Frau + Karbon = Randonneur(in) - aber nicht nur ...

Kategorie: MTB (Seite 1 von 5)

Alps Divide – Bericht

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Von Hundebissen und mitternächtlichen Schneestürmen …

Mit dem MTB von der Côte d’Azur nach Thonon-les-Bains am Genfer See – 1050 Kilometer und 32.800 Höhenmeter über die Berge entlang alter Militärwege, der Via del Sale, in Angesicht des Königs der Berge, des Mont Blanc, über mehrere namhafte Pässe – das ist Alps Divide. Die Herausforderung nahm ich als Solo-Fahrerin an und machte mich mit meinem Trek Prokaliber und meinem Mini-Zelt auf den Weg.
Nach Panceltic Ultra und Lakes ’n‘ Knödel sollte das der krönende Saisonabschluss werden.
Der Start in Menton, dem entzückenden Côte d’Azur Örtchen, fühlte sich so harmlos an. Niemand konnte vorausahnen, welche Schwierigkeiten sich den rund 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in den Weg legen würden und wie wenige das Ziel sehen sollten … (hier meine Gedanken vor dem Rennen & Planung)

zuerst mein Video:

Das war das Rennen auf Followmychallenge und Dotwatcher

Start Samstag, 7.September 2024

Section 1 von Menton nach Tende (211 km/ 6370 Hm)

Bei sommerlicher Hitze geht es pünktlich um 16:00 nach einem kurzen Briefing los, zunächst polizeibegleitet an der palmenbestandenen Küste entlang, dann in der prallen Hitze, bei über 30 Grad den Hang hinauf. Ich fühle mich wie kurz vor einem Hitzekollaps. Das Wetter verspricht zumindest im Moment stabil zu sein, das Feld zieht sich bald auseinander und ich radle allein dahin.

Das erste Mal schaue ich hoch zum Himmel, als Donnergrollen zu hören ist, dunkle Gewitterwolken hatten sich da zusammengebraut. Und das schon kurz vor Sospel. Das hatte ich nicht erwartet. Ebenso nicht die ruppige Abfahrt über einen steinigen und gefurchten Weg. Die Bäume bieten scheinbar Schutz, zumindest vor dem Regenguss, der nun einsetzt. Regenzeug raus. Am Brunnen in Sospel trifft sich eine größere Gruppe. Also bin ich doch nicht allein. Ich radle weiter. Im Regen. Es dämmert langsam. Die Strecke führt -was ich im Dunkeln erkennen kann- schön am Fluss Roia entlang.

Bis die Strecke abzweigt und nach unmenschlich steilem Anstieg an Verrandi vorbei schlussendlich einem alten nicht gepflegten Militärweg folgt. “Achtung, felsig!” schreiben Katie und Lee, die Organisatoren. Ich schiebe mein vollbepacktes Rad einige Kilometer nach oben, da es mich immer wieder ungnädig aus dem Sattel wirft. Als Leona mich fahrenderweise überholt, versuche ich es auch wieder.

Immer wieder aber hike & bike Passagen. Das hatten wir doch kürzlich schon mal beim Lakes ‘n’ Knödel. Es geht auf Mitternacht zu. Mein Entschluss auch in der ersten Nacht zu biwakieren, setze ich in der Nähe eines verfallenen Stallgebäudes in die Tat um. Ich stelle mein Zelt auf, verliere aber viel Zeit damit, einen Hering im tiefen Gras zu suchen, den es aus der Verankerung gerissen hatte und weg katapultiert. Ohne diesen könnte ich mein Zelt nicht mehr aufstellen. Mein Tun muss ansteckend sein, denn innerhalb kurzer Zeit wird das Gebäude bevölkert und stehen weitere zwei Zelte in der Nähe. Ein Campingplatz sozusagen.

Sonntag, 8. September 24

Schon vor Dämmerung fahre ich weiter. Rechts im Wald ein Geräusch. Was war das? Eine Art Grunzen. Bevor ich mir weiter Gedanken machen kann, galoppiert vor mir von Links nach Rechts ein jugendliches Wildschwein über den Weg. Schnell weg! Bevor Wildschwein-Mama mir Böses will.

Nachts auf der alten Military Road ist es manchmal richtig unheimlich. In Pfützen spiegelt mich mein Vorderlicht und irrlichtert durch die Bäume. Mir fallen ein paar Gedichtzeilen von  Droste Hülshoff ein: O schaurig ist’s über’s Moor zu gehn … bei mir hier: schaurig ist’s allein durch denn Wald zu fahrn …
Irgendwann ist auch der schlechte Militärweg zu Ende, nur um von einer noch steinigeren Abfahrt abgelöst zu werden. Kurz vor Pigna holt mich Jo ein und wir wechseln ein paar Worte. Wir werden uns in den nächsten Tagen noch mehrmals treffen.

In Pigna, einem kleinen italienischen Dörfchen, ist glücklicherweise die Pasticceria geöffnet. Heute ist ja Sonntag. Ich decke mich Brioche und anderem Gebäck ein, bestelle zum Mitnehmen was Herzhaftes, Pizza. Frisch gepresster Orangensaft und der übliche Latte Macchiato (ihr wisst schon: mit zwei Zucker) runden das Ganze ab. Ich komme mit Chris, einem deutschen Radfahrer, ins Gespräch. Für ihn ist das Rennen hier schon zu Ende. Ihm war am Abend zuvor sein Rad gestohlen worden. Schock! Ich bin unterwegs nämlich meist nachlässig, was Rad-Abschließen betrifft. Ich habe sowieso nur eine “Wegfahrsperre” mit, sprich ein dünnes Kabelschloss. Wohl kein Hemmnis für ernsthafte Diebstahlambitionen.

Auf Teer geht es nun viele Kilometer und Höhenmeter hoch. Regen ist angesagt. Ich quatsche mit Jo und Martin und achte kaum auf das Wetter. Regen ist vorausgesagt und schon fallen die ersten Tropfen. Diese arten bald aus in einen ordentlichen Regenguss. Dann der erste Blitz. Krampfhaft zähle ich die Sekunden. Das Gewitter ist nur wenige Kilometer entfernt. Ich bekomme “Beine” und beeile mich. Die schützende Hütte ist nicht mehr sehr weit weg. Außer Atem muss ich bald mein Tempo drosseln und füge mich in mein Schicksal. Vielleicht sieht der Blitz mich nicht, noch bin ich unterhalb der Waldgrenze. Trügerisch.

Am Ende der Teerstraße ein Ristorante. Hierhin haben sich einige Leute hin gerettet. Torsten und Stuart sind schon wieder beim Aufbrechen. Der Chef des Hauses hält davon nicht viel, die kommenden etwa 80 Kilometer über die Alta Via del Sale führt in Höhen über der Waldgrenze und bietet keinerlei Unterstandmöglichkeiten. Und es regnet weiter und lokale Gewitter sind vorausgesagt. Die Zimmer sind allerdings ausgebucht. Ich könnte es in der benachbarten CAI-Hütte versuchen. Bingo! Das Rifugio Allavena hat verfügbare Lager. Mir schwebt nämlich vor den Nachmittag über zu schlafen und gegen Abend, bei Nachlassen des Regens, wieder loszufahren.

Die netten Hüttenwirtsleute kümmern sich sehr nett um uns, eine Gruppe, die inzwischen auf über 10 Leute angewachsen ist. Es gibt Duschen und dann leckeres Mittagessen. Am fröhlich knisternden Bollerofen trocknen inzwischen kiloweise durchnässte Kleider und Schuhe. Dann Mittagsschlaf. Oder besser Mittagsruhe, denn schlafen kann ich um diese Zeit nicht.

Wie vorausgesagt hört der Regen gegen 18 Uhr auf und ich mache mich fahrbereit. Die Hüttenleute versuchen mir mein Vorhaben auszureden, denn in der Dunkelheit diese Strecke zu fahren sei riskant. Sie müssen es wissen. Ich aber bin uneinsichtig und entschwinde vollbepackt in die Dunkelheit. Ich bin noch keine 500 Meter weit gekommen, da mündet der Fahrweg in einen steilen steinigen Weg und verspricht einiges an Schieben. Das hatte Stuart vorausgesagt, als er nach seinem Aufstieg zum Passo Tanarello nochmal zur Hütte zurück musste, weil er seine Dokumente unterwegs verloren hatte. Der Arme! Ein ungemütlicher Wind bläst mir entgegen und im Lichtkegel meiner Helmlampe kann ich erkennen, dass es wieder angefangen hat zu regnen. Ein Spruch kommt mir in den Sinn: “Man soll nichts machen, um andere zu beeindrucken, sondern nur das, was einen selbst glücklich macht”.  Kurzerhand wende ich mein Rad.  Applaus der Hüttenleute und der anderen Alps Dividler brandet mir entgegen, als ich wieder durch die Tür trete.

