Frau allein im Wald. Kaum ist der Reißverschluss meines kleinen Zelts zu und ich eingemummelt in den Schlafsack, höre ich seltsame Geräusche. Ich halte die Luft an und lausche schockstarr mit weit aufgerissenen Augen. Was ist das da draußen? Das und warum ich am zweiten Tag mit dem Schimpfen gar nicht mehr aufhören kann – lest nach dem Video weiter …
Premiere von Lakes ’n‘ Knödel: 730 km/ 15.200 Hm von Fuschl nach Bregenz graveln … Durch den Wortlaut in der Ausschreibung habe ich das Ganze etwas unterschätzt … wahrscheinlich nicht nur ich …
Tag 1: Start – CP1 Blecksteinhaus: 233,11 km/ 3.302 m Bewegungszeit: 14:09:59
Pre-Start. So viele Leute, schauen alle so jung und professionell aus, es wird gefachsimpelt. So wie es aussieht werde ich da wohl im hinteren Drittel mitfahren werden. Besonders auch deshalb, weil meine Beine nicht ganz erholt sind nach den Strapazen des Panceltic-Ultra Race, das ich zwei Wochen zuvor gefinisht hatte; 2300 Kilometer der Küste Schottlands entlang mit unsäglich steilen Aufstiegen – das wird mir hier wohl erspart bleiben, DENKE ICH …
Ich freue mich auf ein paar Tage Radeln durch schöne Landschaften, Knödel essen, mit netten Leuten Erfahrungen austauschen, einfach eine feine Tour fahren, so wie es in der Ausschreibung irgendwie rüberkam. Wie ich mich da getäuscht habe …
Der erste Tag von Fuschl bis zu den ersten Bergen verspricht einfach zu werden. Ich fahre über 200 Kilometer, bis zur ersten Schlafpause. Naja, ganz so leicht ist es dann doch nicht. Ich erinnere mich an die Aussage Bastians beim Briefing: „Ihr werdet mich manchmal hassen …!!“ Immer wieder gibt es Abstecher ins Gelände und da wird es meist mega schlammig durch den Regen der vergangenen Tage und es gibt ein paar Schiebepassagen, mit 20 Kilo Rad & Gepäck ziemlich anstrengend. Am Tag zuvor hatte ich ein Problem mit der Schaltung, die Clemens vom Hotel Jakob wohl durch Entfernen eines Kettengliedes behoben hatte, weiters war viel Luft aus meinem Hinterreifen entwichen und Finn von der Rezeption half mir Milch nachfüllen. Erst, als der Reifen richtig in die Felge sprang schien der Reifen dicht zu halten. Unterwegs merke ich jedoch, dass etwas Luft wieder raus war. Ich habe eine kleine Pumpe mit, feiner wäre halt eine ordentliche Standpumpe. Meine Nachfrage über einen Gartenzaun ist erfolglos. Ich frage noch, ob es einen Gartenschlauch gäbe, mit dem ich Rad und Taschen säubern könnte. Ja! Mit blitzblankem Rad fahre ich weiter, merke aber bald, dass das vergebliche Liebesmüh war, denn die Strecke führt fröhlich weiter durch Matsch. Eitelkeit ist hier wohl fehl am Platz.
Nach dem Chiemsee und Eis- und Kaffeepause radle ich weiter. Im Westen drohen dunkelgraue bleischwere Wolken. Ich habe Glück und fahre immer in die Richtung, in der es etwas heller ist. Dann aber eine riesige gelb-graue Wolkenwalze aus der es schon blitzt. Die Donner erschrecken mich, panisch suche ich einen Unterstand und finde ihn in einem Bushäuschen, bevor es voll anfängt zu schütten. Hier hocken schon zwei weitere Teilnehmer. Eine Stunde etwa müssen wir das Unwetter aussitzen.
Nun geht es etwas auf dem Inn-Damm weiter und in Raubling biege ich ab von der Strecke zu einer Tankstelle. Es gibt auf den nächsten etwa 100 Kilometern keine weitere Verpflegungsmöglichkeit. Eine fröhliche Runde trifft sich hier.
Bei Dämmerung fragte ich in einem Berggasthof nochmal um eine Pumpe. Erfolg. Der Chef des Hauses verschwindet nebenan im Haus, kommt mit einer altertümlich anmutenden Pumpe zurück und macht sich, bevor ich einen Einwand machen kann, an meinem Hinterrad zu schaffen, haut mit Gewalt die Pumpe auf das Ventil, pumpt etwas und zieht das Ding wieder ab. Oh, Schreck, Das Absperrventil sitzt nun schräg, es ist stark verbogen. Wenn ich das nun vorsichtig zurückbiege, bricht es womöglich ab … Also lasse ich es so, wie es ist, bekomme aber die Ventilkappe fast nicht mehr aufgeschraubt.
Weiter fahre ich in die Dunkelheit. Ich hatte laut Plan eigentlich vor, vor dem nächsten Berg zu schlafen, aber ich bin früher dran als gedacht und überquere diesen noch. Vor Bayrischzell finde ich einen kleinen Spielplatz, wie geschaffen für mein Nachtlager. Mein Zeltchen stelle ich auf und merke erst, als ich mich darin einrichte, dass das Gelände nicht eben ist. Ich rutsche immer wieder von der Matte, die Nachtruhe ist dementsprechend unruhig.
Früh, gegen drei Uhr, packe ich. Viel zu lange brauche ich, um meine Siebensachen zu systemieren, wo ist bloß der zweite Socken und wo nur der Handschuh? Das Stirnband finde ich auch erst nach langem Kramen. Hier im Zelt ist anziehen sowieso eine Bauchmuskelübung, da es so nieder ist. Ich fahre weiter. Der Bäcker im nächsten Ort hat natürlich noch nicht auf.
Tag 2: CP1 – CP2 Plumsjoch-Hütte 145,57 km/ 4.303 m Bewegungszeit: 14:10:29
30 Kilometer sind es noch bis zum CP1 auf dem Blecksteinhaus nahe dem Spitzingsee.
Landschaftlich ein Traum, es geht über Almen, durch eine Schlucht bis ins Valepp. Hier war ich dieses Jahr bei der Watzmann-Arber-Rundfahrt (600km/ über 10.000Hm mit dem Rennrad) schon mal. Die schmale Straße führt in angenehmer Steigung durch ein Tälchen nach oben. Dachte ich, denn mein Track führt parallel dazu, immer in Sichtweite der Straße über groben Schotter. Immer wieder muss ich absteigen, denn es sind geröllgefüllte Gräben zu durchschiebe. Zu allem Überfluss fängt es nun auch noch an zu schütten. Regenzeug raus. Die Füße sind im Nu klatschnass. Durchnässt komme ich bei CP1 an. Es gibt einen leckeren Knödel auf Salatbeet. Ein ungewöhnliches Frühstück, gibt aber Kraft für die Weiterfahrt. Und es gibt eine Luftpumpe!
Inzwischen hat es aufgehört zu regnen und ich breche wieder auf. Über den Spitzingsattel bis zum Schliersee natürlich nicht bequem über die Teerstraße, sondern im Gelände. War am Tag zuvor einiges auf Asphalt, so dreht sich das Verhältnis heute um, angenehmen Teer gibt es nur noch selten. Das Wetter ist durchwachsen. Immer wieder nieselt es
In Gmund am Tegernsee fülle ich meine Reserven auf für die nächsten einsamen 100 Kilometer etwa. Auf einem schmalen Fußgängerbrückchen kreuze ich einem Spaziergänger mit Hund: „Wer hotn sich dera Streckn ausgsuacht? De Radler schindn sich olle wie di Verrucktn. Wo miaßtn es hin? Ja, des gang jo do untn viel leichter ibr di Stroßn!“ Ich frage: „Ist es verboten?“ – „Na, obr do isch jo kniehoach Sumpf!“
Heute wird es laut Plan mega „böse“, Einsamkeit, viele Berge, große Steigungen. Wo ich wohl am Abend landen werde? Das Karwendel darf man jedenfalls nur tagsüber befahren, Disqualifikation, wer sich zwischen 20 Uhr und 6 Uhr früh zwischen Pertisau am Achensee und Scharnitz aufhält.
Die Strecke führt nun durch dichten Wald der bayrischen Voralpen. Sehr steile Steigungen zwingen mich zu ziemlich einigen langen Schiebepassagen. Wegen Holzschlägerungsarbeiten war die Strecke kurzfristig umgeleitet worden. Ich hatte den neuen Track auf meiner Garmin. Es ist inzwischen sehr heiß, im Wald angenehm. Nach einer steilen Abfahrt nach Bad Wiessee am gleichnamigen See lege ich eine Mittagspause auf einer Bank ein. Während ich mein Sandwich verspeise, schaue ich zufälligerweise mal auf der Trackerplattform nach. Komisch, da wo ich bin, ist kein Teilnehmer, alle sind etwas weiter oben im Wald.
Verwirrt rufe ich Bastian an, der kann sich das auch nicht erklären. Meine Garmin zeigt mir an, ich sei richtig, laut Livetracking bin ich aber abseits der Strecke. Zu allem Unglück blockiert meine Garmin und ich muss erst googeln, wie ich sie ganz ausschalten und neu starten kann. Das gelingt zum Glück. Bastian hat mir angesagt, ich müsste kurz zurück zur Strecke. Kurz, ja, aber die 20% Teerstraße in der prallen Sonne hochschieben, ist kein Vergnügen.
Im Wald dann fädle ich vermeintlich richtig ein. Garmin scheint einverstanden zu sein. Ich schiebe ein überaus steiles Tal hoch, als ich bemerke, dass die Linie auf meinem Navi, der ich folgen muss, nicht dunkelviolett ist, sondern heller. Schreck! Das bedeutet, das Navi zeigt eine Ausweichstrecke. Was, wenn die mich nicht richtig leitet? Es wird immer steiler, manchmal rutsche ich mit meinen Schuhen zurück. Wenn ich nun die ganzen Höhenmeter wieder runter muss? Das würde ich wohl nicht packen. Und was, wenn das zur Disqulifikation führen würde, weil ich ja offensichtlich falsch bin. Fast bin ich den Tränen nahe, da sehe ich vor mir einen anderen sein Rad schieben. Erleichterung! Dann bin ich wohl doch auf der korrekten Spur.
Weiter oben fädle ich in den dunkelvioletten Track ein. Gerettet! Bei einer Hütte treffe ich auf mehrere Leidensgenossen. Die sind alle das Tal hochgeschoben.
Es geht nun bergab. Bald auch hier eine Schiebestrecke. Einige mutige Gravelbike-Fahrer überholen mich halsbrecherisch. Etwas weiter aber hole ich sie wieder ein. „Ich habe grad meine Hose geschräddert!“, berichtet der eine. Zum Glück ist nicht viel passiert, nach Desinfektion der Wunde am Oberschenkel fahren die beiden auch weiter. Mich bestärkt das darin, vorsichtig, wenn dadurch auch langsamer zu fahren.
An der Grenze zu Österreich ist es nach weiteren zermürbenden Schiebestrecken und gegenseitigem Leidklagen schon später Nachmittag. Ein Grüppchen begibt sich in die nächsten beiden Anstiege. Was da wohl auf mich noch zukommen würde? Ich beschließe ein paar Hundert Meter von der Strecke ab in einem Gasthof noch eine Suppe zu essen und mich dann an den Aufstieg zu machen.
Zehn Kilometer geht es nur auf eine Alm hinauf. Wider Erwarten ist (fast) alles fahrbar. Dann hinunter nach Steinberg am Rofan und wieder hoch, steiler nun. Nach einer Alm wird es noch steiler. Der Weg ist ausgewaschen und führt über faustgroße Steine. Am höchsten Punkt verliert sich der Weg auf einer Almwiese. Irgendwie bleibe ich auf der vom Navi vorgegebenen Spur und finde den Weg wieder. Schiebestrecke, dann ab einer Alm wieder fahrbar, in Richtung Achensee. In Österreich ist es strengstens verboten zu biwakieren, auch Notbiwaks sind nicht erlaubt.
Meine Idee, irgendwo am Ufer des Achensees zu schlafen, gebe ich auf. Ich finde aber auf der Almstraße kurz vor Achenkirch ein Plätzchen neben dem Almweg. Der Schlaf ist kurz, aber erholsam, ich stelle den Wecker noch zweimal um 10 Minuten weiter, ich habe ja keinen Stress, ob ich um 6 Uhr Richtung Plumsjoch starte oder etwas später, ist egal.
Packen, was diesmal schon schneller geht, fast jeder Handgriff sitzt. Bis ins Ziel werde ich wohl Profi.
Vorgangsweise am Abend: Platz finden, Zeltutensilien raus aus der Cyclite-Lenkerrolle, Unterlage ausbreiten, Zelt aufstellen, ordentlich spannen, Schlafsack raus, Matte aufblasen, Kopfkissen ebenso. Umziehen und alles in den Schlafsack stopfen, Schlaf-Shirt an, Jacke darüber und Primaloftjacke darüber, frische Socken an, dünne Hose an, Pflegecreme auf Allerwertesten, Regenhose auch an, Zähne putzen, in Schlafsack schlüpfen, Zelt zu, Licht aus.
Vorgangsweise am Morgen: Zeug aus Schlafsack rausfischen, in richtiger Reihenfolge neben mir hinlegen, im Zelt aufsitzen, Schlafzeug ausziehen, Radzeug an, Matte und Kopfkissen aufstöpseln, alles in die richtigen Hüllen stecken, Zelt aufreißverschlussen, in die Schuhe steigen, Schlafzeug in Beutel und in die richtige Tasche stecken. Zelt abbauen und mit Matte, Unterlage und Kopfkissen sowie mit dem Schlafsack in die Lenkerrolle packen. Schauen, ob alles aufgeräumt ist. Taschen richtig vertäuen, nochmal kontrollieren, ob alles festsitzt und losfahren.
Tag 3: CP2 – CP3 Vilsalpe 180,04 km/ 4.190 m Bewegungszeit: 16:51:19
Am Achensee in die Morgendämmerung hineinzufahren ist sagenhaft schön. Am anderen Ufer kann ich auch Pertisau schon sehen, von wo es dann bitterböse werden sollte – bis zur Plumsjochhütte.
Tankstellenstopp mit Kaffee und Brioche. Noch ein paar Brote gekauft und los geht es.
Bald nach Pertisau geht es dann wirklich hoch. Bekannte hatten mich schon vorgewarnt, hier sei mit Fahren wirklich nichts mehr.
Am Fuß des Berges hält mir ein Bergsteiger ein Gatter auf. Zusammen machen wir uns an den Aufstieg. Mit etwas Quatschen vergehen die Zeit und die Strecke schneller. Mein Begleiter meint, solange ich reden könne, sei es auch nicht so anstrengend … Auf etwa Halbweg lasse ich meine Begleitung ziehen. Hinter mir kommen auch weitere Radschieber nach. Wir klagen uns etwas unser Leid, ich schiebe weiter. Richtig schwer fällt es mir eigentlich nicht, denn ich wusste ja, was auf mich zukommt. Trotzdem schlaucht die Strecke ganz schön: etwa 7 Kilometer mit gut 700 Höhenmetern. So steil teilweise, dass mich das Gewicht meines Rades mehrmals fast umwirft. Dann weiter oben einige Gestalten. Lakes ‚n‘ Knödel – Fotografen. Schweiß von der Stirn wischen, gute Miene zum bösen Spiel machen und einen Schritt zulegen. Als sie wieder aus Sichtweite sind, schleppe ich mich weiter. Nun ist aber die Plumsjochhütte, die zweite Kontrollstelle, nicht mehr weit. Und Kaspress-Knödel in der Suppe gibt es und Kuchen. Karte gestempelt und schon bin ich wieder in der Abfahrt.
Wie immer muss man höllisch aufpassen. Erholsam sind die Abfahrten kaum mal: große Steine, ausgewaschene Rinnen, feine Steinhaufen, alles Fallen, die schnell zum Sturz führen, wenn man unkonzentriert ist und nicht aufpasst.
Im Talgrund angelangt geht es ein paar feine Teer-Kilometer der Riss entlang, bevor es wieder ernst wird. Nun gegen Mittag ist der steile Forstweg zum Kleinen Ahornboden schweißtreibend heiß. Dort angelangt gibt es Kühlung am Brunnen.
Gefürchtet hatte ich mich vor dem Weg zum Karwendelhaus. Diesen war ich zweimal abgefahren und hatte dabei meine Probleme. Wie sollte ich da hochkommen? Es waren noch 4 Kilometer und einige Höhenmeter zu überwinden. Ich schiebe auf dem gerölligen Weg los. Nach etwa 200 Metern merke ich, dass ich schiebenderweise, wohl am Abend noch nicht beim Karwendelhaus angelangt sein würde. Ich steige auf mein Bike und es geht etwas trickreich, aber im Sattel langsam bergauf.
Die Hütte klebt wie ein Adlerhorst ausgesetzt auf einer Felsnase. Sagenhafter Platz. Nach einer Linsensuppe nach Omas Art mache ich mich an die Abfahrt nach Scharnitz. Die 18 Kilometer könnten rasante Abfahrt sein, aber man darf sich nicht verleiten lassen zu unbedachter Schnelligkeit. Der Forstweg birgt Gefahren, wie Rinnen, lose Steine, … Am Tag danach sollte der Hubschrauber zu mehreren Einsätzen in das Tal fliegen müssen. Unterwegs holt mich die Müdigkeit ein. Ich gönne mir 10 Minuten Powernap. Dann weiter. Kurz vor Scharnitz habe ich einen kleinen „Umfall“. Nach Fotopause will ich aufsteigen, der rechte Fuß steckt schon in den Klickpedalen. Ich bekomme das Übergewicht, kippe nach rechts und das gesamte Gewicht meines Körpers, des Rades und des Gepäcks landet auf meinem Knie. Auaa!!!! Die Kniescheibe scheint seltsam eingedellt. Ist die immer so? Es schwillt auch gleich etwas an und schmerzt in Folge bei jeder Kurbelumdrehung und besonders auch beim Laufen kann ich das Knie nicht ganz durchstrecken.
Nach dem unvermeidlichen Tankstellenstopp, hier gibt es aber nichts Gescheites, geht es in der Hitze weiter. Etwas kupiertes Gelände. Ich entdecke, dass sowohl Smartphone- als auch Garmin-Akku fast leer sind. Auch die Powerbank gibt keine Power mehr her. Da ich nirgends schnell fahren kann, geht das Laden unendlich langsam bis gar nicht. Oje, was wenn ich plötzlich ohne Navi dastehe und ohne Möglichkeit zu kommunizieren. Ich stecke den Ladekabel immer wieder um und beobachte argwöhnisch das Laden. Wasser habe ich auch fast keines mehr.
Ein Lichtblick. Bei Lermoos am Anfang des sehr schönen Aufstieges der Leutascher Ache entlang gibt es ein WC-Häuschen – und frisches Wasser. Kurz etwas Körperpflege und Vorräte in Trinkrucksack ergänzt und eingefädelt in das Tal. Die Steigung ist angenehm und meine Geräte bekommen etwas mehr Strom und ich Motivation auch dadurch, dass ich erkenne, hier schon mal gewesen zu sein. In umgekehrter Richtung bei der Schottergaudi.
Irgendwann bin ich dann an der Abzweigung zum „Gegenverkehrsbereich“ Richtung Seebensee. 4 Kilometer musste man hoch, dann wieder runter. Am Anfang treffe ich auf ein Paar, das da wohl schon oben war. Haben die es gut. Warum mussten wir überhaupt da hoch?
Als ich ankomme, weiß ich warum … Der See, der gegenüber der Zugspitze in die Felsen eingebettet ist, ist eines der schönsten Plätze der Tour. Hier treffe ich wieder auf einige Leidensgenossen, die sich grad anziehen. Gute Idee! Ein Bad. Schnell aus den Kleidern geschält und in die kühlen Fluten. Traumhaft. Und nachts musste ich nicht so schmutzig-klebrig in den Schlafsack klettern. Das Beweisfoto habe ich dann doch wieder aus meinem Video entfernt … nackig im See …
Abfahrt nach Ehrwald. Sehr steil. Und da war ich schonmal hochgefahren …
In Ehrwald geselle ich mich zu einem lustigen Grüppchen bei einer Pizzeria al Taglio und verspeise eine Margherita, bevor ich in die Dämmerung starte. Flott geht es durch die Dunkelheit zum Heiterwanger See. Dort wird es spannend. Am Ufer entlang führt zunächst einsam ein Forstweg. Nach Überquerung des Sees und Änderung des Namens in Plansee, warum auf immer, denn das Gewässer hängt zusammen, führt ein schmaler Wanderweg weiter am Ufer entlang. Rechts kann man das Wasser nicht erkennen, nur dass es steil nach unten geht. Vorsichtig „eiere“ ich weiter. Hier allein ein Fahrfehler und niemand würde mich finden, wenn ich den Abhang runter stürzte und/ oder gar ins Wasser fiele.
Irgendwann treffe ich wieder auf ein paar Kollegen, es geht an deinem Campingplatz vorbei. Was nun? Dort einchecken ist nicht mehr möglich. Die Gruppe will noch bis Reutte fahren, das hatte ich eigentlich auch vor. Aber es war schon fast Mitternacht und es ging noch über zwei Berge. Ich ließ die Gruppe ziehen.
In feiner Steigung führte der geschotterte Radweg durch den Wald. Da! Ein ebener Platz neben dem Weg. Der Boden ist jedoch angepresst und steinig, ob ich da wohl meine zelt-Heringe reinbekäme. Ich nehme einen aus der Rolle. Nichts zu machen. Mit dem Hering in der Hand fahre ich weiter. Immer wieder steige ich ab und kontrolliere den Boden. Bis ich einen passenden Platz gefunden hatte, etwas abseits vom Weg war der Boden nicht so verdichtet.
Frau allein im Wald. Kaum ist der Reißverschluss meines kleinen Zeltes zu und ich eingemummelt in den Schlafsack, höre ich seltsame Geräusche. Ich halte die Luft an und lausche schockstarr mit weit aufgerissenen Augen. Was ist das da draußen? Immer wieder diese komischen Geräusche. Mucksmäuschenstill lausche ich weiter … da, wieder! Auf einmal muss ich lachen … ich komme nämlich drauf, was das für Töne sind: mein Magen grummelt vor sich hin; er ist wohl noch mit der Pizza Margherita beschäftigt … Erleichterung. Jetzt kann ich beruhigt einschlafen und das mache ich.
