Frau + Karbon = Randonneur(in) - aber nicht nur ...

Kategorie: MTB (Seite 1 von 4)

Granguanche Audax Gravel

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zunächst mein Video (Dauer 8:49 min)

Zzckkkzzckkk … Das klingt gar nicht gut. Was ist mit der Schaltung? Zudem hängt die Kette durch … Pleiten, Pech und Pannen bei der Anreise zur GranGuanche Audax Gravel, zum Nachlesen hier: meine Pannen.

Lanzarote, Eremitage Orzóla im Norden der Insel, Mitte März 23. Es dunkel, zehn vor zehn, warten auf den Start. Was mache ich hier? Alleine unter 100 anderen Athleten und Athletinnen?

Eremitage Orzóla

Vor mir liegt Gran Guanche Audax Gravel, eine Art Insel-Hopping über die Kanarischen Inseln.

In gewissem Sinne ist die Zeit dort mein größter Konkurrent, denn es ist bei diesem 700 Kilometer langen Rennen mit über 16.000 Höhenmetern wichtig, pünktlich zu den Abfahrten der Fähren zu kommen, um nicht kostbare Zeit still zu stehen.

Inselhopping

Die Inseln:

Lanzarote – Fuerteventura – Gran Canaria – Teneriffa – El Hierro

Hier nochmal zum Tracking auf Dotwatcher.com

Im Vorfeld hatte ich mir verschiedene Szenarien ausgedacht, was aber, wenn ich eine Fähre nicht „erwische“, dann ändert sich der gesamte Plan. Unterwegs erkenne ich, dass eine genaue Planung zwar eine gewisse Sicherheit bringt, es aber wichtiger ist, flexibel zu bleiben und alles auf sich zukommen zu lassen. Erste Priorität: in die Pedale treten, was das Zeug hält.

1 – Lanzarote: 104km/ 1580 Hm (6:30h)

Das erlösende „LOS“!
Die Menge setzt sich in Bewegung. Ich bin wohl die einzige mit einem MTB, alle anderen sind mit ihren Gravelbikes angereist, mit mehr oder weniger Taschen … Ich mit MEHR … Ein Kommentar von Tim in der WhatsApp-Gruppe hatte mich dazu veranlasst, das Foto von meinem gepackten Drahtesel sofort wieder herauszunehmen. Er meinte, so aufgepackt wäre er, wenn er vom Einkaufen im Supermarkt Mercadona käme. (Kleine Genugtuung: Während ich das hier schreibe, am Hotel-Pool in Teneriffa, ist besagter Fahrer, glaub ich, noch auf Teneriffa unterwegs …*Nachtrag, siehe unten)

Ich trete in die Pedale. Es geht gleich zur Sache. Schotter, sehr steil, hike a bike ist angesagt. Bald schon finde ich meinen Platz gefühlt unter den letzten, da ich schon ein erstes Mal stehen bleiben muss, um meine Jacke auszuziehen. Meine Konkurrenten rasen aber auch durch die Nacht, als ginge es nur zur nächsten Pizzeria und als lägen nicht 700 Kilometer vor uns.

Es ist stockfinstere Nacht. Schade. Auf Lanzarote war ich schon mal beim Ironman. Ich erinnere mich an die wunderbaren Vulkanlandschaften in allen erdenklichen Rot- und Brauntönen. Nachtfahren liebe ich gar nicht. Ich hoffe, dass ich ohne Schlafattacken durchkomme nach Playa Blanca am anderen Ende der Insel. Die erste Fähre fährt um 8:00 ab. Das müsste zu schaffen sein. Von Mirador del Rio, dem höchsten Punkt geht es sehr ruppig abwärts. Hatte ich gedacht, dass es nun ein langes einfaches Abwärtsrollen gäbe, so hatte ich mich gewaltig getäuscht. Zudem wehte auch nachts ein starker Wind teils von hinten, teils von der Seite.

Zum Glück sind die Tiefblicke eingeschränkt. In der Inselmitte dann führt die Strecke lang durch die Dünen. Lautes Meeresrauschen. Starke Windböen treiben mir Sand in die Augen, an manchen Stellen haben sich Sandhaufen mitten auf dem Weg aufgetürmt. Dann und wann sehe ich vor mir ein rotes Rücklicht, sonst bin ich allein, weit und breit niemand. Wo sind denn die alle? Das Atlas Mountain Race lässt grüßen, ich schiebe mein Rad gefühlt mehrere Kilometer durch Sand.

Schneller, als ich gedacht hatte, bin ich am Hafen. Nun könnte ich mir noch drei Stunden Schlaf gönnen. Vor Wind und Kälte geschützt, drängten sich andere Fahrer im Schalterraum der Fähren zusammen. Kaum liege ich in meinen Schlafsack gemümmelt, fängt es rundherum an zu schnarchen. Und eine Stunde weiter fangen die ersten Männer laut an zu quatschen. Arrgggghhhh!!! Also wohl doch kein Schlaf in der ersten Nacht …

2 – Fuerteventura: 154km/ 2030 Hm (8:45h)

Nach der halbstündigen Überfahrt nach Corralejo auf Fuerteventura schaue ich zügig zu starten, während viele andere erst mal eine Frühstückspause einlegen. Ich bin noch gut versorgt und habe es eilig, da ich die 20:00-Fähre in Morro Jable nach Las Palmas auf Gran Canaria erreichen möchte.

Die ersten 30 Kilometer führen mich über eine flache geschotterte Straße an der Küste entlang. Klingt gut, wenn die Piste nicht einen waschbrettartigen Belag hätte, die mich gewaltig durchschüttelt. Ich bin jedenfalls froh um mein MTB und lerne geschickt, mit welchem Speed man da drüber muss, um möglichst komfortabel durchzukommen. Spektakel, als der „Weg“ knapp an der Klippenkante und dem Abgrund entlangführt.

Nun geht es ins Inselinnere, es wird sehr heiß und der starke Wind weht nun nicht mehr ständig vorteilhaft von hinten. Ich kämpfe mich durch die Mittagshitze, das Wasser geht mir langsam aus. Hätte ich doch den Supermarktstopp in El Cotillo gemacht. Die Schlange der Radfahrer an der Kasse wollte ich allerdings umgehen. Das hatte ich nun davon. Heute war zudem Feiertag und fraglich, ob ich noch eine Möglichkeit fände Wasser aufzufüllen. Wie erleichtert bin ich deshalb, als ich die Gesichter von Daniela und Marissa vor einer kleinen Bar auftauchen sehe. Die Wirtsleute sind allerdings auf den Ansturm nicht ganz vorbereitet, normale Wasserflaschen sind leider aus. Ich muss mich mit Wasser mit Kohlensäure begnügen. Das ist bei der Hitze ganz spaßig, denn immer wieder bekommen die Beine eine Sprüh-Dusche ab. Fraglich ist mir nur, wie sich das auf den Trinkrucksack auswirkt …

Nun folgt der längste Anstieg der Insel. Obwohl auf Asphalt scheint mir die Kraft in der prallen Nachmittags-Sonne auszugehen.  Wenig motiviert schraube ich mich langsam nach oben. Mein Ziel, die Abendfähre, ist in weite Ferne gerückt.

Bevor ich mich um die letzte Kurve schleppe ahne ich schon was. Und die Gewissheit kommt, als ich vor ihnen stehe: vor den berühmten riesigen Eisenmännern. Hier war ich schon mal im Rahmen eines Trainingslagers und die Strecke, die mich nun erwartet, ist bekannt und überschaubar. Rasante Abfahrten auf großartig gepflegtem Asphalt. Nur kürzer als gedacht, denn nach Pajara geht es schon wieder mühsam ins Gelände. Zuvor konnte ich jedoch noch Wasser nachfüllen die kühle Cola sollte meine Beine stärken. Nach mühsamen Höhenmetern folgt eine traumhafte Strandpassage. Die Fähre sollte sich ausgehen. Vielleicht sogar die 18:00-Fähre? Was ich nicht weiß, das Auf und Ab der nun folgenden letzten Asphaltstrecke wird sehr sehr mühsam aufgrund der häufigen Richtungswechsel. Der Wind schiebt und genauso oft kommt er direkt von vorne. Gegenwind kann man das gar nicht mehr nennen, besser Gegen-Sturm.

Als ich schließlich kurz nach sechs über die Klippenkante zum Hafen sehe, hüpft mein Herz. Die frühere Fähre ist noch da. Ich rase hinunter. Als ich vor der Fähre stehe, wird gerade die Brücke nach oben gezogen. Der „Matrose“, der gerade die Taue löst, schaut mich ganz mitleidig an und schüttelt den Kopf. Ich könnte heulen. Drei Minuten zu spät. (Detail am Rande: Als ich später höre ich, dass diese Fähre sogar nach meiner ankommen würde wegen technischer Probleme, war ich mit meinem Schicksal wieder versöhnt).

leider 3 Minuten zu spät …

Die Überfahrt nach Gran Canaria ist sehr wellig. Ich lege mich mit meinem Schlafsack in den Bug der Fähre,  auch wenn davon abgeraten wird. Aber hier sind weniger Fahrgäste. Ich wechsle meine Position und lege mich quer zu den Wogen, versuche zu schlafen. Immer wieder werden Autoalarmanlagen ausgelöst. Rund um mich „husten“ immer wieder Leute. Oje, einigen scheint es wirklich nicht gut zu gehen. Wie wird wohl mein Magen reagieren, hatte ich doch zu Beginn der Fahrt eine ordentliche Portion gegessen. Ich horchte immer wieder in mich hinein und traute mich nicht unbeschwert einzuschlafen.

3 – Gran Canaria: 140km/ 3500 Hm (10:30h)

Es ist spätabends, als wir Las Palmas erreichen. Das Vorgeplänkel der ersten beiden Inseln nun geschafft sollte es höhenmetermäßig nun so richtig zur Sache gehen. In Las Palmas suche ich eine Weile mit Katie einen Weg aus dem Baustellen-Wirrwarr zu finden. Dann verlieren wir uns aus den Augen. Bald schlängelt sich der Track durch ein urwüchsiges canyon-artiges Tal, hoch über uns die Häuser. Es ist sehr einsam hier unten. Irgendwann aber steht am Rand ein unbeleuchtetes Auto, im Wageninneren schemenartig der Fahrer mit Smartphone in der Hand. Weit und breit ist niemand und ich fahre schnell vorbei, mir ist etwas unbehaglich zumute. Was, wenn die Gestalt einem Kollegen mitteilt, dass in Kürze eine einsame Radfahrerin vorbeikommt? Mir könnte MTB, Geldbörse und Karten abgenommen werden oder Schlimmeres passieren? Ich lege einen Zahn zu. Zum Glück bald das blinkende Rotlicht eines anderen Fahrers. Wir quatschen etwas. Irgendwo im Schilf die Scheinwerfer eines Autos. War das der vermeintliche Helfershelfer? Irgendwann bin ich wieder allein. Katie holt auf und meint, sie wolle noch bis Ingenio weiter fahren.

Ich bin müde und entdecke an einer Straßenkreuzung einen Spielplatz. Lange werde ich mich nicht aufhalten können, da ich die letzte Fähre nach Teneriffa, um 20:00 unbedingt erreichen möchte. Müde bin ich nach der vergangenen schlaflosen Nacht. Ich stecke Matte, Schlafsack in den Biwaksack und richte mir ein gemütliches Lager hinter einem Baum. Mein Rad lehnt an einem dicken Ast und darauf alle meine Kleidungsstücke zum Trocknen und Lüften. Kaum ziehe ich mir mein Halstuch über die Augen, höre ich es schon: „Zzzzzzzzzzzzzzzz!“ Eine Mücke piesackt mich. An geruhsamen Schlaf ist nicht zu denken, immer wieder reißt mich das unangenehme Geräusch und juckende Stellen an Gesicht und Händen aus unruhigen Träumen. Genervt gebe ich gegen halb drei Uhr auf und mache mich wieder auf den Weg. Auch gut, so habe ich etwas Spiel für die nächste Fähre.

Pastel y Miga

Ich habe Zeit zu rechnen. Ab Ingenio bis zum Puerto de las Nieves, etwa 100km lang, würde es nur ein Restaurant geben. Falls das geschlossen wäre, hätte ich viel zu wenig Wasser. Oje, was tun? Ich fahre durch die ersten Häuser des Dorfes. Stockfinstere Nacht noch. Schaut nicht so aus, als wäre jetzt gegen 5 Uhr was offen. Plötzlich tritt neben mir ein Mann mit einem Korb aus einem Haus. Mutig halte ich an und frage, ob er zufällig eine Flasche Wasser verkaufen könnte. Nein, leider nicht. Er öffnet seine Autotür und zieht eine halb gefüllte Flasche hervor. Ich bedanke mich überschwänglich. Wie alt das Wasser wohl schon ist? Ich verschwende lieber keinen Gedanken daran. Besser, als verdursten, war das allemal.