Ich bin grad zurecht für das mehrgängige Abendessen und dann schließe ich den Reißverschluss meines Schlafsackes.

Montag, 9. September 24

Ich wache gegen ein Uhr auf und begebe mich ans Frühstücksbuffet, das die Hüttenwirtsfamilie netterweise hergerichtet haben, damit jeder starten kann, wann er will. Das Pair Kate und James und zwei Mädels sind schon aufbruchbereit. Ich folge ihnen eine Stunde später. Vor dem Wegfahren habe ich die glorreiche Idee meinen Reifendruck etwas zu vermindern. Klasse Fahrgefühl! (Die knapp 3 Bar waren viel zu viel; am ersten Tag mit einigen Teer-Kilometern vielleicht nicht schlecht, aber im Gelände … kein Wunder, dass es mich wie einen Prellball rumgeworfen hat).

Nach dem ersten Berg folgt eine längere Abfahrt über Almgelände, was ich am gelegentlichen Glockengeläute höre. Hundegebell. Etwas Braunes schießt vor mir aus dem Wald und verschwindet sofort auf der anderen Seite. Einige Kilometer weiter muss ich vom Rad steigen. Ein mittelgroßer brauner Hund pirscht sich von hinten knurrend an mich heran, die Nackenhaare aufgestellt. Keine Schafe oder Kühe weit und breit, aber leere Stallungen.


Ich spreche mit dem Tier und begebe mich auf die andere Seite meines Rades. Der Hund ebenso. Dann wieder zurück. Hund auch. Ich rede freundlich weiter und nestle einen Keks aus meiner Tasche, halte es ihm hin als Beweis meiner friedlichen Absichten. Hund schnuppert nur kurz daran, verschmäht die Leckerei allerdings. Ich mache nach Minuten einen vorsichtigen Schritt nach vorne und spüre was an meinem linken Knöchel, so als wäre ein kleiner Stein gegen mein Bein geprallt, aber da waren keine Steine … das werden wohl die Hundezähne gewesen sein. Ich begebe mich wieder auf die andere Seite. Hund auch.

Ein weiterer zaghafter Schritt nach vorn und die Zähne graben sich tief in mein Bein. Mein Angreifer springt gleichzeitig nach hinten und lässt mich gehen. Mit zitternden Knien verschwinde ich hinter der nächsten Kurve, dort packe ich erst mal mein Erste-Hilfe-Set aus und desinfiziere die blutende Wunde. Aua! Ein Pflaster darüber. Glücklicherweise bin ich gegen Tollwut und Tetanus geimpft und mache mir im Moment keine Gedanken. Aber immer, wenn ich in der Ferne Bellen höre, steigt Panik in mir auf und das wird in dieser Nacht und am nächsten Tag noch oft passieren. In der Dämmerung komme ich wieder mal bei Schafen vorbei. Kein Hund. Weiter unten eine Ziegenherde, aber der Hirte ist auch da.

Beim Mauthäuschen am Beginn der Alta Via del Sale stellt mir der freundliche Kassier seinen SOS-Notfall-Set zur Verfügung und ich kann die Wunde, die immer noch stark blutet, nochmal reinigen und abdecken. Durch die andauernde Bewegung beim Pedalieren hat die Biss-Stelle keine Ruhe. Der Mann erzählt mir, dass in der Nähe kürzlich erst noch wer gebissen wurde.

Ich fahre weiter und freue mich auf die Alta Via del Sale bei wunderschönem Wetter. Die Sonne geht grad auf. Mein Hochgefühl dauert nicht lange, dann wieder Hundegebell, von vielen Hunden. Und schon springt eine ganze Meute riesiger weißer Tiere der Gattung pastore maremmano auf mich zu. Ich in Windeseile vom Rad. Erleichterung, als die Tiere zurückgerufen werden.

Die nächsten vielen Kilometer auf dem berühmten alten Militärweg sind atemberaubend schön. Das Rifugio Don Barbera lasse ich rechts liegen in der Annahme, es sei nur eine kleine Almhütte. Aber ich habe eh noch Wasser und Proviant genug.

Bei einer kurzen Ess-Rast entdecke ich, dass meine Lenkertasche “geflutet” ist vom Regen am Vortag. Meine Powerbank liegt komplett im Wasser. Die ist wohl “hinüber”. Ich kann zwar meine Geräte mit dem Pufferakku, der vom Nabendynamo gespeist wird, laden, aber das ist nicht so einfach. Bei Dunkelheit geht das nicht, da der Dynamo die Vorderlampe speist und beim Bergauffahren wird zu wenig Strom erzeugt. Ich muss also den ganzen Tag gut planen, wann ich ein Gerät anschließen kann zum Laden. Und jetzt ist auch noch meine eiserne Stromreserve futsch …

Dann wieder belebtere Gegend bei Limone Piemonte. Hier war ich vor einigen Jahren zweimal bei einem Berglauf, dem Grand Raid Cro-Magnon, das einmal abgebrochen wurde wegen Schlechtwetters und nächtlichem starken Schneefall auf der Strecke. Ich erinnere mich zurück, nichts ahnend, was auf mich noch zukommen sollte ein paar Tage später.

Dann Abfahrt nach Tende. Aber nicht auf der spektakulären Colle di Tenda – Pass-Straße, sondern auf einer sehr sehr ruppige Schotterpiste und mich ziemlich durchrüttelt. Die Handgelenke schmerzen bald sehr.

Section 2 von Tende zum CP1 Refuge Hotel de Bayasse (196 km/ 5650 Hm)

Ab Tende aber belohnt eine 20 Kilometer lange schnelle Asphaltabfahrt mit Rückenwind. Eis- und Latte Macchiato-Pause an der Tankstelle und dann rein nach Saint Dalmas de Tende. Hier gibt es einen Supermarkt und eine Apotheke. Die Apothekerin verarztet mich nochmal, meint aber, ich solle doch besser zum Arzt wegen der Infektionsgefahr. Sie ist so nett und verschafft mir einen Termin. Bald bin ich aus dem Hospital wieder raus mit einem Rezept für ein Anti- und einem Probiotikum.

Nachtrag zur Verständigung in Frankreich. Ich kann kein Französisch, beispielsweise die  Angestellten in der Apotheke können nur Französisch. Sie konnten auf jeden Fall nicht gut genug Englisch, um mein nicht gut ‘genuges’ Englisch zu verstehen. Aber der Translater tut gute Dienste. Ich spreche auf Deutsch rein, es kommt auf Französisch raus und umgekehrt sie sprechen auf Französisch rein und es kommt auf Deutsch raus und alles ist paletti.

Im Supermarkt treffe ich auf die meisten der lustigen Hüttenrunde einen Tag zuvor. Gemeinsam radeln wir Richtung Col Turini. Als ich Jo meine Verarztung zeige, erzählt sie, dass sie ebenfalls gebissen wurde. Sie wird erst am nächsten Tag beim Arzt vorbei schauen.  

Ich entsorge meinen Müll und schweren Herzens meine Powerbank.
Ein Straßenschild weist nach Rechts, Sospel, Menton. Wie verführerisch. Mindestens 5 Tage habe ich noch vor mir. Wenn die so ähnlich sich zeigen, wie die letzten beiden Tage, dann wird das wohl eines der härtesten Events werden. Wie gut, dass ich hier noch nicht weiß, wie sich das Ganze entwickeln wird … Am besten nur schrittweise vorausdenken, also jetzt mal nur bis zum nächsten “Zeltplatz”.

Samstag und Sonntag war ich so mit dem Fortgang des Rennens beschäftigt, dass ich mir nicht vorstellen konnte irgendwann mal etwas in die Aufnahme-App zu sprechen, nun ist aber alles etwas ruhiger  und gemütlicher, schneller geht es eh nicht und ich kann nebenbei etwas quatschen. Die Erinnerungen an die einzelnen Tage verblassen nämlich sehr schnell.

Meine Gedanken schwadronieren. Ich überlege mir, ob ich nicht auch Wolfsgegnerin werden sollte. Denn die Wölfe sind Schuld, dass ich heute so viel Zeit im Hospital verplempert habe. Gäbe es keine Wölfe, bräuchte es keine Hirtenhunde …

26 Kilometer und 1700 Höhenmeter lang ist der Aufstieg. Es wird langsam Nacht. Ich habe noch keine Idee, wo schlafen. Unterwegs entdecke ich das Zelt von Kate und James, dem Pair. Schlagartig merke ich, wie müde ich auch schon bin. Seit meinem Aufbruch im Rifugio Allavena sind nun gut 19 Stunden vergangen, allerdings mit nur 130 Kilometer und 4000 Höhenmetern, was wohl auf den nicht einfachen Untergrund zurückzuführen ist.

