Randonnée EDELWEISS von Sport Verona, 420 Km/ 4050 Hm
In der Nacht fahren ist nicht grad meine Lieblingsbeschäftigung und das vor allem wegen der Sekundenschlaf-Gefahr und weil meine Gedanken durch die mangelnde Ablenkung in Endlosschleife durch die dunkle Nacht vagabundieren.
Und was zudem in der Nacht auf mich zukommen bzw. mich überkommen sollte … gut, dass ich mir das in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen konnte …
Mit diesem Bild vom Verona Gravel hatte ich einen Startplatz gewonnen für das Brevet EDELWEISS Reverse über 400km.
Eine Nacht durchfahren oder nicht? Ich entschloss mich kurzerhand (naja, in Wirklichkeit in endlosem Hin und Her *lach*) mit Sack und Pack zu starten, das hieße mit Matte, Schlafsack und Biwacksack. Hermann murrte zunächst, denn bei einer 400er mache das kaum wer, dann aber fügte er sich. Ob zwei bis drei Stunden später ankommen … kräht kein Hahn danach.
Start -schon legendär- beim Bike Braek Faedo nach Lattemacchiato für mich und Brioche.
Dann ging es los. Dem Radweg durchs Etschtal folgend. Eingebaut aber eine Schleife über den wunderschönen Kalterer See.
Erste Kontrollstelle sollte in Brixen sein, die ersten 100 Kilometer kannte ich wie meine Westentasche Meter für Meter. Ich war nun froh nicht die Option Start in Brixen gewählt zu haben, wäre ätzend gewesen, wenn alle andern Schluss haben bei Trient und man selbst noch öde 80 Kilomenter vor sich hätte. In Brixen musste ich kurz zuhause vorbei fahren, da ich unsere Radflaschen am Vortag stehen lassen hatte.
Nun ging es nach Stärkung mit großem Kakao und Kuchen ins Pustertal. Nun stieg der Radweg stetig bergan, im Blick die noch schneebedeckten Pusterer Berge. Eine erste Krise gab es in Olang, da ich mich schon über die Strecke entlang des Stausees gefreut hatte. Aber nix da, Umleitung und man musste äußerst beschwerlich bis zu einige Bauernhöfen hoch oben mit Maximalsteigung von 16% hoch. Dann rasante Abfahrt an Welsberg vorbei. Nächste Kontrollstelle bei Niederdorf, mit Toast und Cola zur Stärkung. Zuvor gab es noch Verwirrung bei einer weiteren Baustelle. Wir irrten herum, bis wir schließlich doch wieder auf der gesperrten Strecke landeten. Ein paar Bauern taten laut ihren Unmut kund.
Jetzt ging es längs des „Langen Weges der Dolomiten“, dem Radweg, der Südtirol mit Belluno verbindet. Zunächst radeln wir auf der Landstraße durch das Höhlensteintal nach Cortina. Wenig Verkehr und mäßige Steigung ließen uns zügig vorankommen. Zwischenstopp machten wir kurz vor dem Dürensee, den Traumblick auf die Drei Zinnen durften wir uns nicht entgehen lassen. Das Bächlein, das hier in in den See fließt, ist die Rienz, die sich in Brixen mit dem Eisack vereint. Weiter geht es nun unter den Wänden des Monte Piana, dem im Ersten Weltkrieg heftig von Österreichern und Italienern umkämpften Berggipfel.
Von Cortina verläuft der Radweg auf der Trasse der ehemaligen dampfgetriebenen Dolomitenbahn, die von 1921 bis 1964 in Betrieb war und während der Olympiade 1956 unzäh. Etwa 40 Kilometer bergab durch das Val Bóite mit beeindruckendem Blick auf die massiven Gebirgswände, vorbei an alten Bahnhöfen und durch Viadukte.
Kurz vor Piéve Energienachschub in der Bar beim Eisstadion in Tai di Cadore (hier war Kontrollstelle bei der Rando 600).
