nach einem steileren unwegsamen Anstieg geht es hügelig recht flott dahin. Die folgende schlottrige Abfahrt scheint kein Ende zu nehmen. Ich wundere mich immer wieder, was so ein MTB aushält. Tagelang durchgerüttelt auf schlechten Wegen wird mein Bike es pannenfrei bis ins Ziel schaffen. Ein Wunder! Dann aber erreichen wir die sehnsüchtig erwartete Asphaltstraße raus nach Mostar.

Nach dem obligatorischen Foto des Wahrzeichens, der Stari Most, der „alten Brücke“ über die Neretva versuchen wir eine Unterkunft zu finden. Wir fahren wieder zurück, wo ich ein ansprechendes Hotel gesehen hatte. Als wir schlussendlich, mit Christian, der sich zu uns gesellt hatte, im Hotel Patria eingecheckt haben, sind die Supermärkte geschlossen. Na bravo! Wir gehen zu dritt im nahe gelegenen Restoran Malo Misto, sagenhaft gut essen. Nach 4 Tagen schmeckt die Lamm-Pfanne mit Gnocchi unvergleichlich gut. Auch wenn ein Zahn, der sich schon seit Tagen leicht bemerkbar gemacht hatte, immer mehr schmerzt. In einer Tankstelle füllen wir noch unsere Reserven und dann geht es ab ins Bett.

TAG 6 – 112 km/ 2500 Hm

Als der Wecker früh klingelt, hatte ich schon einige Zeit wach gelegen. Der Zahn pocht. Ich überlege, ob es nicht sinnvoll sei, hier in Mostar zum Zahnarzt zu gehen. In den nächsten Tagen würden wir kaum mehr in einen größeren Ort kommen. Vor sieben konnte ich mit meinem Zahnarzt zuhause sprechen, Schmerzmittel und weiter. Abgesehen, dass das Brufen am ersten Tag nicht wirkte, ist das Gefühl nicht das beste mich so auf den Weg zu machen. War das ein Grund zum Abbrechen?

Nach einem sehr guten Frühstück starten wir erst nach 8 Uhr. Es ist noch wolkenlos und die Hitze auf dem sehr steilen Anstieg von teils über 18% Steigung ist schweißtreibend. Im Supermarkt in Nevesinje treffen wir auf Marco und Christoph. Nun heißt es ordentlich „Bunkern“, denn die nächsten 130 Kilometer sind wieder Einöde in Bezug auf Einkaufen. Pfützen und Matsch verfolgen uns, von oben verschont uns das Nass, zumindest gerade noch, aber am Horizont braut sich schon wieder was zusammen. Es geht auf und ab, immer wieder auch durch landwirtschaftliche Gegenden.

Ein kleiner Anstieg steht an. Vor mir mitten auf dem Weg steht ein mittelalter Mann mit weit ausgebreiteten Armen. Ich komme nicht vorbei und steige ab, werde umarmt. Der Mann scheint ein kindliches Gemüt zu haben, er spricht nicht, greift nach meinem dreckverkrusteten Maskottchen, das an der Oberrohrtasche hängt, einem kleinen ehemals weißen Bären, deutet auf den Teddy, dann auf sich. Immer wieder. Dann entreißt er mir den Lenker und beginnt mein Rad bergauf zu schieben. Oben angelangt wieder dieselbe Geste zum Bären und auf sich. Aha, er meint, er habe sich das kleine Stofftier mit dem Schieben verdient. Ich will mich aber keinesfalls trennen von meinem Teddy, der schon so viele Abenteuer mit mir durchgestanden hat. Ich versuche es mit einem Ersatz und biete dem ältlichen Jungen eine angebissene Waffel an. Die möchte er aber nicht. Sanft nehme ich ihm den Lenker ab und möchte aufsitzen. Da breitet er wieder die Arme aus, zieht mich an sich und drückt mir einen dicken kratzigen Kuss auf die Wange. Zumindest duftet der Pulli frisch gewaschen. Dann bin ich frei. Andrea wird mir später erzählen, dass sie dasselbe Erlebnis hatte mit diesem freundlichen mittelalten Buben.

Abfahrt nach Ulog. Hier gibt es laut POI-Liste etwas. Ja, eine Bar. Ich brauche eigentlich nichts und einen Kaffee gibt es leider nicht. Also weiter. Alles ist nass, Pfützen säumen unseren Weg. Es hatte vermutlich kurz vorher stärker geregnet. Es geht bergauf und dann eben am Berghang entlang. Wir wollen noch über den nächsten mittelhohen Mugel, das Höhenprofil verspricht nichts Gutes. Kurz aber knackig könnte man sagen. Wieder mal wirft mich mein Karbonross ab, ich bleibe mit meinen Schuhen im Klickpedal hängen und hole mir einen schönen blauen Fleck am Oberschenkel.