Aus dem Bikepackerleben gegriffen: Abfahrt, alles anziehen, dann wenn die Sonne kommt, wird es warm, Ärmlinge und Beinlinge weg und irgendwo hinstecken. Easy zu merken, Beinlinge kommen dahin, Armlinge dorthin, es gibt ja nicht viele Möglichkeiten, die Lenker-Rolle, die Tasche hinten oder seitlich. Ich merke mir morgens, die Ärmlinge sind in der Rolle links, Beinlinge in der Rolle rechts. Am Nachmittag suche ich zuerst in der hinteren Tasche, dann in der Seitentasche und dann fällt mir ein, ich könnte auch in der Rolle schauen. Ich muss mir unbedingt ein System ausdenken, dass gewisse Sachen immer an denselben Ort gepackt werden.

Wider Erwarten mündet der geschotterte Fahrweg (“Fahr”???) in einer asphaltierten Straße. Weit ist es nicht mehr auf den Colle. Und hier DER ideale Schlafplatz. Eine kurze steile Böschung muss ich erklimmen, darüber ein wunderbarer ebener Platz unter einer Lärche. Ich entscheide spontan, hier zu bleiben und stelle mein Zelt auf.Über mir ein herrlicher Sternenhimmel. Eine leichte Brise führt dazu, dass auch keine nasskalten Nebel sich über meine Schlafstatt legen. Es ist wirklich gemütlich.

Dienstag, 10. September 24

Nach kurzem erholsamem Schlaf breche ich wieder auf. Bald bin ich auf dem Col Turini und gehe in die Abfahrt ins Vésubie-Tal. Die ist allerdings nicht so cool. Es ist ungemütlich kalt, der Weg zum Teil auf nassem und rutschigem Waldboden. Es ist zappenduster, wenn mir hier die Lampe ausfallen würde, nicht auszudenken, ich habe ja auch die Powerbank nicht mehr. Irgendwo Hundegebell. Mir sträuben sich schon die Nackenhaare. Es dämmert endlich. Lissa überholt mich. Ich fahre abwärts eher verhalten. Um kurz vor sieben treffen wir uns vor der Boulangerie in La Bollene. Gut getimt, diese sperrt gerade auf. Und wie leckere Dinge es hier gibt. Ich decke mich fürs Frühstück und untertags ein. Lissa erzählt, dass ihr Smartphone ähnlich wie meine Powerbank die Regengüsse vom Sonntag nicht überlebt hat und nicht mehr funktioniert. Nicht auszudenken.

Mein Zeitplan hat sich durch die unvorhergesehenen Ereignisse beträchtlich verschoben. Ich hoffe, dass ich es heute noch über den Col de la Bonette schaffe, denn der CP1 unterhalb des Gipfels schließt um 1 Uhr heute Nacht. Vielleicht könnte ich dort schlafen und meine Sachen mal waschen. Riecht nämlich alles nicht mehr ganz gut, besonders die Socken.

Weiter taleinwärts mache ich nochmal einen kurzen Supermarktstopp. Ich habe unheimliche Lust auf Yoghurt. Dem muss ich sofort nachgeben, wahrscheinlich braucht mein Körper das gerade. Dann ist das falsopiano, die falsche Ebene, wie der Italiener sagt wieder vorbei und auf traumhaftem Splitt geht es hoch auf den ersten ernsten Berg heute, den Col du Suc. Ich hole Jo und Martin ein. Kurz vor dem höchsten Punkt ist der feine Weg schlagartig vorbei. Große Baumaschinen verlegen den Weg und wir müssen äußerste Vorsicht walten lassen, dass die Arbeiter unsere Anwesenheit merken. Und wieder lange Abfahrt zuletzt lässig über eine Teerstraße und hinein ins Tal des Flusses Tinneé. Mittagessen-Zeit mit Jo.

Es ist heute sehr heiß. Am parallel fließenden Fluss würde ich mich gerne erfrischen, aber davon raten überall große Schilder ab. Meine Rettung ist ein Spielplatz mit einer Wasserzapfstelle. Mit einem Schwengel kurbelt man den Wasserfluss an. Ich wasche meine gesamte Kleidung. Wie ich das technisch mache, um nicht splitterfasernackt dazustehen wird nicht verraten. Eine Weile trocknen die Sachen am Zaun, noch feucht angezogen kühlt mich das bei meiner Weiterfahrt.

In Saint Etienne de Tinneé ein letzter Supermarkt-Stopp mit Feta, Gurke und Datterini-Tomaten, mein griechischer Salat, Yoghurt (ekelhaft, schmecken chemisch und man muss immer mindestens ein Viererpack kaufen), Obst und Kekse für unterwegs.

Es gibt lange nichts mehr und ich muss meine Reserven auffüllen und wohl über den nächsten Berg schleppen. Dort werde ich wohl viel Zeit haben, meine Vorratshaltung zu überdenken. Mein am Samstag in Menton beim Frühstücksbuffet gehamsterte Brot hatte ich erst kürzlich weggeworfen, nachdem ich es zwei Tage über die Berge geschleppt hatte. Auch meine Quinoa-Fertigmahlzeit aus dem Supermarkt landete grad im Müll, auch das hatte ich mitgeschleppt, bis es nicht mehr genießbar war. Und den Apfel, rundherum voller brauner Flecken vom Gerüttel, sollte ich vielleicht auch nicht mehr so lange aufheben.

Auch Wasser trage ich sparsam verwendend immer wieder über die Gipfel, um es beim nächsten Brunnen auszuschütten. Ich treffe Kris W., er muss hier leider aufgrund eines technischen Defekts aufgeben und erzählt, wie kompliziert es ist, hier wieder weg zu kommen. Seine Banane nehme ich dankend an, ich sollte sie noch über drei Berge tragen – nur soviel zur sinnvollen Vorratsplanung *lach* …

Auch Lissa startet nun in Richtung Col de la Bonette, dessen Gipfel auf 2700 m liegt. Später Nachmittag, ich muss mich das erste Mal mit einem Hörbuch motivieren. Weit kann man auf einer geteerten Straße fahren. Die Bergwelt rundherum ist in ein magisches Licht getaucht. Meine Motivation ist seit es dämmert mit dem Tageslicht irgendwie abhanden gekommen. Es scheint mir sehr schwer zu fallen. Ein Blick auf das Höhenprofil erklärt alles: Es hat stellenweise über 15% Steigung. Uffa!

Nun fahre ich auf einem naturbelassenen Weg. Der Aufstieg ist mühsam. Es wird dunkel. Vor mir sehe ich die Radbeleuchtung von Jo, weiter unten auch ein Licht, das muss Lissa sein. Hier muss ich auch wieder runter. Da muss ich besonders aufpassen, um nicht zu stürzen. Hoch über mir sehe ein Licht herumgeistern. Emily kommt vom Gipfel herunter. Ein kurzer Wortwechsel. Kalt soll es sein da oben.

Überraschung. Ich gelange auf eine Teerstraße, die in einer großen Runde um die Gipfelerhebung führt. Als ich auf dem höchsten Punkt bin, ist Jo schon weg. Ich merke auch, warum. Ungeschützt greift der Sturm voll zu. Schnell anziehen und weg von hier.

Die Abfahrt auf dem Aufstiegsweg ist nicht so schlimm, wie befürchtet, aber das was nun kommt, möchte ich niemandem zumuten. Weiter unten sehe ich Jos Lampe irrlichtern. Sie kommt da unten genau so langsam weiter, wie ich hier oben: Der “Weg” gleicht einem Bachbett. Fahren ist unmöglich. Also ist Runter-Schieben angesagt. Und auch dabei muss man hier noch höllisch aufpassen zwischen den Steinen sich mit den Radschuhen nicht umzuknicken und vom Gewicht des Rades nicht umgerissen zu werden. Die Schiebe-Zeit kommt mir ewig vor. Irgendwann ein Auto am Rand geparkt. Wie kommt hier ein Auto hoch. Unvorstellbar. Aber der Untergrund ist etwas besser geworden. Ich versuche es auch auf dem Sattel. Halsbrecherisch überholt mich Lissa.