Nun radeln wir entlang der alten Alemagna-Straße vorbei an Longarone, mit seiner tragischen Geschichte des Staudammbruches. In Ponte nelle Alpi füllen wir an der vorletzten Kontrollstelle mit Pasta al pomodoro unsere Energiespeicher. Einige Mitstreiter erzählen, dass die Fahrer vor uns gerade durch eine Gewitterfront fahren, also lassen wir uns etwas Zeit und das war gut so, denn die nassen Straßen zeugen von unlängst abgegangenen Regengüssen, aber zumindest von Oben bleiben wir trocken. Aber in der Ferne drohen die Wolkenbänke in giftigen Farben. Hoffentlich dreht der Wind nicht. Auf Radwegen und sekundären Sträßchen geht es nun vorbei an Belluno, Feltre bis nach Arsíe, von wo wir abfahren in die Valsugana. Es ist nun schon spät und so nutzen wir die erstbeste Gelegenheit, eine Bar am Wegesrand, um unser Nachtlager aufzuschlagen. Hermann macht es sich unter einem Dach gemütlich, mir ist es da zu hell und so verziehe ich mich unter einen Tisch nebenan. Es ist nicht unbedingt warm,
das Thermometer zeigt gerade mal 8° an, ich ziehe also alles an, was ich aus den Tiefen meiner Taschen greifen kann. Endlich in die verschiedenen Schichten von Schlafsack und Biwacksack verkrochen, war die eben noch vorhandene Müdigkeit wie weggeblasen. Irgendwann übermannt er mich doch – der Schlaf. Aber was ist das? Stimmengewirr, Knirschen von Radschuhen auf dem Pflaster. Ein paar Radfahrer, die vergeblich nach dem „Timbro“, dem Kontroll-Stempel suchen. Hat wohl die nachtschlafende Zeit für Halluzinationen gesorgt. „Dai ragazzi! Zitti! Die nächste Kontrolle ist erst in einem Dutzend Kilometern“. Endlich sind die Störenfriede von dannen gezogen, ich befinde mich irgendwann zwischen Wachsein und Schlafen. Was ist das schon wieder? Ein kaum zu vernehmendes Knistern … lässt mich hellwach werden. Ich halte den Atem an. Da! Schon wieder. Irgendwas ist an meinem Biwaksack. Da schon wieder! Kann doch nichts sein … Ich drifte langsam wieder weg. Und jetzt, was ist das? … alarmiert reiße ich die Augen auf. Irgendwas Feuchtes an meiner Wange! Ein Kuss? Wer …? Eine Katze, ein Fuchs, Wolf oder gar ein Bär? Vorsichtig wühle ich meine Hand aus den Tiefen der wärmenden Schichten. Ihhhiiiigittttigitt. Greift sich an wie eine feuchtkalte Hundeschnauze, aber im Schlafentzugswahn begreife ich nicht, dass das der Negativabdruck davon ist. Langsam werden meine Gedanken klarer und ich begreife … eine dicke Nacktschnecke hatte sich ihren Weg über meine Wange gebahnt und mich sozusagen wie Dornröschen wachgeküsst. An Schlaf ist nun nicht mehr zu denken, vor allem auch deshalb, dass die Umgebungsluft immer feuchter und kälter wird. Ich zittere in meinem Schlafsack. Also weiter. Bei der Kontrolle treffen wir Andrea S., einen Langstreckenradler, der wochenlang auf dem Rad verbringen kann und u.a. zur Rando 6+6 Isole mit Rad angereist und anschließend hunderte Kilometer wieder heimgefahren ist.
Hinter uns wird es langsam hell, die Morgenstimmung am Caldonazzo-See ist traumhaft schön.
Aber auch dem letzten Anstieg bei Pergine wird mir nicht warm, bis wir runter nach Trient rollen. Am Radweg überholen wir ein paar Ciclisti, dem müden Anblick auch Mitradler. Diese biegen bei Lavis aber rechts ab, wir hätten eigentlich auch diese Abkürzung nehmen sollen, denn ein paar Kilometer weiter geht gar nichts mehr, nicht mal Schritttempo. Wir stecken im Stau. Ein Hirte mit hunderten von Schafen, ein paar Eseln und Ziegen blockieren die Ciclabile. Geduld ist gefragt. Die letzten Kilometer radeln wir nun den Etschtalradweg zurück zum Ausgangspunkt, wo uns Loretta schon erwartet. Loretta übrigens eine phänomenale Radlerin, die tausende Kilometer zur Unterstützung der „Amici del quinto piano“ radelt. Es gibt ein großes Hallo auch mit Giuseppe Leone, Maria Altimare und Flavio Bertagnolli. Und nicht zu glauben, dass Thomas Günsel, den ich mit meinem Bericht von der Verona Gravel zum Mitmachen motiviert hatte, schon gegen 23 Uhr im Ziel war nach nur 17 Stunden auf dem Bike, wir hingegen brachten über 25 auf den Tacho … Das Frühstück beim Bike Break Faedo mundet und auch den Teller Spaghetti al pomodoro etwas später haben wir und redlich verdient. Ich werde allerdings noch einen ganzen Tag brauchen, bis mir wieder warm wird.
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