Tag 4 & 5: CP3 – Finish in Bregenz 173,08 km/ 3.415 m Bewegungszeit: 13:29:50
Kurz vor der Morgendämmerung bin ich wieder im Sattel. In Reutte wartet Frühstück. Ein Bäcker hat schon ab 5:15 Uhr auf. Ich bin froh, in der Nacht nicht mehr weiter gefahren zu sein, denn eine tiefe Schlucht musste durchquert werden. Runter schieben und aufpassen, dass man nicht links den Abgrund runter kippt, über eine kleine Brücke und auf der anderen Seite über unregelmäßige Stufen das Rad nach oben hieven. Eine fast unmenschliche Anstrengung bei DEM Gewicht.
Aber geschafft und auf dem Weiterweg ins Tal schieße ich noch ein Biwak-Foto zweier Radler.
Es ist fast 8 Uhr, als ich Reutte erreiche. Der Bäcker hat eine sagenhafte Auswahl, ich schlemme und lasse mir einiges einpacken, denn auch jetzt folgt eine lange Strecke durch die Einsamkeit. An den Weiterweg kann ich mich kaum erinnern. Meine Schaltung, die in den letzten Tagen wieder Probleme zeigte, hängt immer wieder. Ich habe den leichtesten Gang zur Verfügung – zum Glück. Aber die nächsten drei sind ausgefallen. Erst die höheren Gänge kann ich wieder schalten. Wenn das nur gut geht. Hoffentlich ist das nicht Anzeichen, dass mit dem Schaltkabel etwas nicht in Ordnung ist, dass dieser irgendwann bricht.
Einige Höhenmeter sind zu erledigen, bis zum CP3 am Vilsalp-See.
Dort gibt es wieder Knödel und in der Mittagshitze gönne ich mir ein Bad. Beim Wegfahren, oh Schreck! Ist kaum mehr Luft im Hinterreifen. Ich krame die Luftpumpe raus. Nach der schnellen Abfahrt nach Tannheim pumpe ich nochmal nach. Auf dem Weiterweg scheint die Luft zu bleiben. Schlauch einlegen wäre keine Option, denn ich würde es nicht schaffen, den Reifen von der Felge zu bekommen, der war völlig festgeklebt, das hatte ich am Tag vor dem Rennen gemerkt. Blödes Gefühl so hilflos im Falle einer Panne zu sein. In der Gegend gab es seltsamerweise nicht mal einen Radverleih.
Die folgenden Kilometer sind sehr schnell auf einem geschotterten Radweg. Fast 30 Kilometer, bis auf meinem Planungsprofil ein steiler Aufstieg ins Auge stach. Und wie steil der sein sollte. 5 Kilometer mit 500 Höhenmetern reine Schiebestrecke in der sengenden Sonne. Ich schimpfe wieder mal über die Streckenführung. Denn es geht hoch zur Kappeler Alm, nur um auf der anderen Seite steil wieder runterzufahren.
In Oy Supermarktstopp. Endlich komme ich zu meinem geliebten Kefir und etwas Obst. Herrlich. Dann weiter. Der Rottachsee lädt wieder zu einem kühlen Bad ein. Dann nochmal eine Schiebestrecke.
Wegen eines Erdrusches gibt es nun eine Umleitung bis fast Sonthofen. Viele Kilometer rasante Abfahrt auf Asphalt. Hatte ich mir vorgestellt in Sonthofen gemütlich was essen zu gehen, so werde ich enttäuscht. Ich finde nahe der Strecke nur eine Imbissbude. Dort allerdings gibt es einen riesigen Salatteller und die Welt ist wieder in Ordnung.
Etwas auf und ab geht es nun durch Allgäuer Dörfer. Ich möchte mir nun langsam einen Schlafplatz suchen. Aber nichts Geeignetes in Sicht. Irgendwann beginnt eine für den normalen Autoverkehr gesperrte Mautstraße. Links und rechts der Straße nur dichtes Kraut. Oje und ich bin müde. Unerwartet eine kurze Stichstraße nach links. Sie führt hinter einen Baum und sichtgeschützt kann ich hier mein Zelt aufbauen. Neben mir Flussrauschen. Ich schlafe gut, bin aber auch heute am letzten Tag wieder früh auf.
Es sollten nur noch knapp 80 Kilometer zum Ziel sein. Die führten erst über eine Hochfläche, dann vorbei an ein paar Weilern. Frühstück keines in Sicht. Und als ich wieder in die komplette Einsamkeit abtauche, bin ich etwas unmotiviert, denn immer wieder muss ich schieben. Wie langsam die Kilometer herumgehen. Grenze zu Österreich, Vorarlberg, die Gegend heißt Sibratsgfäll. Nach der Abfahrt ein Lichtblick, ein Spargeschäft in Großdorf, das ich auf meiner Planung nicht auf dem Schirm hatte. Dann eine schöne Fahrt der Bregenzer Ach entlang, bis der vorletzte Berg vor mir liegt.
Aber alles nicht so schlimm, man kann wider Erwarten alles fahren. Vor der Abfahrt verfranze ich mich im Blaubeerwald. Viele kleine Wege und keiner scheint der richtige zu sein. Ich schiebe zurück auf die Straße, falsch, also doch durch den Wald. Zu allem Übel fängt es auch an zu regnen. Ich fädle wieder in die richtige Spur ein, fahre talwärts. Ein Donnergrollen. Jetzt erst sehe ich die schwarzen Wolken. Der Regen wird stärker. Sturmböen. Weiter vor sehe ich glücklicherweise eine Ortschaft und rette mich unter ein schützendes Dach.
Als das Schlimmste vorüber ist, fahre ich weiter. Ein Anruf Bastians. Ich solle Straße weiterfahren und nicht ins Gelände. Die Straße solle ich aber noch „genießen“. Bei der Weiterfahrt merke ich, was er damit meinte: über 18% Steigung, lange. Der Ehrgeiz lässt mich aber nicht absteigen, bald sei ja alles vorbei.
Dann die letzte Abfahrt. Unter mir liegt der Bodensee und Bregenz. Am Ufer noch ein obligatorisches Bild, dann muss ich durch die Fußgängerzone schieben. Auch das noch. Die Strecke verlief parallel zur Uferpromenade.
Mittwoch Mittag. Nicht mehr viele Meter und ich bin da. Eine Reise gemischter Gefühle ist zu Ende. Wie immer ganz plötzlich und ich stehe etwas verloren da … Erleichtert, die Strapazen hinter mir zu haben und irgendwie traurig, dass alles schon vorbei ist …
Ich bin super zufrieden: 4 Tage/ 3 Stunden/ 46 Minuten Platz 5 Damen Platz 40 overall (111 Solo-Starter*innen)
VGG500 – das steht für Verona Garda Gravel 500, einer 540 Kilometer-Runde durch den oberitalienischen Raum unter der Federführung von Giorgio Murari, alias Musseu, Sport Verona. Wer mal ein Event bei ihm mitgemacht hat, der weiß, es ist etwas Besonderes. Dachte ich diesmal, die NUR 540 km würden wohl ereignislos verlaufen, so wurde ich eines Besseren belehrt …
Zuerst mein Video:
Donnerstag/Freitag, Nacht 1:
Traumhafter Sonnenuntergang Mitte März, nicht weit vom Gardasee. Ein kleiner Plausch mit einigen ciclisti, die ich schon von anderen Events kenne. So früh im Jahr sind schon ziemlich einige aus ihrem Radl-Winterschlaf erwacht … 540 Kilometer für den Anfang ist nicht wenig. Am Stück ist mir das zu viel, ich schleppe deshalb etwas mehr mit mir herum: meine vier Wände, sprich Leichtzelt, Matte, warmen Schlafsack. Schon zu wissen, dass ich eine Schlafpause machen kann, wann ich will und wo ich will – auch schon in der ersten Nacht- lässt mich gelassen starten. Naja, gelassen, beim Briefing betont Giorgio „Musseu“ Murari, dass es ideal wäre, mit leichtem Gepäck zu fahren. Zu spät.
Aber in meinem Kopf beginnt es zu rumoren, was wird da wohl auf uns zukommen? Die Handschrift Musseus bei der Streckenplanung lässt wohl nichts Gutes ahnen. Habe ich zu viel Ballast mit? Ich wüsste nicht, was ich weglassen könnte – aber ob 20 kg oder 25 – was soll’s? Mir kommen auch Zweifel, ob ich mit meinem MTB nicht besser dran wäre … Zudem warnte Musseu, dass aufgrund der vielen Regenfälle in den vergangenen Wochen wohl etwas Matsch auf den Wegen liegen würde – eine leichte Untertreibung. Zu 50 geht es los auf die große Runde durch den oberitalienischen Raum. an das Ufer des Gardasees, den Mincio entlang, dann weiter nach Verona, durch die Colli Euganei nach Abano Terme, weiter nach Vicenza, durch die Colli Berici und Richtung Westen, zurück über unzählige „Berge“. Anfangs flach, dann mit ordentlich Höhenmetern garniert (7600m sollten es am Ende sein).
Beim Losfahren vermute ich, die Fahrt würde vielleicht etwas ereignislos werden, egal, dann würde die Geschichte benutzerfreundlich kurz … Aber …
Schon auf den ersten Kilometern zum Ufer des Gardasees macht mein Vorderlicht schlapp. Durch das Gerüttel auf dem Gravel-Untergrund kippt die Lampe plötzlich nach unten und ich sehe auf einmal nur noch Schwarz vor mir. Vollbremsung. Rad an eine Mauer lehnen, Werkzeug rauskramen und die Lampe fest anschrauben. War ich wohl zu schlampig beim Montieren gewesen zuhause. Fazit- alle anderen sind nun weg, nicht ein einziges Rücklicht sehe ich mehr. Auf schottrigem und schlammigen Untergrund gravele ich entlang des Canale Virgilio. Die kleine Fußgängerbrücke übersehe ich. Verhauer. Zurück.
Schlagloch. Hart drückt es meinen Allerwertesten in den Sattel. Ein Gedanke schießt mir plötzlich in mein Hirn, das jetzt im Dunkeln keinerlei Ablenkung hat: Ich habe meine neue Colombier-Radhose von Skinfit an, mit einem ganz ganz dünnen Gelpolster. Na und? Ja, aber ich habe als Wechselhose nur die andere neue Hose ohne Radeinsatz mit, auch ungetragen. Wie unvernünftig! Was, wenn …? Selber schuld, wenn ich mich ab Kilometer 100 oder so mit Sitzproblemen rumquälen muss. (Blick in die Zukunft: Es gibt keinerlei Probleme!!! Aber hier würde die Überschrift passen: Unvernunft löst sich in Wohlgefallen auf …)
Einer Radler-Gruppe (ach, sind da doch noch welche hinter mir?) rufe ich noch „sbagliato strada“ zu, aber die ignorieren mich. Mit etwas Schadenfreude (ich hatte es ihnen ja gesagt!) sehe ich wie sie den Canale an der anderen Seite folgen, dann verloren sich ihre Lichter im Wald, sie fahren bergauf … Immer wieder Pfützen und Schlamm, in den sich mein Vorderrad bohrt. Ich sollte wohl etwas langsamer fahren, um einem Sturz vorzubeugen.
In der Ferne über mir erscheint das beleuchtete Castello Scaligero, wunderschön. Hier in Valeggio muss ich weg vom Mincio. Durch Olivenhaine und Weingärten pedaliere ich nun Richtung Osten. Ab und zu überhole ich einen nächtlichen Radfahrer.
Ich fahre durch Villafranca mit seinen schön beleuchteten Stadtmauern und dem Schloss. Im Schlosspark finde ich zum Glück eine Wasserstelle, ich habe nur eine Flasche und es ist fraglich, wann ich wieder Wasser finden würde.
Dann das nächtliche Verona. Mein Track geht geradeaus. Straßensperre. Eine Menge an Polizisten und Militär steht herum. Nanu? War ich zu schnell und bin in die Tempofalle getappt? Ich scherze. Sperre, weil um die Ecke die Arena di Verona sei. Da wird wohl gerade ein Event zu Ende sein.
Ich suche mir eine Ausweichstrecke. Ein erster ernsterer Berg liegt vor mir. Sehr steil folge ich nun in Einsamkeit den Mauern des Castello San Felice, mit etwas schlechtem Gewissen, ich habe mich nämlich an einem Sperrschild vorbeigezwängt. Zwischen zwei Festungsmauern geht es durch, komplette Finsternis. Als es wieder abwärts geht und auf meinem Track aber kein Gefälle angezeigt wird, rauschen ein paar Radfaher an mir vorbei. Ich folge ein Stück. Das kann doch nicht stimmen. Ich schiebe mein Bike steil zurück. Da! Unscheinbar eine bogenförmige Öffnung in der Mauer, versperrt mit einem großen Stein. Da soll es durchgehen? Ich muss mein voll bepacktes Rad über das Hindernis hieven. Erinnerung an die GBDuro kommen auf. Uff! Dann ein schmaler Weg der Mauer entlang durch den Wald. Ob das wohl stimmt. Doch!
Bald sause ich runter in Richtung Montorio. Sause ist zu viel gesagt, denn ein unregelmäßiges Kopfsteinpflaster wirkt sich doch ziemlich auf meine Geschwindigkeit aus. Den Kanal, dem ich ab Montorio folge, kenne ich schon. Tagsüber sehr idyllisch zwischen den beiden Wasserläufen zu radeln. Nun etwas unheimlich, links und rechts die tiefschwarzen glänzenden Bänder, Nebelschwaden, ein Käuzchen oder etwas Größeres ruft und sind das Frösche, die da quaken? Frieren die nicht? Mir kriecht die feuchte Nebelluft überall hinein. Schnell weiter, damit mir wieder warm wird.
Zum Glück nun zwei kleine Berge, dann Ebene bis zu den Colli Euganei. Soave bietet Abwechslung. Auf dem beleuchteten Platz vor den Stadtmauern eine Überraschung, die nach einer Fotosession ruft. Eine riesige pinkfarbene Schnecke mit Kind. Und ich die „lumacagabi“. Lumaca bedeutet Schnecke auf Italienisch, ich nämlich langsam, aber ausdauernd. Filippo und Luca (?), denen ich in den nächsten Stunden und am nächsten Tag mehrere Male über den Weg fahren würde, bringen geduldig meine Bilder in den Kasten. Dann weiter, eine kleine Gruppe startet. Ich hänge mich nicht dran, das Fahren in der Gruppe ist nicht so meins. Ich möchte ungebunden sein und möchte nicht, dass sich Leute für mein Fortkommen verantwortlich fühlen müssen und in den Anstiegen auf mich warten.
Die Wege werden immer matschiger. Zum Glück sehe ich mein Rad im Dunkeln nicht so gut … es ist vermutlich schlammverspritzt. Egal. In Gedanken an die nächste Radreinigung und vermutlich habe auch ich einiges abbekommen fahre ich durch eine Unterführung – und stecke fest, im Schlamm. Hier hat sich das Wasser gesammelt. Fuß von den Pedalen runter und auch der steckt fast knöcheltief fest. Mit einem saugenden Geräusch ziehe ich meinen Radschuh aus dem Matsch. Das wäre es dann gewesen mit sauberen Schuhen. Der Weg verliert sich nun in einer Wiese. Die Ruine eines verfallenen Hauses trägt zur gruseligen Stimmung bei. Mir fallen auf einmal Szenen aus dem Hörbuch-Thriller ein. Mein Navi spielt verrückt. Ich kann nicht ausmachen, wo ich mich im Vergleich zur korrekten Spur nun befinde. Ich fahre zurück. Da! In der Ferne kann ich zwei Rücklichter erkennen, die in die andere Richtung radeln, ich hinterher. Meno male! Zum Glück! Ich bin wieder auf der richtigen Spur.
Es ist nun schon weit nach Mitternacht, genau halb drei Uhr. Schon seit einiger Zeit gähne ich an einer Tour, im nächsten Schritt werde ich irgendwelche Dinge sehen, die gar nicht da sind und dann … Sekundenschlaf! Ich kämpfe innerlich mit mir, soll ich? Soll ich nicht? Wenn, dann … Will heißen, soll ich mein Zeltchen aufstellen? Dann werde ich wohl völlig abgeschlagen sein und dem Feld am nächsten Tag hinterherfahren … Aber was soll’s … ich fahre an einer kleinen Kapelle vorbei, umgeben von einem kleinen Rasenstück. Das ist es! Mein Campingplatz! Rad an das Kirchlein gelehnt und die Zeltunterlage rausgezogen. Leider ist unter dem spärlichen Gras der Boden nahezu flüssig. Matsch auch hier! Aber mein Hirn möchte nun nicht mehr zurück. Dann muss ich später wohl verdreckte Utensilien zusammenpacken. Ich verkrieche mich in meinem Schlafsack, auf Zahn- und Körperpflege verzichte ich. So bin ich halt gleichmäßig schmutzig. Igitt! Unruhig ist mein Schlaf. Immer wieder höre ich das Surren vorbeifahrender Fahrräder.
Obwohl ich den Schlafsack am Hals gut zusammenziehe, fröstelt es mich immer wieder. Zweieinhalb Stunden liege ich so, dann beschließe ich aufzustehen. Ob ich viel geschlafen habe, ist fraglich. Das Zelt ist innen und außen klatsch nass. Die Luftfeuchtigkeit ist fühlbar sehr hoch hier in der Ebene. Und gleichzeitig ist es kaum wärmer als 2-3°C. Ich packe meine nassen und klammen Schlafutensilien in meine Taschen und radle los, Vögel fangen an zu zwitschern, es dämmert. Natürlich fahre in die falsche Richtung. Man gönnt sich ja sonst nichts. Den Irrtum gemerkt und umgekehrt trete ich nun ordentlich in die Pedale, damit mir warm wird. Auf der SeteTrack App sehe ich, dass hinter mir wohl kaum mehr jemand ist. Am Abend jedoch werden die meisten anderen wohl eine längere Schlafpause bei Vicenza einlegen, da werde ich Plätze gut machen, vermutlich.
Freitag, Tag 1:
Ich erreiche bei den ersten Sonnenstrahlen, die sich durch die dichte Nebeldecke fressen, Montagnana mit seinen mittelalterlichen Stadtmauern, der gotischen Kathedrale und den wunderschönen Palazzi. Frühstück-Stopp mit Brioche und Lattemacchiato. Ich verschwinde zuerst mal im Bagno – mindestens eine halbe Stunde Körper- und Kleiderpflege und ein komplett versautes und überflutetes Bad. Halbwegs sauber erscheine ich, nachdem ich auch noch Boden und Waschbecken das Bades notdürftig gesäubert habe, im Gastraum.
Glücklicherweise ist der Kaffee noch nicht zubereitet worden, er wäre jetzt wohl Eiskaffee … Ich drehe ein paar Runden durch das Städtchen, da ich mich verfahre, dann wieder freie Fahrt entlang des Flüsschens Frassine. Freie Fahrt? Musseu hatte schon angekündigt, es gäbe hier eine Baustelle und die müsste man großräumig umfahren. Da die Maschinen noch still stehen und ich einige Radspuren im Schotter ausmachen kann, setze auch ich mich über das Fahrverbot hinweg. Anfangs ist auch noch alles easy. Dann wird die Weiterfahrt kniffelig, Umdrehen keine Option, da ich einige Kilometer zurückmüsste. Schwere Maschinen hatten die Asphaltdecke hier auf dem Bachdamm aufgerissen. Ich eiere langsam über den unregelmäßigen Untergrund. Und da ist es schon passiert. Mein Vorderrad rutscht ab und bohrt sich in den tiefen feinen Schotter. Ich fliege über den Lenker. Aua! Nachdem ich meine Gliedmaßen sortiert habe, steige ich mit zitternden Knien wieder auf, bzw. schiebe mein Rad zunächst ein paar Meter. Alles ok bis auf eine Schnittwunde an der Hand, ein aufgeschürftes Knie und vermutlich einen großen blauen Fleck am Oberschenkel. Wie ich aussehe, zählt nicht: Mein rechter Beinling ist völlig verdreckt, die Radhose über meiner rechten Po-Backe ebenso. Oje! Nun passe ich wieder perfekt zu meinem völlig verdreckten Rad. Etwas Gutes hat das ganze jedoch – bei den vielen schlammigen Passagen, die nun vor mir liegen, brauche ich nicht langsam durchzurollen, um den Schade möglichst gering zu halten. Das hat eh keinen Zweck mehr. Also mit Vollgas durch!
Mir fällt ein, dass ich eigentlich meine Lampe, gespeist durch den Nabendynamo, nun langsam mal ausschalten könnte. Nanu? Was ist das? Wo ist der Schaltknopf meiner Edilux? Da wo der Drehbogen zum Ein- und Ausschalten war, ist nichts außer einer leeren Rille. Wie das? Kann das abgehen? Ich hole mein Werkzeug raus und will versuchen, das Ding manuell auszudrehen. Geht nicht. Beim kurzen Telefonat mit Hermann zuhause, erfahre ich erst mal einen Tadel: „Mit den Lampen da hast du es wohl …“, damit spielt er auf mein Erlebnis bei der GBDuro an, bei der die Lampe abgebrochen war bei meinem Sturz und ein Kurzschluss dann noch den Pufferakku außer Gefecht gesetzt hatte. Was sollte ich nun tun?
Zumindest erfahre ich nun, dass das Ding durch einen Magneten an- und ausgeschaltet werden könne. Und den hatte ich ja verloren. Bliebe die Lampe an, wäre das ja kein Problem. Allerdings könnte ich dann keine Geräte mehr laden. Ohne Licht käme ich auch nicht weit in den nächsten beiden Nächten, denn auch die Lupine Piko auf meinem Helm wäre irgendwann am Ende ihrer Leuchtkraft. Was nun? Ich fahre mal weiter, vielleicht gibt es eine Lösung bei der Kontrollstelle beim Bikeshop Aloha 1 in Abano Terme.
Es wird nun sehr warm, mein Wasservorrat geht wieder mal zu Neige. Ein Brunnen kommt zurecht. Hier versuche ich notdürftig mich und mein Rad zu säubern. Ob das viel Sinn macht, ist fraglich, vermutlich werden die Wege vor mir deshalb auch nicht besser und schlammfrei. Ich besuche hoch oben am Berg noch das Wohnhaus von Francesco Petrarca, einem der wichtigsten Vertreter der frühen italienischen Literatur. Dann wieder Abfahrt.