Etwas weiter. Eine weiß gekleidete Gestalt tritt aus einer Türe. Was wird der wohl von mir denken, wenn ich ihn frage, ob er wisse, ob zufällig in der Nähe eine Cafeteria offen habe. Um diese Uhrzeit. Der wird wohl meinen, die Alte spinnt. Aber schon ist es raus. Er sagt was auf Spanisch und ich verstehe, ich sollte kurz warten. Aus der offenen Tür wallen betörende Düfte. Ich werde gebeten einzutreten. Es ist eine kleine Bäckerei. Ich werde von Fran und Elena mit Wasser, Cappuccino und leckeren Mehlspeisen versorgt. Mit Hilfe des Translators gebe ich zu verstehen, was ich hier so früh mache. Ich verstehe irgendwas mit „nieves“, aha, das ist ähnlich des italienischen „neve“ – also Schnee. Hilfe, so weit oben komme ich in den Schnee? Das fehlt mir noch … Meine Retter verabschieden mich, ich solle die Tür hinter mir ins Schloss ziehen. Die nächsten hätten wohl nicht so viel Glück. Herzlichen Dank an Pastel y Miga!!!

Nun bin ich im Anstieg, der mich durch ein grünes Tal nach oben führt. Über die Berghänge saust der Fallwind gnadenlos nach unten und reißt mich mehrmals fast vom Rad. Weiter oben wird der Wind schwächer, aber nun ist der Asphalt zu Ende und es geht sehr steil und hike a bike ins Gelände. Irgendwann bin ich oben. Und hier sollte es Schnee geben? Da fällt mein Blick auf ein Straßenschild und wie Schuppen fällt es mir von den Augen: Pico de las Nieves. Ach DAS hatte der Konditor am Morgen gemeint.

Nun folgen viele Kilometer schnelle Abfahrt. Fast verpasse ich an einer kleinen Kreuzung das einzige Restaurant weit und breit. Der Wirt lacht, als ich alles, die Speisekarte rauf und runter bestelle: Hühnersuppe, Brot mit Knoblauchaufstrick, Blaubeertorte, Cappuccino, Aquarius, eine leckere spanische Limonade. „Die Frau muss wohl ausgehungert sein …“

Weiter geht es durch eine atemberaubende Bergkulisse. Im Vordergrund die berühmte Felsformation „Roque Nublo“, 80 Meter hohes Wahrzeichen der Insel und Kultstätte der Ureinwohner. Nach der rasanten Abfahrt geht es links weg. Nun folgt die vom Veranstalter angekündigte unbefestigte Straße, die einiges an Konzentration abverlangt, denn nicht selten geht es am Rand steil in die Tiefe. Fahrfehler sollte man sich hier nicht erlauben. Wir sind nun auch zu zweit, denn Jonas hat aufgeholt. Auch die noch anstehenden Anstiege gehen mit etwas Quatschen rasch vorbei und wir schaffen es sogar zur 4-Uhr-Fähre vor Ort zu sein und vorher sogar noch einen Supermarkt-Stop einzulegen. Wer hätte das gedacht.

Mein Ziel war es ursprünglich pünktlich zum Heimflug zurück zu sein und vielleicht nicht unbedingt meinem Über-Namen Ehre zu machen (siehe Dotwatchers Lanterne Rouge Award). Nun auf Gran Canaria war ich sogar unter den Top 20 … Am Ende werden knapp 60% der Athleten finishen, ich halte mich auf Platz 35, also im ersten Drittel und bin mega zufrieden.

4 – Teneriffa: 173km/ 4570 Hm (14:40h)

Die frühe Abfahrt von Gran Canaria hat positive Auswirkungen auf meine Nachtruhe il La Esperanza, wo Katie und ich ein Zimmer gebucht hatten. Aber zunächst gilt es für mich noch gut 50 Kilometer und etwa 1500 Höhenmeter hinter mich zu bringen. Eine spektakuläre Straße schlängelt sich über die Hänge des Anaga Rural Parks nach oben. Ist es hier oft nass und kalt, so bleibe ich davon verschont. Allerdings der stürmische Wind drückt mich mehrmals hart gegen die Leitplanken. Einige Kilometer führen mich nun durch einen finsteren Wald. Hier ist es wie angekündigt feucht, matschig und kalt. Ich erreiche Cristobal de la Laguna und muss noch einige Kilometer auf unangenehm befahrener steiler Straße hoch zu meinem Quartier in La Esperanza. Katie schläft schon tief und merkt mein Ankommen nicht mal. Herrlich ist die warme Dusche und ich habe nun auch noch Zeit 2-3 Stunden zu schlafen. Wohlverdient.

Als Katie sich auf den Weg macht, werde ich aus meinem leichten Schlaf gerissen, zum Glück, denn so stehe ich früher als geplant auch auf. Gut so, denn die einzige Fähre nach El Hierro, der letzten Insel darf ich keinesfalls verpassen, sonst würde ich einen ganzen Tag warten müssen. Der Stress fährt also auf GranGuanche Audax immer mit.

Nun gibt es über 100 Kilometer keine Möglichkeit sich zu verpflegen. Vermutlich werde ich in den nächsten Stunden auch kaum jemanden treffen. 50 Kilometer sind zudem nicht asphaltiert. Bis zum Hellwerden habe ich auch noch einige Stunden in tiefschwarzer Nacht vor mir, anfangs einige sehr steile Anstiege, die schiebend zurückgelegt werden müssen. Es geht durch dichten Wald. Gegen Morgen überkommen mich Schlafattacken und ich komme um einen Powernap nicht drumherum. Rasch breite ich meinen Schlafsack auf dem dichten Nadelboden auf und schlüpfe hinein. Den Timer stelle ich auf 15 Minuten. Kurz vor Ablauf höre ich ein Rad vorbeifahren und mache mich auch wieder auf den Weg. Nun in der traumhaften Waldlandschaft werde ich abgelenkt und die Müdigkeit ist weg.

King Teide

Spektakel, als ich um eine Kurve biege, steht er vor mir, der Teide in der Morgensonne. Wunderbar! Ich bin wieder mal dankbar um mein MTB, denn jetzt geht es über eine trailartige Strecke abwärts. Gibt Komoot hier eine Schwierigkeit von S1 an, so ist das wohl ziemlich übertrieben.

Kurz darauf darf ich auch ein Stück auf einer Teerstraße nach oben rollen, bis es wieder auf eine Art Forstweg geht. Irgendwie scheint mir die Kraft langsam auszugehen, kein Wunder, habe ich doch in den vergangenen Stunden kaum was gegessen. Ich lege einen Halt ein und beschließe mein gefriergetrocknetes Hafer-Apfel-Gericht zu essen. Rasch ist die Tüte mit Wasser aufgefüllt, der Brei muss nun noch etwas quellen. Inzwischen suche ich meinen zusammenlegbaren Titan-Spork, ein Zwischending Gabel/ Löffel. Er ist nicht aufzufinden und mir schwant Böses. Hatte ich ihn doch am Tag zuvor auf der Fähre benutzt. Vermutlich hatte ich ihn mitsamt dem Müll anschließend weggeworfen. Ein 30-Euro-Esswerkzeug ist, finde ich, doch etwas zu teuer als Einmal-Besteck …

Um meinen Brei löffeln zu können, schneide ich mir nun aus einer Plastikflasche einen behelfsmäßigen Löffel, den Rest des Breis wässere ich nochmal und trinke ihn aus. Hauptsache Kalorien. Inzwischen waren ein paar Radfahrer an mir vorbei. Jeder erinnerte mich daran, dass wir es bis halb sechs an den Hafen von Los Christianos schaffen müssen. Mein schlechtes Gewissen meldet sich bei meinem Blick auf die Uhr. Fast Mittag. Was schon so spät? In Windeseile packe ich mein Zeug zusammen und folge meinen Mitstreitern.

Es sind noch einige Höhenmeter auf Schotter bis zum höchsten Punkt unter dem Teide. Stress lass nach. Ich bin so langsam. Und dann noch die wunderbare Landschaft, Erde in allen möglichen Braun- und Rottönen. Ich kann nicht umhin trotzdem einige Male stehen zu bleiben und Fotos zu schießen. Als ich endlich oben an der Straße stehe gibt es Applaus. Ich glaube der Übermut einiger resultiert aus dem Wissen, jetzt müsse sich die Fähre ausgehen. Nach einer kurzen Abfahrt geht es aber unerbittlich wieder nach oben.

Zwei Anstiege folgen noch, nun in der Mittagshitze zurückzulegen. Zwischendurch mache ich halt in einer Touristen-Bar. Ich brauche unbedingt ein paar zusätzliche Kalorien in Form eines Sandwiches und Wasser und Cola. Richtig ausgehungert bin ich, kann mich aber leider nicht lange aufhalten. Auf das Eis muss ich halt verzichten. Weiter geht es. Mit gemischten Gefühlen, einmal euphorisch es bald geschafft zu haben, dann wieder mit düsterem „Das schaffe ich nie und nimmer!“ Der Teide ist ein Touristen-Magnet und so gibt es viel Verkehr hier oben, das mag ich gar nicht.  Irgendwann aber erreiche ich die Bergkante und nun stürze ich mich in die 30 Kilometer-Abfahrt auf bestem Asphalt. Fähre, ich komme!!!

Weiter unten habe ich in einer Kurve das Gefühl, dass sich Smartphon-Kameras auf mich richten. Das kann aber doch nicht sein, wahrscheinlich warten die auf wen anderes. Aber richtig gefühlt, H. und T., zwei Dotwatcher, hatten mich „abgepasst“ und mir anschließend die schönen Schnappschüsse zukommen lassen. Dankeschön!

ob das wohl gutgeht?

Vor der Fähre habe ich sogar noch Zeit im Supermarkt einzukaufen. Da erreicht mich eine Meldung über WhatsApp von Hermann. „Gabi, wo bist du, deine Fähre geht in ein paar Minuten!!!“  Stress! Ich eile zum Hafen. Aber ohne Hast stehen noch alle Räder in der Tickethalle. Der Schreck sitzt mir noch in allen Gliedern und ich verstehe jetzt, dass Hermann glaubte, die Uhrzeit der Kanaren sei eine Stunde vor und nicht hinten. Ist das ein aufregender Tag. Mir bleibt noch etwas Zeit, ich besorge mein Ticket, räume mein Gepäck etwas auf, richte meinen Schlafsack für die fast dreistündige Fähr-Überfahrt und esse endlich wieder was.

5 – El Hierro: 117km/ 3770 Hm (11:30h)

Mein Plan für die letzte Insel: Da ich ja auf der Überfahrt trotz größerer Schaukelei etwas schlafen konnte, möchte ich noch die gut neun Kilometer und 800 Höhenmeter hinauf fahren nach Villa de Valverde. In der Nacht wollte ich mir einen Schlafplatz suchen, den ich schon auf Google Maps entdeckt hatte, einen netten gepflegten Picknick-Platz. Andere würden diese Nacht durchfahren, aber das möchte ich nicht, da ich diese urwüchsige Insel gerne bei Tag sehen möchte. Rennen hin oder her, die Platzierung war mir absolut unwichtig. Die Straße schlängelt sich ausgesetzt am Berghang nach oben, die Steigung ist hoch und der Wind kommt unerbittlich von vorne. Es ist ein Kampf.

In Villa de Valverde ist noch eine Bar offen, aber leider hat die Küche schon geschlossen und ich begnüge mich mit einem Tee und Quark-Kuchen. Ich quatsche etwas mit Christian und Ormonde, noch ein paar weitere Fahrer kommen hinzu. Bald verabschiede ich mich und mache mich auf die Suche nach meinem Biwakplatz.

Das hatte ich nicht erwartet: Nun folgen ein paar hike a bike Anstiege, die so steil sind, dass ich kaum vom Fleck komme. Leider sagt mir mein Navi nicht die Steigungsprozente an, da ich so langsam gehe, dass ich laut Garmin still stehe. Und wo Stillstand – auch keine Steigung …

Als es etwas flacher wird, komme ich an Isabelle vorbei, die gerade ihren Schlafplatz einrichtet. Ich fahre noch etwas weiter und fast vorbei an meinem „Picknick-Platz“. Dieser ist völlig zugewachsen, die Tische und Bänke von herabgefallenen Ästen zerstört. Der Ort scheint mir aber wie gerufen. Ich wähne mich weit weg von der nächsten Behausung, lehne mein Rad gegen den Baum, hänge meine ganzen Sachen auf und verschwinde mit Matte, Biwak- und Schlafsack zwischen den Überresten des Tisches. Gute Nacht!

suppentellergroß

Gegen 4 Uhr kräht in der Nähe ein Hahn, der auch prompt Antwort aus einer anderen Richtung bekommt. Bin ich doch nicht so weit weg von der Zivilisation… . Ich hatte fast 5 Stunden geschlafen. Da ich fröstele, mache ich mich daran meine Sachen zu packen. Meine Kleidung ist statt getrocknet nun ziemlich feucht. Nebel zieht in Schwaden über mich hinweg.

Warm wird mir aber nach meinem Aufbruch bald wieder, denn immer wieder zwingen mich kurze sehr steile Passagen zu Fuß zu gehen. Die Aussicht bis ins Ziel, über 100 Kilometer mit über 3000 Höhenmetern, nur mit meinen spärlichen verbliebenen Essrationen auskommen zu müssen, demotiviert mich etwas. Es gibt im Dunkeln ja sonst keine Ablenkung und so wandere ich missmutig dahin. Der höchste Punkt des ersten „Hügels“ ist fast erreicht, bald sollte es auch hell werden. Schemenhaft ahne ich schon die Landschaftskonturen. Träume ich? Ich wähne mich in Schottland. Grüne Wiesen, abgetrennt durch alte Steinmauern, hier und da Rinder und Schafe.

Spektakel die nun folgende Abfahrt durch die sehr steilen Berghänge. Der Erdboden ist feucht und glitschig durch den Nebel und teilweise außerordentlich steil, 25% und mehr. Was bin ich froh um mein MTB! Einzigartige Tiefblicke auf die Küste unter mir.

