Frau + Karbon = Randonneur(in) - aber nicht nur ...

Verona Gravel 200 oder der Anfang der Vernunft

italiano

War ich vor ein paar Tagen noch völlig geknickt hinsichtlich der Aussicht, dass ich in „Sport-Pension“ gehen muss und mir ein neues Hobby, sprich Häkeln, suchen sollte, so gibt es doch Lichtblicke. Kurz: ich werde vernünftiger, sprich langsamer unterwegs sein müsse – aber unterwegs … Weiterlesen: ans Ende scrollen.

Zunächst ein Mini-Video

Noch nie habe ich mich so gefreut auf ein vergleichsweise „kurzes“ Rad-Event. Verona Gravel 200. Das auch, weil wir den Corona-Beschränkungen legal entgehen durften und am Gardasee Rad fahren durften. Verona Gravel bietet vier Streckenlängen: 100, 200, 260 oder 460. Hätte ich noch vor zwei Wochen gesagt: „Klaro – 460“, nun aber anbetracht der Tatsachen schwanke ich zwischen 100 und 200. Hermann zeigt sich solidarisch.

Montorio Veronese. Ich habe kaum geschlafen. Um 7:00 gehen wir auf die Strecke. Die Startzeit ist frei wählbar, um Ansammlungen zu vermeiden. Der Tag verspricht wunderbar zu werden. Endlich wieder mal auf zwei Rädern und 200 km sind ja verhältnismäßig wenig … Denken wir … noch …
strava GPX

Verona Gravel. Und das spüren wir schon nach den ersten Kilometern: Es geht ins Gelände und wir dürfen uns freuen über viele Schotterwege und Trails. Schon auf den ersten Kilometern zweifle ich, ob mein Gravel-Bike wohl die richtige Wahl ist – aber mein MTB steht zuhause. Es geht auf und ab und oft auch sehr technisch, so dass auch auf plattebenen Strecken mein Puls in die Höhe geht. Das war so nicht geplant. Ich versuche mich zu bremsen. Schnell ist jedenfalls was anderes.

Nach 50 Kilometern ist es klar: wenn wir so langsam weiterfahren, dann schaffen wir es nie und nimmer bis zum Dunkelwerden wieder zurück zu sein. Und ich Dummkopf habe meine Frontbeleuchtung am Morgen wieder ausgepackt, als mein Göttergatte meinte: „Was wirst du eine Lampe mitnehmen … 200km … da sind wir doch locker gegen 17 Uhr wieder zurück!“ Also Lampe raus. Das Rücklicht kam aber mit und ich habe eine kleine Lampe am Helm, Hermann aber nicht.

Es geht über gröbstes Kopfsteinpflaster, durch Weinberge, hoch und runter, einige Kilometer auf einem schmalen Pfad direkt am Etschufer, durch Brennesseln als Feind der Waden, Rankenpflanzen, die darauf warten sich durch einen Radreifen zu bohren. Wie froh bin ich über meine schlauchlosen Reifen.

Kurz vor der ersten Kontrollstelle in Garda am See, stellt Hermann fest, dass mit seiner Schaltung etwas nicht in Ordnung ist. Kurz darauf steht es fest: Schaltkabelbruch. Er hat nur noch zwei Gänge. Provisorische Reparatur mit einem Kabelbinder. Das hatte er ja schon geübt *lach*, nämlich bei der London-Edinburgh-London und beim Superrandonnée Ötztal-Rundfahrt. Bis Garda, nein bis Peschiera, muss das halten, Schiebepassage bei jedem Anstieg inbegriffen. Die Zeit läuft. Hermann denkt schon dran auf die 100-Kilometer-Strecke zu wechseln. Und hier passiert es das erste Mal – ich verliere meinen Mann. Ich quatsche mit Marina. Wo ist Hermann? Vor oder hinter mir? Keine Ahnung. Bei der Kontrollstelle in Garda kein Hermann in Sicht. Ich fahre weiter. Dann der Anruf: Hermann hatte etwa 20 Minuten auf MICH gewartet … aber nicht an der Kontrollstelle, sondern fälschlicherweise ein paar Hundert Meter vorher, wo ein duzend Radfahrer beisammenstanden an einem Radverleih, in der Meinung hier sei der Kontrollpunkt. Vielleicht sollte man die Carta da Viaggio doch lesen …

In Peschiera holt mein Begleiter mich dann wieder ein und hat Glück, im Bike-Shop, der zweiten Kontrollstelle, wird der Schaden repariert. Ich fahre schon mal vor. Es geht nun sehr schön durch die Moränenhügel südlich des Gardasees, zum Glück ist die Streckenführung nicht mehr ganz so technisch. Dafür wird es geschichtsträchtig: Vorbei an Schauplätzen des italienischen Risorgimento, am Torre di San Martino della Battaglia und Solferino. Kurz vor der dritten Kontrollstelle werde ich von Hermann eingeholt. Die Hälfte des Weges ist erreicht, wir sind seit etwa 6 Stunden ohne Pause unterwegs. Meine Hochrechnung ergibt nun eine Ankunft vor Sonnenuntergang. So gehe ich nach Eis und Orangensaft gelassen auf den Rückweg. Der nächste Schock. Ich rechnete mit 180 Kilometern, das hatte ich irgendwo gelesen, Hermann klärte mich auf, dass es genau 200 seien. Meine Berechnungen stehen also wieder auf wackeligen Beinen und meine Sorgen nehmen bei jeder Gravel-Passage zu. Und derer sind ziemlich viele. Freue ich mich über ein paar Kilometer auf glattem Asphalt, geht es schon wieder scharf ab und über Pfade oder löchrige Schotterpisten, in deren lockeren Belag sich die schmalen Reifen haltlos bohren. Nicht selten laufe ich Gefahr, dass mein Carbon-Esel mich abwirft.