Endlich da. Im Refuge Hôtel de Bayasse, dem CP1, dem ersten Kontrollpunkt.
Es ist schön warm. Katie und ihre Mutter empfangen uns. Es gibt noch ein warmes Gericht: Quinoa mit Gemüse, so lecker! Im Wohnraum eine (fast) reine Mädelsgruppe. Mein Hirn ist nach den Strapazen der letzten Stunden wohl etwas daneben. Ich erinnere mich an die einfachsten englischen Phrasen und Wörter nicht mehr und gebe wohl ein erbärmliches Bild ab. Was ich aber verstehe, fast die Hälfte der Teilnehmer sind schon ausgestiegen.
Eine heiße wohltuende Dusche und rein in die Federn meines Schlafsackes. Der Wecker vibriert viel zu früh, 5 Uhr. Ich stelle ihn 10 Minuten weiter. Dann packe ich. Meine Berechnungen ergeben, dass ich zum Frühstück in Barcelonnette viel zu früh sein werde. Und dort muss ich bei Öffnungszeit hin, da die nächste Möglichkeit einzukaufen erst bei meinem DNF sein wird, aber das weiß ich im Moment zum Glück noch nicht. So lege ich mich nochmal hin. Einige Leute schnarchen laut, die Luft ist sehr schlecht, ich kann nicht mehr einschlafen und gebe entnervt auf. Wieder mal eine Fehlplanung. Hätte ich den Wecker nicht so früh gestellt …

Section 3 von CP1  nach Bardonnecchia  (210 km/ 5300 Hm)

Mittwoch, 11.September 24

Die 20 Kilometer bergab rollen sind bitterkalt. Die Boulangerie in Barcelonnette will ich gar nicht mehr verlassen. Erst nach zwei pain au chocolat und zwei Cappuccinos kann ich mich aufraffen. Duncan hat sich an den Nebentisch gesetzt, wir quatschen etwas. Später werde ich sehen, dass er in Embrun aus dem Rennen aussteigt. Wieder einer von so vielen, die bisher aufgegeben haben.
Die Strecke führt nun auf einer alten Bahntrasse. Der erste Tunnel ist fast 2 Kilometer lang. Ich wusste nicht, ob ich auf dem richtigen Weg bin. Aber hier nochmal zurück … oje!


Dann kommt der riesige türkisfarbene Stausee in den Blick, der Lac de Serre-Ponçon, an dessen anderem Ende ich Embrun erreichen werde. Von hoch oben sehe ich die lange Brücke über den See, die ich vor einigen Jahren beim Three Peaks Bike Race überquert habe auf unserem Weg von Wien nach Barcelona.  Aber zunächst geht es noch über zwei Berge und durch lange Abfahrten auf Schotter. Ich treffe auf Marc und Webster. Die Aufstiege sind kurzweilig mit Erfahrungsaustausch, dann trennen sich die Wege wieder – ich bin einfach in den Abfahrten eine Schnecke. Kurz vor Embrun treffen wir uns dann wieder im La Cantine, einem supercoolen Burger-Restaurant in der Nähe von Embrun. Das liebe ich an diesen Events. Man trifft viele Gleichgesinnte, fährt mal mit dem einen oder der anderen ein Stück gemeinsam. Mein Nabendynamo lädt irgendwie nicht richtig, auch das noch. Ich werde erst später merken, dass ich den ganzen Tag das Vorderlicht angelassen habe.

Bevor ich mein Nachtlager wieder aufschlage, muss noch ein langer Aufstiege bewältigt werden. Die Strecke über einen Forstweg hoch über Embrun muss ein touristisches Highlight für Geländewagenfahrer sein. Immer wieder kommen allradbetriebene Fahrzeuge, oft Belgier, im Pulk entgegen, Staub und Abgase nebeln mich ein.

Ich lese mit Schrecken auf einer meiner Medikamenten-Schachteln das Wort complément alimentaire. Nahrungsergänzung? Wie? Ich hatte angenommen, diese Tabletten seien das Antibiotikum. Ich hatte bisher also das Antibiotikum einmal am Tag und das Probiotikum dreimal genommen. Wie blöd kann man denn sein! Hoffentlich hatte das keine Auswirkungen.

Das Skigebiet von Risoul ist erreicht und bis zur Dämmerung schaffe ich es hinunter nach Guillestre. Der Ort ist über einen Hügel angelegt, ich möchte da zwar nicht hinauf, aber ich muss, da ich kaum noch Wasser habe.

Dann radle ich dem Kajak-Wildwasserfluss, Le Guil, entlang. Schade, dass man im Dunkeln nichts sehen kann. Bei Château Queyras mit seinem lila-pink beleuchteten Schloss treffe ich Webster wieder. Er hat ein Challet gebucht, er weiß aber nicht genau, wo die Ortschaft liegt. Ich bin jetzt gegen 23:00 Uhr schon bettreif und suche ab hier einen geeigneten Platz mein Zelt aufzustellen.

Das ist gar nicht so leicht. Rechts unzugänglicher Wald, links fällt die Straße steil zu einem, wie man hört, reißenden Bach ab. Es fängt zudem an zu tröpfeln. Irgendwann zweigt ein steiler Weg ab. Am Wegesrand kann ich eine scheinbar ebene Fläche ausmachen. Ich baue mein Zelt auf und als ich endlich im Schlafsack liege, merke ich, dass es doch nicht so eben ist, wie es den Anschein hat. Ich rutsche immer wieder runter von der Matte. Aber die Müdigkeit und die Geräuschkulisse, Wasserrauschen von Bach und das Ploppen der Regentropfen auf das Zelt wirken einschläfernd.

Donnerstag, 12.September 24

Am Morgen ist es sehr ungemütlich feuchtkalt. Ich stelle den Wecker auf vier. Dann weiter auf fünf und starte dann kurz vor sechs. Das Zelt war klatschnass und auch Ausschütteln hilft nicht wirklich. Der Schlafsack ist außen feucht. Zum Glück regnet es nicht mehr. Ich schütte noch etwas Wasser in meine gefriergetrocknete Mahlzeit von Firepot, Geschmack „Baked Apple Porridge” – lecker. Das Päckchen ist mit mir schon durch das Panceltic Ultra und Lakes ‘n’ Knödel gereist. Wie blöd kann man sein. Im Anstieg Richtung Brunissard wird mir wenigstens warm. Bei einem kleinen Dörfchen gucke ich mal, wo die anderen sind und was mich im nächsten Dorf, in Brunissard erwartet.

Kaffeé und Frühstück? Websters Trackingpunkt scheint dort auf, oje, der Arme wird sicher erst weit nach Mitternacht in der Unterkunft gewesen sein. Vor besagtem Ort empfängt mich sehr starker kalter Wind, der talauswärts fegt und leider ist Brunissard wohl schon im Winterschlaf, es gibt gar nichts. Nächste Möglichkeit sich zu versorgen, wird wohl Briançon sein. Aber ich muss noch über den Ayes Pass. Und um dorthin zu gelangen gibt es noch eine längere Schiebestrecke, wie die Beschreibung der Veranstalter androht.

Ein Schild weist zum Col d’Izoard. Ich muss leider links ab ins Gelände. Ein Stück weiter ein Campingplatz und davor ein Brunnen. Mindestens genug Wasser werde ich haben. Das Rezeptionszelt wird gerade aufgesperrt. Einen Kaffeé könnte ich haben, aber das Brot ist leider reserviert für die Campinggäste. Ein Mann mit Hund holt sich gerade sein Baguette ab, reißt spontan ein Drittel davon ab und gibt es mir. Der Mann vom Empfang schenkt mir noch ein Stück Butter dazu. Der Kaffee ist köstlich und ich sitze im Warmen, auch mein Smartphone kann ich laden.

Dann muss ich weiter. Es wird heftig. Weiterhin starker kalter Wind. Sehr steil geht es auf einem Zick-Zack-Weg hoch. Ich schiebe. Wenn das die angekündigte Schiebestrecke ist, ist das nicht so schlimm. Im Hinterkopf schwant mir aber, dass das nicht alles sein kann. Und wie wahr: Hinter der nächsten Biegung weist ein Wanderschild auf einen schmalen Pfad und zum Ayes-Pass. Knapp zwei Kilometer sollen es sein. Es geht gleich zur Sache, es ist sehr steil und steinig. Schieben geht zwar langsam, aber es geht. Je weiter nach oben ich komme, desto mühsamer wird es. Irgendwann bleibe ich außer Atem stehen, vor mir einige höhere Steinstufen. Wie soll ich mein Rad da drüber wuchten? Die insgesamt 20 Kilo fühlen sich an wie eine Tonne. Tragen wäre vielleicht besser. Ich versuche mich seitlich am Rad so zu positionieren, dass ich es huckepack nehmen kann. Fehlanzeige. Das Rad kippt und ich klappe darunter zusammen. Vielleicht geht es mit einer Tragehilfe? Ich verknote meine lange Regenhose und lege eine Schlinge um den Sattel. Diese Lösung ist auch nicht das Wahre, mein Bike reißt mich fast mit in die Tiefe. Also wie zuvor, schieben, Vorderrad hochwuchten und mit Schulter den Rest nachdrücken.
Irgendwann nach ein paar sehr hohen klettersteigähnlichen Stufen bin ich doch oben. Und hinten runter ist ein alpiner Weg mit tiefem Schotter. Ein fahrbarer Weg ist noch lange nicht in Sicht.