Ein alter Van, ein Mann mit Hund. Die hatten sich wohl einen Standplatz hoch oben in der Einsamkeit gesucht. Ich frage mich, wie es das alte Auto über diese steilen Anstiege hier hoch geschafft hatte. Auf jeden Fall war das mit der Einsamkeit wohl falsch gedacht … so viele Radfahrer wie hier vorbeikommen.

An der Küste kann ich schon Pozo de la Salud ausmachen. Hier steht einsam ein Hotel. Die Cafeteria ist laut Google heute geschlossen. Aber ich kann ja hoffen.

Aber nein, die ist wirklich zu. Ratlos stehe ich rum. Ich sehe einen Mann, der im Hotelgarten zu tun hat. Ich frage ihn, ob man im Hotel einen Kaffee bekommen könnte. Er bejaht, ich solle einfach in die Rezeption gehen. Und nicht nur Kaffee … gegen ein kleines Entgelt kann ich sogar ein Frühstück am Buffet bekommen. Das höchste der Gefühle. Ich belade meinen Tisch mit hunderttausend Leckereien und lasse mich nieder. Alles vom Feinsten. Hier bekommen mich keine zehn Pferde so schnell mehr weg. Was die Hausgäste am Tisch daneben wohl von der nicht ganz sauberen abgerissenen Person in Radkleidung denken? Rudi und ein anderer Fahrer kommen hinzu.

Mit vollem Bauch mache ich mich dann an den langen Aufstieg zum Pico de Malpaso. Es ist unterhaltsam. Abgesehen von der traumhaften Lavalandschaft macht der Wind hier Fisimatenten: einmal schiebt er mich flott weiter, nach der nächsten Kurve kommt der strong von vorne. Ich beobachte jede Richtungsänderung auf meinem Tacho und versuche die Windrichtung voreinzuschätzen. Was würde wohl mit dem Wind sein, wenn ich um die Südseite der Insel fuhr? Immer Gegenwind? Oje! Nun kommen auch vom Bergrücken starke Böen, die Nebelschwaden mit sich führen. Mir bleibt auch nichts erspart.

Nun geht es auch wieder ins Gelände. Ich fahre unter einem Nadelbaum und spüre einen Regentropfen. Das fehlt mir jetzt noch! Ich staune jedoch. Hier scheinen alle physikalischen Gesetze aufgehoben zu sein. Zuhause ist die Straße nass, nur unter den Bäumen ist es trocken. Hier ist es genau umgekehrt. Unter den Bäumen sind nasse Flecken, sonst ist alles trocken. Seltsam. Bin ich in einer verkehrten Welt gelandet oder träume ich?

Nun habe ich aber viel Zeit nachzudenken auf meinem mühsamen Weg nach oben. Des Rätsels Lösung scheint der Sturm zu sein. Im freien Gelände werden die Regentropfen weiter geblasen, stellt sich ein Baum in den Weg, dann schafft es das kühle Nass auf den Boden zu fallen. Irgendwann erinnere ich mich, dass ich in meinem Gepäck noch etwas Obst habe und dank des anonymen Spenders auf der letzten Fähre ein Päckchen kanarischen Ziegenkäse. So schlemme ich Birne mit Käse und fühle mich wie Gott in Frankreich.

Es gibt noch einige Überraschungen, steile Schiebepassagen, aber dann endlich bin ich oben auf dem Pico de Malpaso. Bei der Abfahrt ist äußerste Konzentration erforderlich, immer wieder droht sich mein Vorderreifen in tiefen Sand zu bohren. Ich ermüde und beschließe noch einen kleinen Powernap im Gras am Wegesrand einzulegen. Aber kaum habe ich es mir bequem gemacht und die Augen geschlossen, rasen zwei Athleten vorbei und rufen mir irgendwas zu. Ärger! Ich bin wieder munter und fahre weiter. Kleine Aufstiege in sengender Sonne und dann erwarten mich noch ultimative steile Meter bevor es endgültig ins Ziel ging. Muss das auch noch sein? Mindestens 3 Kilometer mit über 15% Steigung. Puhhhhhh! Nach den ersten Metern zu Fuß mit den rutschigen Radschuhen, erkenne ich, dass das noch anstrengender ist als langsam hochzuradeln. MTB-Übersetzung sei Dank!

Und dann das Sahnehäubchen: die letzten Kilometer steilste Abfahrt mit Traumblicken auf die tief unten liegende Küste bis nach Timijiraque, dem Zielort.  

Meine Reise über 5 kanarische Inseln ist viel zu schnell zu Ende.

Die unzähligen Eindrücke müssen nun erst mal verarbeitet werden.

Dazu werde ich in der anschließenden Woche viel Zeit haben, denn als kleines Mitbringsel von den Inseln habe ich einen Corona-Virus mitgebracht …

*Nachtrag:

Tim, aus Spanien, hat mir im Nachhinein seine Story geschrieben. Sehr nett. Er war sehr hilfsbereit anderen Athleten gegenüber und hat selbst auf ein zügiges Vorankommen verzichtet. Ob ich so selbstlos wäre, frage ich mich ….
Das mit dem Bild war nur Scherz. Aber für mich kam das gerade recht für eine gute Story in meinem Bericht … hahhaaaaa. Danke, Tim!

Atlas Mountain Race

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Atlas Mountain Race. Eigentlich war die Anmeldung etwas gedankenlos … dachte nie und nimmer einen Start-Platz zu bekommen. Und vor Jahren, bei der Erstausgabe des AMR staunte ich, was Menschen so leisten können. Das Ganze schien mir ziemlich abgehoben: schwere Fahrbedingungen, Höhenmeter ohne Ende, eine so hohe Scratch-Quote (soll ein Markenzeichen des MTB-Rennens). Dann die Zusage und im ersten Moment der Schock. Das werden wir wohl nicht schaffen …

Unser AMR. Zunächst einige Eindrücke im Video …

Unser AMR in Ziffern – siehe hier

15 km tiefer Sand – hike a bike

Es ist dunkel, der abnehmende Mond beleuchtet das Szenario nicht so richtig. Ich stapfe unmutig durch tiefen feinen Sand. Seit drei Kilometern etwa … seit ich beim Übergang von einer kurzen Asphaltstrecke in vermeintlichen Schotter von meinem Trek Procaliber abgeworfen wurde: mein Vorderrad blockierte in dem tiefen feinen Sand und ich machte einen zirkuswürdigen Salto Mortale über den Lenker.

Ich schiebe nun. Das aufgepackte etwa 23 kg schwere Rad rollt auch nicht so richtig über die Sandhaufen. Anstrengend. Wieder mal 50 Meter fahren über etwas festeren Untergrund, dann stecke ich wieder fest. Die Motivation sinkt. Eigentlich hatte Philipp in Ait Baha, dem letzten Ort, davon gesprochen, dass es jetzt 60 Kilometer mehr oder weniger abwärts ginge, fein rollen bis zu den nächsten ernsten Bergen, den letzten beiden. Wer hätte aber gedacht, dass nach Ait Baha erst eine verblockte Schiebepassage folgte und nun ein Gelände, das jedem Sandstrand Ehre machen würde … Und kein Ende in Sicht.

Es sollten insgesamt 15 Kilometer werden. Ich füge mich in mein Schicksal nach dem x-ten Male Sand aus den Radschuhen ausleeren. Meine Motivation sinkt auf unter Null. Unser Zeitplan? Dem hinken wir eh schon hinterher, nun aber scheint das pünktliche Ankommen zur Finisher-Party und somit das positive Abschneiden beim Atlas Mountain Race in weite Ferne gerückt, sprich unmöglich. Ich schicke in Gedanken schwärzeste Verwünschungen an Nelson. War ich bisher voll motiviert das Ding zu rocken, so beschimpfe ich nun den Organisator, dass er schuld daran sei, dass ich mich wohl nun in die zahllosen „gescratchten“ Teilnehmer einreihen würde, in die Liste derer, die unterwegs aufgegeben hatten. Am Ende des Rennens sollten es stolze 48% der Gestarteten sein, die ausgestiegen sind. Markenzeichen des AMR? So ein Quatsch, denke ich bei mir. Vermutete ich 4 Stunden für die 60 km leicht abwärts, so muss ich diese Zeit nun für die 15 km Schieben verbuchen …

In den finstersten Minuten denke ich auch noch zurück wie alles begann. Kein Wunder, dass nicht wenige schon bei CP1, nach nur 125 Kilometern ausgestiegen sind: Start des Mountain-Bike-Rennens war um 18 Uhr in Marrakech. Es lässt sich recht geruhsam an, 60 Kilometer nur leicht ansteigend. In Zerkten kurze Einkehr bei einem provisorisch von Einheimischen errichteten Versorgungsstelle: eine Gruppe junger Männer verkauft Tee und Unmengen von Fladenbroten mit Streich-Käse. Dann aber wird es ernst. Über steilste unwegsame Anstiege erreichen wir die Quote 2500, die Piste ist schneebedeckt, erst sind 5 km zu Fuß aufzusteigen zum höchsten Punkt. Ein eisiger Wind bläst, wir messen Minus 6°. Dann geht es weiter zu Fuß hinunter über einen Muli Pfad, der im Dunkeln erst mal gefunden werden muss. Zermürbend. Die durchfahrene erste Nacht zeigt auf dem Tacho bei CP1, Telouet, 125 Kilometer und 3500 Höhenmeter.  

hike a bike in der ersten Nacht
(125km/ 3500Hm)

Nach einem Frühstück mit Tajine, Omelette, Fladenbrot und viel Minze-Tee und nach Sonnenaufgang sieht die Welt wieder ganz anders aus und beschwingt machen wir uns auf. Ein cooler Single Trail durch ein Dorf und dann heißt es schon wieder schieben, hinauf auf eine weite Hochfläche. Sehr abwechslungsreich geht es weiter. Rauf und runter und hinter jeder Biegung ändert sich das prachtvolle Panorama. Der Untergrund wird immer ruppiger, dann wieder sandig und mit tiefem Schotter. 60 Kilometer weiter ist es schon später Nachmittag, als wir in fröhlicher Runde in Ghassate in einem Shop bei Omelette und Minze-Tee zusammen sitzen. Der Zeitrahmen ist überschritten, unmöglich bis nach Imassine zu kommen wie geplant. Nach weiteren 30 Kilometern ist es tiefe Nacht, es ist kalt und wir ausgepowert. In Toundoute gibt es einen Shop, an dem wir unsere Vorräte auffüllen, ratlos machen wir uns auf in die nächste (schlaflose?) Nacht. Wie eine Fata Morgana liegt das Schild vor uns: Gite Amandou… mit den Symbolen: Essen und Schlafen. Wir fragen nach und bekommen ein kleines Zelt aus Unterkunft, Dusche und köstliches Essen.

Aufbruch mitten in der Nacht. Die 40 Kilometer würden wir rasch „rocken“ nach Imassine zur Tankstelle und letzten möglichen Verpflegungsmöglichkeit, bevor es 100 Kilometer in die Einöde geht. Typischer Fall von „Denkste!“, wie häufig in diesem Rennen. Es gilt unwegsam unzählige Canyons zu durchqueren, das bedeutet absteigen, das Rad mehrere Meter hinunter befördern, dann es auf der anderen Seite steilst wieder hinauf zu wuchten. Schnelles Vorankommen? Fehlanzeige und so ist es schon heller Tag, als wir unsere Reserven in Imassine auffüllen.

Tag 2 bringt zunächst eine Flussquerung in eiskaltem Wasser, dann weite Hochflächen und schlussendlich eine mehrere Kilometer lange Schiebestrecke hinauf zum höchsten Punkt auf Quote 2000. Belohnung nun eine 50 Kilometer lange Abfahrt mit Ausblicken, die einem Winnetou-Film zur Ehre gereicht hätten. Felsformationen zum Staunen, dann eine krasse mauerbewehrte Kolonial-Road. Ja nicht zu nah an den Abgrund geraten.

Mein fast nicht vorhandenes technisches Fahr-Können wird auf eine harte Probe gestellt. Mit langsam runter ruckeln ist hier nicht. Ich düse über die lockeren Passagen und hoffe, dass mein Procaliber mich nicht abwirft. Ich glaube die Vittoria Mezcal retten mich über das schwierige Terrain. Da liegt was vor mir auf dem Weg: ein Smartphon. 10 Kilometer weiter kommt mir der Besitzer zu Fuß entgegen, Lawrence, ein 23-Jähriger Teilnehmer, mit dem ich in Marrakech schon eine Runde geradelt war. Sein Rad werden wir etwa 3 km talabwärts abgelegt sehen, der Arme! Erleichterung seinerseits – ich sei sein „angel“ …

Wunderschön fahren wir nun durch eine palmengesäumte Oase abwärts nach Afra. Auch hier trifft sich zu später Stunde eine größere Runde zu Omelette, Käsebrot und Minze-Tee. Etwas stockt die Versorgung, da der Shop Inhaber sich zwischen einem und dem anderen Omelette auf seinem ausgerollten Mini-Teppich zum Gebet niederlässt.