Durch den Kopf schwirrt mir immer wieder die Lampe. Vielleicht könnte ich irgendwo einen Magneten bekommen, den ich an der Lampe festkleben kann … Ja, das muss so gehen! Und wirklich, Ricardo vom Bikeshop Aloha, CP1, verschwindet in seinem Shop, um mit einem Stück Metall zurückzukehren und einem langen Stück Powertape. Wir probieren, wie sich das magnetische Metall auswirkt, wenn man es an verschiedene Stellen der Lampe hält. Und siehe da. Leicht links geht die Lampe an, weiter rechts geht sie aus. Ich stecke das Stück Metall ein und bekomme auch noch ein langes Stück Powertape. Die nächste Nacht kann kommen. Nachdem Ricardo auch noch meine Kette geölt hat (mille mille grazie, Ricardo!), starte ich wieder.
Ein Drittel der Fahrt liegt nun hinter mir. Alle Höhenmeter aber noch vor mir. Es ist nun fast Freitag Mittag und das Wetter herrlich. Nun geht es sofort in die ersten ernsteren Berge, bei Sossano geht es in die Colli Berici. Die Steigungen sind ungnädig. 26% – das kann ich nicht im Sattel bewältigen. Vor mir schiebt auch wer. Elena! Wir schieben und fahren einige Kilometer miteinander, bis ich die Gelegenheit nutze zu einem Stopp – heiße Schokolade und was Süßes. Bald aber sehe ich Elena wieder vor mir – schieben. So geht es über drei Berge. Und wieder Salami-Brotstopp, Elena startet, als ich ankomme. Auf den 30 Kilometern Ebene vor Vicenza bin ich -gelehnt auf meinen Triathlonlenker- ordentlich schnell. Elena verliere ich dabei. Sie wird, da sie die dritte Nacht durchfährt, etwas vor mir im Ziel sein.
Unterwegs mache ich noch einen großen Umweg entlang eines Kanales. Die Brückenbauer lassen mich leider nicht durch und schicken mich ins Gelände. Um auf die Straße zurück zu kommen, lässt mich ein Bauer gnädigerweise durch seinen Privatgrund. Die Hunde des Nachbarn sind nicht sehr erfreut.
Ich mache mir Gedanken, wo ich was zu Abend essen könnte. Finde ich ein Lokal bei Vicenza, wo ich mein Rad sicher abstellen kann und wo ich auch so schmutzig Einlass bekomme? Da! Ein Schild kündigt eine Pizzeria an: Ristorante e Pizzeria Giorgio & Chiara. Wo ist der Eingang? Ich irre im Innenhof herum und treffe auf jemanden, der mich von oben bis unten etwas argwöhnisch beäugt. Ja hier sei ein Lokal und in 10 Minuten öffneten sie. Ich warte vor dem Haus und entdecke einen Gartenschlauch. Notdürftig reinige ich meine Kleidung, wische die Schlammspritzer von meinem Gesicht. Ich frage, ob ich mein Rad etwas abspritzen darf. Darf ich! Und ich darf es nun auch auf der Terrasse etwas versteckt abstellen. Noch bin ich einziger Gast. Darüber bin ich froh. Ein Blick in den Spiegel zeigt mir nämlich, dass die Katzenwäsche draußen nicht so viel gebracht hat. Ich komme ins Gespräch mit den Chefleuten. Sie staunen über meine Fahrt. Die Welt ist zudem klein. Gemeinsam haben wir einige Radfreunde. Auch sportmäßig gibt es Anknüpfungspunkte: Triathlon, wir fachsimpeln, im August werde ich Giorgio beim Inferno Triathlon von der Ferne verfolgen und in Erinnerungen schwelgen … Ich werde mit einer der köstlichsten Pizzas ever verwöhnt und gönne mir auch noch eine Crema Catalana. Ungern verlasse ich den feinen Ort. Inzwischen hat sich die Dämmerung über den Vorort Vicenzas gelegt.
Die anderen Radfahrer haben nun wohl schon ihre Hotelzimmer bezogen. Die haben es gut … Beim Weiterfahren fällt mir auf, dass es in den Senken bitterkalt ist und sobald man etwas an Höhe gewinnt, wird es spürbar wärmer. Ich werde meinen Schlafplatz wohl dementsprechend auswählen. Aber noch ist es nicht soweit. Ich möchte noch am Lago di Fimon vorbei und über mindestens zwei Berge. Meine Lampe geht irgendwann von alleine an – Spuk? Fragt mich nicht wie … Ich bin sowas von erleichtert, ich habe Licht. Vorbei am Fimonsee, dann wird es sehr ernst, eine Steigung, die nicht nur steil, sondern steinig wie sie ist, mich aus dem Sattel zwingt. Das Hike a Bike, geht nicht nur hoch, sondern auch runter. Ich schimpfe innerlich wie ein Rohrspatz mit dem Streckenkonstukteuer Musseu. Mit meinem MTB wäre ich hier viel besser dran gewesen.
Freitag/ Samstag, Nacht 2:
In der anschließenden Steigung finde ich auch meinen nächsten Traum-Schlafplatz: wieder am Vorplatz einer kleinen Kapelle. Als ich beim Zeltaufbau bin, kommt Alessandro vorbei, nach einem kleinen Schwätzchen schiebt er weiter. Etwas Wegabwärts höre ich ein Auto und sehe Scheinwerfer durch die Bäume irrlichtern. Dann wieder Stille. Das beunruhigt mich etwas. Mir ist mulmig zumute. Das hier ist ein Forstweg und eigentlich nicht für Autoverkehr geeignet. Wer ist da hochgefahren? Und warum nicht weiter? Was, wenn jemand kommt und mir das Rad klaut, während ich schlafe oder so …? Sobald ich in meinen Schlafsack sinke, schlafe ich sehr gut, ich wache erst kurz vor dem Wecker gegen 5 Uhr auf, mein Rad ist noch da und mir nichts passiert. Kurz vor 6 geht es weiter. Zelt abbauen und packen muss ich unbedingt noch üben und dabei schneller werden. Vielleicht in der kommenden Nacht?
Samstag, Tag 2:
Meine Schaltung macht Probleme, ich kann nicht mehr auf die großen Gänge vorne schalten, aber wer braucht auf diesem Parcours denn große Gänge? Es geht in einer Tour hoch und runter. Angst habe ich nur, dass das Vorbote eines Schaltkabel-Risses sein könnte. Lieber nicht mehr versuchen vorne zu schalten … Bei Morgen-Dämmerung komme ich an einem Burgfelsen vorbei, der Rocca dei Vescovi, dann verfahre ich mich wieder mal, denn wer glaubt schon, dass das große Eisengitter Durchschlupf erlaubt. Gleich darauf wieder ein Verhauer. Ich fahre einen Bauernhof an, anstatt außen herum.
Wieder auf dem richtigen Weg mache ich eine erstaunliche Entdeckung: auf einer Wiese steht ein Sammelsurium an alten Flugobjekten aus dem letzten Weltkrieg. Schauriger Anblick, wie die Läufe der Artillerie-Geschütze in den düsteren Himmel drohen. Panzer und Motorflieger stehen hier herum. Seltsame Sammelleidenschaft.
In Altavilla, im nächsten Tal, locken Latte Macchiato und Gipfele mit Vanillecreme. Gestärkt fahre ich weiter in den Tag hinein. Mal sehen, was kommt. Nach der ausgiebigen Nachtruhe gehe ich ausgeruht in die Steigungen, die ihrem Namen alle Ehre machen. Viel-prozentig geht es hoch, oft hike a bike und oft so schlammig, dass auch geringere Steigungs-Prozente mich aus dem Sattel zwingen. Ich schimpfe -nicht immer leise- vor mich hin. Aber die schönen Abschnitte überwiegen.
Es gibt einen Extra-Aufstieg zu den Castelli di Romeo e Giulietta, hoch über Montecchio Maggiore.
Kurz vor Ende des zweiten Strecken-Abschnitts falle ich in einem Supermarkt ein. Ich hatte zuvor keinerlei Möglichkeit, meine Kleidung, Gesicht, geschweige denn das Rad zu reinigen. Ich schäme mich nicht, die Leute gucken trotzdem. Ich sammle rasch das Notwendigste zusammen und zahle. Vor dem Geschäft gibt es zwar keine Sitzgelegenheiten, aber eine Kinderschaukel tut gute Dienste. Ich bemerke, dass ich vergessen hatte, Wasser zu kaufen. Die Supermarkt-Chefin kommt heraus und ich frage, ob es rund um den Shop zufällig eine Wasserleitung oder so gäbe. Sie verneint und meint ich solle einen Moment warten. Kurz darauf kommt sie mit einer Mineralwasserflasche heraus und schenkt diese mir. Wahrscheinlich schaue ich so abgerissen aus … vermutlich regierte das Mitleid mit dieser armen schmutzigen Frau, die vermutlich schon wochenlang durch die Gegend fuhr … Oder wollte sie einfach nicht, dass ich das Geschäft nochmal betrete?
Immer wieder hike a bike, Steine, Schlamm, … Irgendwann platzt mir der Kragen, als ich innerlich wieder und wieder Musseu „verfluche“, scheibe ich in der WhatsApp Gruppe, dass ich das nächste Mal lieber mit dem Club Alpino wandern gehen würde, aber ohne Fahrrad an der Hand. Dann werde ich wieder besänftigt durch wunderschöne Abfahrten. Verschämt lösche ich meinen Eintrag wieder. Hoffentlich hat ihn niemand gelesen.
Einen ewig langen Buckel geht es hoch durch Olivenhaine und Weinreben. Auf einmal sichte ich Plakate mit den Namen der teilnehmenden Mädels, u.a. „Vai, Gabi!“ Ich muss grinsen, bei der Verona Garda Gravel extreme vor zwei Jahren hatte das Giancarlo auch gemacht, cool! Mittag bin ich in Campiano, hier hatte ich schon vor zwei Jahren mit Hermann bei der Verona Garda Gravel Extreme gegessen. Ich treffe hier auf Alessandro, Stefano und Roberto und lasse mich zu hausgemachten Nudeln mit Tomatensauce nieder. Sehr lecker.
Mit Alessandro fahre ich dann weiter, kurzweilig beim Quatschen gehen die nächsten Steigungen (es gibt noch 5 lange) von der Hand. Oder muss man sagen „vom Fuß“? Ein Brunnen, ich verlasse den Track ein paar Meter. Das war wohl mein größter Fehler an diesem Tag, denn das Unheil folgt stante pede: Als ich nämlich losfahren will, spielt mein Garmin-Navi verrückt, wieder mal. Streik!
Die Karte wird nicht in Fahrtrichtung angezeigt, sondern erscheint genordet. Das bedeutet für mich Gehirnjogging pur: Fahre ich nach Norden, ist alles normal. Nach Süden ist es auch noch easy, da kommt mir der Richtungs-Pfeil einfach entgegen. Es ist auch leicht nachzuverfolgen, wenn die Strecke rechtwinklig nach links oder rechts abbiegt, da muss ich einfach in die Gegenrichtung abbiegen. Schwierig wird es allerdings, wenn es Richtung Süd-Westen, Nord-Osten oder noch schlimmer Nord-West-Nord oder so ähnlich geht. Völlig verwirrt biege ich immer wieder falsch ab. Jetzt am hellichten Nachmittag geht das ja noch halbwegs, aber was, wenn es dunkel wird und wenn ich die Konzentration nicht mehr aufbringe?
Samstag/ Sonntag, Nacht 3:
Alessandro und ich gönnen uns eine Pizza-Pause im Örtchen Avesa. Anschließend starte ich, während Alessandro sich noch für die Nachtfahrt richtet. Natürlich kommt mein Gehirn bei der Ausfahrt aus Avesa nicht so rasch in die Gänge. An zig Abzweigungen fahre ich logisch in die verkehrte Richtung. Ich bin nicht weit von Verona und der Verkehr ist dementsprechend dicht. Samstagabend – Partytime. Bin ich froh, als es wieder ins Gelände geht.
Hier holt mich Alessandro ein und gemeinsam radeln wir weiter bis Domegliara, wo der CP2 in der Bar La Prua ist. Wir gönnen uns eine heiße Schokolade, dann geht es weiter. Bei dem nun folgenden Abschnitt auf einem schmalen Pfad direkt an der Etsch entlang, bin ich froh, dass ich hier nicht alleine bin. Da der Abend nun schon sehr fortgeschritten ist, beschließe ich bei nächster Gelegenheit mein Nachtlager aufzuschlagen. Es sind zwar NUR noch rund 65 Kilometer bis ins Ziel und Alessandro meint, das sind gut 3 Stunden auf dem Rad, ich hatte aber wohl einen guten Riecher, dass ich mir das nicht antue.
Ich sollte am nächsten Tag erfahren, dass Alessandro nur ein paar Stunden vor mir angekommen war, also nichts da mit 3 Stündchen. Ich selbst werde noch 6 Stunden inklusive Frühstück, Flussüberquerung und diverser Fotosessions brauchen. Kurz nach Cavaion scheint sich mir der ideale Zeltplatz zu bieten: Ein kleiner Olivenhain in der Nähe der großen Windräder. Der Platz ist etwas höher gelegen und außerhalb der eisigen Kaltluftseen, die es auch heute gab.
Ich beginne mit dem Zeltaufbau. Auf einmal summt es in meinen Ohren: ein ohrenbetäubender hochfrequenter Ton. Was ist denn das? Ich vermute, dass der Bauer mit einem Gerät irgendwas abwehren möchte. Aber was? Unerwünschte Camping-Gäste? Wird in Kürze der Olivenbauer hier erscheinen und mich verjagen? Ich ziehe mein Zelt auf der Unterlage drei Oliven-Bäume weiter. Der Lärm verstummt (zuhause google ich das Erlebte: es ist ein Ultraschall-Tiervertreiber). Kaum ist mein Zelt aufgestellt und ich habe mich in meinem Schlafsack verkrümelt, da ist es mit windstill vorbei und das große Windrad in nächster Nachbarschaft beginnt sich zu drehen. Es wird laut. Das und das Wissen, dass ich hier wohl unerwünscht bin, lassen mich nur sehr leicht und unruhig schlafen.
Sonntag, Tag 3:
Bei Dämmerung packe ich meine Sieben-Sachen (ich bin sage und schreibe 10 Minuten schneller als nach den letzten beiden Nächten, also kann man sagen Übung macht den Meister!)
Dann starte ich auf die letzten Kilometer. Kurz darauf werde ich in meiner Fahrt jäh gestoppt. Ein Bach fließt über den Weg. 5-6 Meter breit, etwa zwanzig Zentimeter tief, linker Hand ein kleiner Wasserfall. Der Untergrund besteht aus faustgroßen Kieseln. Da durchfahren? Wohl lieber nicht, wenn ich nicht nasse Füße bekommen möchte oder noch schlimmer ein Vollbad (das ich aber eigentlich dringend nötig hatte). Traue ich mich zu fahren? Nein, absolut NEIN! Schuhe, Socken aus und rüber schieben, schön an der Kante des Abbruches entlang. Hatte ich die Füße bisher kalt, so bewirkt das eiskalte Bachwasser, dass meine Zehen in kürzester Zeit direkt heiß werden. Toll!
Keinen Kilometer weiter schon wieder ein Bach. Diesmal gibt es aber schmale wackelige Latten, über die man balancieren kann.
Kurze Zeit später, in Caprino, der übliche Lattemacchiato-Stopp (mit 2 Zucker, wie immer). Die Baristin meint, sie bringe mir das Bestellte hinaus. Das sagt wohl alles aus … die „abgerissene“ Person, ICH, werde nicht mal vor die Wahl gestellt, ob ich meinen Kaffee drinnen oder draußen genießen möchte. Über Radwege und nette Trails geht es vorbei an Costermano.
Durch das Valle Lunga führt wohl ein beliebter MTB-Trail, denn immer wieder überholen mich als Hike-a-Bikerin Leute mit ihren E-Bikes und ich ernte mitleidige Blicke. Ich will trotzdem keines – E-Bike – meine ich.
Und dann taucht er plötzlich auf: der blitzblaue Gardasee, tief unter mir. Am Hang entlang mit Blick auf den See, durch schöne Olivenhaine geht es nun Richtung Süden. Nach der Punta San Virgilio geht es nach einem fast unüberwindbaren Hindernis direkt an das Ufer des Sees. Das Hindernis stellt sich mir als ein Fußgängerdurchgang in den Weg. Die Spaziergänger können sich rechts durch einen schmalen Durchgang zwängen, mit einem Rad unmöglich. Kein Mensch weit und breit, ich mit meinem schweren Rad alleine. So was hatten wir doch auch unzählige Male bei der GBDuro in Schottland, dort in Form von versperrten Viehgattern. Ich wuchte das Vorderrad hoch, hebe es über die Stange, schiebe mit der Schulter das Hinterrad mit der schweren Tasche nach, wenig rückenfreundlich muss ich das ganze nun auf der anderen Seite langsam runterlassen. Geschafft!
Nun am Ufer entlang bis Garda. Viele Fußgänger und Zuschauer der Regata delle Bisse, die heute stattfindet, lassen mich nur langsam weiterkommen. Nach Garda geht es wieder ins Gelände, zum Glück, denn die Uferpromenade wäre heute wohl nicht ratsam gewesen.
Einen kurzen Kaffee-Stopp in Peschiera, im Bikehotel Enjoy, lasse ich mir nicht nehmen.
Dann geht es ins Ziel beim Agriturismo Le Fornase in Castelnuovo. Bei einem leckeren Teller Bohneneintopf und anderer Leckereien und nach „chiacchierate“ mit anderen Radfahrern findet das Abenteuer VGG langsam ein Ende.
Schade, zweieinhalb Tage durch die Gegend graveln sind leider viel zu schnell vergangen. Höhen und Tiefen sind allzu schnell vergessen. Aber das nächste Abenteuer kommt bestimmt …
Danke Stefania und Giorgio für das Erlebnis VGG. Schön war es durch neue schöne Landschaften zu fahren, Giogio, alias Musseu, überrascht immer wieder … und nette Rad-Bekanntschaften zu machen.
Leider gibt es nur wenige Frauen, die an solchen Events teilnehmen. Deshalb: Cicliste – traut euch!!! Vielleicht animiert mein Bericht und das Video euch ja …
Ich freue mich schon auf den Mai 2024, da möchte ich diese traumhaft schöne Runde nämlich wieder fahren …
Hier mein Video von 2023:
Nach dem wunderbaren Sabbatjahr 2023 mit viel Rad … (AMR, TBR, GranGuanche, BTG) sollte ich langsam ans „Abgewöhnen“ denken, im September ging dann der Ernst des Lebens wieder los … Abgewöhnen? Deshalb wollte ich das Event Bike Haderburg Mitte September fahren … Der Zielort, die Haderburg, auf einem Felsen hoch über Salurn klang vielversprechend.
Profuminviaggio (Giorgio Murari und Stefania Segna) organisierten 2023 die Edition 0 der Bike Haderburgin Zusammenarbeit mit der Gemeinde Salurn und der Radsportgruppe Ciclisti per Caso.
Dieses Jahr (2024): Der Start ist am Samstag, den 18. 19. Mai 2024, Zielschluss ist Sonntagabend. Für die 450 km sind 40 h vorgesehen. Es gibt dieses Jahr mehrere Streckenlängen zur Wahl: 100 km, 200 km und 450 km. Die wunderschöne Strecke führt durch die Natur zwischen Italien und Österreich; Etschtal, Brenner, Silltal, Inntal, Kaunertal, Vinschgau. Das ideale Rad? Ein Gravelbike mit Slick 35-Reifen oder ein Rennrad mit etwas „großzügigerer“ Bereifung. Das Highlight wird nach der Anstrengung wohl die abschließende Pasta-Party auf Schloss Haderburg sein; das spektakulär gelegene Schloss ist exklusiv für diese Veranstaltung geöffnet.
Wenn jemand mit möchte, beeilen, es gibt nur hundert Startplätze!
Events auf ähnlicher Strecke aus der Feder Giorgios gab es schon mal, es war immer sehr unterhaltsam und schön organisiert: Edelweiß ’17 oder auf südlicher Route: Edelweiß ’21
Zzckkkzzckkk … Das klingt gar nicht gut. Was ist mit der Schaltung? Zudem hängt die Kette durch … Pleiten, Pech und Pannen bei der Anreise zur GranGuanche Audax Gravel, zum Nachlesen hier: meine Pannen. Und hier „Spaßiges„😊 aus der WhatsApp Gruppe GGG
Lanzarote, Eremitage Orzóla im Norden der Insel, Mitte März 23. Es dunkel, zehn vor zehn, warten auf den Start. Was mache ich hier? Alleine unter 100 anderen Athleten und Athletinnen?
Vor mir liegt Gran Guanche Audax Gravel, eine Art Insel-Hopping über die Kanarischen Inseln.
In gewissem Sinne ist die Zeit dort mein größter Konkurrent, denn es ist bei diesem 700 Kilometer langen Rennen mit über 16.000 Höhenmetern wichtig, pünktlich zu den Abfahrten der Fähren zu kommen, um nicht kostbare Zeit still zu stehen.
Die Inseln:
Lanzarote – Fuerteventura – Gran Canaria – Teneriffa – El Hierro
Im Vorfeld hatte ich mir verschiedene Szenarien ausgedacht, was aber, wenn ich eine Fähre nicht „erwische“, dann ändert sich der gesamte Plan. Unterwegs erkenne ich, dass eine genaue Planung zwar eine gewisse Sicherheit bringt, es aber wichtiger ist, flexibel zu bleiben und alles auf sich zukommen zu lassen. Erste Priorität: in die Pedale treten, was das Zeug hält.
1 – Lanzarote: 104km/ 1580 Hm (6:30h)
Das erlösende „LOS“! Die Menge setzt sich in Bewegung. Ich bin wohl die einzige mit einem MTB, alle anderen sind mit ihren Gravelbikes angereist, mit mehr oder weniger Taschen … Ich mit MEHR … Ein Kommentar von Tim in der WhatsApp-Gruppe hatte mich dazu veranlasst, das Foto von meinem gepackten Drahtesel sofort wieder herauszunehmen. Er meinte, so aufgepackt wäre er, wenn er vom Einkaufen im Supermarkt Mercadona käme. (Kleine Genugtuung: Während ich das hier schreibe, am Hotel-Pool in Teneriffa, ist besagter Fahrer, glaub ich, noch auf Teneriffa unterwegs …*Nachtrag, siehe unten)
Ich trete in die Pedale. Es geht gleich zur Sache. Schotter, sehr steil, hike a bike ist angesagt. Bald schon finde ich meinen Platz gefühlt unter den letzten, da ich schon ein erstes Mal stehen bleiben muss, um meine Jacke auszuziehen. Meine Konkurrenten rasen aber auch durch die Nacht, als ginge es nur zur nächsten Pizzeria und als lägen nicht 700 Kilometer vor uns.