Briançon erreiche ich am späten Vormittag. Das Gewimmel in den Straßen erschlägt mich fast. Die Einsamkeit ist mir doch lieber. Also nur schnell das Frühstück nachholen und weiter. In der Boulangerie gibt es leider keinen Kaffee, aber ein Abkommen mit der daneben liegenden Bar: ich kann meine Pain au chocolat dort verspeisen bei heißem Tee und Latte Macchiato im Warmen. Die wenigen Gäste, die draußen sitzen verfolgen interessiert und verwundert, wie ich inzwischen mein Zelt auspacke und zum Trocknen über mein Rad hänge. Ich sehe inzwischen sicher ähnlich aus wie ein Clochard, wie die Wohnsitzlosen, die mit ihrer Habe durch die französischen Großstädte ziehen. Naja, mindesten fühle ich mich so, auch nachdem ich mich im WC-Bereich etwas frisch gemacht habe. Ein blick auf die Dotwatcher-Seite, immer mehr Leute fallen hinter mir weg. Irgendwann werde ich wohl die Letzte sein.

Der Weiterweg ist cool. Ohne viel Steigung führt die Strecke immer parallel zum Fluss Durance. Sehr schön. Das Gelände wäre wunderbar geeignet für einen netten Sonntagsnachmittags-Singletrail-Ausflug. Sehr unterhaltsam, aber für 20 Kilo nicht so geeignet. Ich verfahre mich, da ich mir nicht vorstellen kann, dass es auf der Asphaltstraße weiter geht und den Geländeweg bergauf wähle. 

Dann ist nur noch der Col de l’Echelle zu erklimmen – auf einer gepflegten Teerstraße, ein Übergang von Frankreich nach Italien und Bardonecchia ist erreicht. Ich habe mir von unterwegs ein Appartment gebucht und das steuere ich erst mal an. Ich lasse dort mein immer noch nasses Zelt und den Schlafsack zum Trocknen, esse schnell meine Gefriermahlzeit, die ich hier, welch Luxus, mit heißem Wasser aufbereiten kann. Auch diese Mahlzeit ist im Sommer schon Tausende Kilometer mit mir unterwegs gewesen. Irgendwas mache ich bei meiner Planung wohl falsch und kein Wunder sind die über 20 Kilogramm. Tactical Foodpack, Geschmack Meat Soup. Sehr sehr lecker!

Section 4 von Bardonnecchia zum DNF in Modane, Valfréjus  (87 km/ 3100 Hm)

Dann mache ich mich auf den Weg zum Col de Sommeiller. Es ist inzwischen schon später Nachmittag, etwa 16 Uhr. 1800 Höhenmeter auf knapp 30 Kilometer – am späten Abend sollte ich wohl wieder zurück sein. Noch weiß ich jedoch nicht, was auf mich zukommt. Sonst hätte ich mich vermutlich nicht entschieden loszufahren. (Die Alternative wäre jetzt etwas zu schlafen und gegen Mitternacht zum Col zu starten. Das hätte im Nachhinein getrachtet allerdings dazu geführt, dass ich den Berg gar nicht geschafft hätte). Vor mir sind gerade noch zwei Fahrer beim Aufstieg, etwa 9 Kilometer vor mir, Torsten und Petr.

Die ersten 8 Kilometer und etwa 700 Höhenmeter sind feinster Teer. Das nun folgende flache Schotterstück wird allerdings unterbrochen von einer Umleitung über einen Wanderweg, erst steil runter, dann zusätzliche Höhenmeter hoch. Beim Stausee kommt mir eine vermummte Radfahrerin entgegen: Leona. Oben absolut winterliche Bedingungen, so etwa 3 Stunden werde ich wohl für den Anstieg brauchen. Mir scheint das viel und motiviert fahre ich weiter. Der Schotterweg steigt nun kräftig an, ist aber gut fahrbar. Es dämmert. Noch aber kann ich die Aussicht auf die faszinierende Bergwelt genießen. Glockengebimmel gibt den passenden Rahmen, Kühe gibt es hier oben auf fast 2600 also auch noch. Es wirft mich vom Rad … Upps! Große Steine zeugen davon, dass sich der Untergrund schlagartig geändert hat. Zum Teil recht unwegsam wechsle ich zwischen Schieben und Fahren. Dann irgendwann ist fast nur noch Schieben angesagt. Ein argwöhnischer Blick auf mein GPS-Gerät, es sind noch fast sechs Kilometer und nur noch etwa 400 Hm bis zum höchsten Punkt. Ich schalte meine Lupine-Helmlampe zu, da die nabendynamobetriebene Vorderlampe bei dieser „Geschwindigkeit“ zu wenig helles Licht gibt. Die dicke Lupine-Batterie dürfte noch genügend geladen sein – hoffentlich.

Waren die Temperaturen unter der Waldgrenze recht angenehm, so ist es hier bitterkalt. Der starke Wind tut sein Übriges, um den Körper auszukühlen. Ich ziehe Regenhose und -jacke an. Über die kurzen Radhandschuhe streife ich die dünnen Merinohandschuhe und darüber noch welche mit langen Fingern. Recht dick ist das alles zusammen aber nicht und der kleine Finger fühlt sich schon kalt und taub an. Wie wird das weiter oben werden und auf der Abfahrt? Werden meine klammen Finger es noch schaffen zu bremsen? Meine Skinfit Primaloft Fäustlinge liegen gut in der Schublade zuhause. Sie sind beim Packen dem Minimierungsversuch zum Opfer gefallen.

Durst! Ich bleibe wieder einmal stehen, um einen Schluck aus dem Trinkrucksack zu nehmen. Aber was ist das? Nichts geht mehr. Schon leer? Nein, im Schein der Helmlampe sehe ich das Eis im Schlauch, auch die Trinkflasche ist eingefroren. Ein Blick auf meine Garmin … Minus 6°C!!

Schneetreiben bei -6°

Warum kommen die beiden vor mir nicht entgegen? Mir schwant Böses – das Terrain wird wohl nicht einfacher werden. Endlich ein Licht vor mir. Torsten. Ich klage ihm mein Leid, dass ich in der letzten halben Stunde unzählige Male beschlossen habe umzukehren, ich sei doch nicht lebensmüde. Es wird zwar nicht besser auf dem Weg nach oben, aber mir fehlen doch nur noch etwa 2 Kilometer. Wenn ich es bis hierhergeschafft hätte, soll ich doch das bisschen noch hochwandern. Mit einem Bein am Boden holpert Torsten -er hat warme Fäustlinge sehe ich neidisch- weiter abwärts.  und ich ein paar Meter mit leicht erhöhter Motivation schiebe weiter, bis zur nächsten Kurve. Soll ich doch zurück? Zwei ICHs disputieren. Sofort umkehren!! Nein, weiter gehen, mir wird das sonst leidtun, so kurz vor dem Gipfel klein beigegeben zu haben. Petr kommt entgegen. Noch etwa eine halbe Stunde und ich hätte es geschafft. ABER: Dann bin ich oben und dann? An den Rückweg sollte ich auch denken. Weiter hike & bike? Noch lange in dieser lebensfeindlichen Höhe? Ich wage gar nicht daran zu denken, was alles passieren könnte. Das ganze Unternehmen – Leichtsinn pur!!

Wieder mal muss ich über einen Schuttkegel steigen. Erdrutschmaterial? Ich kann es nicht gut erkennen, nur, dass der Fahrweg immer wieder unterbrochen ist. Dann nur noch ein paar Meter und ich bin oben. Hier stürmt es gewaltig. Raus aus den Handschuhen und das Pflicht-Foto der Tafel mit den vielen Aufklebern schießen. Das ist wohl ein Fehler, ich habe in Sekunden kein Gefühl mehr in den Fingern. Ich drehe um und bewege mich abwärts. Meine warme Windjacke kann ich erst etwas weiter unten anziehen im Schutz eines großen Steines. Den Reißverschluss bekomme ich kaum zu mit meinen eingefrorenen Fingern. Wie konnte ich mich bloß in so eine Situation bringen? Jetzt nichts wie weg hier!

Ich senke meine Sattelstütze ab und versuche so gut es geht über den unwegsamen Pfad abwärtszurollen. Es geht stückeweise besser als gedacht, manchmal genügt es mit einem Fuß auf dem Boden das Gleichgewicht zu halten, dann wieder muss ich runter vom Rad und schieben. Es ist anstrengend, aber das ist auch gut, so ist mir nicht so unheimlich kalt und ich werde auch nicht schläfrig.

Ich bin schon fast wieder auf besserem Untergrund, da sehe ich ein Licht. Eine Fata Morgana? Die gibt es doch nur bei großer Hitze … Es ist Webster. Inzwischen treibt der Sturm dicke Flocken vor sich her. Und der Schnee bleibt schon liegen auf dem Weg. Ich halte und spreche kurz mit Webster. Informiere ihn, dass hier die Schiebestrecke beginnt und dass es eisigkalt ist. Ich wünsche ihm viel Glück. Er stapft weiter, ich rolle weiter. Inständig hoffe ich, dass Webster vernünftig ist und bei diesem Schneetreiben nicht weiter geht. Ich werde weiter unten Katie, der Veranstalterin schreiben, sie solle ihn in dieser Nacht im Auge behalten. Auch Hermann informiere ich, dass ich bei der Waldgrenze sei und nun nur noch leichtes Gelände vor mir liegt. Gegen ein Uhr bin ich in meiner Unterkunft. Eine heiße Dusche belebt meine eingefrorenen Körperteile. Ich sinke ins Bett und sofort in Tiefschlaf. Bei Öffnung der Boulangerie wollte ich vor Ort sein, das heißt ich muss nicht so früh raus.