Wir fahren noch ein paar Kilometer weiter und bauen in einer einsamen Oase unser erstes Biwak auf, hoffend, dass die Dornen im tiefen Sand sich nicht in unsere aufblasbaren Matten bohren. Nach kurzem und wenig erholsamem Schlaf brechen wir sehr früh wieder auf. Ziel ist nun die in einem engen Canyon gelegene Oase Tizgui. Omar, der tagsüber hier Tee kredenzt, schläft wohl noch. So machen wir uns über zahllose Stufen bergwärts auf und gelangen auf die steile Straße, die uns nach Tazenakht bringen sollte. Unterwegs lenke ich mich mit meinem Hörbuch ab, aber als mein Rad auf einmal wie von Geisterhand sich um 90° zur Straßenmitte bewegt kurz bevor ein Auto an mir vorbei braust, fahre ich wie aus Sekundenschlaf gerissen auf. Ich brauche einen kurzen Powernap. Hermann hilft mir neben einer Mauer meine Matte und Schlafsack auszubreiten, ich schlafe etwa 10 Minuten, dann geht es weiter. Ich tausche mich mit Walter aus. Er hat Probleme mit seinem Bein von den langen hike-a-bike-Passagen und will in Ait Saoun aussteigen. Mir geht es zwar nun besser, aber Hermann macht mir Sorgen.

Seine Erkältung hat sich verschlechtert. Ist es da vernünftig weiterzumachen? Bei einem so hammerharten Event? Was wäre, wenn er auch ausstiege? Sollte ich alleine weiterfahren? Oder will uns das Schicksal damit sagen, dass wir gut dran täten, hier nach nicht mal 500 Kilometern das Handtuch zu werfen? Ich bin hin- und hergerissen. Endlich ausruhen? Nach Nachschub von Omeletten und Fladenbroten mit Käse sowie Kaffee und Minze-Tee und der Nachricht von Christian, dass er es hier auch gut sein lassen würde, wollen Hermann und ich zumindest bis Tazenakht weiter fahren und dort eventuell ein Hotelzimmer zu nehmen und dann weiter zu denken.

Die Fahrt über das nun folgende Hochplateau macht irre Spaß und die 5-6 Stunden vergehen wie im Fluge. In Tazenakht gönnen wir uns mehrere Pizzas und wollen, da es erst später Nachmittag ist noch die 60 Kilometer Asphalt hinter uns bringen. Unterwegs merke ich, dass mit meinem Sitzfleisch etwas nicht stimmt, die Haut ist leicht entzündet. Etwas Creme und am nächsten Tag keine Hose mit Polster und das Problem ist gelöst. Zum Glück. Wir passieren nach Dunkelwerden Tamskrout. Wie erwartet gibt es kein Hotel und so schlagen wir unser Biwak einige Kilometer später auf. Der Untergrund ist übersäet mit Steinen nicht grad ideal. Früh geht es wieder weiter.

Einiges an Aufstieg und dann Abfahrt bis nach Assereragh, dem Checkpoint 2. Unbegreiflicherweise stürze ich mit meinem Rad und schlage mit dem linken Oberschenkel hart auf einem spitzen Stein auf. Ein riesiger blauer Fleck ist die Folge, mehr noch aber die starken Schmerzen, wenn ich den Oberschenkel-Muskel aktiviere.

Das heißt beim Pedalieren tut es sehr weh und noch schlimmer, als ich bei CP2 vom Rad steige und einige Meter zu Fuß gehen muss, kaum zu bewältigen. Das wird sich den gesamten Tag nicht ändern. Muss ich scratchen? Von meinen Schmerzen abgelenkt werde ich durch die wunderschöne Landschaften in der Dämmerung, Palmengärten und malerische Dörfchen. Der Tag dämmert ungefähr gegen acht Uhr, abends ist es ab halb acht dunkel.

Nach Katzenwäsche in CP2, der Auberge Des Ètoiles, und einem wunderbaren Menü bestehend aus Tajine (Gemüse und Hühnchenfleisch), Omeletten, Pfannkuchen mit Marmelade, Kaffee, Minze-Tee, begeben wir uns wieder auf die Strecke. Atemberaubende Ausblicke bei der Abfahrt in die Palmerie Aguinane. Auch der Weiterweg über eine einsame Passhöhe ist traumhaft schön. Daran reiht sich eine lange Asphaltstrecke. Unerwartet gibt es vor dem letzten Anstieg an diesem Tag Versorgung mit Brot und Amlou, einer süßen Mandelpaste, und Tee, bereitgestellt von einem Einheimischen, der seinen Keller umfunktioniert zum Café mit Sitzgelegenheit am Straßenrand.

Beim Weiterfahren dräuen Wolken über uns, ein starker Wind bringt erste Regentropfen. Ich mache mein Gepäck rasch wetterfest. Zum Glück ziehen die Wolken in die andere Richtung. Nach der weiten Hochfläche geht es erst mal über eine schottrige schwierige Abfahrt hinunter bis in ein breites Bachbett. Die nächsten etwa 20 km werden nicht leicht werden. Der „Weg“ ist in den runden Kieseln manchmal kaum zu erkennen. Ich hatte eigentlich an gemütliches Ausrollen bis Tagmouth gedacht, das vor dem legendären Anstieg über die „old colonial road“ lag. Leider wieder mal „nein“!

Bei Dunkelwerden haben wir es in das Dorf mit seinem viereckigen Marktplatz geschafft. Wie üblich Verpflegung bestehend aus Omelette, Brot und Tee. Wir versorgen uns noch mit Kekspäckchen und beschließen weiterzufahren bis an den Beginn des Aufstieges, obwohl ein Einheimischer uns anbot, unseren Schlafsack bei ihm auszubreiten.

So gibt es ein paar Kilometer weiter ein weiteres Biwak bei Minusgraden. Der Gedanken an die alte Kolonialstraße mit ihren beiden unpassierbaren Unterbrechungen lässt mich nicht gut schlafen. Nach 3 Stunden Ruhe machen wir uns wieder auf den Weg. Beschreibungen von früheren Teilnehmern sprachen von vielen hike-a-bike-Kilometern. Ich senke meinen Sattel etwas und wunderlicherweise schaffe ich es, das meiste auf meinem Rad zurückzulegen und eiere den Weg bergauf, immer wieder großen Steinen ausweichend. Auf einmal ist die „Straße“ jäh zu ende. Mein Lichtkegel erfasst eine Abbruchkante und einen Abgrund von etwa 10 Metern vor mir. Ich lege mein Rad ab und versuche runterzuklettern. Hmmmhmmm. Oje, wie soll ich da mein Rad nachbekommen? Hermann trifft ein und sagt, er habe 50m vorher einen schmalen Weg gesehen. Also zurück und das Rad tragend nach unten in die Schlucht bugsieren. Bin ich froh, dass mir mein Teampartner hilft, mein Rad auf der anderen Seite wieder nach oben zu wuchten. Knochenarbeit!

Unterbrechung der „old colonial road“? Wo geht es bitte weiter?

Wenige Kurven später dasselbe Szenario. Abgrund vor dem Vorderreifen und Umweg.

Immer wieder treffen wir bei der Weiterfahrt auf Radfahrer, die ihr Lager am Wegrand aufgebaut haben. Ich werde auch wieder müde und am höchsten Punkt gibt es keinen Ausweg als einen kurzen Powernap im Schlafsack, grad 10 Minuten, bis die Kälte von unten durch die Daunen dringt. Aber das genügt schon und nun wird es auch langsam hell, die Sonne geht über den Bergen auf und taucht die Felsen rundum in ein unwirkliches Rot.
Noch 20 Kilometer Abfahrt, deren Untergrund höchste Konzentration verlangen und wir haben unser Frühstück in Issafn, einem kleinen Straßendorf, redlich verdient. Wir finden ein kleines Café am Straßenrand, vor dem schon ein paar Radfahrer sitzen. Es gibt wunderbar leckere frische Süßspeisen, natürlich wie üblich Omeletten und Kaffee und Tee. Ich gönne mir auch einen frisch gepressten Orangensaft und einen Avocado-Shake. Irre lecker und energiereich.

Nach einem kurzen Asphalt-Intermezzo legt Hermann einen Power-Nap auf einer Bank ein, ich fahre weiter. Es geht nun durch einen teilweise palmenbewachsenen Canyon, der durch die Felsenlandschaft aufwärts mäandert. Die Temperaturen steigen an, die Schotterstraße wird immer schlechter und steiler. Hier und dort sind einige Siedlungen. Meist kommen die Kinder sofort angelaufen und begleiten die Fahrer ein Stück, möchten „give-me-five“. Ich höre plötzlich neben mir Steine aufschlagen. Die werden doch nicht …?! Ich bremse abrupt, drehe mein Bike um, setze meinen bösesten Blick auf und schreie „LA“! (das sollte NEIN bedeuten auf Arabisch). Die Kids waren ganz schon erstaunt, sich einer solchen Furie entgegen zu sehen und machten gar nichts mehr, auch den nachfolgenden Hermann ließen sie in Ruhe.

Ich „leide“ den Weg weiter, wechsle ein paar Worte mit einem französischen Fahrer, der am Shermer’s neck leidet, dem ich immer wieder mal treffen werde, der aber aufgeben wird. Irgendwann schaffen wir es zum höchsten Punkt und hier mündet der Weg in eine breite Schotterstraße. Es geht über die Hochfläche, dann und wann unterbrochen von einer kurzen Abfahrt, deren Höhenmeterverluste durch steilste Anstiege wiedergut gemacht werden. Dann und wann brettert ein LKW vorbei und nebelt uns für Minuten ein. Bei Dunkelwerden geht es abwärts, um dann durch ein weiteres Palmen-Tal anzusteigen.

Der Plan war, bis zu CP3 zu fahren und dort in einem Hotel-Bett zu schlafen. Gegen Mitternacht haben wir jedoch erst etwa die Hälfte des Anstieges hinter uns und vom höchsten Punkt noch 20 Kilometer Abfahrt vor uns. Ein Hotel unterwegs, Kontrollpunkt bei der vorletzten AMR-Ausgabe, ist leider geschlossen und so schlagen wir unser Biwak auf, für 3 Stunden.

Dann geht es weiter nach Tafraoute, CP3. Bei Eintreten in das Hotel werden wir gleich von übereifrigen lokalen Mitarbeitern in Empfang genommen, ich weiß gar nicht, wo mir der Sinn steht und es tut mir leid, dass ich auf den Überschwang nicht ebenbürtig reagieren kann. Ich brauche nur noch eine Dusche und ein Bett. Das gönnen wir uns auch für eineinhalb Stunden. Es scheint, dass wir beim Frühstück die allerletzten sind, die noch da sind. Ich beobachte, wie ein Mann uns beim Essen und den Abfahrt-Vorbereitungen filmt. Nanu? Er stellt sich bei unserer Abfahrt als Volonteer aus Portugal vor. Ach so, … und der filmt das alte Ehepaar … das nicht mal sicher ins Ziel kommt …

In den nächsten Kilometer ändert sich die Landschaft komplett, viele Dörfer sind zu passieren, es ist etwas grüner, Millionen von Kakteen säumen unseren Weg. Es geht auf und ab, abwechslungsreich. In einem kleinen Dorf werden wir von einer jungen Frau angesprochen, Hajar ist hier Lehrerin wie sie sagt und unter katastrophalen Zuständen betreut sie hier vier Schüler. Gerne würde sie uns in ihr bescheidenes Haus einladen und auch das Schulhaus zeigen. Leider müssen wir weiter. Wir werden allerdings über WhatsApp in Kontakt bleiben.

Eine lange Abfahrt endet wieder einmal in einem Wadi, keine Ahnung, wo es weiter geht, wir folgen einfach dem Track auf unserem GPS-Gerät. In der Ferne sehen wir einen Weg sich den Berghang hinaufschlängeln. Dieser ist mal wieder nicht fahrbar. Hike-a-bike mit ungewisser Länge. Es könnten bis zu 6 Kilometer werden. Glücklicherweise mündet der Weg aber schon bald in fahrbares Gelände. Auf schmalem Weg kommt uns auf einmal ein brauner California entgegen. Was macht denn der hier? Und wie will der wieder umdrehen? Schon geht die Fahrertür auf und eine Kamera wird gezückt. Später erfahre ich, es ist ein AMR-Mitarbeiter, der so in etwa die Letzten „begleitet“.

mit Hajar

Schön fahrbar fahren wir nun wieder mal etwas auf und ab durch die einbrechende Dämmerung. Irgendwann glaube ich, dass hinter mir ein Bus oder so was naht. Nein, im Dorf neben uns beginnt ein Muezzin mit seinem Singsang zum Gebet zu rufen, die Kollegen in den Dörfern rundum fallen ein.
Wenig später fahren wir in Ait Baha ein, einer etwas größeren Ortschaft. Hier bringen wir in einem kleinen Restaurant den Besitzer zum Staunen mit unseren Bestellungen: Suppe, dann Omelette, Tee, Kaffee und Brathähnchen vom Grill, dazu Unmengen von Brot. Die Reste letzteres packen wir ein, als nächtlichen Snack mit Sardinen in Tomatensauce (wir verputzten auf unserer Fahrt so viele Dosen, wie in den letzten 10 Jahren zuhause nicht …).

Philipp ließ hier seine Prognose vom Stapel, dass es nun gemütliche 60 Kilometer bergab ginge …
Siehe Anfang dieser Geschichte!

Nach den 15 km Sand-hike-a-bike am frühen Morgen habe ich wieder mal Schlafattacken, Hermann auch und so legen wir uns einfach so wie wir sind etwas abseits der Straße auf den Boden. Kleider staubig? Egal! Bald geht es auch wieder weiter. In Jerf ist viel los, Frauen und Schüler stehen an den Bushaltestellen.