Und kurz darauf beginnt es zu tröpfeln. Wir schaffen es gerade noch hinunter, ich hatte in der Dämmerung im Wald ein Minarett gesehen und nebenan eine Art Stadel mit Erdboden. Da es nun so richtig anfängt zu schütten und zu blitzen und zu donnern beschließen wir es hier schon früh gut sein zu lassen. Dass irgendjemand in die Ecke gek* hat, tut unserer Erleichterung keinen Abbruch. Wir rühren uns aus Wasser und gefriergetrocknetem Suppenpulver je eine Mahlzeit an und dann verschwinde ich müde in meinem Zelt und Hermann in seinem Biwaksack. Dass sich bald Marco einfindet und fragt, ob er sich dazu legen darf, bekomme ich nur noch im Halbschlaf mit und etwas dass er einen Schaltkabel-Riss hatte und hier das Rennen beenden will. Dass Andrea sich auch noch dazu legt, merke ich nicht.

TAG 7 – 152 km/ 3100 Hm

Schon um halb zwei wollen wir los. Es tut mir leid, dass unser Zusammenpacken nicht lautlos ist, aber die beiden lassen sich nicht stören. Unser Weiterweg auf den Orlovačko-Pass führt über 1000 Höhenmeter auf einer ziemlich ruckeligen Art Forstweg. Hermann hatte auf seinem Navi entdeckt, dass unser Weg bald in die R-434 einmünden würde, einer Regionalstraße? Toll, dann hat das unrhythmische Fahren wohl bald ein Ende. Denkste! Der Belag wird noch schlechter. Ich fahre so langsam, dass mich bei Morgendämmerung die Mücken anfangen zu piesacken. Endlich auf dem Pass wird es schlammig. Und dieser Matsch wickelt sich in der Abfahrt wieder mal um die Räder. Dann geht es auf langer Abfahrt durch Wald, Wald und nochmal Wald. Da hier die Sonne kaum durch die Zweige kommt, ist es dementsprechend matschig und wir müssen durch viele Pfützen.  Irgendwann holt uns die Müdigkeit ein und wir wählen ein paar frisch geschlagene Baumstämme für einen Powernap. 15 Minuten müssen reichen. Bei der Weiterfahrt entdecken wir, dass 100 m weiter ein netter überdachter Picknickplatz sicher gemütlicher gewesen wäre für unser Schläfchen. Irgendwann haben wir es bis nach Miljevina geschafft. Ein kleines Restoran an der Straße lädt ein und hier steht auch schon das Rad von Christoph. Leider gibt es keine guten Nachrichten, er sei in der Nacht bei der Abfahrt gestürzt, hat sich die Hände aufgeschlagen und alle seine Kontaktflächen mit dem  Rad seien nun lädiert. Er werde den Bus nach Risan nehmen. Wir gönnen uns einige Kaffees und ein leckeres Omlett (das Atlas Mountain Race lässt grüßen), dann sind wir wieder auf Achse.

Wir müssen noch auf einen Berg im Sutjeska-Nationalpark, eine wunderschöne Hochfläche, dann noch eine Abfahrt und wir sind beim zweiten Kontrollpunkt, dem CP2 in Popov Most. Irgendwann am Nachmittag sind nur noch 7 kleine Anstiege zu bewältigen und dann geht es nur noch runter. In Bosnien fahren alle Leute VW Golf 2, meist „einäugig“ und rundum verrostet. Autopflege wird ganz rudimentär betrieben mit manchmal wahnwitzigen Aufbock-Methoden …

In Popov Most gibt es Karboloading in Form von Pasta, selbst gebrauten Holundersaft, eine nötige Dusche und Bike-Wäsche. Meine Radkluft kann ich waschen, diese trocknet sogar fast ganz in der Sonne.

Dann fahren wir weiter nach Brod, kaufen dort noch was ein, denn wie üblich folgen dann wieder über 100 Kilometer ohne Versorgungsmöglichkeit. Wo aber schlafen? Zu hoch oben ist es zu kalt. Primož hatte uns beim CP2 gesagt nach dem River Tara sein nichts mehr. Am Weg liegen unzählige Rafting-Camps und so mieten wir uns auch so eine urige Holzhütte im Rafting kamp Rajska Rijeka. Ausgezeichnete Idee!