Freitag, 13.September 24 – schlechtes Omen????

Um 7 klopft es Sturm. Eine aufgeregte Hotelmanagerin steht vor der Tür. Weil ich verbotenerweise das Rad mit in den Wohnbereich genommen habe? Nein, sie wollte nur wissen, ob ich „safe“, wohlbehalten im Zimmer sei. Denn es werde nach mir gesucht. Langsam verstehe ich. Meine Tracker Position ist noch oben am Berg. Mein Smartphone ist aus und niemand kann mich erreichen. Große Aufregung bei Veranstaltern und Hermann, die sich alle Sorgen machen und kurz davor sind, eine Rettungsaktion zu starten.

Im Nachhinein betrachtet – eine Rettungsaktion wäre wohl zu spät gekommen, hätte ich mich dort oben verletzt. Ausgekühlt ist man schnell und bei vermutlich mehr als 6° unter Null droht wohl der Erfrierungstod. Wie der kanadischen Frau, die am selben Wochenende in der Nähe meines Heimatortes bei einer harmlosen Wanderung erfroren ist.  
Webster war übrigens vernünftig genug nicht mehr weiterzugehen und gelangte wohlbehalten ins Tal.

Am Morgen ist Bardonecchia wie ausgestorben, die Sommersaison ist vorbei und fast alles zu. Kein Bäcker, kein kleiner Shop im Ort. Ich finde eine Boulangerie, die aber keinen Kaffee hat und nur süße Sachen. Heute sollte ich nicht so schnell eine weitere Versorgungsmöglichkeit erreichen.

Der alte Militärweg hinauf zum Colle Rho ist nicht gepflegt. Sehr holprig, steinig und ziemlich steil geht es bergauf. Für mich und mein schwer bepacktes Rad bedeutet das fast 6 Kilometer hochschieben. Die Gipfel rundum sind in eisige Nebel gehüllt, die Sonne kommt zwar ab und zu durch, meine Wasserreserve ist allerdings schon wieder zu Eis geworden. Zudem bringt der stramme Wind immer mal wieder einen Schub Schneeflocken.

Meine Motivation schwindet. Alle paar Minuten suche ich einen Grund stehen zu bleiben. Foto. Was essen. Auf Followmychallenge schauen, wo die anderen noch Verbliebenen sind. Mit Hermann telefonieren, ob es nicht gescheiter sei, abzubrechen. Wetterbericht konsultieren. Meine Lage bemitleiden. Der Gründe anzuhalten, gibt es viele.

Dann bin ich auf Km 67, hier sollte das hike & bike beginnen. Nanu? Das begann bei mir ja schon 4 Kilometer früher … Aber hier geht der Militärweg in einen schmalen Wanderweg über. Ein Schild informiert mich, dass ich auf dem Pian dei Morti bin. Hallelujah. So weit ist es schon, auf der Hochfläche der Toten. Ein Fingerzeig? Nein, in diese Liste möchte ich noch nicht aufgenommen werden. Hier ist der Untergrund ganz gut schiebbar. Soll ich doch noch ein bisschen weiter gehen? Falls das Gelände sich so entwickeln würde, wie beim Col de Ayes zwei Tage zuvor, das würde ich körperlich nicht mehr schaffen: mein Rad über Steinstufen hochheben. Wieder muss ich mich gegen eine Sturmböe stemmen. Jetzt ist es aber genug! Ich wuchte mein Rad um 180° in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Jetzt umdrehen und ich käme von Bardonecchia vermutlich ganz unkompliziert mit dem Zug weg, auf der Gegenseite runter und ich wäre schon wieder in Frankreich.

Torsten F.

Da! Eine orange gewandete Gestalt. Torsten. Hat er mich auf dem Sommeiller schon zum Weitergehen überredet, so schlägt er nun in dieselbe Kerbe: Gabi, du bist jetzt ja schon fast oben, nur noch weniger als 2 Kilometer bis auf die Passhöhe. Überredet, ich schiebe weiter, nachdem wir uns gegenseitig beim Fotografieren fotografiert haben. Ähnlich wie beim Witz „Treffen sich zwei Jäger. Beide tot!“ – treffen sich zwei Mountainbiker bei der AlpsDivide … naja, noch nicht ganz schachmatt, aber beide haben auf dem Beweisfoto das Smartphone vor dem Gesicht … Im Ernst der Situation muss ich doch ein wenig lächeln.

Den Pass kann ich vor mir schon erkennen. Zwei E-Biker sind vor uns. Und die schieben. Warum wohl? Der letzte halbe Kilometer verlangt alles ab. Der Schneematsch ist geschmolzen und hat einen schmalen äußerst steilen Schlammpfad hinterlassen. Unter meinen Schuhen habe ich in Kürze 10 Zentimeter-Stöckel. Um die Reifen wickelt sich die Masse und macht das Rad zentnerschwer.

Die Fortbewegung erfolgt in Zeitlupentempo: Rad einen Viertel-Meter vorschieben, Bremsen drücken, einen Schritt nach vorne machen, einen halben Schritt auf der seifigen Masse zurückrutschen. Alles von vorne. Ein rascher Blick zurück, Torsten ist auch nicht schneller.

Ich bin fix und fertig, als ich endlich oben bin. Hier ist der Sturm, der ungebremst von Norden durch das Tal hochweht gewaltig. Schnell alles anziehen, was ich habe und versuchen das Rad notdürftig vom Schlamm zu befreien. Sogar auf dem Bremssattel hat sich ein Haufen Matsch angehäuft. Dieser ist jedoch stocksteif gefroren und lässt sich leicht wegschnippen. Das tiefgefrorene Material auf den Reifen fällt beim Runterschieben weg.

Runterschieben. Das Gelände ist hier hochalpin. Höchste Vorsicht ist geboten, damit man sich nicht verletzt oder das schwere Bike irgendwo runterkugelt. Eine Windböe erwischt mich seitlich, mir wird das Bike aus der Hand gerissen und die Hinterseite wird gegen einen Stein geschleudert. Schock. Ein Kontrollblick, ob noch  alles heil ist. Anscheinend. Nur die Seitentasche, meine Tailfin Panier Bag, hat einen Riss abgekommen. Schade!

Ich mache mich weiter an den Abstieg. Irgendwo ganz weit unten kann ich wieder fahren. Ich komme vorbei an Almen und dann am Skidorf Valfrejus. Wie ausgestorben natürlich.
Weiter unten im Tal dann ein Supermarkt im Örtchen Modane. Ich friere so von der Abfahrt und bin ausgehungert. Ich verplempere viel Zeit mit Überlegungen, was nun tun. Warte auf Torsten, um zu erfahren, was er vorhat. Aber ich treffe ihn nicht mehr. Ein Blick auf meine Skizzen zeigt, dass ich in den nächsten Tagen immer wieder lange auf über 2000 m Meereshöhe unterwegs sein würde. Die WhatsApp-Nachricht von Katie, dass es einige Ausweichstrecken gebe, geht irgendwie an mir vorbei. Verfroren wie ich bin, möchte ich das nicht noch weitere zwei Tage haben.

Ich gebe meinem Vernunft-Ich nach: Ab ins nächste Hotel und unter die heiße Dusche!
Ich verschwende an den nächsten Tagen zwar (fast) keinen Gedanken mehr, wie „hätte ich doch … wäre ich …“ , aber die Info, dass Torsten einen Berg weiter ausgestiegen sei und Leona auch, hat mich doch darin bestärkt, richtig gehandelt zu haben.



Stolz bin ich doch, so weit gekommen zu sein. Von an die 100 Starterinnen und Startern haben sehr viele das Rennen vorzeitig beendet.  Ganz grob gesagt, pro 100 Kilometer jeweils ein Ausfall von 10. Und ich bin immerhin bis km 700 gekommen und habe über 20.000 Höhenmeter zurückgelegt.

Samstag, 14.September 24

Heimfahrt:
Am nächsten Tag fahre ich über den wunderschönen Mont Cenisio runter ins Susa-Tal. Mein Plan die 600 Kilometer über den Comer  See, Maloja Pass und das Vinschgau heim zu radeln hat sich allerdings in Susa beim Anblick des wartenden Zuges in Luft aufgelöst. Nach Mitternacht bin ich so wieder zuhause.