Wir kehren in einem kleinen Shop ein und rüsten uns aus für die nächsten beiden Berg-Etappen mit je 1000 und 1100 Höhenmetern. Nun geht es ziemlich trostlos durch Schottergruben, dann eine befahrenere Straße entlang bis hin zur letzten Versorgungsmöglichkeit, einer Tankstelle, sehr verwahrlost und schmutzig ist es hier in diesem Durchgangsort. Hermann hatte mich schon gewarnt, das Wetter sollte sich ändern: ein Sandsturm zieht auf. Als wir die Tankstelle verlassen, nach Omelette und Tee, was wohl sonst, ist Wind aufgekommen, der Himmel ist braunrot und man hat keine Sicht mehr. Das Aufwärtsfahren ist sensationell. Ich brauche die nächsten 1000 Höhenmeter nur ein wenig mittreten, der Sturm schiebt mich nach oben. Aber wehe man verlässt nur leicht die Windrichtung, dann nichts wie runter vom Rad und sich gegen die Böen stemmen. Es fängt auch noch an zu regnen. Wir ziehen unsere Regenhosen und -jacken an. Auf der Höhe endet die Asphaltstraße abrupt und geht in einen lehmigen Weg über. Glücklicherweise folgt nun eine Abfahrt. Plötzlich schlingert mein Rad und rutscht wie auf Seife, dann stoppe ich plötzlich. Was ist los?

Ich blicke nach unten und kann die Bescherung gar nicht richtig einordnen: Schlamm hat sich um die Reifen gewickelt und blockiert alles. Lehm füllt die Zwischenräume zwischen Rad und Taschen aus, die Kette ist nicht mehr zu sehen. Es gelingt mir nicht mal mehr mein Rad zu schieben, die Reifen sind blockiert, das Ganze ist megaschwer. Ich muss aber bis zum nächsten Baum, um einen Ast zu finden zum Abkratzen. Ist allerdings fast sinnlos, denn ein weiterer Meter auf diesem Boden und alles beim Alten. Schieben geht nur auf dem steinigen und unwegsamen Rand des Weges. Wie soll das nun gehen? Wie kommen wir da bloß weg? Irgendwann kann man wieder aufsteigen, solche Passagen wie auf Seife folgen noch mehrere. Der Wind ist hier oben noch stärker geworden. Bei der Abfahrt passiert es dann:

Wir kommen um eine Biegung, ich höre schon ein tosendes Rauschen und schon erfasst eine Sturmböe mein Rad. Ich schaffe es grad noch runterzuspringen und mit aller Kraft den Lenker festzuhalten. Mein Rad wird abgehoben vom Boden und steht fast wie eine Fahne in der Luft. Hermann hat es schlimmer erwischt. Er war nicht schnell genug mit dem Abspringen. Es hebt ihn mit dem Rad in die Luft und mit einer Wucht wird er gegen einen Steinhaufen am Wegesrand geworfen. Abschürfungen an Schienbein und Hand. Er hat mehr Glück als Verstand gehabt. Wäre das ein paar Meter vor- oder nachher passiert, war er in den Abgrund gestürzt. Mit zitternden Knien fahren wir weiter ab, es gibt mehrere Gegenanstiege. Ich frage mich, ob es einen vernünftigen Grund gibt, den nächsten noch höheren Berg zu fahren. Wie wird es dort mit den Windgeschwindigkeiten sein? Gefährlich? Warum gibt es keine Information durch den Veranstalter?

Am tiefsten Punkt kommen wir wieder durch ein Wadi mit Palmen. Dort gibt es zwar kein Dorf, aber da der nächste Pass touristisch mehr genutzt wird, haben sich entlang der Straße mehrere Cafés angesiedelt. Wir stärken uns am frühen Abend wieder mit je zwei Omelette und Tee, quatschen noch etwas mit einigen anderen Teilnehmern, kaufen jede Menge Snacks ein und gehen den letzten Berg an. Aufgrund der vielen Kehren und Serpentinen wird er scherzhaft auch Marokkos Passo Stelvio genannt. Die 1100 Höhenmeter haben es insofern in sich, dass die Steigung nach oben hin fast unmenschlich wird. Der Wind ist zum Glück etwas abgeflaut. Es ist nun nach Mitternacht. Ich bin unendlich müde. Weiter Abfahren in wärmere Zonen wäre vernünftig, aber sobald die Beine nicht mehr treten müssen, kommen die Schlafattacken und Sekundenschlaf wäre fatal. So schlagen wir kurz unterhalb des Passes unser Biwak in einem Wäldchen auf. Nachdem ich mich in meinem Schlafsack eingemummelt habe, höre ich im Halbschlaf draußen vor dem Zelt verschiedene Geräusche. Was gibt es hier wohl für Tiere?

Lange gönnen wir uns keine Ruhe, wir müssen heute vor Mitternacht in Essaouira sein und haben noch 170 km vor uns. Wer weiß, wie das Gelände ist. Machbar? Maprogress zeigt, dass nicht mehr viele hinter uns sind, aber von 220 Teilnehmern schon fast 100 ausgestiegen. Von dem bisschen Stolz noch im Rennen zu sein kann ich auch nicht zehren, jetzt heißt es mit Vollgas weiter. Recht abwechslungsreich ist das Terrain, es geht auf und ab, über Schotter und zwischendurch wieder mal auf Asphalt. Gegen Morgendämmerung ist es wieder mal soweit, beide sind wir so schläfrig, dass nur ein Powernap Aushilfe schafft, für 15 Minuten legen wir uns flach, bis die Kälte in die Glieder kriecht.

Auf unserem Weiterweg überholen wir einen Teilnehmer aus den Niederlanden, der völlig ausgelaugt wirkt. Er hat nichts mehr zu essen, wir geben ihm was von uns ab. Und weiter.
 

Zur Frühstückszeit treffen wir in Imsouane ein, ein Städtchen am Atlantik, das aktuell einer der beliebtesten Surfspots in Marokko ist. Dementsprechend lebhaft geht es schon am Strand unten zu und es ist ein Muss etwas von der Strecke abzuweichen und im Zentrum des Örtchens die Reserven aufzufüllen.

Lecker mit Omelette und Tee, Orangensaft, Avocado-Shake, verschiedenen Croissants und Crepes. Im Minimarket füllt Hermann unsere Reserven auf und weiter geht es. Noch etwa 90 Kilometer liegen vor uns. Sehr motivierend folgen wir zunächst einer parallel zur Küste verlaufenden Straße. Hier treffen wir auch wieder auf den braunen California. Ach ja, der verfolgt ja die Letzten … egal, wir können stolz sein bei DER Ausfallsquote noch dabei zu sein …

Bald geht es ab von der Straße und zwei normalerweise harmlose Berge sind zu überqueren. Das erste Mal in ungewohnter Mittagshitze wollen meine Beine nicht mehr. Ich fühle mich, als hätte ich Fieber. Ich opfere einen Teil meines kostbaren Wassers, um meinen heißen Kopf zu kühlen. Auch der zweite Berg ist geschafft, bei einer kleinen Pause am ersten und einzigen Brunnen der ganzen Tour treffen wir auf ein kleines Schwätzchen einige Lokals. Ich werde aufgefordert auf den festlich geschmückten Esel zu steigen. Dann müssen wir aber weiter, so angenehm die Pause auch war. Noch 40 Kilometer warten auf uns. Diese dehnen sich wie Kaugummi, halten aber glücklicherweise keine unangenehmen Überraschungen mehr bereit, außer einer kurzen Sandpassage kurz vor dem Ziel.

Angekommen fällt die ganze Anspannung von mir ab. Hatte ich unterwegs einige Male gedacht, ich müsse vor Erlösung heulen, so bin ich nun nur relaxt und erleichtert es geschafft zu haben mit 116 weiteren erfolgreichen Finishern. Ich hole mir den verdienten letzten Stempel. Wir sind nicht mal Letzte, 5 weitere kommen nach uns an und wie schon erwähnt 104 haben gescratched!!  Ich habe keine Zeit auf meine Emotionen zu achten … nun heißt es nämlich schnell Zimmer zu beziehen, zu duschen und sich „fein“ machen für die Finisher-Party … Und so schön ist es hier viele Leute wieder zu treffen und Erfahrungen auszutauschen. Die Strapazen der letzten 8 Tage sind im Nu vergessen.

Dotwatcher Lanterne Rouge Award

italiano english

Ich war perplex, als Kitty von Dotwatcher.com* mich kürzlich kontaktierte und mir mitteilte, dass ich für den Lanterne Rouge Award nominiert würde. Sollte ich Jubeln? Sollte ich rot werden, weil das vielleicht peinlich ist? Ich sehe es aber als absolute Ehre an …

Das ist der Text auf Deutsch übersetzt (Quelle: Instagram @dotwatcher.cc):

Eine Auszeichnung, die zeigt, wie wichtig es ist, Widrigkeiten zu überwinden. Während jedes Rennen einen Sieger hat, gibt es eine andere Position, die viele DotWatchers aufmerksam verfolgen: die Lanterne Rouge. Mit ihren spannenden Geschichten und ihrer unerschütterlichen Entschlossenheit erobern diese Fahrer oft die Herzen und Köpfe ihrer Anhänger, sowohl auf der Straße als auch im Gelände.

Dieses Jahr stach Gabi Winck (@lumacagabi) besonders hervor. Gabi nahm an dem absoluten Mammutrennen GBDURO teil, das sie zwar als Letzte beendete, bei dem aber über 50 % der Teilnehmer nicht ins Ziel kamen. Sie erreichte jeden Checkpoint mit viel Elan und fuhr unter tückischen Bedingungen durch die Dunkelheit und bei schlechtem Wetter. Gabis positive Einstellung und ihre freundliche Art wurden an den Kontrollpunkten sehr geschätzt.

Gabi ist keine Unbekannte bei Ultra-Distanz-Rennen: Sie hat bereits das Three Peaks Bike Race und den North Cape 4000 absolviert. Gabi dokumentiert all ihre Abenteuer in ihrem ausführlichen Blog und auf ihrem YouTube-Kanal, der sowohl ein Spiegelbild ihrer bisherigen Erfahrungen als auch ein informatives Werkzeug für jeden Ultrafahrer ist.

Gabi: 𝙂𝘽𝘿𝙐𝙍𝙊 𝙬𝙖𝙨 𝙩𝙝𝙚 𝙗𝙞𝙜𝙜𝙚𝙨𝙩 𝙘𝙝𝙖𝙡𝙡𝙚𝙣𝙜𝙚 𝙤𝙛 𝙢𝙮 𝙡𝙞𝙛𝙚, 𝙖 𝙡𝙤𝙩 𝙤𝙛 𝙙𝙞𝙛𝙛𝙞𝙘𝙪𝙡𝙩 𝙩𝙚𝙧𝙧𝙖𝙞𝙣, 𝙡𝙞𝙩𝙩𝙡𝙚 𝙨𝙡𝙚𝙚𝙥 𝙖𝙣𝙙 𝙡𝙤𝙣𝙚𝙡𝙞𝙣𝙚𝙨𝙨 𝙞𝙣 𝙖 𝙬𝙤𝙣𝙙𝙚𝙧𝙛𝙪𝙡 𝙡𝙖𝙣𝙙𝙨𝙘𝙖𝙥𝙚. 𝙏𝙝𝙚𝙣 𝙛𝙧𝙤𝙢 𝙙𝙖𝙮 8 𝙤𝙣𝙬𝙖𝙧𝙙𝙨, 𝙖𝙡𝙢𝙤𝙨𝙩 𝙚𝙫𝙚𝙧𝙮𝙩𝙝𝙞𝙣𝙜 𝙬𝙚𝙣𝙩 𝙬𝙧𝙤𝙣𝙜: 𝙘𝙧𝙖𝙨𝙝, 𝙛𝙧𝙤𝙣𝙩 𝙡𝙞𝙜𝙝𝙩 𝙗𝙧𝙤𝙠𝙚𝙣, 𝙗𝙪𝙛𝙛𝙚𝙧 𝙗𝙖𝙩𝙩𝙚𝙧𝙮 𝙗𝙧𝙤𝙠𝙚𝙣, 2 𝙛𝙡𝙖𝙩 𝙩𝙮𝙧𝙚𝙨, 𝙖𝙞𝙧 𝙥𝙪𝙢𝙥 𝙗𝙧𝙤𝙠𝙚𝙣, 𝙤𝙫𝙚𝙧𝙨𝙡𝙚𝙚𝙥𝙞𝙣𝙜 𝙖𝙩 𝙣𝙞𝙜𝙝𝙩 𝙖𝙣𝙙 𝙨𝙤 𝙤𝙣 𝙖𝙣𝙙 𝙨𝙤 𝙤𝙣.