TAG 8 – 152 km/ 3900 Hm

Am Morgen starten wir erst bei Dämmerung. Nicht weit ist es bis zur montenegrinischen Grenze. Was uns heute erwartet ist etwas vom Schönsten der gesamten Fahrt. Nach einem langen Anstieg geht es hügelig vorbei an Poljen, rasant über Hügelkämme und dann hinein in den Durmitor Nationalpark. Beim Anstieg auf den Sedlo-Pass schwirrt eine Drohne über unseren Köpfen, ich muss Hermann „zurückpfeifen“, denn es geht gar nicht, dass wir nicht als Team auf dem Video sind. In dem Zusammenhang darf ich erwähnen, dass Hermann ohne mich sicher einen Tag schneller gewesen wäre, immer wieder wartete er geduldig, bis sein Anhängsel nachkam, sei es in Steigungen als auch in holprigen technischeren Abfahrten. Er hat so viel Zeit zu essen, ich leider nicht, denn kaum komme ich an, geht es schon wieder weiter … Wir treffen Bea und Luca, die extra auf uns gewartet hatten auf dem Pass und die wir auf die Probe gestellt hatte, da wir kurz vorher noch eine kleine Esspause eingelegt hatten. Nach dem ersten Anstieg heute geht es auf Asphalt abwärts. An einer Stelle wird die Straße neu geteert, Hermann fährt am Straßenrand in irgendeinen spitzen Gegenstand. Die Dichtmilch im Reifen tut zwar ihren Dienst aber in den nächsten Tagen muss Hermann einige Male Luft nachpumpen. Das war aber auch unser einziges technisches Problem auf dieser Fahrt.

Nach dem Sedlo-Pass mit seinen Traumblicken auf die Durmitor-Berge folgt eine endlich mal rasante Abfahrt nach Žabljak. Hier legen wir einen ordentlichen Stopp ein, kaufen ein und rüsten uns mit montenegrischen Touristen-SIM-Karten aus. Ich verstehe wohl von technischen Dingen reichlich wenig, denn ich ärgerte mich mit der neuen SIM herum, nur um einen Tag später festzustellen, diese Karte funktionierte sehr wohl, ich hatte nur vergessen die „mobilen Daten“ anzuschalten, die ich in Bosnien deaktiviert hatte. Blödheit pur!

Bea & Luca

Was nun kommt, wird im Race Manual als anspruchsvoll hügelig beschrieben. Es geht über 60 Kilometer über eine Hochfläche. Keine Menschenseele weit und breit. Den Draht, der über den Weg gespannt war und der uns auf WhatsApp angekündigt worden war sah ich nur, weil Hermann mich darauf aufmerksam machte. Könnte böse ausgehen. Ich hatte ihn schon abgehakt, da er sich etwas später als erwartet in den Weg spannte … Über die üppig blühenden Almwiesen kann ich mich nicht so freuen, nicht nur wegen zahlloser Schiebepassagen, sondern wegen der aufziehenden dicken schwarzen Wolken. In der Dämmerung passieren wir einige Schafherden und Almhütten, bewacht von kläffenden Hunden.

Als es dann so richtig steil hinunter geht Richtung Kolašin, fing es stark an zu regnen. In kurzer Zeit sind wir völlig durchnässt, die steile Schotterpiste würde schon im trockenen Zustand eine Herausforderung für mich sein, so nass stelle ich mich noch ungeschickter an. Hermann wird leicht ungeduldig. Ein erstes Haus am Wegesrand, rundum beleuchtet. Wir klopfen an. Keine Reaktion. Die Tür ist zwar nicht versperrt, aber hinein trauen wir uns doch nicht. Zumindest sind wir unter dem Dach vor dem Regen geschützt. Aber es ist kalt. Was tun? Hermann schaut im Internet nach Hotels aus. Es gibt ein Sheraton, aber ob die uns in unserem abgerissenen Zustand überhaupt einlassen? Wir müssen die Strecke verlassen, um in die Kleinstadt zu gelangen. Unterwegs fällt mir ein beleuchtetes Haus auf mit einem Schild „rooms“. Es geht auf Mitternacht zu und wir läuten einfach. Ein Mädchen öffnet. Kein Problem, wir können ein Zimmer haben. Auch die völlig verdreckten Fahrräder dürfen wir einfach reinstellen in den Aufenthaltsraum. Ein heißes Bad weckt meine Lebensgeister, die ich aber sofort in einen tiefen traumlosen Schlaf schicke.