Es ist stockfinstere Nacht. Schade. Auf Lanzarote war ich schon mal beim Ironman. Ich erinnere mich an die wunderbaren Vulkanlandschaften in allen erdenklichen Rot- und Brauntönen. Nachtfahren liebe ich gar nicht. Ich hoffe, dass ich ohne Schlafattacken durchkomme nach Playa Blanca am anderen Ende der Insel. Die erste Fähre fährt um 8:00 ab. Das müsste zu schaffen sein. Von Mirador del Rio, dem höchsten Punkt geht es sehr ruppig abwärts. Hatte ich gedacht, dass es nun ein langes einfaches Abwärtsrollen gäbe, so hatte ich mich gewaltig getäuscht. Zudem wehte auch nachts ein starker Wind teils von hinten, teils von der Seite.
Zum Glück sind die Tiefblicke eingeschränkt. In der Inselmitte dann führt die Strecke lang durch die Dünen. Lautes Meeresrauschen. Starke Windböen treiben mir Sand in die Augen, an manchen Stellen haben sich Sandhaufen mitten auf dem Weg aufgetürmt. Dann und wann sehe ich vor mir ein rotes Rücklicht, sonst bin ich allein, weit und breit niemand. Wo sind denn die alle? Das Atlas Mountain Race lässt grüßen, ich schiebe mein Rad gefühlt mehrere Kilometer durch Sand.
Schneller, als ich gedacht hatte, bin ich am Hafen. Nun könnte ich mir noch drei Stunden Schlaf gönnen. Vor Wind und Kälte geschützt, drängten sich andere Fahrer im Schalterraum der Fähren zusammen. Kaum liege ich in meinen Schlafsack gemümmelt, fängt es rundherum an zu schnarchen. Und eine Stunde weiter fangen die ersten Männer laut an zu quatschen. Arrgggghhhh!!! Also wohl doch kein Schlaf in der ersten Nacht …
2 – Fuerteventura: 154km/ 2030 Hm (8:45h)
Nach der halbstündigen Überfahrt nach Corralejo auf Fuerteventura schaue ich zügig zu starten, während viele andere erst mal eine Frühstückspause einlegen. Ich bin noch gut versorgt und habe es eilig, da ich die 20:00-Fähre in Morro Jable nach Las Palmas auf Gran Canaria erreichen möchte.
Die ersten 30 Kilometer führen mich über eine flache geschotterte Straße an der Küste entlang. Klingt gut, wenn die Piste nicht einen waschbrettartigen Belag hätte, die mich gewaltig durchschüttelt. Ich bin jedenfalls froh um mein MTB und lerne geschickt, mit welchem Speed man da drüber muss, um möglichst komfortabel durchzukommen. Spektakel, als der „Weg“ knapp an der Klippenkante und dem Abgrund entlangführt.
Nun geht es ins Inselinnere, es wird sehr heiß und der starke Wind weht nun nicht mehr ständig vorteilhaft von hinten. Ich kämpfe mich durch die Mittagshitze, das Wasser geht mir langsam aus. Hätte ich doch den Supermarktstopp in El Cotillo gemacht. Die Schlange der Radfahrer an der Kasse wollte ich allerdings umgehen. Das hatte ich nun davon. Heute war zudem Feiertag und fraglich, ob ich noch eine Möglichkeit fände Wasser aufzufüllen. Wie erleichtert bin ich deshalb, als ich die Gesichter von Daniela und Marissa vor einer kleinen Bar auftauchen sehe. Die Wirtsleute sind allerdings auf den Ansturm nicht ganz vorbereitet, normale Wasserflaschen sind leider aus. Ich muss mich mit Wasser mit Kohlensäure begnügen. Das ist bei der Hitze ganz spaßig, denn immer wieder bekommen die Beine eine Sprüh-Dusche ab. Fraglich ist mir nur, wie sich das auf den Trinkrucksack auswirkt …
Nun folgt der längste Anstieg der Insel. Obwohl auf Asphalt scheint mir die Kraft in der prallen Nachmittags-Sonne auszugehen. Wenig motiviert schraube ich mich langsam nach oben. Mein Ziel, die Abendfähre, ist in weite Ferne gerückt.
Bevor ich mich um die letzte Kurve schleppe ahne ich schon was. Und die Gewissheit kommt, als ich vor ihnen stehe: vor den berühmten riesigen Eisenmännern. Hier war ich schon mal im Rahmen eines Trainingslagers und die Strecke, die mich nun erwartet, ist bekannt und überschaubar. Rasante Abfahrten auf großartig gepflegtem Asphalt. Nur kürzer als gedacht, denn nach Pajara geht es schon wieder mühsam ins Gelände. Zuvor konnte ich jedoch noch Wasser nachfüllen die kühle Cola sollte meine Beine stärken. Nach mühsamen Höhenmetern folgt eine traumhafte Strandpassage. Die Fähre sollte sich ausgehen. Vielleicht sogar die 18:00-Fähre? Was ich nicht weiß, das Auf und Ab der nun folgenden letzten Asphaltstrecke wird sehr sehr mühsam aufgrund der häufigen Richtungswechsel. Der Wind schiebt und genauso oft kommt er direkt von vorne. Gegenwind kann man das gar nicht mehr nennen, besser Gegen-Sturm.
Als ich schließlich kurz nach sechs über die Klippenkante zum Hafen sehe, hüpft mein Herz. Die frühere Fähre ist noch da. Ich rase hinunter. Als ich vor der Fähre stehe, wird gerade die Brücke nach oben gezogen. Der „Matrose“, der gerade die Taue löst, schaut mich ganz mitleidig an und schüttelt den Kopf. Ich könnte heulen. Drei Minuten zu spät. (Detail am Rande: Als ich später höre ich, dass diese Fähre sogar nach meiner ankommen würde wegen technischer Probleme, war ich mit meinem Schicksal wieder versöhnt).
Die Überfahrt nach Gran Canaria ist sehr wellig. Ich lege mich mit meinem Schlafsack in den Bug der Fähre, auch wenn davon abgeraten wird. Aber hier sind weniger Fahrgäste. Ich wechsle meine Position und lege mich quer zu den Wogen, versuche zu schlafen. Immer wieder werden Autoalarmanlagen ausgelöst. Rund um mich „husten“ immer wieder Leute. Oje, einigen scheint es wirklich nicht gut zu gehen. Wie wird wohl mein Magen reagieren, hatte ich doch zu Beginn der Fahrt eine ordentliche Portion gegessen. Ich horchte immer wieder in mich hinein und traute mich nicht unbeschwert einzuschlafen.
3 – Gran Canaria: 140km/ 3500 Hm (10:30h)
Es ist spätabends, als wir Las Palmas erreichen. Das Vorgeplänkel der ersten beiden Inseln nun geschafft sollte es höhenmetermäßig nun so richtig zur Sache gehen. In Las Palmas suche ich eine Weile mit Katie einen Weg aus dem Baustellen-Wirrwarr zu finden. Dann verlieren wir uns aus den Augen. Bald schlängelt sich der Track durch ein urwüchsiges canyon-artiges Tal, hoch über uns die Häuser. Es ist sehr einsam hier unten. Irgendwann aber steht am Rand ein unbeleuchtetes Auto, im Wageninneren schemenartig der Fahrer mit Smartphone in der Hand. Weit und breit ist niemand und ich fahre schnell vorbei, mir ist etwas unbehaglich zumute. Was, wenn die Gestalt einem Kollegen mitteilt, dass in Kürze eine einsame Radfahrerin vorbeikommt? Mir könnte MTB, Geldbörse und Karten abgenommen werden oder Schlimmeres passieren? Ich lege einen Zahn zu. Zum Glück bald das blinkende Rotlicht eines anderen Fahrers. Wir quatschen etwas. Irgendwo im Schilf die Scheinwerfer eines Autos. War das der vermeintliche Helfershelfer? Irgendwann bin ich wieder allein. Katie holt auf und meint, sie wolle noch bis Ingenio weiter fahren.
Ich bin müde und entdecke an einer Straßenkreuzung einen Spielplatz. Lange werde ich mich nicht aufhalten können, da ich die letzte Fähre nach Teneriffa, um 20:00 unbedingt erreichen möchte. Müde bin ich nach der vergangenen schlaflosen Nacht. Ich stecke Matte, Schlafsack in den Biwaksack und richte mir ein gemütliches Lager hinter einem Baum. Mein Rad lehnt an einem dicken Ast und darauf alle meine Kleidungsstücke zum Trocknen und Lüften. Kaum ziehe ich mir mein Halstuch über die Augen, höre ich es schon: „Zzzzzzzzzzzzzzzz!“ Eine Mücke piesackt mich. An geruhsamen Schlaf ist nicht zu denken, immer wieder reißt mich das unangenehme Geräusch und juckende Stellen an Gesicht und Händen aus unruhigen Träumen. Genervt gebe ich gegen halb drei Uhr auf und mache mich wieder auf den Weg. Auch gut, so habe ich etwas Spiel für die nächste Fähre.
Ich habe Zeit zu rechnen. Ab Ingenio bis zum Puerto de las Nieves, etwa 100km lang, würde es nur ein Restaurant geben. Falls das geschlossen wäre, hätte ich viel zu wenig Wasser. Oje, was tun? Ich fahre durch die ersten Häuser des Dorfes. Stockfinstere Nacht noch. Schaut nicht so aus, als wäre jetzt gegen 5 Uhr was offen. Plötzlich tritt neben mir ein Mann mit einem Korb aus einem Haus. Mutig halte ich an und frage, ob er zufällig eine Flasche Wasser verkaufen könnte. Nein, leider nicht. Er öffnet seine Autotür und zieht eine halb gefüllte Flasche hervor. Ich bedanke mich überschwänglich. Wie alt das Wasser wohl schon ist? Ich verschwende lieber keinen Gedanken daran. Besser, als verdursten, war das allemal.
Etwas weiter. Eine weiß gekleidete Gestalt tritt aus einer Türe. Was wird der wohl von mir denken, wenn ich ihn frage, ob er wisse, ob zufällig in der Nähe eine Cafeteria offen habe. Um diese Uhrzeit. Der wird wohl meinen, die Alte spinnt. Aber schon ist es raus. Er sagt was auf Spanisch und ich verstehe, ich sollte kurz warten. Aus der offenen Tür wallen betörende Düfte. Ich werde gebeten einzutreten. Es ist eine kleine Bäckerei. Ich werde von Fran und Elena mit Wasser, Cappuccino und leckeren Mehlspeisen versorgt. Mit Hilfe des Translators gebe ich zu verstehen, was ich hier so früh mache. Ich verstehe irgendwas mit „nieves“, aha, das ist ähnlich des italienischen „neve“ – also Schnee. Hilfe, so weit oben komme ich in den Schnee? Das fehlt mir noch … Meine Retter verabschieden mich, ich solle die Tür hinter mir ins Schloss ziehen. Die nächsten hätten wohl nicht so viel Glück. Herzlichen Dank an Pastel y Miga!!!
Nun bin ich im Anstieg, der mich durch ein grünes Tal nach oben führt. Über die Berghänge saust der Fallwind gnadenlos nach unten und reißt mich mehrmals fast vom Rad. Weiter oben wird der Wind schwächer, aber nun ist der Asphalt zu Ende und es geht sehr steil und hike a bike ins Gelände. Irgendwann bin ich oben. Und hier sollte es Schnee geben? Da fällt mein Blick auf ein Straßenschild und wie Schuppen fällt es mir von den Augen: Pico de las Nieves. Ach DAS hatte der Konditor am Morgen gemeint.
Nun folgen viele Kilometer schnelle Abfahrt. Fast verpasse ich an einer kleinen Kreuzung das einzige Restaurant weit und breit. Der Wirt lacht, als ich alles, die Speisekarte rauf und runter bestelle: Hühnersuppe, Brot mit Knoblauchaufstrick, Blaubeertorte, Cappuccino, Aquarius, eine leckere spanische Limonade. „Die Frau muss wohl ausgehungert sein …“
Weiter geht es durch eine atemberaubende Bergkulisse. Im Vordergrund die berühmte Felsformation „Roque Nublo“, 80 Meter hohes Wahrzeichen der Insel und Kultstätte der Ureinwohner. Nach der rasanten Abfahrt geht es links weg. Nun folgt die vom Veranstalter angekündigte unbefestigte Straße, die einiges an Konzentration abverlangt, denn nicht selten geht es am Rand steil in die Tiefe. Fahrfehler sollte man sich hier nicht erlauben. Wir sind nun auch zu zweit, denn Jonas hat aufgeholt. Auch die noch anstehenden Anstiege gehen mit etwas Quatschen rasch vorbei und wir schaffen es sogar zur 4-Uhr-Fähre vor Ort zu sein und vorher sogar noch einen Supermarkt-Stop einzulegen. Wer hätte das gedacht.
Mein Ziel war es ursprünglich pünktlich zum Heimflug zurück zu sein und vielleicht nicht unbedingt meinem Über-Namen Ehre zu machen (siehe Dotwatchers Lanterne Rouge Award). Nun auf Gran Canaria war ich sogar unter den Top 20 … Am Ende werden knapp 60% der Athleten finishen, ich halte mich auf Platz 35, also im ersten Drittel und bin mega zufrieden.
4 – Teneriffa: 173km/ 4570 Hm (14:40h)
Die frühe Abfahrt von Gran Canaria hat positive Auswirkungen auf meine Nachtruhe il La Esperanza, wo Katie und ich ein Zimmer gebucht hatten. Aber zunächst gilt es für mich noch gut 50 Kilometer und etwa 1500 Höhenmeter hinter mich zu bringen. Eine spektakuläre Straße schlängelt sich über die Hänge des Anaga Rural Parks nach oben. Ist es hier oft nass und kalt, so bleibe ich davon verschont. Allerdings der stürmische Wind drückt mich mehrmals hart gegen die Leitplanken. Einige Kilometer führen mich nun durch einen finsteren Wald. Hier ist es wie angekündigt feucht, matschig und kalt. Ich erreiche Cristobal de la Laguna und muss noch einige Kilometer auf unangenehm befahrener steiler Straße hoch zu meinem Quartier in La Esperanza. Katie schläft schon tief und merkt mein Ankommen nicht mal. Herrlich ist die warme Dusche und ich habe nun auch noch Zeit 2-3 Stunden zu schlafen. Wohlverdient.
Als Katie sich auf den Weg macht, werde ich aus meinem leichten Schlaf gerissen, zum Glück, denn so stehe ich früher als geplant auch auf. Gut so, denn die einzige Fähre nach El Hierro, der letzten Insel darf ich keinesfalls verpassen, sonst würde ich einen ganzen Tag warten müssen. Der Stress fährt also auf GranGuanche Audax immer mit.
Nun gibt es über 100 Kilometer keine Möglichkeit sich zu verpflegen. Vermutlich werde ich in den nächsten Stunden auch kaum jemanden treffen. 50 Kilometer sind zudem nicht asphaltiert. Bis zum Hellwerden habe ich auch noch einige Stunden in tiefschwarzer Nacht vor mir, anfangs einige sehr steile Anstiege, die schiebend zurückgelegt werden müssen. Es geht durch dichten Wald. Gegen Morgen überkommen mich Schlafattacken und ich komme um einen Powernap nicht drumherum. Rasch breite ich meinen Schlafsack auf dem dichten Nadelboden auf und schlüpfe hinein. Den Timer stelle ich auf 15 Minuten. Kurz vor Ablauf höre ich ein Rad vorbeifahren und mache mich auch wieder auf den Weg. Nun in der traumhaften Waldlandschaft werde ich abgelenkt und die Müdigkeit ist weg.
Spektakel, als ich um eine Kurve biege, steht er vor mir, der Teide in der Morgensonne. Wunderbar! Ich bin wieder mal dankbar um mein MTB, denn jetzt geht es über eine trailartige Strecke abwärts. Gibt Komoot hier eine Schwierigkeit von S1 an, so ist das wohl ziemlich übertrieben.
Kurz darauf darf ich auch ein Stück auf einer Teerstraße nach oben rollen, bis es wieder auf eine Art Forstweg geht. Irgendwie scheint mir die Kraft langsam auszugehen, kein Wunder, habe ich doch in den vergangenen Stunden kaum was gegessen. Ich lege einen Halt ein und beschließe mein gefriergetrocknetes Hafer-Apfel-Gericht zu essen. Rasch ist die Tüte mit Wasser aufgefüllt, der Brei muss nun noch etwas quellen. Inzwischen suche ich meinen zusammenlegbaren Titan-Spork, ein Zwischending Gabel/ Löffel. Er ist nicht aufzufinden und mir schwant Böses. Hatte ich ihn doch am Tag zuvor auf der Fähre benutzt. Vermutlich hatte ich ihn mitsamt dem Müll anschließend weggeworfen. Ein 30-Euro-Esswerkzeug ist, finde ich, doch etwas zu teuer als Einmal-Besteck …
Um meinen Brei löffeln zu können, schneide ich mir nun aus einer Plastikflasche einen behelfsmäßigen Löffel, den Rest des Breis wässere ich nochmal und trinke ihn aus. Hauptsache Kalorien. Inzwischen waren ein paar Radfahrer an mir vorbei. Jeder erinnerte mich daran, dass wir es bis halb sechs an den Hafen von Los Christianos schaffen müssen. Mein schlechtes Gewissen meldet sich bei meinem Blick auf die Uhr. Fast Mittag. Was schon so spät? In Windeseile packe ich mein Zeug zusammen und folge meinen Mitstreitern.
Es sind noch einige Höhenmeter auf Schotter bis zum höchsten Punkt unter dem Teide. Stress lass nach. Ich bin so langsam. Und dann noch die wunderbare Landschaft, Erde in allen möglichen Braun- und Rottönen. Ich kann nicht umhin trotzdem einige Male stehen zu bleiben und Fotos zu schießen. Als ich endlich oben an der Straße stehe gibt es Applaus. Ich glaube der Übermut einiger resultiert aus dem Wissen, jetzt müsse sich die Fähre ausgehen. Nach einer kurzen Abfahrt geht es aber unerbittlich wieder nach oben.
Zwei Anstiege folgen noch, nun in der Mittagshitze zurückzulegen. Zwischendurch mache ich halt in einer Touristen-Bar. Ich brauche unbedingt ein paar zusätzliche Kalorien in Form eines Sandwiches und Wasser und Cola. Richtig ausgehungert bin ich, kann mich aber leider nicht lange aufhalten. Auf das Eis muss ich halt verzichten. Weiter geht es. Mit gemischten Gefühlen, einmal euphorisch es bald geschafft zu haben, dann wieder mit düsterem „Das schaffe ich nie und nimmer!“ Der Teide ist ein Touristen-Magnet und so gibt es viel Verkehr hier oben, das mag ich gar nicht. Irgendwann aber erreiche ich die Bergkante und nun stürze ich mich in die 30 Kilometer-Abfahrt auf bestem Asphalt. Fähre, ich komme!!!
Weiter unten habe ich in einer Kurve das Gefühl, dass sich Smartphon-Kameras auf mich richten. Das kann aber doch nicht sein, wahrscheinlich warten die auf wen anderes. Aber richtig gefühlt, H. und T., zwei Dotwatcher, hatten mich „abgepasst“ und mir anschließend die schönen Schnappschüsse zukommen lassen. Dankeschön!
Vor der Fähre habe ich sogar noch Zeit im Supermarkt einzukaufen. Da erreicht mich eine Meldung über WhatsApp von Hermann. „Gabi, wo bist du, deine Fähre geht in ein paar Minuten!!!“ Stress! Ich eile zum Hafen. Aber ohne Hast stehen noch alle Räder in der Tickethalle. Der Schreck sitzt mir noch in allen Gliedern und ich verstehe jetzt, dass Hermann glaubte, die Uhrzeit der Kanaren sei eine Stunde vor und nicht hinten. Ist das ein aufregender Tag. Mir bleibt noch etwas Zeit, ich besorge mein Ticket, räume mein Gepäck etwas auf, richte meinen Schlafsack für die fast dreistündige Fähr-Überfahrt und esse endlich wieder was.
5 –El Hierro: 117km/ 3770 Hm (11:30h)
Mein Plan für die letzte Insel: Da ich ja auf der Überfahrt trotz größerer Schaukelei etwas schlafen konnte, möchte ich noch die gut neun Kilometer und 800 Höhenmeter hinauf fahren nach Villa de Valverde. In der Nacht wollte ich mir einen Schlafplatz suchen, den ich schon auf Google Maps entdeckt hatte, einen netten gepflegten Picknick-Platz. Andere würden diese Nacht durchfahren, aber das möchte ich nicht, da ich diese urwüchsige Insel gerne bei Tag sehen möchte. Rennen hin oder her, die Platzierung war mir absolut unwichtig. Die Straße schlängelt sich ausgesetzt am Berghang nach oben, die Steigung ist hoch und der Wind kommt unerbittlich von vorne. Es ist ein Kampf.
In Villa de Valverde ist noch eine Bar offen, aber leider hat die Küche schon geschlossen und ich begnüge mich mit einem Tee und Quark-Kuchen. Ich quatsche etwas mit Christian und Ormonde, noch ein paar weitere Fahrer kommen hinzu. Bald verabschiede ich mich und mache mich auf die Suche nach meinem Biwakplatz.
Das hatte ich nicht erwartet: Nun folgen ein paar hike a bike Anstiege, die so steil sind, dass ich kaum vom Fleck komme. Leider sagt mir mein Navi nicht die Steigungsprozente an, da ich so langsam gehe, dass ich laut Garmin still stehe. Und wo Stillstand – auch keine Steigung …
Als es etwas flacher wird, komme ich an Isabelle vorbei, die gerade ihren Schlafplatz einrichtet. Ich fahre noch etwas weiter und fast vorbei an meinem „Picknick-Platz“. Dieser ist völlig zugewachsen, die Tische und Bänke von herabgefallenen Ästen zerstört. Der Ort scheint mir aber wie gerufen. Ich wähne mich weit weg von der nächsten Behausung, lehne mein Rad gegen den Baum, hänge meine ganzen Sachen auf und verschwinde mit Matte, Biwak- und Schlafsack zwischen den Überresten des Tisches. Gute Nacht!