𝙄 𝙩𝙝𝙤𝙪𝙜𝙝𝙩 𝙩𝙤 𝙢𝙮𝙨𝙚𝙡𝙛: 𝙩𝙝𝙚𝙧𝙚’𝙨 𝙣𝙤 𝙨𝙪𝙘𝙝 𝙩𝙝𝙞𝙣𝙜 𝙖𝙨 𝙜𝙞𝙫𝙞𝙣𝙜 𝙪𝙥, 𝙚𝙫𝙚𝙣 𝙞𝙛 𝙄 𝙘𝙤𝙢𝙚 𝙡𝙖𝙨𝙩. 𝙎𝙤𝙢𝙚𝙤𝙣𝙚 𝙝𝙖𝙨 𝙩𝙤 𝙗𝙚… 𝘾𝙤𝙢𝙞𝙣𝙜 𝙡𝙖𝙨𝙩 𝙖𝙩 𝙩𝙝𝙚 𝙂𝘽𝘿𝙐𝙍𝙊 𝙞𝙨 𝙨𝙩𝙞𝙡𝙡 𝙖𝙣 𝙝𝙤𝙣𝙤𝙪𝙧 𝙜𝙞𝙫𝙚𝙣 𝙩𝙝𝙚 𝙝𝙞𝙜𝙝 𝙙𝙧𝙤𝙥-𝙤𝙪𝙩 𝙧𝙖𝙩𝙚.

Keine Sorge, Gabi hat sich bereits für mehrere Veranstaltungen 2023 angemeldet, es werden noch viele folgen.

Herzlichen Glückwunsch an Gabi für unseren Lanterne Rouge Award 2022, unsere Auszeichnung für die ausdauerndste Radfahrerin des Jahres.

*Dotwatcher ist eine wunderbare Plattform für ultra-distance cycling-Berichterstattung mit einer tollen Gruppe von Expertinnen und Experten, die jedes Ultra-Radrennen genau begleiten und analysieren. Bei der GBDuro fand ich die Berichterstattung sehr motivierend (bis auf die letzten Stunden, bei denen alle Diskutierenden meinten, ich schaffe es sicher nicht mehr in der Zeit ins Ziel …)

AMR Atlas Mountain Race 2023

Bericht und Video sind fertig!!!!

Hier könnt ihr uns verfolgen
klicke hier! ………………………………………………………………italiano english

Foto: Torsten Frank

Das AMR – Atlas Mountain Race – ist ein Radrennen mit vorgegebener Strecke, die ohne Unterstützung von außen zurückgelegt werden muss. Das heißt, es gibt nichts, keine organisierten Unterkünfte oder Essen und Trinken. Jeder und jede muss das eigene „Überleben“ selbst sichern. Ein Video der Veranstaltung findet ihr am Ende der Seite; die wunderbaren Bilder hat mir Torsten Frank zur Verfügung gestellt. Seinen spannenden Erfahrungs-Bericht könnt ihr hier lesen. Die Bilder findet ihr am Seitenende größer in der Bilder-Galerie.

Nun zu den Details …

Der Start ist in Marrakesch, auf abgelegenen Pfaden wird der marokkanische Atlas überquert, die Hochflächen des Anti-Atlas bis nach Essaouira an der Atlantik-Küste. Insgesamt sind 1300 Kilometer mit 20200 Höhenmetern zurückzulegen.

Dabei geht es ganz schön zur Sache. Asphalt gibt es nur selten. Wir sind auf Schotterstraßen, schmalen Wegen, auf alten, längst vergessenen und oft verfallenen Kolonialpisten unterwegs. Der Veranstalter schreibt, manchmal wird auch zu Fuß zu gehen sein, was vermutlich eine ganz schöne Untertreibung ist, denn aus Berichten der vorhergegangenen zwei Austragungen sind die Schiebe- und Tragestrecken an der Tagesordnung und das nicht selten.

Drei Kontrollstellen gibt es unterwegs. In der Beschreibung wird schon darauf hingewiesen, dass oft lange Strecken zurückgelegt werden müssen ohne Möglichkeit sich mit Wasser und Lebensmitteln zu versorgen.

Unsere Recherchen haben ergeben, Einkaufsmöglichkeiten sind nicht nur äußerst dünn gesäte, sondern auch das Angebot ist nicht zu vergleichen mit europäischen Standards. Zudem ist die Ungewissheit, was man überhaupt sorglos essen kann (außer – wie Teilnehmer schrieben Omelette, Omelette, Omelette …), ohne von der Rache des Montezuma getroffen zu werden (hat der Aztekenherrscher hier in Afrika überhaupt was zu sagen?) – Spaß beiseite, spaßig ist es bestimmt nicht, wenn einen eine Magen-Darm-Infektion ereilt. Das würde zudem neben Wandern, Schieben, Tragen das Weiterkommen erheblich hemmen, denn viel Zeit gibt es nicht das Ziel am Atlantik zu erreichen. Nur acht Tage sind zur Verfügung, wollen wir zur Finisher-Party ankommen. Ich kann nach den Erfahrungen bei der GBDuro schon ahnen, dass es mit erholsamen nächtlichen Pausen diesmal wieder nichts wird.

Foto: Torsten Frank

Ich bin überglücklich, dass Hermann auf seinen inneren Renn-Drang verzichten wird und mit mir im Schlepptau, sprich im Team starten wird. Ohne mich gäbe es für ihn wohl ein schnelleres Weiterkommen, technisch gesehen ist er einfach der größere Draufgänger. Stürzen und sich verletzen sollte man aber vermeiden, da Hilfe nicht wie bei uns gewohnt schnell da wäre. Auch gibt es im Inland kaum mal Handy-Empfang. Ich freue mich auf das Abenteuer mit ihm!

Die Landschaft soll traumhaft sein. Und hoffentlich spielt das Wetter mit. Es kann in den Höhen von Atlas und Antiatlas empfindlich kalt werden in den Nächten und tagsüber können auch Temperaturen über 30°C überschritten werden. Regen fällt normalerweise nicht oft in diesem trockenen Land, aber es nicht ausgeschlossen, dass Niederschläge die Flüsse zeitweise unüberwindbar macht, wie bei der vergangenen Edition. In den Höhen kann es auch schneien.

Viele unbekannte Variablen, wie auch die Verständigung, Arabisch spreche ich ja nicht fließend, ich scherze, nein, kann ich gar nicht und Französisch auch nicht … Ein Wort auf Arabisch kann ich schon, ich hoffe, dass ich es oft anwenden darf: شكرًا – das heißt „Danke“.

Und lässt mich mein MTB wohl nicht im Stich unterwegs … ich bin keine begnadete Rad-Mechanikerin und Bike-Shops gibt es im Inland vermutlich keinen einzigen. Nein, da wird man nicht mal vorsichtig vermuten dürfen …

Die Spannung wächst von Tag zu Tag, eine Mengen Laufereien sind notwendig, die Planung und das sich-Organisieren wird uns die nächsten paar Wochen wohl auf Trapp halten. Packlisten erstellen … Was muss mit? Was kann daheim bleiben? Jedes Gramm an Zuviel ist unnützer Ballast, der ein schnelles Weiterkommen verhindert. In Großbritannien (GBDuro22) schleppte ich ein 20-Kilo-Gravelbike mit mir, hier wird es wohl auch nicht sehr viel leichter werden, bedenkt man, dass man zeitweise wohl bis zu 5 Liter Wasser mitführen muss.

Unüberwindbare Hürde?

Mein Reisepass muss nach Ausreise aus Marokko noch 6 Monate gültig sein, meiner verfällt im August 2023, aber genau 5 Tage zu früh. Nach der Race-Zusage habe ich versucht einen Termin bei der Questura zu bekommen, aussichtslos, vor Ende Februar gibt es keine … Das kann doch nicht sein, jetzt hat man den heißbegehrten Startplatz ergattert und kann nicht hin?

Ich schrieb an mehrere Stellen e-Mails. Eine sehr nette Commissaria beruhigt mich, mit einem Schreiben des Veranstalters, der Bestätigung des Starplatzes, also aus Dringlichkeitsgründen, könnte ich einen vorgezogenen Termin bekommen. Ich hoffe, dass alles klappt …

Uns könnt ihr im Februar verfolgen, denn ein Tracker ist verpflichtend und die Position aller Fahrer*innen kann minutiös auf einer Karte beobachtet werden.
Der Link wird zur gegebenen Zeit hier zu finden sein.

Die wunderbaren Bilder (siehe auch Galerie unten), freundlicherweise von Torsten Frank zur Verfügung gestellt, können euch einen Einblick geben, was uns erwarten wird … Besucht auch seinen sehr spannenden Erfahrungsbericht auf seinem Blog! HIER

Hier der Film des Veranstalters:

Hermann on tour – ITALY DIVIDE

Hermann: Live tracker

italiano

Wieder mal ohne Frau unterwegs … diese sitzt neidisch zuhause …
Vor Hermann stehen spannende Tage beim Bike Adventure ITALY DIVIDE.
Die außerordentliche Belastungsprobe startet am 23.April in Pompei, Ziel ist nach 1250 Kilometern und 22.000 Höhenmetern Arco am Gardasee – dazwischen pures Abenteuer!!!

Laut Veranstalter ist Italy Divide das wohl außergewöhnlichste Bikepacking-Event der Welt. Die Teilnehmer sind auf schnellen, hügeligen Schotterstraßen unterwegs, folgen der Via Francigena, der Eurovelo 7 und überwinden auf teils sehr technischen MTB-Trails die Via degli Dei, die Lessinia-Berge und schließlich den Monte Baldo, gespickt mit einer reichhaltigen Mischung aus Geschichte entlang des Weges. Das war Hermanns Italy Divide …


Der Tag davor …
Spannende Anreise. Zugstreik. Umdenken. Flug Innsbruck-Wien-Neapel. Rad im Radkarton. Auseinandergelegt. Aber Hermann ist Tüftler, der schafft das schon, sein Bike wieder fahrtauglich zu bekommen. Ich, Gabi, wäre da ein bisschen „kesslun“ wie man auf Südtirolerisch so schön sagt, übersetzt auf gut Deutsch bedeutet das soviel wie „ratlos“.
Nach Rad-Zusammenbau folgt endloses Schlange-Stehen um die Startunterlagen und den Spot-Tracker. Genau, da komme ich auch schon auf den Punkt: Hermann ist in Echtzeit nachverfolgbar und zwar hier .
Wer sonstige Eindrücke miterleben möchte auf Hermanns in etwa eine Woche dauernden Rad-Wanderung (zum Teil ist das wohl auch wörtlich zu nehmen), der schaue immer mal wieder hier rein.

Tag 1 – 23. April 22 – 160 km/ 1600 Hm

Noch 4 Stunden bis zum Start. Die Socken sind daheim. Dafür fährt ein Stück Gabi im Gepäck mit – Radsocken Größe 39 … 😊
Batterien in den Tracker einlegen. Ohne das geeignete Werkzeug nicht leicht und wer hat schon einen minikleinen Schraubenzieher mit? Taschenmesser? Tiefer Schnitt am Daumen fährt mit …
Der Start verzögert sich etwas, gegen 12:30 geht es los. Nun schlängelt sich das ganze Feld den Vesuv hoch. Fußmarsch angesagt … kilometerweit über Sand-Asche-Piste schieben. Und mittendrin *HL …

Der Abend kommt schneller als gedacht. Nach 150km in Formia nahe Gaeta gibt es ein Hotel, dann nichts mehr, das man noch zu später oder besser gesagt zu früher (Morgen-)Stunde noch beziehen kann. Um 22:00 ist deshalb für heute Zapfenstreich, dafür dann früh raus aus den Federn.

Tag 2 -24. April 22 – 245 km/ 2500 Hm

Start kurz nach 2 Uhr. Nach grad mal dreieinhalb Stunden Schlaf. Die ersten 50 km sind gut zum Einrollen. Dann wird es ernst. Hinauf auf den Monte Circello ist wieder mal Schieben angesagt. Lange. 4 Kilometer. Dann Abfahrt. Und es passiert. Die erste (und hoffentlich einzige) Panne. Ein Schnitt an der Seite des Reifens. Was nun? Hermann versucht den Schaden zu reparieren. Ob das wohl hält?

Bis jetzt ging es an der Küste entlang. Recht schnell kommt man aber nicht voran – Gravel … Auf der Höhe von Latina biegt die Strecke ab ins Landesinnere.

Es geht etwas langsam, schreibt Hermann, viele steile Passagen und viel Schlamm.
Und der Weg nicht immer leicht zu finden … „I glab, i bin folsch. Wieder aui trogn“. Oje …
Durch Rom durch, Menschenmengen.
Unterkunft? Nichts, nichts, nichts … alles, aber auch alles ausgebucht. Ein Motel bald nach Rom hat noch ein Zimmer. Es liegt allerdings 7 km abseits der Strecke und hat auch noch ein paar Höhenmeter im Aufstieg.

Der Tracker zeigt Hermann lange auf derselben Stelle, ich mache mir langsam Sorgen. Über eine Stunde ist er nun schon unterwegs für die grade mal 7 Kilometer Zubringer zum Hotel. Oje! Dann die erlösende Nachricht: „Habe gerade eingecheckt.“ Es ist nun 22 Uhr. Und – er ist nicht der einzige der Teilnehmer im Motel …

Hermann berichtet rasch, denn Bettruhe ist jetzt wichtiger. „Die letzten Kilometer waren ziemlich hart. Die Komoot-Route war spannend. Fussweg, Bach durchwaten, viele Herdenschutzhunde, z. T.  auch freilaufend. Muss mir für die Rückfahrt zur Strecke eine andere Route überlegen.“

Muss schauen, dass ich meine Sachen noch trocken bekomme. Bin kaputt … Heute über zwei Stunden im Regen gefahren, im Matsch!“

Tag 3 – 25. April 22 – 175 km/ 2000 Hm

„Ich hab den Wecker auf 4.30 gestellt. Bin 1 Stunde  früher aufgewacht. Dann aufgestanden und habe alles zusammengepackt und das Rad gepflegt, alles verdreckt, Antrieb mal geschmiert, …  Um 4.45 gestartet. Das Rad ist sehr schwer.“

Zurück bin ich ein Stück auf einer Schnellstraße. Kein Verkehr. Nur ein einsames Wildschwein ist vor mir über die Straße gelaufen. Hat mich aber nicht als Seinesgleichen erkannt, so wie ich im Moment ausschaue. Hahhahaaa!“

Heute geht es gut. Habe schön gefrühstückt unterwegs. Aber es geht verhältnismäßig langsam voran. Die Wege sind schön, teils wunderbare Singletrails, aber schwer zu fahren, alles ist nass, matschig.“

Es rollt, allerdings ab und zu eingebremst … Bei Montefiascone 4 km grobes Pflaster, ein Kilometer davon wieder mal Schiebestrecke.