Dachte ich, dass es von Peschiera zurück nach Verona sicher einfacher wird, so täuschte ich mir gewaltig. Felder, schmale Waldwege, dann am Canale Biffis entlang, aber nein, nicht auf dem Radweg, sondern auf einem Pfad auf der gegenüberliegenden Seite. Giorgio Murari, alias Musseu hat sich da schon was Besonderes einfallen lassen. Gegen Ende geht es vorbei an berühmten Bauwerken Veronas. Dann müssen wir uns noch durch verkehrsreiche Veroneser Straßen quälen. Und hier passiert es das nächste Mal: Ich verliere meinen Hermann. Und das natürlich wieder mal, weil frau nicht selten ihren eigenen Kopf durchsetzen will und eigene Vorstellungen der Überquerung der vielbefahrenen Kreuzung hegt. Nun ist er weg, der Hermann … er wartet irgendwo auf mich, während ich schon über alle Berge bin. Das Happy End … wir finden uns wieder und gemeinsam geht es Richtung Ziel – zum Finale …

Die letzten Kilometer verlaufen sehr schön über den Percorso della Salute, auf einem Damm zwischen zwei antiken Kanälen. Und wer wissen möchte, ob wir es vor Einbruch der Dunkelheit ins Ziel geschafft haben: Ja, wir haben! Der Sonnenuntergang spielte sich in der Fossa Murara aus dem 16. Jahrhundert kurz vor Montorio Veronese.

Mit zwölfeinhalb Stunden (reine Fahrzeit 11:23h) neigt sich ein langer Tag nun seinem Ende zu. Dachte ich schon: „Mensch, wie langsam waren wir denn!“, so bin ich mit unserer Zeit sehr zufrieden, auch weil Giorgio irgendwo gepostet hatte, dass es nicht leicht ist, bei diesem Streckenverlauf unter 12 Stunden zu bleiben.

Rückwirkend muss ich sagen, so ein Gravel-Brevet ist DAS, was mir Spaß macht. Man taucht wirklich ein in die Natur, es ist fast wie Wandern, aber auf zwei Rädern. Die 200er-Strecke ist einfach klasse. Dachte ich, dass ich die Gegend schon ganz gut kenne, belehrte mich die Fahrt eines Besseren. Es ist ein sehr abwechslungsreicher wunderschöner Rundkurs fernab der Hauptverkehrswege.

Zufrieden mit 200 Kilometern? Und so kam es …

Postscriptum nun mal vorangesetzt: ein Jahr danach
Visite bei einem anderen Kardiologen. Der sieht das ganz anders. Ich darf alles machen, was mir Spaß macht. Auch die Sportmedizinerin gibt mir ihr OK!!! Die Welt schaut wieder ganz anders aus …

So war es ein Jahr zuvor: Schock bei der jährlichen Sport-Visite . Nach dem Ergometer-Test machte mein Herz einen Stolperer (Extrasystole). Das sollte abgeklärt werden. Der Herzultraschall ergab eine Insuffizienz der Mitralklappe. Fraglich, ob ich die Tauglichkeitsbescheinigung überhaupt noch bekommen werde. Bekomme ich für das kommende Jahr, aber gleichzeitig wurde mir doch „sehr ans Herz gelegt“, gewisse Sportarten mit einer hohen Belastung nicht mehr zu machen. Vergleichbar war das unvermutete Ergebnis, wie wenn ein Sportwagen in Sekundenschnelle von 250 auf 50 km/h gebremst wird. Ich fühlte mich, als würde ich mich x-mal überschlagen und mit Totalschaden im Straßengraben liegenbleiben.
Inzwischen sage ich mir, dieses Schicksal ist im Vergleich zu dem anderer unbedeutend, aber warum ICH? Inzwischen habe ich mich mit dem Gedanken zwar nicht angefreundet, aber nehme es hin.  Glück habe ich ja im Moment, dass ich noch Sport machen kann und das noch lange, wenn es in vernünftigem Rahmen bleibt. Geplatzt ist zwar der Traum mich nochmal für den Ironman Hawaii zu qualifizieren oder für X-Terra-WM auf Maui … ABER: wie viele wunderbare Erlebnisse bei traumhaften Events hatte ich in den vergangenen Jahren schon … UND … Radfahren geht ja noch … ich werde halt langsamer unterwegs sein … und Radeln ist meine Zukunftsvision, wenn ich vernünftig bin.  Ich habe jedoch erfahren können, wie schnell Träume wie Seifenblasen zerplatzen können …

4 Kommentare

  1. Uschi Graner

    mega schön gemacht! respekt tolle Leistung 💪👏

  2. Sabine Bröning

    Gabi, tolle Bilder, tolle Strecke und ein unterhaltsamer Text. Ich würde die Route gerne für mich speichern, da ich nächstes Jahr an den Garda See möchte. Wo finde ich die? Wünsche Dir weiterhin alles Gute und Gesundheit!
    VG aus Hamburg, Sabine 🚴‍♂️

    • Gabi Winck

      Hallo Sabine, danke dir. Den GPX-file findest du unter dem Video … etwas runterscrollen. Tour liegt auf onedrive, du kannst sie einfach herunter laden und auf dein Navi kopieren. Ich habe sie nun auch auf der Seite Tourenvorschläge. Hier findest du noch viele andere Touren am Gardasee. LG Gabi
      Hier evtl. der Direktlink zur Tour:

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