Gegen 4 Uhr kräht in der Nähe ein Hahn, der auch prompt Antwort aus einer anderen Richtung bekommt. Bin ich doch nicht so weit weg von der Zivilisation… . Ich hatte fast 5 Stunden geschlafen. Da ich fröstele, mache ich mich daran meine Sachen zu packen. Meine Kleidung ist statt getrocknet nun ziemlich feucht. Nebel zieht in Schwaden über mich hinweg.
Warm wird mir aber nach meinem Aufbruch bald wieder, denn immer wieder zwingen mich kurze sehr steile Passagen zu Fuß zu gehen. Die Aussicht bis ins Ziel, über 100 Kilometer mit über 3000 Höhenmetern, nur mit meinen spärlichen verbliebenen Essrationen auskommen zu müssen, demotiviert mich etwas. Es gibt im Dunkeln ja sonst keine Ablenkung und so wandere ich missmutig dahin. Der höchste Punkt des ersten „Hügels“ ist fast erreicht, bald sollte es auch hell werden. Schemenhaft ahne ich schon die Landschaftskonturen. Träume ich? Ich wähne mich in Schottland. Grüne Wiesen, abgetrennt durch alte Steinmauern, hier und da Rinder und Schafe.
Spektakel die nun folgende Abfahrt durch die sehr steilen Berghänge. Der Erdboden ist feucht und glitschig durch den Nebel und teilweise außerordentlich steil, 25% und mehr. Was bin ich froh um mein MTB! Einzigartige Tiefblicke auf die Küste unter mir.
Ein alter Van, ein Mann mit Hund. Die hatten sich wohl einen Standplatz hoch oben in der Einsamkeit gesucht. Ich frage mich, wie es das alte Auto über diese steilen Anstiege hier hoch geschafft hatte. Auf jeden Fall war das mit der Einsamkeit wohl falsch gedacht … so viele Radfahrer wie hier vorbeikommen.
An der Küste kann ich schon Pozo de la Salud ausmachen. Hier steht einsam ein Hotel. Die Cafeteria ist laut Google heute geschlossen. Aber ich kann ja hoffen.
Aber nein, die ist wirklich zu. Ratlos stehe ich rum. Ich sehe einen Mann, der im Hotelgarten zu tun hat. Ich frage ihn, ob man im Hotel einen Kaffee bekommen könnte. Er bejaht, ich solle einfach in die Rezeption gehen. Und nicht nur Kaffee … gegen ein kleines Entgelt kann ich sogar ein Frühstück am Buffet bekommen. Das höchste der Gefühle. Ich belade meinen Tisch mit hunderttausend Leckereien und lasse mich nieder. Alles vom Feinsten. Hier bekommen mich keine zehn Pferde so schnell mehr weg. Was die Hausgäste am Tisch daneben wohl von der nicht ganz sauberen abgerissenen Person in Radkleidung denken? Rudi und ein anderer Fahrer kommen hinzu.
Mit vollem Bauch mache ich mich dann an den langen Aufstieg zum Pico de Malpaso. Es ist unterhaltsam. Abgesehen von der traumhaften Lavalandschaft macht der Wind hier Fisimatenten: einmal schiebt er mich flott weiter, nach der nächsten Kurve kommt der strong von vorne. Ich beobachte jede Richtungsänderung auf meinem Tacho und versuche die Windrichtung voreinzuschätzen. Was würde wohl mit dem Wind sein, wenn ich um die Südseite der Insel fuhr? Immer Gegenwind? Oje! Nun kommen auch vom Bergrücken starke Böen, die Nebelschwaden mit sich führen. Mir bleibt auch nichts erspart.
Nun geht es auch wieder ins Gelände. Ich fahre unter einem Nadelbaum und spüre einen Regentropfen. Das fehlt mir jetzt noch! Ich staune jedoch. Hier scheinen alle physikalischen Gesetze aufgehoben zu sein. Zuhause ist die Straße nass, nur unter den Bäumen ist es trocken. Hier ist es genau umgekehrt. Unter den Bäumen sind nasse Flecken, sonst ist alles trocken. Seltsam. Bin ich in einer verkehrten Welt gelandet oder träume ich?
Nun habe ich aber viel Zeit nachzudenken auf meinem mühsamen Weg nach oben. Des Rätsels Lösung scheint der Sturm zu sein. Im freien Gelände werden die Regentropfen weiter geblasen, stellt sich ein Baum in den Weg, dann schafft es das kühle Nass auf den Boden zu fallen. Irgendwann erinnere ich mich, dass ich in meinem Gepäck noch etwas Obst habe und dank des anonymen Spenders auf der letzten Fähre ein Päckchen kanarischen Ziegenkäse. So schlemme ich Birne mit Käse und fühle mich wie Gott in Frankreich.
Es gibt noch einige Überraschungen, steile Schiebepassagen, aber dann endlich bin ich oben auf dem Pico de Malpaso. Bei der Abfahrt ist äußerste Konzentration erforderlich, immer wieder droht sich mein Vorderreifen in tiefen Sand zu bohren. Ich ermüde und beschließe noch einen kleinen Powernap im Gras am Wegesrand einzulegen. Aber kaum habe ich es mir bequem gemacht und die Augen geschlossen, rasen zwei Athleten vorbei und rufen mir irgendwas zu. Ärger! Ich bin wieder munter und fahre weiter. Kleine Aufstiege in sengender Sonne und dann erwarten mich noch ultimative steile Meter bevor es endgültig ins Ziel ging. Muss das auch noch sein? Mindestens 3 Kilometer mit über 15% Steigung. Puhhhhhh! Nach den ersten Metern zu Fuß mit den rutschigen Radschuhen, erkenne ich, dass das noch anstrengender ist als langsam hochzuradeln. MTB-Übersetzung sei Dank!
Und dann das Sahnehäubchen: die letzten Kilometer steilste Abfahrt mit Traumblicken auf die tief unten liegende Küste bis nach Timijiraque, dem Zielort.
Meine Reise über 5 kanarische Inseln ist viel zu schnell zu Ende.
Die unzähligen Eindrücke müssen nun erst mal verarbeitet werden.
Dazu werde ich in der anschließenden Woche viel Zeit haben, denn als kleines Mitbringsel von den Inseln habe ich einen Corona-Virus mitgebracht …
*Nachtrag:
Tim, aus Spanien, hat mir im Nachhinein seine Story geschrieben. Sehr nett. Er war sehr hilfsbereit anderen Athleten gegenüber und hat selbst auf ein zügiges Vorankommen verzichtet. Ob ich so selbstlos wäre, frage ich mich …. Das mit dem Bild war nur Scherz. Aber für mich kam das gerade recht für eine gute Story in meinem Bericht … hahhaaaaa. Danke, Tim!
Ich war perplex, als Kitty von Dotwatcher.com* mich kürzlich kontaktierte und mir mitteilte, dass ich für den Lanterne Rouge Award nominiert würde. Sollte ich Jubeln? Sollte ich rot werden, weil das vielleicht peinlich ist? Ich sehe es aber als absolute Ehre an …
Das ist der Text auf Deutsch übersetzt (Quelle: Instagram @dotwatcher.cc):
Eine Auszeichnung, die zeigt, wie wichtig es ist, Widrigkeiten zu überwinden. Während jedes Rennen einen Sieger hat, gibt es eine andere Position, die viele DotWatchers aufmerksam verfolgen: die Lanterne Rouge. Mit ihren spannenden Geschichten und ihrer unerschütterlichen Entschlossenheit erobern diese Fahrer oft die Herzen und Köpfe ihrer Anhänger, sowohl auf der Straße als auch im Gelände.
Dieses Jahr stach Gabi Winck (@lumacagabi) besonders hervor. Gabi nahm an dem absoluten Mammutrennen GBDURO teil, das sie zwar als Letzte beendete, bei dem aber über 50 % der Teilnehmer nicht ins Ziel kamen. Sie erreichte jeden Checkpoint mit viel Elan und fuhr unter tückischen Bedingungen durch die Dunkelheit und bei schlechtem Wetter. Gabis positive Einstellung und ihre freundliche Art wurden an den Kontrollpunkten sehr geschätzt.
Gabi ist keine Unbekannte bei Ultra-Distanz-Rennen: Sie hat bereits das Three Peaks Bike Race und den North Cape 4000 absolviert. Gabi dokumentiert all ihre Abenteuer in ihrem ausführlichen Blog und auf ihrem YouTube-Kanal, der sowohl ein Spiegelbild ihrer bisherigen Erfahrungen als auch ein informatives Werkzeug für jeden Ultrafahrer ist.
Keine Sorge, Gabi hat sich bereits für mehrere Veranstaltungen 2023 angemeldet, es werden noch viele folgen.
Herzlichen Glückwunsch an Gabi für unseren Lanterne Rouge Award 2022, unsere Auszeichnung für die ausdauerndste Radfahrerin des Jahres.
*Dotwatcher ist eine wunderbare Plattform für ultra-distance cycling-Berichterstattung mit einer tollen Gruppe von Expertinnen und Experten, die jedes Ultra-Radrennen genau begleiten und analysieren. Bei der GBDuro fand ich die Berichterstattung sehr motivierend (bis auf die letzten Stunden, bei denen alle Diskutierenden meinten, ich schaffe es sicher nicht mehr in der Zeit ins Ziel …)
Klingt gut: 700 Kilometer Gravel durch den Norden Italiens, wenig Höhenmeter, viel Kultur (Unesco Weltkulturerbe), noch mehr Natur entlang der Flüsse und Kanäle.
Und da ich nach dem Abenteuer GBDuro22 im Moment noch keine Lust habe mir die Nächte um die Ohren zu schlagen, starte ich völlig ohne Ambitionen mit dem Vorsatz jede Nacht gut zu schlafen. Das Zelt schließe ich aus, da der Wetterbericht Regen und Kälte voraussagt. Unterkünfte vorgebucht, schlappe gut 200 Km täglich, das würde gemütlich werden. Ab nach Caorle und los geht es. Der Startbereich ist nicht überfüllt, da es das die Edition 01 der Terrenobili ist und man zudem innerhalb 24h das Startfenster auswählen kann .
Zunächst mein Video:
Es sollten einige norditalienische Städte abgeklappert werden, darunter Treviso, Vicenza, Padua, Verona, Peschiera del Garda und weitere Orte mit wunderschönem mittelalterlichem Stadtkern wie Montagnana, Este, Monselice, …
Ein weiteres Kennzeichen dieser ersten Ausgabe der Terrenobili ist, dass die Streckenführung meist entlang von Flüssen und Kanälen führt, das bedeutet sehr viel Gravel auf Dämmen, daneben sehr wenig Straßen, sondern neben den Schotterpassagen Radwege, manches sekundäre Sträßchen und der ein oder andere Singletrail über Wanderwege. Besondere Schwierigkeiten gibt es kaum.
Am ersten Tag hatte ich 212 Kilometer vor mir und kaum Höhenmeter. Ich lerne unterwegs Marina kennen und wir fahren immer wieder mal zusammen, auch Mauro treffen wir immer wieder. Die vielen Schotterpassagen senken allerdings meine Durchschnittsgeschwindigkeit, sodass ich erst nach Einbruch der Dunkelheit im Hotel Piroga in Selvazzano bei Padua eintreffe, nachdem ich mir im Zentrum Paduas den Stempel auf meiner Brevetkarte geholt hatte.
Ging der erste Tag recht unterhaltsam zu Ende mit viel Quatschen und Austausch von Geschichtchen, so werde ich die nächsten drei Tage einsam unterwegs sein. Auch nicht schlecht, man kann tun und lassen, was man will, Fotopausen machen, wann man will. Mir liegt es sowieso nicht, am Reifen eines anderen Radfahrers zu kleben, zu gerne schaue ich mir die Landschaft rundum an und möchte nicht den ganzen Tag auf den Reifen des Vordermannes oder der Vorderfrau starren, um Auffahrunfälle zu vermeiden.
Da ich heute nach dem Frühstück nur 190 Kilometer abzuspulen habe, überlegte etwas überheblich schon, ob ich heute nicht viel zu früh im Hotel sein würde. Dieser zweite Tag ist geprägt durch ein abwechslungsreiches ständiges Auf und Ab, unterbrochen von einigen kurzen aber sehr knackigen Anstiegen; die „Handschrift“ von Giorgio Murari ist deutlich erkennbar. Auch erfordern die Gravelpassagen heute mehr Konzentration. Und so bin ich erst am späten Nachmittag am Gardasee und fahre die Kontrollstelle an.
Ich bin leider zu früh dran, um in unserem Lieblings-Rad-Hotel Enjoj ein paar Stündchen zu schlafen. So muss ich nach einem kleinen Imbiss nun meine Lampen montieren, denn es wird langsam dunkel und zudem dräuen dicke dunkle Wolken vom Himmel. Nicht bald danach die ersten Regentropfen. Es geht kreuz und quer durchs Gelände, die Wege mitunter sehr steinig. Aber irgendwann bin ich in meiner gebuchten Unterkunft in Villafranca, Hotel Antares, viel später als erwartet und völlig durchnässt. Was bin ich froh, dass ich nun in ein warmes Bett schlüpfen kann und die erste Wahl nicht auf das Zelt gefallen ist.
Frühstück und weiter geht es. Heute „nur“ 180 Kilometer. Es geht durch landwirtschaftliche Ebene, die mich mit den vielen Gewächshäusern etwas an Spanien erinnert. Dann wieder wunderschön über einsame schmale Weglein auf Flussdämmen. Die gesamte Tour ist geprägt durch ständige Richtungswechsel, langweilig wird es nie und das Navigationsgerät sollte besser nicht zu lange unbeobachtet bleiben. Einige „Verhauer“ bringt mir die Unachtsamkeit ein. Ich besuche wunderschöne Orte mit mittelalterlichen Kernen, wie Montagnana, Este, Monselice. In Arquà am Hang der Euganeischen Hügel suche ich das Haus, in dem Petrarca seine letzten Lebensjahre verbrachte. Hier ist ordentlich was los. Waren mir schon vor einer Weile die Bäume voller kleiner roter ovaler Früchte aufgefallen, so wird mir hier erklärt, dass es sich bei den Früchten um die für das Gebiet typische Giuggiole handelt.
Die Giuggiole haben die Form einer großen Olive, haben auch einen Stein, haben aber einen dem Apfel ähnlichen Geschmack. Sehr lecker! Vor Montegrotto fängt es wieder an zu regnen. Nach dem Abstempeln geht es steil aufwärts. Der nun folgende Singletrail ist regennass und dementsprechend rutschig. Weiter um die Colli Eugnei und Richtung Padua. Nicht bald darauf wird es schon wieder dämmrig und ich komme punktgenau zu meinem gebuchten b&b, in Saonara, mit dem Namen burro & marmelata. Sehr nett werde ich von der Chefin des Hauses umsorgt.
Nach einem leckeren Frühstück mit selbst gebackenem Kuchen und anderen Köstlichkeiten geht es wieder los. 135 Kilometer werden wohl bis zum frühen Nachmittag zu schaffen sein. Mit dem Rennrad wäre das so …, aber die Gravelstrecke hat es in sich und so komme ich auch heute wieder langsamer als erwartet vorwärts. Ich habe aber keinen Stress und die Terrenobili ist ja schließlich kein Rennen.
Heute ist wieder das Wasser im Mittelpunkt: von einem Fluss zum nächsten, entlang von Kanälen und Lagunen. Wieder viel Natur, sehr schön. Wie auch in den letzten Tagen gibt es etwas Wind, aber der fällt kaum ins Gewicht durch die vielen Richtungswechsel. Hat man mal Gegenwind, so ändert der sich bald, nämlich nach der nächsten Fluss-Schlinge, wieder in Rückenwind.
Unterhaltsam bis zuletzt. Lange Kilometer in Sichtweite Venedigs über einen Radweg am Meer entlang, dann Singletrail neben der Laguna del Mort, ich passiere Jesolo, Eraclea und bin schon bald in Porto Santa Margherita, dem Zielort. Eine wunderschöne Reise geht zuende.
Der Veranstalter Massimo und Diego von der Gelateria ‚La Fiesta‘ empfangen mich herzlich. Es gibt eine handwerklich sehr schön gearbeitete Medaille (die sicher nicht in meiner Schachtel im Keller landet!!). Nachdem ich mir in den letzten Tagen kaum Zeit zum Essen genommen hatte, genieße ich es jetzt, mich mit einem super leckeren Tost und einem perfekten Eisbecher verwöhnen zu lassen.
Hatte ich vorher gedacht „nur“ 700 Kilometer, so haben sie diese doch ziemlich in die Länge gezogen. Meine Entscheidung für das Radeln tagsüber war goldrichtig, hätte ich sonst doch viele Natur- und Kulturschönheiten nicht gesehen.
Massimo erzählt mir von seinen Plänen in Zukunft. Die Terrenobili soll jährlich Strecke und auch Thema wechseln. Dieses Jahr die verschiedenen Orte mit Unesco-Weltkulturerbe und die Flussläufe … Was wird es wohl nächstes Jahr sein? Lassen wir uns überraschen.
GBDuro – ein Gravel-Event von 2000 km längs durch England und Schottland und eines der härtesten Events, die ich jemals gefinisht habe. Die Gravel-Strecke ist sehr impegnativ, aber die vielen Hindernisse, die sich mir in den Weg stellten, sprich – Pannen, brachten mich mehrmals fast dazu aufgeben zu müssen.
Bevor ich beginne, einige Regeln, um das Erzählte richtig verstehen zu können …
2000 Kilometer von Land’s End im äußersten Südwesten Englands bis nach John O’Groats (=JOG), den nordöstlichsten Zipfel Schottlands (fast 30.000Hm)
4 Streckenabschnitte (=stages), an deren Ende gibt es eine Kontrollstelle, bei der sich alle Teilnehmer wieder treffen zum gemeinsamen Start am nächsten Morgen. Wer schnell radelt, kann lange ausruhen. Wer nicht pünktlich zum nächsten Start vor Ort ist, ist raus aus dem Rennen.
Strenges Selfsupporting, das heißt keine Hilfe von außen darf angenommen werden
Reines Outdoor-Event: immer im Freien schlafen, auch an den Kontrollstellen
Nach 10 Tagen ist ein Zimmer in JOG reserviert, wer pünktlich zum Abendessen da ist, gilt als finisher, sonst „nur“ als angekommen, alle anderen sind DNF oder DSQ (did not finish oder disqualifiziert)
Alle Fahrer müssen mit einem Tracker ausgerüstet sein
Stage 1: Land’s End to Ysbyty Cynfyn
Tag 1, 2 und 3 durch Cornwall und Wales 640 km/ 9700 Hm
Tag 1:
Start in Land’s End. 40 Starter setzen sich an diesem südwestlichsten Punkt Englands in Bewegung. Ich bin mir bewusst, dass es hart werden würde, aber was auf mich zukommen würde, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt. Die Straße steigt gleich steil an und ich den Start filmend halte mich möglichst weit rechts. Ist keine so gute Idee bei Linksverkehr …
Bald geht es schon ins Gelände. Die ersten kurbeln wie verrückt und das Feld lichtet sich so rasch. Es wird immer unwegsamer, der Weg schlängelt sich kilometerweit durch eine Art Heidelandschaft, geprägt durch große – bei uns würde man sagen – Erika-Büsche und einer anderen äußerst wadenfeindlichen stacheligen Staude. Im nu sind meine Beine bis zum Knie blutig zerkratzt. Fahren und Schieben wechseln sich ab. Irgendwann scheine ich ganz allein zu sein. Jetzt schon? Da kommt mir jemand zu Fuß entgegen, Jamie, wie ich später wissen werde. Ob ich seine Flasche gesehen habe. Nein, leider nicht. Für verlorene Gegenstände gibt es saftige Zeitstrafen. Ich hatte bisher schon eine Vorderlampe gefunden. Miles werde ich in 35 Km treffen, mit einem Müllsack schon angefüllt mit Gegenständen, die sich bei dieser Rüttelstrecke von diversen Rädern gelöst hatten. An meinem Rad ist zum Glück noch alles dran und Problem mit der Beleuchtung oder verlorenen Lampen hatte ich (zumindest jetzt noch) nicht. Mein Nabendynamo speist nachts die Beleuchtung und tagsüber über einen Pufferakku Smartphone und Navigationsgerät Garmin. Ich bin also unabhängig von Stromquellen. Feiner Gedanke.
Nun geht es sehr hügelig auf verkehrsarmen Sträßchen weiter. Diese haben aber fast alle eine unangenehme Eigenart: Kurze sehr steile knackige Anstiege, meist um die 20%, für mich und meinen 20 Kilo-schweren Gravel-„Traktor“ nahezu unmenschlich steil, insbesondere auch deshalb, weil meine Schaltung ein Gemisch aus Rennradschaltung und Gravelübersetzung ist, nicht so ideal.
Die angesagte Hitzewelle tut ihr übriges. Ich habe keinen Hunger nur ständig Durst, Durst, Durst. Beim ersten Supermarkt gibt es kein Wasser. Vor dem Geschäft aber steht einsam und verlassen eine fast volle Flasche „sparkling water“, Mineralwasser mit Kohlensäure. Die kralle ich mir sofort und befülle damit meine Trinkflaschen. Das hat beim Fahren über die holprigen Untergründe einen angenehmen Nebeneffekt für die Waden: In regelmäßigen Abständen entweicht duscheähnlich die Kohlensäure in einem Sprühregen.
Im nächsten Supermarkt gibt es gar kein Wasser mehr. Hamsterkäufe hatten dazu geführt, dass ich meine Flaschen nun mit Ananas-Saft füllen muss. An den nächsten beiden Tagen bekomme ich nirgendwo mehr Wasser. Ausnahme: An einer Kirche haben Senioren Flohmarktstände aufgebaut, hier frage ich, ob sie Wasser für mich hätten. Eine Dame verschwindet mit meinen Flaschen und bietet mir an, ich könne mich in der Kirche etwas hinsetzen und mich abkühlen – leider keine Zeit dafür.
Die Strecke führt nun wunderschön durch aufgelassenes Mienengelände und das auf leichtem Gravel-Radweg, dem Mines-Trail.