Schöne mittelalterliche Städte an der Strecke. Ein Juvel Civita di Bagnoregio.
Nun taucht er in die wunderschöne Toskana ein. Heute etwas früher Abendpause, zwar etwas abseits der Strecke in Acquapendente, aber dafür ist noch ein Abendessen in der angeschlossenen Pizzeria drin.

Der Haken daran nur, dass es keinen Platz für das Rad gibt. Erst, wenn alle Gäste die Pizzeria verlassen haben, kann das MTB in den Flur gestellt werden. Das Lokal war voll …

Tag 4 – 26. April 22 – 185 km/ unzählige Hm

Vor 5 geht es wieder los. Es geht nun vorbei an vielen Orten in der Toskana, die wir von der 1001 Miglia und von unseren Aufenthalten in Bagno Vignoni kennnen. Hoffentlich kann es Hermann etwas genießen …

Das Wetter hält heute. Die Strecke birgt immer wieder Überraschungen, sehr oft gibt es kurze sehr steile Anstiege, auf den Abfahrten kann man es leider auch nur selten richtig schnell rollen lassen. So kommen heute auch nur annähernd 200 Kilometer auf den Tacho. Unterwegs heute viele Natur- und Kulturschönheiten der Toskana: Radicofani, Campiglia d’Orcia, Castiglione d’Orcia, Bagno Vignoni, San Quirico d’Orcia, Castelnuovo Beradenga. Unterwegs trifft Hermann Elena G. und Andrea S., diese sind nicht so ganz frisch heute, da sie mangels Unterkunft in Radicofani nur eingewickelt in Rettungsfolie übernachtet hatten. Auf seiner Fahrt wird Hermann von Tiziano D. abgefangen. Dieser war 2021 auch bei der Northcape4000 dabei, wir haben uns am Ende der Welt, in Honningsvåg, getroffen. Nachtruhe gibt es heute in Radda in Chianti.

Tag 5 – 27. April 22 – 140 km/ ?Hm

„Heute schon üble Schlammschlacht gehabt. 5km schieben. Die letzten Tage hat es geregnet. Heute Wetter ok, aber das Weiterkommen sehr mühsam. Geschwindigkeit nicht mehr wie 2-3km/h …“

Start heute 3:30 in der Früh … Heute großen Teil der Via degli Dei gefahren. Viel schieben. Aber schön. Insgesamt kommt doch ein Schnitt von 8km/h zusammen. Neben einigen Radfahrern sieht man viele Rehe, auch Wildschweine hat er bereits drei gesehen. Es geht weiter durch die schöne Toskana, an Florenz vorbei und dann geht es wieder in die Berge. Der Abschnitt Florenz-Bologna steht als „Schreckgespenst“ vor Hermann. Er beschließt nicht in die Nacht hineinzufahren, sondern kurz nach dem Passo della Futa, vor dem Passo Passeggere in der gleichnamigen Agritur eine verfrühte Nachtpause einzulegen. Um halb neun sitzt er schon bei einem leckerne Abendessen. Gab es gestern ein Glas Chianti, heute ist es der San Giovese. Essen dauert etwas. Dafür gönnte er sich heute zwei Gänge.

Tag 6 – 28. April 22 – 285 km/ ?Hm

Vom Passo Passeggero sollte es abwärts rollen bis Bologna. Allerdings ist das nur tendenziell so, denn Abfahrten werden immer wieder unterbrochen von giftigen Anstiegen. Die Po-Ebene dann ziemlich flach, aber die Gravelabschnitte bremsen ein. Vor Mantua dann der Schock: 40 Kilometer Umweg wegen einer fehlenden Brücke. In Verona dann nächtlicher Stopp. Gabi sieht ihren Hermann bis 11:30 immer noch an der Arena von Verona stehen. Langsam sorgt sie sich …

Später die Entwarnung. Batterien leer und der gute Mann hat nicht auf WhatsApp geschaut, dass seine Gattin vor dem PC wartet.

Morgen stehen noch zwei Berge an mit insgesamt über 5000 Höhenmetern. Das Ziel in Torbole ist in greifbarer Nähe …

Tag 7 – 29. April 22 – 125 km/ ?Hm

„Gestern war in der Arena Rockkonzert. Der ganze Platz davor war mit Menschen voll. Ich habe Rad geschoben“. Da erklärt sich alles. Hermann war beim Rockkonzert, während die Frau auf ein Lebenszeichen gewartet hat … Hahhahaaa!

Heute Zielankunft??? „Heute ohne Proviant los. Habe noch 1 Gel.😱 Bis in die nächste Ortschaft werde ich es wohl schaffen.“

Von Verona geht es über die Lessinia. Abfahrt ins Etschtal und dann auf der anderen Seite Richtung Altissimo wieder hoch.

Kurzweiliger Anstieg mit einem Slowaken. Dann Überraschung, kurz nach dem Stausee kommt mir eine Radfahrerin entgegen. Gabi, meine Göttergattin. Bis zum Corno della Paura ist es wieder unterhaltsam. Durch die Felswände des Corno ist es ziemlich luftig, man sollte schwindelfrei sein, denn ins Etschtal runter geht es weit und der Abgrund ist nah, ein Fahrfehler auf dem gerölligen Boden und deine Italy Divide ist hier beendet …

Katrien treffen wir immer wieder. Die junge Frau aus Belgien ist alleine unterwegs und Hermann ist ihr immer wieder begegnet. Taffe Frau!

Gegen 18:30 Uhr biegen wir nach rasanter Abfahrt von Brentonico um eine Kurve und da liegt er: der Gardasse. Wunderbar in der Abendstimmung. Noch ein Kilometer und Hermanns lange Reise ist zuende und ich habe meinen Mann heil wieder.

Obligatorisches Foto auf dem grünen Brokat-Italy-Divide-Thron …

Nächstes Jahr wird die Italy Divide vermutlich in umgekehrter Richtung gefahren. Darf dann ich? Hermann sagt allerdings: „Das ist ein sehr hartes Brett …!“ Nichts für mich?






Verona Gravel 200 oder der Anfang der Vernunft

italiano

War ich vor ein paar Tagen noch völlig geknickt hinsichtlich der Aussicht, dass ich in „Sport-Pension“ gehen muss und mir ein neues Hobby, sprich Häkeln, suchen sollte, so gibt es doch Lichtblicke. Kurz: ich werde vernünftiger, sprich langsamer unterwegs sein müsse – aber unterwegs … Weiterlesen: ans Ende scrollen.

Zunächst ein Mini-Video

Noch nie habe ich mich so gefreut auf ein vergleichsweise „kurzes“ Rad-Event. Verona Gravel 200. Das auch, weil wir den Corona-Beschränkungen legal entgehen durften und am Gardasee Rad fahren durften. Verona Gravel bietet vier Streckenlängen: 100, 200, 260 oder 460. Hätte ich noch vor zwei Wochen gesagt: „Klaro – 460“, nun aber anbetracht der Tatsachen schwanke ich zwischen 100 und 200. Hermann zeigt sich solidarisch.

Montorio Veronese. Ich habe kaum geschlafen. Um 7:00 gehen wir auf die Strecke. Die Startzeit ist frei wählbar, um Ansammlungen zu vermeiden. Der Tag verspricht wunderbar zu werden. Endlich wieder mal auf zwei Rädern und 200 km sind ja verhältnismäßig wenig … Denken wir … noch …
strava GPX

Verona Gravel. Und das spüren wir schon nach den ersten Kilometern: Es geht ins Gelände und wir dürfen uns freuen über viele Schotterwege und Trails. Schon auf den ersten Kilometern zweifle ich, ob mein Gravel-Bike wohl die richtige Wahl ist – aber mein MTB steht zuhause. Es geht auf und ab und oft auch sehr technisch, so dass auch auf plattebenen Strecken mein Puls in die Höhe geht. Das war so nicht geplant. Ich versuche mich zu bremsen. Schnell ist jedenfalls was anderes.

Nach 50 Kilometern ist es klar: wenn wir so langsam weiterfahren, dann schaffen wir es nie und nimmer bis zum Dunkelwerden wieder zurück zu sein. Und ich Dummkopf habe meine Frontbeleuchtung am Morgen wieder ausgepackt, als mein Göttergatte meinte: „Was wirst du eine Lampe mitnehmen … 200km … da sind wir doch locker gegen 17 Uhr wieder zurück!“ Also Lampe raus. Das Rücklicht kam aber mit und ich habe eine kleine Lampe am Helm, Hermann aber nicht.

Es geht über gröbstes Kopfsteinpflaster, durch Weinberge, hoch und runter, einige Kilometer auf einem schmalen Pfad direkt am Etschufer, durch Brennesseln als Feind der Waden, Rankenpflanzen, die darauf warten sich durch einen Radreifen zu bohren. Wie froh bin ich über meine schlauchlosen Reifen.

Kurz vor der ersten Kontrollstelle in Garda am See, stellt Hermann fest, dass mit seiner Schaltung etwas nicht in Ordnung ist. Kurz darauf steht es fest: Schaltkabelbruch. Er hat nur noch zwei Gänge. Provisorische Reparatur mit einem Kabelbinder. Das hatte er ja schon geübt *lach*, nämlich bei der London-Edinburgh-London und beim Superrandonnée Ötztal-Rundfahrt. Bis Garda, nein bis Peschiera, muss das halten, Schiebepassage bei jedem Anstieg inbegriffen. Die Zeit läuft. Hermann denkt schon dran auf die 100-Kilometer-Strecke zu wechseln. Und hier passiert es das erste Mal – ich verliere meinen Mann. Ich quatsche mit Marina. Wo ist Hermann? Vor oder hinter mir? Keine Ahnung. Bei der Kontrollstelle in Garda kein Hermann in Sicht. Ich fahre weiter. Dann der Anruf: Hermann hatte etwa 20 Minuten auf MICH gewartet … aber nicht an der Kontrollstelle, sondern fälschlicherweise ein paar Hundert Meter vorher, wo ein duzend Radfahrer beisammenstanden an einem Radverleih, in der Meinung hier sei der Kontrollpunkt. Vielleicht sollte man die Carta da Viaggio doch lesen …

In Peschiera holt mein Begleiter mich dann wieder ein und hat Glück, im Bike-Shop, der zweiten Kontrollstelle, wird der Schaden repariert. Ich fahre schon mal vor. Es geht nun sehr schön durch die Moränenhügel südlich des Gardasees, zum Glück ist die Streckenführung nicht mehr ganz so technisch. Dafür wird es geschichtsträchtig: Vorbei an Schauplätzen des italienischen Risorgimento, am Torre di San Martino della Battaglia und Solferino. Kurz vor der dritten Kontrollstelle werde ich von Hermann eingeholt. Die Hälfte des Weges ist erreicht, wir sind seit etwa 6 Stunden ohne Pause unterwegs. Meine Hochrechnung ergibt nun eine Ankunft vor Sonnenuntergang. So gehe ich nach Eis und Orangensaft gelassen auf den Rückweg. Der nächste Schock. Ich rechnete mit 180 Kilometern, das hatte ich irgendwo gelesen, Hermann klärte mich auf, dass es genau 200 seien. Meine Berechnungen stehen also wieder auf wackeligen Beinen und meine Sorgen nehmen bei jeder Gravel-Passage zu. Und derer sind ziemlich viele. Freue ich mich über ein paar Kilometer auf glattem Asphalt, geht es schon wieder scharf ab und über Pfade oder löchrige Schotterpisten, in deren lockeren Belag sich die schmalen Reifen haltlos bohren. Nicht selten laufe ich Gefahr, dass mein Carbon-Esel mich abwirft.

Dachte ich, dass es von Peschiera zurück nach Verona sicher einfacher wird, so täuschte ich mir gewaltig. Felder, schmale Waldwege, dann am Canale Biffis entlang, aber nein, nicht auf dem Radweg, sondern auf einem Pfad auf der gegenüberliegenden Seite. Giorgio Murari, alias Musseu hat sich da schon was Besonderes einfallen lassen. Gegen Ende geht es vorbei an berühmten Bauwerken Veronas. Dann müssen wir uns noch durch verkehrsreiche Veroneser Straßen quälen. Und hier passiert es das nächste Mal: Ich verliere meinen Hermann. Und das natürlich wieder mal, weil frau nicht selten ihren eigenen Kopf durchsetzen will und eigene Vorstellungen der Überquerung der vielbefahrenen Kreuzung hegt. Nun ist er weg, der Hermann … er wartet irgendwo auf mich, während ich schon über alle Berge bin. Das Happy End … wir finden uns wieder und gemeinsam geht es Richtung Ziel – zum Finale …

Die letzten Kilometer verlaufen sehr schön über den Percorso della Salute, auf einem Damm zwischen zwei antiken Kanälen. Und wer wissen möchte, ob wir es vor Einbruch der Dunkelheit ins Ziel geschafft haben: Ja, wir haben! Der Sonnenuntergang spielte sich in der Fossa Murara aus dem 16. Jahrhundert kurz vor Montorio Veronese.