Eine Rechnung habe ich offen mit der Alps Divide, jetzt nach meinem ersten DNF.
Werde ich dort nochmal starten? Das Rennen ist durch die vielen Höhenmeter sehr hart, aber machbar. Die Gegenden auf jeden Fall wunderschön. Aber das Wetter muss mitspielen.
Mal sehen …

Lakes ’n‘ Knödel

english italiano

Frau allein im Wald. Kaum ist der Reißverschluss meines kleinen Zelts zu und ich eingemummelt in den Schlafsack, höre ich seltsame Geräusche. Ich halte die Luft an und lausche schockstarr mit weit aufgerissenen Augen. Was ist das da draußen? Das und warum ich am zweiten Tag mit dem Schimpfen gar nicht mehr aufhören kann – lest nach dem Video weiter …

hier meine Vorbereitung zu LnK

Premiere von Lakes ’n‘ Knödel:
730 km/ 15.200 Hm von Fuschl nach Bregenz graveln …
Durch den Wortlaut in der Ausschreibung habe ich das Ganze etwas unterschätzt … wahrscheinlich nicht nur ich …

Tag 1: Start – CP1 Blecksteinhaus:
233,11 km/ 3.302 m 
Bewegungszeit: 14:09:59

Pre-Start. So viele Leute, schauen alle so jung und professionell aus, es wird gefachsimpelt. So wie es aussieht werde ich da wohl im hinteren Drittel mitfahren werden. Besonders auch deshalb, weil meine Beine nicht ganz erholt sind nach den Strapazen des Panceltic-Ultra Race, das ich zwei Wochen zuvor gefinisht hatte; 2300 Kilometer der Küste Schottlands entlang mit unsäglich steilen Aufstiegen – das wird mir hier wohl erspart bleiben, DENKE ICH …

Ich freue mich auf ein paar Tage Radeln durch schöne Landschaften, Knödel essen, mit netten Leuten Erfahrungen austauschen, einfach eine feine Tour fahren, so wie es in der Ausschreibung irgendwie rüberkam. Wie ich mich da getäuscht habe …

Der erste Tag von Fuschl bis zu den ersten Bergen verspricht einfach zu werden. Ich fahre über 200 Kilometer, bis zur ersten Schlafpause. Naja, ganz so leicht ist es dann doch nicht. Ich erinnere mich an die Aussage Bastians beim Briefing: „Ihr werdet mich manchmal hassen …!!“  Immer wieder gibt es Abstecher ins Gelände und da wird es meist mega schlammig durch den Regen der vergangenen Tage und es gibt ein paar Schiebepassagen, mit 20 Kilo Rad & Gepäck ziemlich anstrengend.
Am Tag zuvor hatte ich ein Problem mit der Schaltung, die Clemens vom Hotel Jakob wohl durch Entfernen eines Kettengliedes behoben hatte, weiters war viel Luft aus meinem Hinterreifen entwichen und Finn von der Rezeption half mir Milch nachfüllen. Erst, als der Reifen richtig in die Felge sprang schien der Reifen dicht zu halten. Unterwegs merke ich jedoch, dass etwas Luft wieder raus war. Ich habe eine kleine Pumpe mit, feiner wäre halt eine ordentliche Standpumpe. Meine Nachfrage über einen Gartenzaun ist erfolglos. Ich frage noch, ob es einen Gartenschlauch gäbe, mit dem ich Rad und Taschen säubern könnte. Ja! Mit blitzblankem Rad fahre ich weiter, merke aber bald, dass das vergebliche Liebesmüh war, denn die Strecke führt fröhlich weiter durch Matsch. Eitelkeit ist hier wohl fehl am Platz.

Nach dem Chiemsee und Eis- und Kaffeepause radle ich weiter. Im Westen drohen dunkelgraue bleischwere Wolken. Ich habe Glück und fahre immer in die Richtung, in der es etwas heller ist. Dann aber eine riesige gelb-graue Wolkenwalze aus der es schon blitzt. Die Donner erschrecken mich, panisch suche ich einen Unterstand und finde ihn in einem Bushäuschen, bevor es voll anfängt zu schütten. Hier hocken schon zwei weitere Teilnehmer. Eine Stunde etwa müssen wir das Unwetter aussitzen.

Nun geht es etwas auf dem Inn-Damm weiter und in Raubling biege ich ab von der Strecke zu einer Tankstelle. Es gibt auf den nächsten etwa 100 Kilometern keine weitere Verpflegungsmöglichkeit. Eine fröhliche Runde trifft sich hier.

Bei Dämmerung fragte ich in einem Berggasthof nochmal um eine Pumpe. Erfolg. Der Chef des Hauses verschwindet nebenan im Haus, kommt mit einer altertümlich anmutenden Pumpe zurück und macht sich, bevor ich einen Einwand machen kann, an meinem Hinterrad zu schaffen, haut mit Gewalt die Pumpe auf das Ventil, pumpt etwas und zieht das Ding wieder ab. Oh, Schreck, Das Absperrventil sitzt nun schräg, es ist stark verbogen. Wenn ich das nun vorsichtig zurückbiege, bricht es womöglich ab … Also lasse ich es so, wie es ist, bekomme aber die Ventilkappe fast nicht mehr aufgeschraubt.

Weiter fahre ich in die Dunkelheit. Ich hatte laut Plan eigentlich vor, vor dem nächsten Berg zu schlafen, aber ich bin früher dran als gedacht und überquere diesen noch. Vor Bayrischzell finde ich einen kleinen Spielplatz, wie geschaffen für mein Nachtlager. Mein Zeltchen stelle ich auf und merke erst, als ich mich darin einrichte, dass das Gelände nicht eben ist. Ich rutsche immer wieder von der Matte, die Nachtruhe ist dementsprechend unruhig.

Früh, gegen drei Uhr, packe ich. Viel zu lange brauche ich, um meine Siebensachen zu systemieren, wo ist bloß der zweite Socken und wo nur der Handschuh? Das Stirnband finde ich auch erst nach langem Kramen. Hier im Zelt ist anziehen sowieso eine Bauchmuskelübung, da es so nieder ist. Ich fahre weiter. Der Bäcker im nächsten Ort hat natürlich noch nicht auf.

Tag 2: CP1 – CP2 Plumsjoch-Hütte
145,57 km/ 4.303 m
Bewegungszeit: 14:10:29   
    

30 Kilometer sind es noch bis zum CP1 auf dem Blecksteinhaus nahe dem Spitzingsee.

Landschaftlich ein Traum, es geht über Almen, durch eine Schlucht bis ins Valepp. Hier war ich dieses Jahr bei der Watzmann-Arber-Rundfahrt (600km/ über 10.000Hm mit dem Rennrad) schon mal. Die schmale Straße führt in angenehmer Steigung durch ein Tälchen nach oben. Dachte ich, denn mein Track führt parallel dazu, immer in Sichtweite der Straße über groben Schotter. Immer wieder muss ich absteigen, denn es sind geröllgefüllte Gräben zu durchschiebe. Zu allem Überfluss fängt es nun auch noch an zu schütten. Regenzeug raus. Die Füße sind im Nu klatschnass. Durchnässt komme ich bei CP1 an. Es gibt einen leckeren Knödel auf Salatbeet.  Ein ungewöhnliches Frühstück, gibt aber Kraft für die Weiterfahrt. Und es gibt eine Luftpumpe!

Inzwischen hat es aufgehört zu regnen und ich breche wieder auf. Über den Spitzingsattel bis zum Schliersee natürlich nicht bequem über die Teerstraße, sondern im Gelände. War am Tag zuvor einiges auf Asphalt, so dreht sich das Verhältnis heute um, angenehmen Teer gibt es nur noch selten. Das Wetter ist durchwachsen. Immer wieder nieselt es

In Gmund am Tegernsee fülle ich meine Reserven auf für die nächsten einsamen 100 Kilometer etwa. Auf einem schmalen Fußgängerbrückchen kreuze ich einem Spaziergänger mit Hund: „Wer hotn sich dera Streckn ausgsuacht? De Radler  schindn sich olle wie di Verrucktn. Wo miaßtn es hin? Ja, des gang jo do untn viel leichter ibr di Stroßn!“ Ich frage: „Ist es verboten?“ – „Na, obr do isch jo kniehoach Sumpf!“

Heute wird es laut Plan mega „böse“, Einsamkeit, viele Berge, große Steigungen. Wo ich wohl am Abend landen werde? Das Karwendel darf man jedenfalls nur tagsüber befahren, Disqualifikation, wer sich zwischen 20 Uhr und 6 Uhr früh zwischen Pertisau am Achensee und Scharnitz aufhält.