Hermanns „DOT“ ist schon etwa 20 km voraus. Mein ursprünglicher Zeitplan hat sich schon hier verabschiedet und ist weit überschritten. Bei einem Campingplatz-Pub-Stop bei Cola und Eis und Radflaschen-Auffüllen treffe ich Jamie wieder. Er hatte seine Flasche nach einigen Kilometern Fußmarsch wieder. Am Abend ein Supermarkt-Stop schon am späten Abend (die Supermärkte haben fast alle bis 23 Uhr auf) und dort lerne ich Simon kennen, der die GBDuro schon im Jahr zuvor gefinisht hat. Die Frage, wie ein vernünftig denkender Mensch diese Strapazen wissentlich noch mal auf sich nehmen kann, stelle ich mir zum Glück erst später im weiteren Verlauf des Rennens. Im Dunkeln fädele ich nun in ein einsames Flusstälchen im Exmoor Nationalpark ein. Schieben, fahren, schieben und so weiter. Am Wegesrand sehe ich mehrmals dunkle Hügel, die sich beim Näherkommen als bemannte Schlafsäcke entpuppen.
Leise vorbeischleichen, man will ja niemanden wecken. Mich holt trotz Ananas-Red Bull- Mischung nun auch die Müdigkeit ein, Mitternacht ist auch schon lang vorbei. Ich beschließe mir ein Schlafplätzchen zu suchen. Eine kleine Lichtung scheint ideal. An einen dicken Ast lehne ich mein Rad und beginne mein Nachtlager zu richten. Sobald ich meine Helmlampe anmache, stürzen sich eine paar riesige rotorange Fliegen auf mich, Mücken scheinen keine da zu sein. Zeltaufbau? Das ist mir jetzt zu langwierig, so muss Matte und Schlafsack reichen. Zähneputzen? Hat das mit Ananas-Saft einen Sinn? Ich lasse es sein. Zudem fühle ich mich sehr verschwitzt und klebrig. Nächtliche Geräusche. Was könnte das sein? Wölfe und Bären gibt es in England wohl nicht, oder? Ich döse ein. Nicht lange später weckt mich das Geräusch meines eigenen Zähneklapperns, auch die Knie zittern wie verrückt. Es ist neben dem Fluss kalt und feucht. Ich beschließe so nach etwa 1,5h Ausruhen zusammenzupacken und weiter zu … fahren, gehen.
Tag 2:
Nachdem ich minutenlang vor einem Gatter überlegt habe, wie das aufgehen könnte, geht es aufwärts. Die Quantock Hills sind nicht mehr weit. Ich höre was. Grüßt mich da jemand? Ja doch, da vorne ist ein Licht. Da ist wohl bei jemandem auch Aufbruchstimmung. Ich grüße laut zurück „morning! How are you?“ – keine Antwort. Das Licht entpuppt sich als Spiegelung des Mondes im darunter liegenden Teich gepaart mit Fantasiegespinsten, die der Müdigkeit geschuldet sind? Nicht lange nachher, am Horizont kündigt sich der nahe Morgen an, möchte ich eine Gegenlichtaufnahme machen. Es fehlt nun nur die Silhouette eines Radfahrers. Siehe da! Da vor mir ist ja einer. Breite Schultern und schmale Hüften. Super! Beim Näherkommen, es ist ein Vorfahrts-Schild. Hahhaaaa!
Der Tag zwei fängt auch an mit einer bunten Mischung aus Asphalt und Gravel und bald wird es ernst: Es geht hoch auf den Dunkery Beacon, den höchsten Gipfels Südenglands. Auf dessen Gipfel erhebt sich ein weit sichtbarer Steinhügel. Und welch Überraschung, Miles ist mit seiner Kamera vor Ort. In der Ferne geht die Sonne über dem Meer auf. Wunderbar. Die Abfahrt von diesem Hill ist schwerer als erwartet. Ich schiebe einige Kilometer über große Steinbrocken, durch dichtes Gebüsch. Oje, wenn das so weiter geht, bin ich wohl bald raus.
Aber es kann nur noch besser werden und irgendwann bin ich wieder auf fahrbarem Terrain. Und finde einen offenen Pub. Ich gönne mir Frühstück und eine ausgiebige Körperhygiene im Bad.
Heute scheint es wieder heiß zu werden. Unterwegs locken die kleinen Äpfelchen an einem Baum. Leckere saftige Früchte. Ich merke, dass ich einen Wurmkanal, wahrscheinlich mit Bewohner, mitgegessen habe. Egal, bekanntlich sind Proteine beim Sport ja gut. Eine lange ebene Asphalt-Strecke in der Gluthitze und Stopp in Bridgewater. Die Gegend scheint mir etwas heruntergekommen. Wie immer kein Wasser erhältlich. Alish treffe ich, die tiefgefrorene Erbsen ersteht und sich zwischen Rucksack und Körper klemmt. Ich rüste mich mit Sandwich, Kefir und Keksen. Als ich den Supermarkt verlasse, steht mein Oberrohrtäschchen weit offen, der gesamte Müll liegt auf dem Boden. Da hat wohl jemand was gesucht. Zum Glück sind Garmin und mein Tracker noch am Rad.
Weiter durch die Gluthitze. Ich finde eine Bäckerei, die mir die Wasserflaschen auffüllt. Und der Hit – meine Idee wird gleich lachend umgesetzt: Ich frage, ob es einen Eimer gibt, den man mit Wasser füllen könnte … Mein Wunsch ist Befehl, der Chef des Hauses steigt mit befülltem Wassereimer auf einen Stuhl und schon trifft der kühle nasse Schwall meinen Kopf und läuft prickelnd über meinen ganzen Körper bis in die Schuhe. Herrlich! Mindestens eine halbe Stunde kann ich nun meine Körpertemperatur niedriger halten, dann geht es wieder in die Berge. Zwischendurch wieder mal Stopp in einem Pub. Cola für mich und Wasser für die Flaschen. Die Leute sind echt nett hier.
Auf den letzten Kilometern nach Bristol mache ich die Bekanntschaft mit Rob von der Firma Tailfinn, deren super praktische Radtaschen wir auch verwenden. Die Kilometer schmelzen beim Quatschen nur so dahin. Rob hat es gut, er wird seine Fahrt in Bristol beenden. Diesen Gedanken verbiete ich mir sofort. Es rollt im Moment ja gut. Wir fahren über die Clifton Suspension Bridge, ein fantastisches Bauwerk. Auch die Innenstadt begeistert mich. Allerdings stehe ich nach meinem Erlebnis am Nachmittag etwas ratlos vor dem Supermarkt. Da spricht mich ein Herr an, ob ich die GBDuro fahre? Ja. Da drüben an der Ecke sitze sein Freund Oliver Y., der sei auch dabei. Ich erzähle ihm von meiner Erfahrung in Bridgewater und dass ich Angst hätte, mein Rad hier draußen stehen zu lassen während des Einkaufs. Er bietet sich sofort an aufzupassen. Ich, vertrauensselig wie ich bin, gehe mich versorgen. Rad und Mann sind noch da. Ich gehe kurz mit zu Oliver und dann weiter zum Essen in den Park. Langsam wird es dämmerig, ich muss weiter. Ich bin grad wieder auf mein Rad aufgestiegen und nochmal zurück, weil der Helm noch auf der Parkbank liegt, da sprechen mich zwei junge Männer an, später werde ich erfahren, dass sie Loz und Jack heißen.
GBDuro? Ja! Nach einem Foto und einem kurzen Plausch, ich mache mir aus meinem fehlerhaften Englisch gar nichts mehr draus, fahre ich weiter. Ich radle durch die wunderschönen Siedlungen am Stadtrand von Bristol und hinein in die Dunkelheit. Vielleicht der Müdigkeit geschuldet schleichen sich wieder mal komische Gedanken ein. Was ist, wenn diese Männer, die ich getroffen habe, böse Gedanken haben? Wie leicht bin ich über Dotwatching.com verfolgbar. Was ist, wenn ich eines Nachts überfallen werde? Eine Frau allein unterwegs im Dunkeln? Eine leichte Beute. Weg mit diesen Gedanken!!
Nach Bristol gibt es eine Umleitung. Der Weg zur Severn-Bridge ist gesperrt. Ich verpasse nach vielen Kilometern im Dunkeln wohl ein Umleitungs-Schild und fahre noch viele unnütze Kilometer weiter. Danach Ratlosigkeit, ist die Brücke gesperrt und ich nun falsch? Ich habe Glück und treffe zu so später Stunde auf zwei Männer, die mir bestätigen, dass ich hier einfach grad weiterfahren soll. Erleichterung.
Drei kleine Berge liegen vor mir. Ich beschließe über die drei noch drüberzufahren und dann einen Schlafplatz zu suchen. Es lässt sich wieder sehr steil an und die Kilometer ziehen sich, ich verfahre mich, finde den richtigen Weg nicht gleich, komme nicht so weit, wie ich wollte. Vor dem dritten Anstieg finde ich eine nette Lichtung vor einer Bachquerung. Zelt raus und Bett vorbereitet. Diese Nacht werde ich mir 2h Schlaf gönnen, eingelullt durch das Wasserrauschen. Der nächste Tag steht als Schreckgespenst vor mir, es würde so richtig schwer werden durch den Brecon Beacons Nationalpark mit dem berüchtigten „The Gap“, einer beliebten Mountainbike-Strecke.
Tag 3:
Als ich weiterwill, verlaufe ich mich gleich wieder. Also zurück. Der „Weg“ geht über halb Meter hohe Stufen. Dann endlich wieder eine Abfahrt und im nächsten Ort ein McDonalds. Frühstück in Brynmawr!! Eine freundliche Mitarbeiterin führt mich, die ratlos vor dem Bestellboard steht, in die Geheimnisse des Mackie ein. Wäre ich vor dem Angebot davor glatt verhungert. Mein Bike bekommt anschließend auch noch eine Kettenpflege. Dann kann es losgehen Richtung „the Gap“. Bei Gregs nebenan erstehe ich noch ein mindestens einen halben Meter langes Sandwich mit Käse und Schinken und so ein Blätterteig-Teil mit Chicken-Füllung. Das muss für die nächsten 130 Kilometer reichen. Es fängt an leicht zu regnen. Nicht so schlimm. Nach der ersten langen Steigung bin ich auf einer almähnlichen Hochfläche. Von hier geht es wellig abwärts ähnlich einem Pumptrail. Sehr unterhaltsam, bis es durch Farnwäldchen runterzuschieben ist bis zum Stausee bei Ponticill. Die nassen Steine sind äußerst rutschig. Aber zuerst mal Brotzeit machen. Hmmhmm, wo ist denn das Sandwich? Verschwunden. Wahrscheinlich durch das Gerüttel. Die Schafe werden sich freuen. Mögen die überhaupt Sandwiches? Strafpunkte für mich? Glaub eher nicht, denn Papiertüte und belegtes Brot sind doch biologisch abbaubar, oder? Ich werde allerdings hungern müssen. Wer weiß, wann ich wieder zu einer Einkaufsquelle komme. Verlieren ist wohl meine Spezialität, siehe Northcape4000.
Nach dem Stausee, bei dem wie bei unserem Reschensee eine Turmspitze aus der Wasserfläche ragt, kommt eine lange feine Gravelstrecke. So könnte es meinetwegen ewig weiter gehen. Und da geht es schon rechts weg. Für mich unfahrbar. Große Steine, tiefe Löcher, unergründliche Pfützen. Die Länge ist aber überschaubar, etwa 2 km und in der Ferne kann ich schon den Pass ausmachen. Und dann die bittere Erkenntnis, dass ich auf der anderen Seite auch wieder hinunterschieben muss.
Dachte ich, dass ich nach zwei fast schlaflosen Nächten in Ysbyty Cynfyn, der Kontrollstelle, so richtig Schlaf nachholen könnte, so sehe ich langsam ein, dass das wohl eine Illusion sein wird. Dachte ich, dass wohl Tag 2 DER walking day gewesen wäre, so wurde ich eines Besseren belehrt, auch Tag 3 bedeutet oft walking up und walking down. Über den Gap würde ich sicher auch mit MTB nicht runter fahren.
Heute überkommt mich zudem die Erkenntnis, dass ich inzwischen Fachfrau für Weidegatter bin. Es gibt unzählige Versionen von Öffnungsmechanismen. Bei der ersten Gelegenheit stand ich minutenlang vor dem Rätsel und dachte „ich Depp!“ Drüber heben nicht möglich, weil zu hoch. Die Gitter sind nicht wie bei uns „Riegel auf – Riegel zu“, nein, sie haben meist noch einen zusätzlichen Sicherheits-Mechanismus. Wahrscheinlich sind die Schafe hier schlauer als bei uns. Apropos Schafe: Es gibt hier mindestens 10-mal so viele wie Einwohner. Und jede Gegend hat ihre eigene Schafrasse sowie eigene Öffnungsmechanismen bei den Gattern.
Nun folgt am späten Nachmittag noch eine mindestens zwei Kilometer lange Steigung mit an die 20%, ein riesiges Militär-Areal ist zu durchqueren und das nach 3000 Höhenmetern in den Beinen heute. Dann endlich das Örtchen mit dem Zungenbrechernamen Llanwrtyd Wells. Wider Erwarten ist der dortige Supermarkt in Betrieb. Ausgehungert stürze ich mich auf Sandwich, Kefir, Yogurt, Milchreis, Wasser, Kekse, mein langsam etwas eintönig erscheinendes Mahl. Ich aber bin glücklich.
Dann trennen mich nur noch 70 Kilometer von der Kontrollstelle. Ich starte gegen halb sieben auf diese letzte Anstrengung. Es geht angenehm über Gravel kilometerlang durch Wälder, an Seen entlang. Die Sonne geht unter.
Ich bin allein. Stundenlang schon keine Menschenseele. Simon hatte mich vorher überholt und war schnell verschwunden. Am Himmel ziehen dunkle Wolken auf. Aus den Augenwinkeln sehe ich einen Blitz. Hilfe! Ein Gewitter! Fehlalarm, es war wohl nur meine Fantasie oder eine Spiegelung meiner Sonnenbrille.
Meine flotte Fahrt wird jäh unterbrochen. Wieder mal stoppt mich ein Weidegatter. Aber auch mit meiner inzwischen umfangreichen Erfahrung mit verschiedenen Mechanismen komme ich nicht weiter, dieser ist zwar einer der vielen gelernten, aber das Gitter ist zusätzlich mit einer dicken Kette versperrt. Verzweiflung. Wie soll ich da drüber kommen? 20 Kilo über eine Stange in Brusthöhe oder höher wuchten? Ich weiß nicht, wie ich das geschafft habe.
Und einige Kilometer weiter das nächste. Hier schwirren zudem zig Mücken um mich rum, die hatten wahrscheinlich hungrig schon auf ihr nächstes Opfer, das nicht schnell flüchten kann, gewartet, nun nach 3 Tagen ohne Dusche lecker duftende Radfahrerin. Aber zumindest war die Dusche schon in greifbare Nähe gerückt, glaubte ich zumindest.
Und keine 5 Minuten später das nächste Gitter. Ich verfluche innerlich meinen Göttergatten, der mich durch seinen Wunsch als Solo-Fahrer anzutreten so schändlich im Stich gelassen hatte. Inzwischen habe ich wohl eine bestimmte Technik entwickelt: Vorderrad über die Stange, Sattel auf die Schulter gestemmt, Hinterrad hinterher. Das Rad hängt nun auf der anderen Seite, ich hinterher geklettert, dann Rad runter gehoben. Als ich wegfahren will, ist der Lenker blockiert. Hab ich was kaputt gemacht. Ich schiebe Beutel und Taschen beiseite. Brems- oder Schaltkabel hatten sich am Vorbau verklemmt. Der Kabel ist außen etwas beschädigt. Hilfe! Hoffentlich macht das nichts.
Es wird dunkel. Endlich bin ich in Pontrhydfendigaid -unaussprechlich- nun liegen NUR noch 20 Kilometer vor mir. Lächerlich wenig, so wie Brixen-Klausen oder so. Nicht einberechnet die fast 1000 Höhenmeter und es wird wieder unwegsamer. Ich irre scheinbar kreuz und quer durch die Wälder. Verfahre mich nicht nur einmal und kippe auch nicht nur einmal um, mitgerissen durch das Übergewicht meines Gravel-Traktors. Die Erschöpfung nimmt langsam überhand. Sekundenschlaf-Attacken. Einmal schrecke ich hoch, bin fast stehen geblieben und weiß im Augenblick nicht, wie ich hier hingekommen bin, wo ich überhaupt bin, in welchem Land und was ich hier mache. Irgendwann erreiche ich den Punkt, an dem die Kontrollstelle sein sollte und an dem ich das time-stamp-foto machen sollte, ein Bild mit Datum und Uhrzeit als Beweis. Hier ist aber nichts. Eine verlassene Farm oder schlafen hier vielleicht alle schon? Beweisbild gemacht und dann entscheide ich mich dem Track weiter zu folgen. Müdigkeit und Verzweiflung, ich will mir ein paar Tränen aus den Augen drücken. Geht nicht. Ist wohl der Flüssigkeitsmangel. Etwas weiter ein verschlossenes Tor, daran hängt ein Blatt mit einem Hinweis für die GBDuro-Racer: Dem Zaun parallel zur Straße folgen, bis zu einem Haus, das Lager ist gegenüber davon hinter den Büschen. Aber wo ist die Straße? Und wo das Haus? Ich sehe im Dunkeln weder das eine noch das andere. Verzweiflung. Ich irre dem Zaun entlang. Da! Ein Licht! Von Links kommt Simon und sagt mir den Weg. Erleichterung! Im Lager schält sich Hermann aus seinem Biwaksack. Er zeigt mir alles. Ich bekomme noch etwas Warmes zu essen. Dusche? Nach drei Tagen hatte ich mich darauf so gefreut. Fehlanzeige, diese sei nun leider außer Betrieb. Defekt! Ist mir im Moment aber egal, ich verschwinde schleunigst in meinem auf der feuchten Wiese aufgeschlagenen Zelt, der (kurze) Schlaf kann kommen. Bis auf die fehlende Waschmöglichkeit für mich, der Chef der Kontrollstelle von Daf’s Farm hat alles getan, damit man sich dort sehr wohl fühlen konnte. Die Versorgung war fabelhaft, es gab Wasser, ein Toilettenhäuschen, eine ebene Wiese. Was will frau mehr.
Stage 2: Ysbyty to Garrigill
Tag 4, 5 und 6 470 km/ 7100 Hm
Tag 4:
Am nächsten Tag nach gemütlichem Frühstück und Zusammenpacken der Start auf die nächsten 3 Tage. Entsetzt stelle ich fest, dass meine Planungsblätter weg sind. Hermann gibt mir seine Kopie. Bin ich froh, ohne diese wäre ich komplett ziellos durch die Gegend geirrt. Ihm schicke ich die digitale Version, er fährt eher ins Blaue hinein. Heute soll es auch wieder hart werden, fast 4000 Höhenmeter verteilt auf 7 „Berge“. Wales ist berüchtigt. Viel Auf und Ab erwartet mich. Es lässt sich fein an. Einrollen über ein welliges Asphaltsträßchen. Angenehm? Naja, vor allem wieder steil. Ich habe Zeit nachzudenken. Warum sind die Straßen hier so steil? Ich glaube die Lösung gefunden zu haben. Man spart Material, sprich Teer. Aber wir sind doch noch nicht in Schottland, oder? Was ich noch verstanden habe: das Motto der GBDuro ist, dass es ein „rolling Picknick“ ist durch die unterschiedlichsten Landschaften. Stimmt! Denn heute ist es wieder mal soweit, ein Supermarkt, dann wieder lange nichts. Ich muss also wieder Essen und Trinken für den ganzen Tag und die nächste Nacht mitschleppen. Übrigens: Wasser gibt es hier in Wales genug zu kaufen.
Genug des Nachdenkens, es geht wieder ins Gelände. Steine, Pfützen, Steine, 10 Kilometer und 100 Höhenmeter- das ist doch easy, dachte ich mir, aber die stop-and-go-Fahrt ist sehr mühsam.
Eine Flussdurchquerung. Hermann zieht sich gerade auf der anderen Seite die Socken und Schuhe wieder an. Ist mir zu aufwändig. Ich wate einfach durch. Meine Schuhe und Sochen warten eh dringend auf eine Wäsche. Dann eine etwas ruckelige Abfahrt. Angenehmer. Ich finde Dextro Energen, 50m weiter ein Riegel, die interessieren mich nicht. Wieder etwas weiter ein Snickers, der muss mit. Da hat wohl jemand seinen gesamten Proviant verloren.
Supermarktstopp. Ich treffe auch einige andere, die aber schon beim Abfahren sind. Bei mir ist heute anscheinend etwas die Luft raus. Hatte ich gedacht nur „the Gap“ sei schwierig, ich werde langsam eines Besseren belehrt. Besonders die stetigen Steigungen über 15% tun so weh.
Inzwischen gibt es schon einige Fahrer*innen, die schon vor der ersten Kontrollstelle aus dem Rennen ausgestiegen sind. Und ich fühle mich als Letzte der Verbliebenen, es sind nicht mehr wie 2 bis 3 hinter mir. Aber ich genieße die anstehende Asphaltfahrt durch ein idyllisches Tal in den Ausläufern des Snowdonia-Nationalparks und bin auch etwas Stolz, dass ich zumindest bis hierhin durchgehalten habe, kann nur besser werden … oder …
Und schon wieder Gravel durch unendliche Wälder und dann die unterhaltsamen Trails CLIMACHX easy rider und dann va-va-voom. Ganz leicht tue ich mich mit meinem schweren Gravel-Taktor nicht das Gleichgewicht zu halten und durch die schmalen Wege und engen Kurven zu manövrieren. Mein Bike reißt mich immer öfter fast zu Boden.
Dann weiter hügelig leicht durch ein wunderschönes Tal und an dessen Ende DER Hammer: Einige Kilometer über Teer mit 20% und mehr. Für mich Schiebestrecke. Also auch heute Wandertag! Zwischendurch packt mich der Irrsinn: Radreinigung an einem Rinnsal. Zum Glück sieht mich niemand. Sind ja schon alle weg. Und das Putzen macht auch absolut keinen Sinn werde ich bald feststellen. Tolle Abfahrt übrigens, aber der nächste „Berg“ wird auch wieder megahart, nicht durch die Höhenmeter, sondern wegen des steinigen Weges, der sich in unendlich weite Ferne schlängelt. Hinunter geht es auch ruppig, die Handgelenke tun vom Gerüttel schon weh. Dann auf einmal feiner Schotter. Super! Ich brause talwärts. Nach einem halben Kilometer meldet die Garmin eine Streckenabweichung. Oh nein, wieder hoch …
Nun noch drei Berge und ich werde endlich wieder schlafen. In einem Tante-Emma-Laden bin ich die letzte vor Ladenschluss. Glück gehabt. Beim Losfahren treffe ich eine kleine Familie mit Hund. Dieser kläfft zweimal, dann habe ich ihn schon an meiner Wade hängen. Aua! Aber ich bin nun wieder putzmunter.