TAG 9 – 97 km/ 2400 Hm

Nicht ganz so früh wie sonst verlassen wir diese ein wenig heruntergekommene Herberge. Unsere Tracker leuchten beide nicht mehr grün, ein rotes Licht kündigt an, dass die Batterien fast leer sind. Aber hilft nichts, hier bekommen wir keinen Nachschub und die Reservebatterien hatte Hermann schon eingelegt, seit der GBDuro waren sie in der Schublage gelegen und wohl nicht mehr ganz taufrisch.

War der Tag vorher schon eine etwas größere Herausforderung, so steigert sich das heute noch: Beschrieben sei der Streckenabschnitt mit „anspruchsvolle Anstiege, Bergpfade, auch technisch …“ Landschaftlich grandios, trotzdem bedeutete es nochmal alles zu geben. Immer wieder gibt es technische Abfahrten und die Anstiege sind oft so steil, dass ich jetzt nach diesen herausfordernden Tagen absteigen muss und mein 30-Kilo-Bike schieben muss.

Zudem drohen immer wieder schwarze Wolkenhaufen und fernes Donnergrollen. Der Stress macht mir zu schaffen. Die Ausblicke sind aber traumhaft und so werde ich immer wieder abgelenkt von den Strapazen und dem Vorgehen am Himmel. Irgendwann geht es dann nur noch abwärts Richtung Nikšić. Allerdings auf einem verblockten Kalksteinpfad, der nochmal alles fordert.

Im Supermarkt schleunigst neue Batterien gekauft und etwas Proviant, dann machen wir uns auf den Weg ins Hotel, das wir unterwegs ausgemacht hatten. Es wäre zwar ein Leichtes gewesen die etwa 70 Kilometer weiterzufahren und gegen Mitternacht im Ziel in Risan anzukommen. Ein gemütliches Bett, zuerst noch Pizza und griechischen Salat ist auch sehr verlockend.

TAG 10 – 71 km/ 800 Hm

Sogar ein Lunchpaket gibt es im Hotel Jugoslavia, das wir vor Abfahrt noch verdrücken, dann geht es los. Heute gibt es nur noch Asphalt und schöne Landschaften. Die Hauptstraße ist so früh noch verkehrsarm und dreimal geht es ab und über die Berge, um dann wieder auf  dieselbe Straße zu münden. Auf einer Nebenstraße, wahrscheinlich der alte Straße nach Risan, rollen wir dann zuletzt abwärts. Und auf einmal liegt er glitzernd unter uns: der Golf von Kotor.

Die Idee diesen letzten Abschnitt heute noch zu fahren war goldrichtig, wir hätten uns sonst um das Erlebnis gebracht über die Serpentinenstraße ins Ziel zu rollen mit Traumausblicken auf das tiefblaue Meer. In Risan werden wir schon mit super guter Pasta erwartet. Eine lange nicht immer leichte Reise über den Balkan ist leider zuende.

Dankbar sind wir, Hermann und ich, das zusammen erleben zu können und dass wir sei es von gesundheitlichen als auch technischen Problemen verschont worden waren. Danke, Hermann, für die Geduld, wenn du nach Anstiegen und nach technischen Abfahrten warten musstest …

Einen großen Dank an Bea und Luca und an alle freiwilligen Helfer*innen, die alles getan haben, um uns ein unvergessliches Erlebnis zu verschaffen. An alle, die aus welchen Gründen auch immer die Rennstrecke verlassen haben, möchte ich ermutigen, es noch einmal anzugehen. Die wirklich schönsten Gegenden, aber auch die herausforderndsten Abschnitte sind im dritten Drittel angesiedelt. Alle Achtung vor der Leistung der Sieger, die das Rennen in nicht mal 5 Tagen abgeschlossen haben.

Davon abgesehen, dass ich sicher nicht viel schneller fahren konnte, Zeit wäre sicher bei uns eine Menge einzusparen gewesen, vielleicht tat das übrige auch das Wetter. Das aber interessiert mich nicht, denn es hätte uns um einiges an Erlebnissen gebracht. Und mein Ziel, vor der Finisher-Party anzukommen hat sich mehr als erfüllt.

Anhang:

*Pfefferspray: Zum Einsatz kam es nicht, aber was sollte ich bloß tun damit? Auf dem Flug ist das in der Radbox nicht erlaubt und schon gar nicht im Handgepäck. Was soll ich nun damit tun? In Italien fällt es unter das Waffengesetz und es kann womöglich ganz schön teuer werden und zu weiteren Komplikationen führen, falls es bei mir entdeckt würde. In die Radbox? Womöglich bleibt mein Rad dann in Montenegro … Schade drum, hat 25€ gekostet und ich würde es gerne bei meinem Bikepacking Trans Germany mitnehmen. Eines nachkaufen? Gibt es nicht in Südtirol. Ich habe die geniale Idee, das Spray von Montenegro in einem Brief nach Hause zu schicken. Ich wickle es ein, klebe zu, auf der Post muss ich das Ding jedoch auspacken, die Angestellte reicht das Fläschchen fragenden Blickes ihrer Kollegin … Oje, jetzt gibt es wohl Probleme. Aber nein, ich bekomme ein Kuvert, kann das Fläschchen einpacken, Adresse und Briefmarken drauf und es entschwindet meinen Blicken. Zufrieden ziehe ich von dannen … Unser Sohn wird mein Gedankengetriebe wieder in Gang setzen: „Mami, wenn die da drauf kommen, dann gibt es Probleme. Kann 300 Euro und mehr kosten und du begehst eine Gesetzesübertretung …!“ Au weh! Jetzt kann ich es auch nicht mehr rückgängig machen. War das falsche Sparsamkeit? Nein, ich wollte es unbedingt zurück für mein nächstes Abenteuer, damit ich mich nachts allein im Zelt sicherer fühlen kann …
Wie das dann ausging? Nach einer Woche steckte das Kuvert unbeschadet im Briefkasten. Glück gehabt …!

Radeln vom Feinsten II: 6+6 Isole

italiano …… english

Hier einige Eindrücke über die Süd-Runde der 6+6:

Quelle: www.6p6.bike

Hermann und ich sind Wiederholungstäter …

2019 habe ich meinem Beitrag über die 6+6 Isole den Titel „Radfahren vom Feinsten“ gegeben.

Dieses Jahr ist das das Format etwas anders – die Strecke umfasst nicht beide Inseln, Sardinien und Sizilien, sondern es wird eine 600-Kilometerrunde durch Südsardinien gefahren und anschließend eine ebenso lange Runde durch den Norden der Insel. Dazwischen eine ausgiebige Nachtruhe in Dorgali dem Start- und Zielort. Die Strecke führt über wenig von Verkehr belastete Straßen und die Radfahrer haben jede Menge Berge zu „erklettern“, pro Runde gut 7000 Hm.

murales

Wir, die es inzwischen „spartanischer“ lieben, sprich Rennen im Selfsupportmodus fahren wie Atlas Mountain Race, GBDuro, Granguanche Audax Gravel scheinen nun im Schlaraffenland gelandet zu sein: es gibt etwa alle 100 Kilometer eine Kontrollstelle mit Verpflegung, auf Halbweg jeder Runde sogar Duschen und Schlafmöglichkeit. Aber in die Pedale treten muss man selbst und das ordentlich.
Ich freue mich sehr auf die Insel und besonders auch viele bekannte Gesichter wieder zu sehen.

Die 6+6 Ajò Isole verläuft für Hermann und mich spontan etwas anders als im Vorfeld gedacht. Nach der ersten Runde, die durch die vielen Höhenmeter (7000 Hm auf 600km) ganz schön hart ausfällt, erwartet die Randonneure eine ebenso anspruchsvolle zweite Runde durch den Norden.

Bei unserer Ankunft in Dorgali meint Hermann, dass das Weiterfahren womöglich kontraproduktiv für unser nächstes Highlight im Juni, das Transbalkan Race, sein könnte. Eigentlich bin ich noch fit für die nächste Runde …Ich stimme aber ein. Der Entschluss hier zu beenden fällt mir nicht schwer, weil meine Covid-Infektion doch erst 3 Wochen her ist und es somit vernünftiger nicht zu überziehen.

Torre di Bari

Da fast die Hälfte der TN hier unerwarteterweise das Handtuch wirft und das Wetter Regen voraussagt für den übernächsten Tag, ist es für mich noch leichter in Dorgali zu bleiben. Und zudem verspricht unser Ersatz-Programm auch spannend zu werden. (Bergtour Goroppu-Schlucht, Wanderung zur Cala Luna, dazwischen gut essen gehen, Wanderung durch das Naturreservat Biderosa).

Die versäumte wunderschöne Strecke durch den Norden werden wir sicher irgendwann mal nachholen!!

Danke an die Organisatoren, die sich sehr bemüht haben, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein schönes Erlebnis zu bieten. Ich habe mich sehr gefreut, viele unserer Radfreundinnen und Radfreunde wieder zu sehen auf ein Schwätzchen oder den ein oder anderen gemeinsam pedalierten Kilometer!!

Runde 1 – Süd: 587 km/ 7150 Hm

Und wer wissen möchte, was wir rennradmäßig „versäumt“ haben:

Runde 2 – Nord: 590km/ 6980 Hm

Wer nochmal das Video von 6+6 Isole (2019) sehen möchte:

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