Mit zwölfeinhalb Stunden (reine Fahrzeit 11:23h) neigt sich ein langer Tag nun seinem Ende zu. Dachte ich schon: „Mensch, wie langsam waren wir denn!“, so bin ich mit unserer Zeit sehr zufrieden, auch weil Giorgio irgendwo gepostet hatte, dass es nicht leicht ist, bei diesem Streckenverlauf unter 12 Stunden zu bleiben.

Rückwirkend muss ich sagen, so ein Gravel-Brevet ist DAS, was mir Spaß macht. Man taucht wirklich ein in die Natur, es ist fast wie Wandern, aber auf zwei Rädern. Die 200er-Strecke ist einfach klasse. Dachte ich, dass ich die Gegend schon ganz gut kenne, belehrte mich die Fahrt eines Besseren. Es ist ein sehr abwechslungsreicher wunderschöner Rundkurs fernab der Hauptverkehrswege.

Zufrieden mit 200 Kilometern? Und so kam es …

Postscriptum nun mal vorangesetzt: ein Jahr danach
Visite bei einem anderen Kardiologen. Der sieht das ganz anders. Ich darf alles machen, was mir Spaß macht. Auch die Sportmedizinerin gibt mir ihr OK!!! Die Welt schaut wieder ganz anders aus …

So war es ein Jahr zuvor: Schock bei der jährlichen Sport-Visite . Nach dem Ergometer-Test machte mein Herz einen Stolperer (Extrasystole). Das sollte abgeklärt werden. Der Herzultraschall ergab eine Insuffizienz der Mitralklappe. Fraglich, ob ich die Tauglichkeitsbescheinigung überhaupt noch bekommen werde. Bekomme ich für das kommende Jahr, aber gleichzeitig wurde mir doch „sehr ans Herz gelegt“, gewisse Sportarten mit einer hohen Belastung nicht mehr zu machen. Vergleichbar war das unvermutete Ergebnis, wie wenn ein Sportwagen in Sekundenschnelle von 250 auf 50 km/h gebremst wird. Ich fühlte mich, als würde ich mich x-mal überschlagen und mit Totalschaden im Straßengraben liegenbleiben.
Inzwischen sage ich mir, dieses Schicksal ist im Vergleich zu dem anderer unbedeutend, aber warum ICH? Inzwischen habe ich mich mit dem Gedanken zwar nicht angefreundet, aber nehme es hin.  Glück habe ich ja im Moment, dass ich noch Sport machen kann und das noch lange, wenn es in vernünftigem Rahmen bleibt. Geplatzt ist zwar der Traum mich nochmal für den Ironman Hawaii zu qualifizieren oder für X-Terra-WM auf Maui … ABER: wie viele wunderbare Erlebnisse bei traumhaften Events hatte ich in den vergangenen Jahren schon … UND … Radfahren geht ja noch … ich werde halt langsamer unterwegs sein … und Radeln ist meine Zukunftsvision, wenn ich vernünftig bin.  Ich habe jedoch erfahren können, wie schnell Träume wie Seifenblasen zerplatzen können …

Verrückte Corona-Welt

Geht’s noch? 250€ Strafe (nicht ich), weil mit Rad und Skiern unterwegs zum Ausgangspunkt einer Skitour. Begründung? In den Covid-Bestimmungen ist die „attivitá sportiva“ (Einzahl) erlaubt, also Rad ODER Skier … und nicht „attivitá sportive“ (Plural) Rad UND Skier … Wir verrückt ist denn diese (Corona)- Welt???

Ich habe mich also heute daran gehalten und bin mit dem Auto innerhalb der Gemeinde zum Ausgangspunkt des Skiaufstieges gefahren. Ehrlich gesagt war ich heute auch heilfroh, dass mir die Entscheidung abgenommen wurde nach den vergangenen beiden radkilometerintensiven Tagen:

  • Kalterer-See-Runde (125km) strava
  • Brixen-Terlan, Mölten, Hafling und von Meran wieder zurück nachhause (169km/2100Hm). strava

Mondo pazzo: 250€ di multa (non io), perché con bici e sci in strada per una gita scialpinistica. Motivo? Nel regolamento Covid è permessa l’attivitá sportiva (singolare), quindi bici O sci … e non attivitá sportive (plurale) bici E sci … Quanto è pazzo questo mondo Corona????

Così mi sono attenuto oggi e sono andato in automobile al punto di partenza della salita sci. Onestamente, ero contenta che la decisione è stata presa da me dopo gli ultimi due giorni di gran chilometraggio in bici:

  • Giro del Lago di Caldaro (da Bressanone)
  • Bressanone-Terlano-Moltena-Avelengo-Merano e a casa (169km/ 2100m disl.)

Lockdown- Sport am Wochenende

Viel darf frau im Moment nicht … aber zumindest darf sie von der Haustüre weg innerhalb der Provinz (fast) überall hin. Voraussetzung: zu Fuß oder mit dem Rad.

Also am Wochenende Carbon-Ross gesattelt und los geht’s …

Freitag:
„Feierabend“, was nun? Explorer*in (???)-Tour Gitschberg?
Mit MTB (= nix E-bike) losgezogen, Skier auf Rucksack geschnallt … Ich darf – soviel habe ich verstanden die Gemeindegrenzen überschreiten zu Fuß oder mit dem Rad. Da es in Brixen anscheinend einige Fälle der Südafrikanischen Corona-Variante gibt, tue ich heute gut dran, den momentanen Freiraum zu nutzen. Durch die Gemeinde Vahrn ungeschoren durch. Habe mich auf Schleichwegen durch den Schabser Wald Richtung Mühlbach bewegt.
Auf einmal sehe ich sie … Sie? Zwei Carabinieri-Beamte, bewaffnet (!!!!) hinter ihrem Auto … genau an der Gemeindegrenze Schabs-Mühlbach. Was machen die denn? Durchfahrende kontrollieren … Au weia … und jetzt? Gabi wird nun wohl zurückgeschickt werden, mit oder ohne Strafe? Das ist hier die Frage. Ich halte an. Etwas umständlich … denn die Skier verhaken sich am Hinterrad und katapultieren mich vor …

Die beiden Ordnungshüter schauen mich fragend an … Kleinlaut stottere ich: „Posso passare?“ Kann ich durch? Weiter fragende Blicke. Hmmhmmm, was jetzt? Einer der beiden dreht sich nach links, macht einen Schritt neben den Streifenwagen und guckt … Wendet sich mir wieder zu: „Si!“ Verdattert drücke ich mich hochbeladen zwischen Auto und Mauer vorbei – und versuche mit Stöcken, Skiern und Skischuhen hinten drauf möglichst elegant wieder auf mein MTB zu klettern. Kopfschüttelnd ziehe ich flott von dannen, bevor die beiden Carabinieri es sich womöglich noch anders überlegen. Dann die Erleuchtung: Meine Frage, ab ich durch darf (ich dachte dabei an die rechtliche Seite) hatten die beiden wohl eher logistisch verstanden, das heißt, ob ich mich wohl durch die Lücke Mauer/ Auto quetschen kann – meine Länge und Breite näherten sich so ziemlich aneinander an … mit den auskragenden Skischuhen an den Seiten.
Geschafft, nun liegt noch der Anstieg nach Meransen vor mir. Mit dem schweren Gewicht auf den Schultern, naja, werde es wohl überleben. Aber es geht nicht grad leicht, vielleicht hätte ich was frühstücken sollen und die Mittagszeit ist auch schon vorbei … Und vielleicht ist ein solches Unternehmen mit Intervallfasten auch nicht unbedingt kompatibel. Das Brötchen auf dem Gipfel war auf jeden Fall das beste seit langer Zeit …
Und die Abfahrt auf gewalzter menschenleerer Piste – ein Vergnügen!!!
Am Ende des Tages: 52 km/ 2250 Hm

Samstag:
Kalterer See Runde, wieder mal – mit meinem Göttergatten. Im Bozner Unterland tummeln sich geschätzte Millionen Radfaher*innen. Viele mutig schon in Kurz-Kurz. Brrrrrr! Ich im Zwiebelschalen-Look bin noch eher winterlich gekleidet. Die ersten Blümchen lugen schon aus dem Boden, der See liegt ruhig da – traumhaft schön.
Am Ende der Tour haben wir 125km auf dem Tacho.


Sonntag:
Und weil es am Freitag (Gitschberg) so schön war, unternehme ich dieselbe Tour nochmal (diesmal mit meinem Göttergatten). Und diesmal nach ausgiebigem Frühstück und ohne Zwischenfälle an den Gemeindegrenzen. Diesmal tummeln sich einige mehr Leute am Gitschberg, aber alles Einheimische aus der nächsten Umgebung. Denn so Verrückte finden sich nur selten – nicht wenigen blieb der Mund offen stehen, als wir hochbepackt vorbei radelten …

Herr und Frau L. trennen sich

Trennung … Und das schon das x-te Mal. Denn schon wieder ist es passiert …

Das passiert ihnen regelmäßig. Passiert ist es bei der PBP, bei der LEL, bei der TPBR, es kann aber auch nur wenige Hundert Meter von zuhause entfernt passieren. Sie trennen sich also oft … Zum Glück immer mit Happy End und gemeinsamer weiterer Radausfahrt.
Diesmal war es so: Unterwegs kommt mir Herr L. entgegen und sagt irgendwas (ich als schwache Frau radle immer etwas abgeschlagen hinterher, vor allem, wenn es bergauf geht … auch ein Grund von Frau L. manchmal zu „motschen“: „Immer muss ich allein fahren, andere Paare …“). Also Herr L. hatte da was zu mir gesagt und ist auch schon vorbei. Was? Hat er was verloren? Ich fahre weiter. Dann kommen mir Zweifel. Hinter mir keiner mehr. Als folgsame Ehefrau drehe ich also um. (folgsam? Manchmal nicht so … auch ein Grund, dass wir uns manchmal verlieren …). Mein Navi sagt mir, dass es einen Waldweg gibt auf halber Höhe, also nichts verloren, sondern auf Weg-Suche …  An der Abzweigung wie vermutet … niemand. Ich irre also weiter. Interessant, so nah an Daheim ein Weg, den ich noch nicht kenne. Aber von meinem Göttergatten keine Spur. Na warte! Warte?

Hmhmmm … beeilen tu ich mich jedenfalls nicht. Ich reagiere wie ein trotziges Kind. Der soll gefälligst warten. Fotopause. Pipipause, dann ein Stück, das ich schiebe, obwohl mit etwas gutem Willen wäre es schon fahrbar gewesen. Dann kreuzt ein Weg. Wo soll ich lang? Hmhmmm, keine Ahnung, was DER sich da gedacht hat. Na warte, wenn ich den heute wieder zu fassen bekomme. Spätestens hier wäre zu warten gewesen. Ich zähle aus „Ene mene Muh … und aus bist du …“, also nach rechts, denn die Gedankengänge meines Gatten kann ich hier leider nicht ausforschen, obwohl ich nach bald dreißig Ehejahren inzwischen recht gut darin bin. Ich radle weiter über Stock und Stein. Überlege mir, wo ich nun weiterfahre, werde jetzt wohl meine Rad-Runde allein zuende fahren, dann soll sie zumindest stimmig sein, könnte ja wieder mal einen Tourenvorschlag auf den Blog stellen. Also noch Fotos … Leider nur mit Landschaft oder/ und MTB. Und überlege:

„Verloren“ hatten wir uns in den letzten Jahren zwar häufig, aber auch immer wiedergefunden. Das wird wohl das erste Mal sein, dass wir uns nicht wieder aufspüren. Was soll’s. Ein Jogger-Paar kommt mir entgegen. Volltreffer, einen Mountainbiker in Blau haben sie schon gesehen, aber das ist schon ziemlich lang her. Also ganz falsch liege ich nicht. Etwas später … Da! Da bewegt sich was. Waldboden raschelt. Blau. Hinter den Baumstämmen taucht wer auf … ein verschmitztes, etwas schulbewusstes Grinsen im Gesicht … ER!

Hier haben Herr und Frau L. sich das Ja-Wort gegeben …

Diese Tour ist dabei heraus gekommen …

Und mit demselben Atemzug möchte ich hier erwähnen, dass es noch viele andere schöne MTB-Touren rund um Brixen gibt und auch Rennradtouren. Diese und viele andere schöne Touren in den Nachbar-Ländern habe ich gesammelt und auf den Blog gestellt, immer mit GPX-Download. Siehe Menüpunkt „Tourenvorschläge“

Die Tour: Übers Plateau düsen mit Steger-Bühel

Tourenlänge: 25 km/ 550 Hm
Ausgangspunkt:  Brixen
Gelände: vor allem Waldwege
Zeit: etwa 2 h

Download    strava

Beschreibung:
Von Brixen nach Neustift und hoch nach Elvas. Über Waldwege zum Raier Moos und weiter Richtung Flötscher Weiher. Vorbei am Biotop Sommersürs nach Natz. Weiter durch den Wald nach Viums und Abfahrt über Wanderweg bis oberhalb Schabs. Rechts weg und den Steger Bühel umrunden. Zurück wieder von der Schabser Handwerkerzone durch den Wald nach Neustift.

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