Es dämmert nun, als ich an den nächsten Aufstieg gehe. Ich treffe auf 2 Mountainbiker und mit Quatschen vergeht die Zeit. Der Aufstieg ist ganz ok, aber dann das Unerwartete: unfahrbarer Abstieg. Ich bin kilometerweit von der nächsten Siedlung entfernt, es ist dunkel, was ist wenn man sich hier verletzt? Kein Empfang, schon seit Stunden keine Menschenseele. Es wird kalt. Die brütende Hitze der ersten Tage ist vorbei, es hat grad mal 12°. Gegen Mitternacht habe ich noch einen kurzen aber heftigen Anstieg, dann entschließe ich mich, den letzten Berg sein zu lassen und mir einen Schlafplatz zu suchen. Das war eine äußerst weise Entscheidung. Es fängt an zu tröpfeln und als ich in Llangeollen in einem Schulpark mein Zelt aufgebaut hatte, gießt es wie aus Kübeln. Wecker auf 2 Uhr gestellt, dann aber bis 3 Uhr verlängert, da es immer noch regnet.
Tag 5:
Da Einpacken des nassen Zeltes ist nicht so angenehm. Es ist bitterkalt und ich freue mich, dass es gleich bergauf geht. Sehr steil, deshalb ist wieder mal fahren-gehen-fahren-schieben angesagt. Ich erreiche ein Hochmoor. Hier soll es wieder ins Gelände gehen. Ich folge der lila Linie auf meiner Garmin. Ein schmaler Weg führt durch Erika-Stauden. Meine Füße sind eh schon nass, aber jetzt werden sie klatschnass. Immer wieder versinke ich im Morast. Die Steigspuren verschwinden so langsam, ich quäle mich inzwischen durch hüfthohe Pflanzen. Kann das stimmen? Doch, ich befinde mich genau auf der Linie. Völlig durchnässt und verzweifelt bleibe ich stehen und schaue ratlos rundum, es dämmert leicht. Da fällt mir etwas Weißes auf, länger als ein Schaf. Ich wate darauf zu. Ein schmaler Plattenweg aus hellem Gestein. Mein Weg! Gerettet.
Bald endet dieser vor einem Wäldchen. Es stürmt und tröpfelt. Vor einem Gatter ein oranges Rad und ein Biwaksack. Bin ich froh, dass ich nicht hier schlafen musste. Ein Trail durch den Wald folgt nun, nass und rutschig. Ich verfahre mich mehrmals und hab wieder mal düstere Gedanken: warum bin ich hier? Alleine?
Ende des Single Trails. Sprühregen. Hier gibt es einen Freizeitpark. Verschlossen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Zwei riesige orange Gatter versperren meine Weg. Fast 2 m hoch. Hier komme ich nie und nimmer drüber mit dem Rad. Ich irre hin und her und entdecke niedergetrampeltes Farnkraut, dahinter einen nicht so hohen Stacheldraht-Zaun. Wie ich da drüber gekommen bin – keine Ahnung.
Der nächste Supermarkt-Stopp kommt bald, zum Glück hat der gegen 7 Uhr schon offen. Ein Becher Latte Caramel XL mit dreimal Zucker belebt meine Lebensgeister. Es geht nun viele viele Kilometer recht flach bis Manchester.
In Chester mache ich kurz halt bei einem Mechaniker, der mir aber auch nicht helfen kann oder will. So ziehe ich weiter. Die Schaltung macht nach wie vor Probleme. Hoffentlich bricht das Kabel nicht früher oder später. Es gab schon ziemlich einige Ausfälle von Teilnehmern durch technische Probleme. Aber ich WILL weiter, auch wenn es mega hart ist.
Das Wetter ist nun schön geworden. Meine Sachen trocknen langsam, auch die Füße. Boxen-Stopp bei einer Kiste mit verführerischen Früchten am Straßenrand. Ich labe mich mit Pflaumen und Äpfeln und stopfe mir auch noch die Tasche voll. Beim Wegfahren fällt mir ein umgefallenes Kärtchen auf. Freiwillige Spende? Ich habe nur einen 100-Pfund-Schein. So fahre ich als Zechprellerin weiter. Diese rächt sich wohl gleich: Es fängt wieder an zu regnen, ich verfahre mich.
Um die Mittagszeit ereilt mich eine große Müdigkeit. Was tut frau da ihrem Körper an? Dem Körper keinen Schlaf gönnen kann das nicht tödlich enden? In gewisser Weise schon … ich erschrecke fürchterlich, an mir braust ein Riesentraktor vorbei mit Anhänger, mindestens mit 100 km/h. Wenn man da unter die Räder kommt … Ich entschließe mich für einen Powernap auf einer Bank. Davor ein Radfahrer, der mich in ein Gespräch verwickeln möchte. GBDuro? Ach so, ein Dotwatcher. Ich bin aber so müde, dass ich ihn abwimmle, er zieht enttäuscht von dannen und ich versuche ein paar Minuten zu dösen, nachdem ich den Wecker auf 20 Minuten gestellt habe.
Im nächsten Dorf große LKW und Kameras. Ein Filmteam dreht. Die Kulisse ist aber auch wunderbar. Ich nehme mir vor zuhause zu googeln: Es ist Great Budworth, das bei Filmregisseuren anscheinend sehr beliebt ist.
Die langen ebenen einfachen Abschnitte lassen mir viel Zeit nachzudenken: Jetzt ist mal das Linksfahren dran. Wenn es kritisch wird, hilft Nachdenken gar nichts, man macht es wie man gewohnt ist. Müde und unkonzentriert findet man sich so rasch in lebensgefährlichen Situationen wieder. Ich überlege mir, wie ich mir eine Eselsbrücke bauen könnte. Geht man bei uns über die Straße, muss man zuerst links schauen, hier rechts. Abbiegen mit dem Rad links ist easy, es ist nur zu gucken, ob aus der rechts was kommt. Beim Rechtsabbiegen wird es komplizierter. Ich komme auf keinen grünen Zweig. Also am besten warten, bis die gesamte Straße frei ist und schnell rüber auf die andere Seite.
Die letzten Kilometer vor Manchester führt die Strecke schon entlang eines Kanals mit angetäuten Hausbooten. Im Zentrum dann ein Gewimmel von Leuten, es ist relativ schmutzig und riecht nicht überall gut. Für mich Kleinstadt-Pflänzchen der reinste Horror. Mir ist die einsame Natur viel lieber. Schnell weg!
Ich muss mich noch versorgen, ist doch auf den nächsten 160 Kilometern wieder mal nichts und die nächste Nacht steht auch noch an. Ich fahre einen Supermarkt an, in der Tür ein Wachmann. Ich äußere meine Bedenken, dass ich Angst habe, mein Bike kommt weg. Was der wohl von mir hält, ein dreckiges voll bepacktes Rad, eine schmutzstarrende und wahrscheinlich nach 5 Tagen ohne Dusche müffelnde Fahrerin? Er erlaubt mir jedenfalls das Rad in das Geschäft zu schieben und an einem wackeligen Karton-Regal anzulehnen. Erleichterung. Was hätte ich sonst getan? Ohne Essen weiter?
In einem Vorort habe ich noch ein interessantes Erlebnis: In der Ferne kann ich einen Mann auf der Straße ausmachen. Sein ferngesteuertes Auto rast mit einem Affenzahn auf mich zu. Ich kann mit meinem schweren Gefährt nicht so schnell ausweichen und „knacks!“ fahre ich direkt drüber. Das Auto fährt noch und zurück zum Herrchen. Dieser schimpft wie ein Rohrspatz. Ich suche schnell das Weite. Fahrerflucht? Schuld habe doch nicht ich.
Ich mag mich heute übrigens gar nicht. In der vergangenen Nacht im Zelt habe ich mich gehasst. Klebrig, verschwitzt. Am Schlimmsten riechen die Socken. Waschen geht mit meinem Tuch, das ich an der Tasche festgemacht habe, ganz gut. Aber an den Kleidern kann ich nichts ändern. Der 5.Tag ohne Dusche. Was wohl die Leute in den Supermärkten sagen? Aber egal, schenkt mir ja niemand was dafür … Und: Das ist doch der Umweltgedanke pur – ich spare viel Wasser, Shampoo, Seife!
Aus Mancherster raus gibt es eine nette Gravelstrecke. An einer Tankstelle treffe ich auf Adele und ihren Mann, zwei begeisterte Radfahrer, die hier etwas dotwatchen. Sehr nett. Sie zeigen mir einen Wasserhahn.
Dann geht es wieder mal einen Windpark mit versperrtem Gatter. Irgendwie drüber und wieder Kabel gequetscht. Oje, das wird irgendwann wohl mal zum Problem werden. Kurzer Plausch mit einer MTB-Fahrerin, die das Gardasse-Gebiet kennt. Dann weiter. Raus aus dem Windpark, juhu, kein Gatter!
Vor dem nächsten Berg mache ich erst mal eine Ess-Pause. Und kurz danach komme ich bei einem Teich mit Imbisbude vorbei. Und schon wieder Pause bei Latte und Kuchen. Kein Wunder, dass ich so langsam weiterkomme. Aber man gönnt sich ja sonst nichts.
Dann wird es wieder dunkel. Ich komme wieder mal an ein verschlossenes sehr hohes Gatter. Dahinter kann ich ein Haus ausmachen. Ich sehe eine Klingel. Aber kann ich um diese Uhrzeit klingeln? Ich versuche es in die andere Richtung am Zaun entlang. Fehlanzeige, hier geht es nicht weiter. Wieder zurück. Den gegenüberliegenden Zaun entlang. Hier werde ich fündig. Im Mond-Schatten einiger hohen Bäume gibt es ein Tor für Fußgänger. Irgendwie kann ich mich und mein Bike da durchquetschen. Weiter geht es hinauf auf eine Art Alm. Immer wieder leuchtende Kugeln am Wegesrand. Die reflektierenden Schafaugen. Ich schiebe einen Serpentinenweg hinunter, dann wieder erste Häuser.
Ich beschließe den Tag hier zu beenden und suche mir auf einer Wiese hinter einem Zaun ein Schlafplätzchen. Ich wundere mich noch über die hohen Töne, die hier ab und an zu hören sind. Auf dem Schild am Tor steht was über Diebstahlschutz. Muss ich zuhause googeln.
Zwei Stunden später wieder Abfahrt. Ich hatte mir den Wecker auf 3:15 gestellt, er ging allerdings nicht los und so wurden es eine Stunde später.
Tag 6:
Dachte ich, heute gibt es einen „gemütlichen“ Tag, so wurde ich bald eines Besseren belehrt. Wieder mal Fehlschluss. Es geht unendlich weit über Weiden, Gitter auf Gitter zu. Einige Kilometer fahre ich mit Steve und wir unterhalten uns köstlich. Der Spaßvogel ist bester Laune, obwohl er schon einige Pannen hatte, u.a. brach der Rahmen, an dem seine Tasche befestigt ist, dann wurde er in einer öffentlichen Toilette, in der er nachts seine Wäsche waschen wollte, eingesperrt und musste bis am nächsten Vormittag auf Befreiung warten, an Schlaf war nicht zu denken, da er fürchterlich fror mit den nassen Sachen. Die Pechsträhne ging noch weiter. Irgendwann beginnt es wieder zu regnen, unsere Wege trennen sich. Ich muss zuerst mal meinen Milchreis aus der Packtasche löffeln. Keine gute Idee auf den Holperstrecken Joghurt- und Milchreisbecher übereinander zu stapeln in der Tasche.
Einschub: Unendlich sind die Möglichkeiten Zeit zu verlieren. Zusammenfassung und Vorschau:
Sich in Toiletten-Häuschen einschließen zu lassen
Essen ungünstig einpacken und Entfernung der sagenhaften Sauerei
Fotografieren/ Filmen
Smartphone verlieren
Rad und Zubehör reparieren
Der eigenen Gattin zu Hilfe eilen (betrifft mich nicht, aber Zeitverlust ist immens)
Verpennen
Körperreinigung unterwegs nach vielen Tagen ohne Duschen. Ist eh sinnlos, für wen denn?
Einkaufen ohne Plan
Zuviel Zeug rumschleppen. Jedes Kilo zu viel verlangsamt die Reise.
…
Die folgenden Abfahrten sind richtig flott. Der vorletzte Berg vor der Kontrollstelle wird hart. Nicht nur, dass Schieben angesagt ist, es regnet stark und ist stürmisch. Irgendwann blockiert mein Hinterrad. Nanu? Der Spannriemen meiner Tasche ist von dieser runtergerutscht und hat sich verklemmt. Zum Glück passierte das beim Langsam-Fahren, nicht auszudenken eine paar Kilometer später bei der Abfahrt. Das hätte böse ausgehen können. Da muss sich Tailfinn unbedingt was einfallen lassen.
Nun sause ich dahin. Entlang einer Eisenbahnstrecke und vielen Viadukten, wie man sie aus Harry Potter kennt. Es läuft super. So schön kann Radfahren sein. Vor Kirkby Stephen holt mich die Müdigkeit ein, es ist auch schon später Nachmittag. Mitten auf der befahrenen Kreuzung ein Bänkchen. Das kommt wie gerufen. Wecker auf 15 Minuten und Powernap.
Anschließend nur noch ein letzter (sehr steiler) Anstieg und 10 Kilometer runterrollen zur Kontrollstelle Garrigill. Das wird nicht mehr so schlimm sein. 600 Höhenmeter geht es nun noch hoch. Easy, wenn man an vergleichbare Anstiege bei uns denkt. Vor mir ein Radfahrer. Übermütig beginne ich die Jagd, der wird doch einzuholen sein. Es ist Miles, der wieder mal filmt. Ich versuche möglichst frisch auszusehen und so zu wirken, als machte mir dieser wieder mal mörderisch steile Anstieg gar nichts aus.
Miles berichtet, Hermann sei hinter mir. Ich ungläubig, das kann unmöglich sein, der ist sicher schon seit Stunden auf dem Campingplatz.
Zum Glück fährt Miles Simon hinterher, der von hinten aufgeschlossen hatte und ich kann verlangsamen und muss das hechelnde Luftschnappen nicht unterdrücken. Ein Auto kommt entgegen. Jemand steigt aus und erzählt er habe Brownies gebacken, ob er mir einen anbieten darf. Liebend gerne, aber darf ich das? Miles ist ja weg, so nehme ich dankend an.
Kurz darauf holt mich wieder jemand ein: Hermann. Wie gibt es das denn? Wo soll ich ihn überholt haben? Er erzählt, er habe in Kirkby Stephen, meinem Powernap-Halt, 5h auf mich gewartet, weil ihm Simon erzählt habe, nach dem Pass würde es sehr schweres Gelände geben. Der Liebe!
Das hatte ich nicht auf dem Schirm. Wirklich, die letzten 10 Kilometer waren Gehgelände, zumindest die Hälfte. Und dabei war es auch nicht leicht, den richtigen Weg zu finden. Da es jetzt auch langsam dunkel wurde, bin ich nicht unfroh nicht alleine zu sein.
Es ist wieder spät, als wir Garrigill erreichen.
Und hier, juhu, eine funktionierende heiße Dusche, Möglichkeit die Kleider zu waschen, leckeres Essen und nicht zuletzt schlafen, 5h sollten es sein, welcher Luxus. Mein Zelt muss ich im leichten Regen aufstellen und unter Mückenplage. Die Biester sind schrecklich. Millionen umschwirren und peinigen dich, gehen vor allem auf Augen und Ohren los. Ohne Mückennetz ist man machtlos. Die Aussicht auf saubere Kleidung ist auch klasse, der Trockenraum aber bis auf die letzte Ritze behängt. Mehr als Halbweg ist geschafft.
Zu betonen ist, wie nett die Crew der Kontrollstelle uns umsorgt haben! Vielen Dank noch einmal!
Und nun geht eigentlich mehr oder weniger alles -um es mit einer Redewendung zu sagen- den Bach runter …
Stage 3 : Garrigill to Fort Augustus, Inver Coille Camping, Loch Ness
Tag 7, Tag 8 und 9 510 km/ 6500 Hm
Tag 7
Nach dem reichhaltigen Frühstück und nach Zusammenpacken unter Mückenplage fühle ich mich wie neu. Die Strecke führt auf einem idyllischen Radweg entlang einer stillgelegten Bahnlinie. Ein kleines Hindernis bringt mich nicht aus der Ruhe, der Track verlässt den Radweg und führt über eine ruppige Weide mit anschließendem Über-den-Zaun-heben – wieder mal. Kurz danach die nächste Erschwernis. Es bleibt frau auch wirklich nichts erspart: Vor einem wunderschönen alten Viadukt muss man ab von der Strecke, das Bike über unzählige glitschige hohe Stufen runterheben und dasselbe auf der anderen Seite wieder hoch (20kg sei Dank = Schwerstarbeit). Im nächsten Örtchen, Alston, ist erst mal Einkaufen angesagt. Beziehungsweise, versuche ich erstmal einen Radmechaniker zu erreichen, der sich meine Schaltung mal anschauen kann. Langsam habe ich den Verdacht, dass es nicht mehr lange bis zu einem Kabelriss dauern kann. Verständnisschwierigkeiten am Telefon. Dann fahre ich halt so weiter. Ich besuche noch kurz ein Café, in dem ein Mitarbeiter des Mechanikers arbeitet, der aber hat keine Zeit. Beim Einkaufen im Supermarkt sucht mich netterweise der nette Herr, mit dem ich am Telefon gesprochen hatte und gibt mir eine Kontaktadresse, aber das ist wiederum der vom Café. Nette Geste, aber leider vergeblich. Ich mache mich nach dem Einkauf und Costa-Latte mit meinem um einiges schwereren Rad auf den Weg. Es stehen an die 200 Kilometer ohne Versorgungsmöglichkeiten an.
Es geht weiter easy durch ländliches Gebiet, nach einem Verkehrsschild „Red squirrels“ – Achtung Eichhörnchen, wird es ein paar mal wieder unerträglich steil. Dann wieder Schotter, stundenlang durch den Nationalpark Kielder Water, aber leichtes Gelände. Irgendwann ein Durchfahrtverbot wegen schwerer Waldarbeitsgeräte. Was nun? Zurück- unmöglich. Ich schiebe mein Rad durch Matsch in Richtung der Arbeitenden. Die Räder der Maschinen sind enorm hoch. Hoffentlich sehen die mich. Ich komme unbeschädigt weiter.
Etwas später holt mich Steve ein. Die nächste Steigung bewältigen wir gemeinsam. Nach einer rasanten Gravelabfahrt ein Kleintransporter am Wegesrand. Er wartet auf Oliver, der hier aussteigen will, leider wieder einer weniger um mich herum. Und noch etwas weiter holt uns Christophe aus Belgien ein, der Führende der zweiten Stage. Wieso denn das? Freilaufschaden, er hat nur noch 2 Gänge zur Verfügung. Weit und breit keine Möglichkeit das zu reparieren auf den nächsten 200 Kilometern. Schade, er wäre Anwärter auf den Sieg gewesen. Nun sind die Führenden beider Stages raus, denn Alex hat aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müssen. So schnell kann es gehen … Das werde ich in den nächsten Stunden auch erfahren … (Christophe und Alex waren Teil unserer Fahrgemeinschaft nach Land’s End).
Ich überfahre nun irgendwo die schottische Grenze. Nach einem Berg kommt bekanntlich wieder ein Tal, in dem es „flutscht“. Angenehme Steigung, Asphalt, was will frau mehr. Ein Moment der Unachtsamkeit und ab nun geht so ziemlich alles schief: Mein Vorderrad kommt von der Straße ab, der Straßengraben rast auf mich zu, ich stürze und mein Bike verkeilt sich unter der Leitplanke. Der Lenker ist verbogen, ich habe mir zum Glück außer ein paar Schrammen, nichts getan. Minutenlang versuche ich das Rad wieder freizubekommen und den Lenker mit meinem Tool aufzuschrauben und grade auszurichten. Dann bin mit zitternden Knien wieder on the road. Erst später werde ich draufkommen, dass die Lampe nicht mehr funktioniert und ich über den Nabendynamo auch nicht mehr laden kann. Katastrophe. Das Ziel rückt in weite Ferne. Wie soll ich dann ohne Lampe und ohne Stromversorgung nach JOG finden? Kommunikation und Streckenverfolgung ohne geladenen Akku unmöglich. Vermutlich bin ich wohl auch bald raus. Ich erreiche Hermann. Er sitzt einige viele Kilometer weiter in einem Pub beim Abendessen und verspricht zu warten. Ich steigere die Geschwindigkeit, die Kilometer ziehen sich, mein Garmin macht Mätzchen, das Problem löst sich zum Glück durch einen Neustart des Geräts. Die Dämmerung bricht herein, es wird bitterkalt, auf einmal habe ich eine Art Erscheinung: „Gabi, hier warst du schonmal! Nein, du gute Frau, du spinnst wohl, das ist sicher wieder mal ein Zeichen von Übermüdung …“ Später werde ich draufkommen, dass ich hier bei der LEL (London-Edinburgh-London) vorbeigekommen bin. Ich trudle im Tushielaw Inn ein. Die Küche ist leider schon zu, aber mein enttäuschtes Gesicht erweicht den Chef des Hauses und ich bekomme noch ein Sandwich und kann mich mit einem heißen Getränk aufwärmen.
Auch Steve und Simon finden hierher und zusammen bilden wir eine lebhafte Gesellschaft, lustig, wenn meine Gedanken nicht verdüstert wären durch mein drohendes Ausscheiden. Was könnte der Grund des Nicht-Funktionierens meines Ladegeräts sein? Hermann meint, es liege vielleicht an einem Kurzschluss, da der Lampenkabel beschädigt sei, die Kupferdrähte waren freigelegt. Kurzerhand wird das Lampenkabel gekappt und wie durch ein Wunder kann ich wieder laden. Ich plane nun, wie ich vorgehen könnte: Mit geladenem Reservelicht käme ich 2 Stunden weit. Wenn ich unterwegs irgendwo eine akkubetriebene zusätzliche Beleuchtung kaufen könnte, wäre ich gerettet.
Hermann und ich fahren einige Kilometer gemeinsam weiter. Es wird immer kälter und fängt auch wieder an zu tröpfeln. Es findet sich kein geeigneter Biwak-Platz, ein höherer Berg stand an. Irgendwo dann eine steinige Weide und wir beschließen aufgrund der Kälte beide in mein Mini-Zelt zu schlüpfen, etwas zu ruhen und bald wieder aufzubrechen. Wecker stellen wir fatalerweise keinen. Und Schock, es ist schon 6 Uhr als wir aufwachen, nicht 4 wie geplant. Mein Finish rückt in immer weitere Ferne. Ich würde die kommende Nacht durchfahren müssen, um den CP3 Fort Augustus pünktlich zu erreichen. Wie sollte das aber gehen ohne ordentliche Beleuchtung? Und mit einer Lampe, die nach spätestens 2 Stunden ihren Geist aufgibt?
Tag 8
Hermann fährt ab, ich muss noch das Zelt wegpacken. Der erste Berg bringt schwierigeres Gelände in der Auf- und Abfahrt, dann geht es über die nächste Erhebung, hier ist wieder mal Schieben angesagt. Runter ist fahrbar, aber auch nicht ganz leicht. Das schwere Rad, ein Drittel meines Gewichtes ist nicht so leicht manövrierbar und so reißt mich das Bike einige Male um. Bei einem der Stürze lande ich auf dem Rücken aber weich im Farnkraut. Beim Aufstehen sehe aus den Augenwinkeln ein Stück gelbes Drainage-Rohr. Im Tal, etwa 250 Höhenmeter tiefer, ich hatte gerade einen Bauernhof passiert, merke ich, dass mein Smartphone weg ist. Schock! Kopflos lege ich mein Rad neben die Straße und laufe den Weg zurück hinauf. Unterwegs treffe ich auf Simon, der hat aber nichts gefunden unterwegs. Ich stapfe in meinen Radschuhen weiter und merke zu spät, dass ich vom richtigen Weg abgekommen bin.
Durch das Farnkraut suche ich den richtigen Weg zu erreichen, das Garmin Gerät steckt am Rad, das hätte mir die Suche erleichtert. Etwas weiter oben die Erkenntnis, dass der Sturz nicht so weit oben war. Also wieder hinunter. Ich suche nach dem Rohr. Nichts. Ich stieg bis zu einem kleinen dichteren Farnwäldchens ab. Im Kopf das Szenario: Ich kann niemanden mehr kontaktieren. Ich weiß auch keine Telefonnummer auswendig. Schrecklicher Gedanke. Was tun? Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als nochmal hochzugehen, bis an den höchsten Punkt. Hier hatte ich nämlich das letzte Foto geschossen. Oben dann trifft mich eine weitere Erkenntnis wie ein Blitzschlag: Ich hielt nach diesem Drainagerohr Ausschau. Gelb und mit Rillen. Die zum Teil gelben Blätter des Farnkrauts schauten ähnlich aus. Vielleicht war das Rohr nur ein Hirngespinst? Ich drehte also jede der gelben Blätter unterwegs um. Nichts. Als ich mich zum zweiten Male dem Farnwäldchen näherte, leuchtet mir links was entgegen: Das Rohr und daneben – mein SMARTPHONE. Gerettet!!! Erleichtert fasse ich es und renne den Berg hinunter. Unterwegs ein neuer schlimmer Gedanke: Was, wenn mein Rad nun nicht mehr da wäre? Ich hatte es nicht abgesperrt und hatte Geld und Dokumente einfach so zurückgelassen. Erleichterung, als mein Gravel-Traktor noch dort liegt, wo ich ihn zurück gelassen hatte. Später wird mir Simon erzählen, dass der Farmer beim Rad stand und ihn gefragt habe, ob das sein Rad sei. Hahhhaaahhaa, GBDuro mit zwei Rädern fahren … Simon hat dem Farmer die Sachlage erklärt.
Dieser Zu-Fuß-Ausflug hatte mich wohl mindestens weitere zwei Stunden gekostet, eineinhalb Mal den Berg hoch, ca. 300 Höhenmeter und 4 Kilometer Fußmarsch. Das wird jetzt wohl das wirkliche Ende sein!
Mein Mut wird etwas gehoben, da es jetzt recht einfach weiter geht Richtung Falkirk mit seiner Attraktion „Falkirk Wheel“, einem spektakulären Schiffshebewerk.
Unterwegs überholen Simon und ich uns gegenseitig mehrmals. Dann bei einem Windpark wieder einmal ein gesperrtes Gitter. Darüberheben ist angesagt. Simon steigt auf der anderen Seite gerade wieder auf sein Bike. Keine Anstalten, mir zu helfen. Genau – das hatte ich ja vergessen – das Rennen ist streng SELFSUPPORTET – das gilt genauso für uns Frauen! Minutenlang stehe ich erst mal wie ein dummes Schaf vor der neuerlichen Aufgabe meinen Traktor da drüber zu wuchten und kann die Tränen gerade noch zurück halten. Obwohl nun Ebene angesagt, muss ich anschließend trotzdem schieben, der Weg ist „gepflastert“ mit einem bunten Gemisch an Scherben, da traue ich mich nicht drüber zu rollen.
Die letzten Kilometer geht es unterhaltsam nicht schwierig über eine Downhillstrecke. Ich hatte in Falkirk auch einen Bikeshop entdeckt, merke aber am Ende der Strecke, dass ich schon 3 Kilometer zu weit bin. Also zurück und das auch noch aufwärts. Der nette Mitarbeiter richtet meine Schaltung, tauscht die Bremsbacken, schmiert die Kette und das Wichtigste, hier kann ich ein Vorderlicht erstehen. Allerding werde ich beim Einsatz merken, dass das Licht eher dazu gedacht ist, gesehen zu werden und nicht als sinnvolle Leuchtquelle dient. Ich blicke nun aber wieder positiver auf die Strecke vor mir.
Es ist nun schon wieder später Nachmittag, wie schnell die Zeit vergeht … Die nächsten Kilometer gehen leicht, ein nächster Supermarkt-Stopp ist angesagt, da wieder über 150 Kilometer nichts sein wird. Meine Wahl fällt auf Morrison, nicht so gut, da es hier nur übergroße Packungen gibt. Meine Packtasche bekomme ich anschließend kaum zu. Gestärkt mache ich mich auf den Weg. Ich verfranse mich x-mal, muss wohl etwas aufmerksamer sein. Nach dem hübschen Örtchen Stirling dämmert es. Mich holen die düsteren Gedanken ein, denn der Wetterbericht droht mit Regen. Ich spiele mit dem Gedanken, hier aufzuhören. Das wäre ein idealer Ort sich am nächsten Tag abholen zu lassen, eine Weiterfahrt würde das wieder komplizieren. Mehrmals bleibe ich stehen und überlege. Pro und Contra wäge ich ab. Dann siegt die abenteuerlustige Gabi: Weiter, mal sehen, was kommt.
Nun liegt gemischtes Terrain vor mir. Im Dunkeln radelt Steve an mir vorbei, ich bin wohl jetzt Allerletzte. Es fängt an zu regnen, in kurzer Zeit bin ich völlig durchnässt. Also weiterfahren, das gibt etwas warm. Ich scheine auf einem Radweg zu sein. Es geht irgendwann auf Mitternacht zu, die Müdigkeit holt mich ein. Ich werde immer langsamer, friere, am liebsten würde ich mich jetzt irgendwo hinlegen. Aber hier im strömenden Regen? Irgendwann vor mir ein Dorf: Killin. Mitternacht ist lang vorbei, es geht auf Halbzwei zu. Ein Ambulanzwagen vor einem beleuchteten Restaurant. Ich klopfe. Nein, nicht offen, ich kann mich auch nicht kurz aufwärmen. Ich schlingere übermüdet und frierend weiter. Was mache ich hier? Ich hätte aufgeben sollen und das schon Kilometer zuvor. Den Tränen nahe trete ich weiter. Ein Haus mit Garten und dort steht wer. Und wenn ich hier einfach frage? Ich sehe keinen Ausweg mehr und muss mich schleunigst etwas aufwärmen. 6° und ich klatschnass. Ich frage den großen wie ein englischer Adeliger aussehenden Kerl, mit nicht kleiner Wiskey-Fahne, ob er nicht einen Platz hätte, an dem ich mich kurz aufwärmen könnte, eine Garage, ein Gartenhäuschen oder so. Was macht er eigentlich hier um diese Zeit, frage ich mich, aber meine Verzweiflung war riesengroß, keinesfalls könnte ich jetzt noch weiter fahren. Er schaut mich lange an, dann sagt er, er wollte mir helfen, führt mich in einen winzig kleinen überfüllten Raum. Er wohne hier im Moment, da er sein Haus wegen eines Events im Dorf vermietet habe. Ich kann mich umziehen, er bietet mir ein Glas Wiskey an, ein Feldbett wird aufgeklappt. Etwas mulmig wird mir schon, als er die Tür mit einem riesigen Schlüsselbund absperrt, über mich drüber klettert und in seinem Schlafsack verschwindet.
Tag 9
Nach einer Stunde des Aufwärmens bin ich schon wieder auf dem Weg, alles gutgegangen, der Herr wachte nicht mal auf, als ich meine Siebensachen zusammensuche.
Es hatte inzwischen aufgehört zu regnen. Ein nächster gut fahrbarer Berg wärmt mich auf. Auch die Abfahrt ist fein und es geht weiter durch ein Tälchen, sehr einsam. Hin und wieder ein Haus, dann ein Café an der Strecke, leider noch geschlossen. An der Abzweigung zum nächsten Aufstieg, die Sonne war gerade aufgegangen, treffe ich wieder auf Steve, im Gespräch mit einem Herrn, der mit drei Hunden unterwegs ist. Ich drücke gerade meine Enttäuschung aus, dass ich nun ohne Frühstück weiter muss in unbestimmte Endlosigkeit, da fragt der nette Herr, er lüde uns ein zum Kaffee, sein Anwesen sei grad mal 400 Yard weg. Steve und ich strahlen um die Wette. An der Tür ziehen wir unsere Radschuhe aus, sofort verbreiten sich unsere Sockendüfte in der ganzen Küche. Hier ist der Tisch reichhaltig gedeckt. Es gibt Porridge für uns mit Obst und heißen Kaffee. Herrlich.
Sehr dankbar brechen wir wieder auf. Der nächste Berg ist wieder unangenehmes Gelände. Aber irgendwann erreiche ich Loch Rannoch und damit wieder einige Kilometer Asphalt. Hier ist gerade ein Radrennen in Gange.
Anschließend 48 Kilometer Rüttelgelände, das heißt die Steine sind so groß, dass ich und mein Rad so richtig durchgeschüttelt werden und kein Ende in Sicht. Irgendwas kratzt an meinem Oberschenkel, da fällt auch schon eine Schraube zu Boden. Zum Glück habe ich es gemerkt. Ich pule das Ding wieder an seinen Ort, Abdeckung drüber und weiter. Langsam fällt wohl mein Rad auseinander. Dieses Rennen stellt wohl nicht nur an die Fahrer*innen, sondern ganz besonders auch an das Material riesengroße Ansprüche.
Loch Ossian, hier geht die Strecke auf einem super schnellen Gravel-Untergrund weiter und ich sause durch die Landschaft. Es macht richtig Spaß wieder. Auf einmal scheint es mir, dass mein Bike nicht mehr so leicht manövriert werden kann, schaue nach unten und sehe, dass Dichtmilch aus meinem Hinterreifen spritzt. Eine Panne? Ich fahre weiter, vielleicht verschließt sich das Loch ja wieder. Fehlanzeige, bald ist der Reifen ganz platt. Auch das noch! Mir bleibt auch gar nichts erspart. Aufpumpen hilft nichts, der Reifen springt von der Felge. Schei … Tasche runter, Werkzeug raus, Reifen runter, Dichtmilch rausputzen, Reifen auf Splitter kontrollieren, Schlauch rein, aufpumpen.
Inzwischen hält ein Geländefahrzeug. Ich bin erleichtert, als der Fahrer mir anbietet, falls ich in einer Stunde immer noch hier sei, mich mitzunehmen. Also ist das Ende der Welt wohl doch nicht so am Ende. Der Gedanke, dass hier für mich Schluss sei, tut mir nun doch wieder leid. Ein Mann und zwei Frauen halten. Nein, ich brauche keine Hilfe, sie warten aber ab, falls doch. So nett alle …
Dann wieder alles aufgepackt und weiter. Nur noch 60 Kilometer trennen mich von der nächsten Kontrollstelle. Diese gehen sehr schleppend, mein Reifen ruckelt, ist wohl nicht in sein Felgenbett gerutscht. Einer der höchsten Berge liegt noch vor mir, das sorgt mich etwas. Fast 500 Höhenmeter, das wären bei uns eigentlich sehr wenig, aber was ich bisher erlebt hatte, lässt mich schon ahnen, dass es nicht leicht würde.
Endlich bin ich dann wirklich in der Steigung und es läuft nicht rund. Das Gebiet ist sehr wasserreich und das bedeutet alle 50 Meter eine befestigte Wasserauskehre quer über den steinigen Weg. Unendlich oft muss ich absteigen, das Rinnsal überqueren, wieder aufsteigen. Endlos. Dann wird es ganz steil. Schieben angesagt. Die letzten Serpentinen quäle ich mich hoch. Dann ist endlich Abfahrt angesagt. Über einen steinigen steilen Weg. Höchste Konzentration ist angesagt. Nur kein Sturz! Die Handgelenke schmerzen höllisch vom krampfhaften Bremsen, trotz gefedertem Vorbau. 20 Kilometer schwierige Abfahrt. Irgendwann wollen die Tränen kommen, Tränen ohne Tränen, geht das? Ich führe mit mir Selbstgespräche. Maßregle mich, das habe ich so gewollt, jetzt solle ich gefälligst still sein. Es wird langsam dunkel. Und nun kommt meine Reservelampe zum Einsatz. Diese scheint nicht so schlechtes Licht zu geben, wenn ich nicht zu schnell fahre. Und wie lange, das wird sich zeigen. Irgendwann in der Ferne Lichter von Fort Augustus am Loch Ness. Die wollen aber nicht näher kommen. Endlos. Irgendwann dann angekommen, nun sind es nur noch 7 Kilometer bis zum Camping-Platz mit CP3. Es geht nun wieder bergauf. Interessanterweise liegen hier auf dem Weg dattelgroße braune Gebilde. Was? Hier wachsen Datteln? Da spielt mir wohl meine Müdigkeit wieder Streiche.
Es scheint mir, dass ich kreuz und quer durch den Wald schlingere. Wo ist CP3? Ich verfahre mich zig-mal. Irgendwann dann ein Licht zwischen den Bäumen. Hermann! Es hätte ein Hinweisschild gegeben, aber das hat mein „ersterbendes“ Licht leider nicht erfasst.
Geschafft, das hätte ich in den letzten beiden Tagen wohl nicht erwartet … Ich bin megaglücklich. Lagerfeuer, ich bekomme noch Pizza, Dusche, Zeltaufbau und der lang ersehnte Schlaf.
Stage 4: Fort Augustus to John O’Groats
Tag 10 und 11 400 km/ 4100 Hm
Tag 10
Allerdings ist dieser nach 5 Stunden schon wieder vorbei. Frühstück und Aufbruch zur letzten Stage. Knapp 400 Kilometer stehen an und dafür nur 2 Tage Zeit. Wer am zweiten Tag beim Abendessen um 20 Uhr vor Ort sein würde, der konnte sich FINISHER nennen. Und wie die Ausfall-Liste zeigte, würden maximal 18 von den 47 Eingeschriebenen in John O‘ Groats ankommen.
Drei Berge gleich nach Abfahrt. Und es ging gleich in die Vollen. Äußerst steiler Anstieg. Dann wunderbar hoch über Loch Ness durch Heidelandschaft, dann ein Downhill und auf zum nächsten Berg. Auf einmal kann ich nicht mehr schalten. Nein!!! Nicht schon wieder ein Problem, jetzt das Ende in greifbarer Nähe. Ich schiebe etwas, dann wird es flacher. Das Schalten scheint wieder zu gehen, nur der erste Gang lässt sich nicht mehr schalten. Abfahrt. Supermarkt-Stopp mit Latte-Pause, Hermann fährt gerade wieder ab. Danach gibt es lange nichts, außer man schafft es zeitlich bis Contin, dort gibt es einen Tankstellen-Shop, der bis 19 Uhr offen hat. Ob ich das schaffe? Keine Ahnung, deshalb besser vorgesorgt, was wieder mehr Gewicht bedeutet. Essen und Wasser.
Ich komme nicht weit. Der Reifen hinten ist wieder platt. Ein Entsetzensschrei meinerseits. Wieder die gleiche Prozedur wie am Tag zuvor. Luft einpumpen. Geht nicht! Ich versuche den inneren Gummiring etwas zu schmieren, jetzt geht garnichts mehr. Ein Lieferwagen hält. Der kann mir auch nicht helfen, aber nette Geste. Pumpe kaputt! Aus der Traum. Ich schreibe Hermann, dass ich nun endgültig raus bin und google, wie ich hier weg kommen könnte.
Hermann ist schon 11 Kilometer weiter und halb den nächsten Berg hoch und gut in der Zeit das Finish zu schaffen. Und was macht der Kerl? Er dreht um und bringt mir seine Pumpe.
Gemeinsam fahren wir weiter. Ein schwieriger Berg, eine schwierige Abfahrt, aber wir schaffen es bis zur Tankstelle, um uns ein letztes Mal zu versorgen, ab hier nämlich 260 Kilometer bis zum Ziel keine Einkaufmöglichkeit mehr.
Die Höhenmeter, die nun anstehen, sind nicht viele, das Gelände in der Nacht ist aber nicht leicht. Ich bin ohne gute Beleuchtung und als es dunkel wird, erkenne ich, wie schwierig es ist. Die bessere Bontrager-Lampe leuchtet grad mal 2 Stunden, die andere Lampe ist kaum brauchbar. Das bedeutet sehr langsames Vorankommen, während die Bontrager auflädt. Untragbar und dann noch die Müdigkeitsattacken in der Nacht. Ich fahre zwischen zwei Zaunstangen durch, erschrecke und ziehe den Kopf vor der Querstange ein, die gibt es allerdings gar nicht, Trugbild, es wäre wohl langsam Zeit zu schlafen. Dachten wir zunächst das Ende des ersten Abschnitts, Rosehall, gegen Mitternacht zu erreichen, wird es 2 Uhr, dann 4 Uhr, schlussendlich sind wir erst gegen 6 Uhr dort.
Tag 11
Ein kurzer Powernap, dann weiter. Die Motivation ist gesunken, Hermann hatte auf der Dotwatcher-Seite gelesen, dass die Beobachter uns schon abgeschrieben hätten, Hermann und Gabi würden es nicht schaffen bis 20 Uhr. Demotivierend.
Die restlichen 200 Kilometer sollten wir nun in knapp 14 Stunden schaffen. Asphalt nur recht wenig darunter. Ein 400 Höhenmeter-Berg mit giftigen Steigungen bringen wir hinter uns. Plötzlich vor uns ein langsamer Radfahrer. Nein, der schiebt ja. Beim Näherkommen erkennen wir Jamie. Freilauf kaputt. Er möchte die 200 Kilometer laufend hinter sich bringen. Ein Held! Er wird aber einige Kilometer später abbrechen. Schade. Das tut mir sehr leid für ihn.
Wir quälen uns weiter. In immer kürzeren Abständen kommt die Müdigkeit, nun auch tagsüber. Zweimal gönnen wir uns noch eine je viertelstündige Schlafpause. Mir geht das Wasser aus. Es gibt auch keine Bäche in der Gegend. Wider Erwartung kommen wir an einem kleinen Campingplatz vorbei. Dort bekommen wir Wasser und ein Eis.
Der nächste Anstieg ist eine ellenlange Rüttelpiste. Muss das sein? Ich bin wieder hundemüde. Auf einmal sehe ich vor mir eine Hütte, sieht aus wie eine bewirtschaftete Bergalm. Trugbild meines erschöpften Gehirns, hier gibt es nur Steine und Gras. Irgendwann ist auch diese Steigung und Abfahrt gemeistert. Die lange Asphaltstrecke zieht sich allerdings. Ich sehe immer wieder komische Dinge, jetzt eine Maschine, die das Farnkraut schneidet, kurz vor mir, ich zucke zusammen und erkenne es ist nur eine Spiegelung des Wassers neben mir.
Irgendwann liegen „nur“ noch 40 Kilometer vor uns und nur noch Asphalt. Nun wird es wieder dunkel und das Problem Beleuchtung ist dasselbe wie in der Nacht zuvor. Ich habe zudem Angst, dass ich von Autofahrern nicht gesehen werde. Schleppendes Vorankommen. Es ist nun 20 Uhr schon vorbei. Aus der Traum!
Die Ankunft in John O‘ Groats, trotz 2 Stunden Verspätung, trotzdem überwältigend. Eine Gruppe um Emily Harper, der Siegerin erwartet uns am nordöstlichsten Punkt Schottlands. Eine wunderbare Geste von der Gruppe, die sicher lieber schon im wärmenden Bett sein wollte. Da wir das Abendessen versäumt und über einen Tag uns nicht versorgen konnten, schenkte uns Emily ihren Reiseproviant, Keks, Orangen, Chips – eine tolle Geste!! Danke, Emily!! Dann konnten wir in unser ersehntes Bett sinken …
Am nächsten Tag Frühstück mit den Finshern, dann löste sich die Gemeinschaft langsam auf und jeder machte sich auf den Heimweg.
GBDuro war so das Härteste, das ich je in meinem Leben gefinisht habe … Sehr viele Augenblicke waren Spaß-Stufe 3; aber nicht zuletzt deswegen bin ich mega stolz es bis John O’Groats geschafft zu haben, besonders, wenn man bedenkt, wie viele der Racer aufgeben mussten (über die Hälfte der Gestarteten)
Danke für alles und danke für die vielen netten Leute, die ich kennen lernen durfte, sei es Mitfahrer*innen als auch Dotwatcher und andere Leute an der Strecke!!! Überraschung: Dotwatcher award – „lanterne rouge“