Die Strecke führt nun durch dichten Wald der bayrischen Voralpen. Sehr steile Steigungen zwingen mich zu ziemlich einigen langen Schiebepassagen. Wegen Holzschlägerungsarbeiten war die Strecke kurzfristig umgeleitet worden. Ich hatte den neuen Track auf meiner Garmin. Es ist inzwischen sehr heiß, im Wald angenehm. Nach einer steilen Abfahrt nach Bad Wiessee am gleichnamigen See lege ich eine Mittagspause auf einer Bank ein. Während ich mein Sandwich verspeise, schaue ich zufälligerweise mal auf der Trackerplattform nach. Komisch, da wo ich bin, ist kein Teilnehmer, alle sind etwas weiter oben im Wald.

Verwirrt rufe ich Bastian an, der kann sich das auch nicht erklären. Meine Garmin zeigt mir an, ich sei richtig, laut Livetracking bin ich aber abseits der Strecke. Zu allem Unglück blockiert meine Garmin und ich muss erst googeln, wie ich sie ganz ausschalten und neu starten kann. Das gelingt zum Glück. Bastian hat mir angesagt, ich müsste kurz zurück zur Strecke. Kurz, ja, aber die 20% Teerstraße in der prallen Sonne hochschieben, ist kein Vergnügen.

Im Wald dann fädle ich vermeintlich richtig ein.  Garmin scheint einverstanden zu sein. Ich schiebe ein überaus steiles Tal hoch, als ich bemerke, dass die Linie auf meinem Navi, der ich folgen muss, nicht dunkelviolett ist, sondern heller. Schreck! Das bedeutet, das Navi zeigt eine Ausweichstrecke. Was, wenn die mich nicht richtig leitet?  Es wird immer steiler, manchmal rutsche ich mit meinen Schuhen zurück. Wenn ich nun die ganzen Höhenmeter wieder runter muss? Das würde ich wohl nicht packen. Und was, wenn das zur Disqulifikation führen würde, weil ich ja offensichtlich falsch bin. Fast bin ich den Tränen nahe, da sehe ich vor mir einen anderen sein Rad schieben. Erleichterung! Dann bin ich wohl doch auf der korrekten Spur.

Weiter oben fädle ich in den dunkelvioletten Track ein. Gerettet! Bei einer Hütte treffe ich auf mehrere Leidensgenossen. Die sind alle das Tal hochgeschoben.

Es geht nun bergab. Bald auch hier eine Schiebestrecke. Einige mutige Gravelbike-Fahrer überholen mich halsbrecherisch. Etwas weiter aber hole ich sie wieder ein. „Ich habe grad meine Hose geschräddert!“, berichtet der eine.  Zum Glück ist nicht viel passiert, nach Desinfektion der Wunde am Oberschenkel fahren die beiden auch weiter. Mich bestärkt das darin, vorsichtig, wenn dadurch auch langsamer zu fahren.

An der Grenze zu Österreich ist es nach weiteren zermürbenden Schiebestrecken und gegenseitigem Leidklagen schon später Nachmittag. Ein Grüppchen begibt sich in die nächsten beiden Anstiege. Was da wohl auf mich noch zukommen würde? Ich beschließe ein paar Hundert Meter von der Strecke ab in einem Gasthof noch eine Suppe zu essen und mich dann an den Aufstieg zu machen.

Zehn Kilometer geht es nur auf eine Alm hinauf. Wider Erwarten ist (fast) alles fahrbar. Dann hinunter nach Steinberg am Rofan und wieder hoch, steiler nun. Nach einer Alm wird es noch steiler. Der Weg ist ausgewaschen und führt über faustgroße Steine. Am höchsten Punkt verliert sich der Weg auf einer Almwiese. Irgendwie bleibe ich auf der vom Navi vorgegebenen Spur und finde den Weg wieder. Schiebestrecke, dann ab einer Alm wieder fahrbar, in Richtung Achensee. In Österreich ist es strengstens verboten zu biwakieren, auch Notbiwaks sind nicht erlaubt.

Meine Idee, irgendwo am Ufer des Achensees zu schlafen, gebe ich auf. Ich finde aber auf der Almstraße kurz vor Achenkirch ein Plätzchen neben dem Almweg. Der Schlaf ist kurz, aber erholsam, ich stelle den Wecker noch zweimal um 10 Minuten weiter, ich habe ja keinen Stress, ob ich um 6 Uhr Richtung Plumsjoch starte oder etwas später, ist egal.

Packen, was diesmal schon schneller geht, fast jeder Handgriff sitzt. Bis ins Ziel werde ich wohl Profi.

Vorgangsweise am Abend: Platz finden, Zeltutensilien raus aus der Cyclite-Lenkerrolle, Unterlage ausbreiten, Zelt aufstellen, ordentlich spannen, Schlafsack raus, Matte aufblasen, Kopfkissen ebenso. Umziehen und alles in den Schlafsack stopfen, Schlaf-Shirt an, Jacke darüber und Primaloftjacke darüber, frische Socken an, dünne Hose an, Pflegecreme auf Allerwertesten, Regenhose auch an, Zähne putzen, in Schlafsack schlüpfen, Zelt zu, Licht aus.

Vorgangsweise am Morgen: Zeug aus Schlafsack rausfischen, in richtiger Reihenfolge neben mir hinlegen, im Zelt aufsitzen, Schlafzeug ausziehen, Radzeug an, Matte und Kopfkissen aufstöpseln, alles in die richtigen Hüllen stecken, Zelt aufreißverschlussen, in die Schuhe steigen, Schlafzeug in Beutel und in die richtige Tasche stecken. Zelt abbauen und mit Matte, Unterlage und Kopfkissen sowie mit dem Schlafsack in die Lenkerrolle packen. Schauen, ob alles aufgeräumt ist. Taschen richtig vertäuen, nochmal kontrollieren, ob alles festsitzt und losfahren.


Tag 3: CP2 – CP3 Vilsalpe
180,04 km/ 4.190 m  
Bewegungszeit: 16:51:19
                   

Am Achensee in die Morgendämmerung hineinzufahren ist sagenhaft schön. Am anderen Ufer kann ich auch Pertisau schon sehen, von wo es dann bitterböse werden sollte.

Tankstellenstopp mit Kaffee und Brioche. Noch ein paar Brote gekauft und los geht es.

Bald nach Pertisau geht es dann wirklich hoch. Bekannte hatten mich schon vorgewarnt, hier sei mit Fahren wirklich nichts mehr.

Am Fuß des Berges hält mir ein Bergsteiger ein Gatter auf. Zusammen machen wir uns an den Aufstieg. Mit etwas Quatschen vergehen die Zeit und die Strecke schneller. Mein Begleiter meint, solange ich reden könne, sei es auch nicht so anstrengend … Auf etwa Halbweg lasse ich meine Begleitung ziehen. Hinter mir kommen auch weitere Radschieber nach. Wir klagen uns etwas unser Leid, ich schiebe weiter. Richtig schwer fällt es mir eigentlich nicht, denn ich wusste ja, was auf mich zukommt. Trotzdem schlaucht die Strecke ganz schön: etwa 7 Kilometer mit gut 700 Höhenmetern. So steil teilweise, dass mich das Gewicht meines Rades mehrmals fast umwirft. Dann weiter oben einige Gestalten. Lakes ‚n‘ Knödel – Fotografen.  Schweiß von der Stirn wischen, gute Miene zum bösen Spiel machen und einen Schritt zulegen. Als sie wieder aus Sichtweite sind, schleppe ich mich weiter. Nun ist aber die Hütte, die zweite Kontrollstelle nicht mehr weit. Und Kaspress-Knödel in der Suppe gibt es und Kuchen. Karte gestempelt und schon bin ich wieder in der Abfahrt.

Wie immer muss man höllisch aufpassen. Erholsam sind die Abfahrten kaum mal: große Steine, ausgewaschene Rinnen, feine Steinhaufen, alles Fallen, die schnell zum Sturz führen, wenn man unkonzentriert ist und nicht aufpasst.

Im Talgrund angelangt geht es ein paar feine Teer-Kilometer der Riss entlang, bevor es wieder ernst wird. Nun gegen Mittag ist der steile Forstweg zum Kleinen Ahornboden schweißtreibend heiß. Dort angelangt gibt es Kühlung am Brunnen.

Gefürchtet hatte ich mich vor dem Weg zum Karwendelhaus. Diesen war ich zweimal abgefahren und hatte dabei meine Probleme. Wie sollte ich da hochkommen? Es waren noch 4 Kilometer und einige Höhenmeter zu überwinden. Ich schiebe auf dem gerölligen Weg los. Nach etwa 200 Metern merke ich, dass ich schiebenderweise, wohl am Abend noch nicht beim Karwendelhaus angelangt sein würde. Ich steige auf mein Bike und es geht etwas trickreich, aber im Sattel langsam bergauf.

Die Hütte klebt wie ein Adlerhorst ausgesetzt auf einer Felsnase. Sagenhafter Platz. Nach einer Linsensuppe nach Omas Art mache ich mich an die Abfahrt nach Scharnitz. Die 18 Kilometer könnten rasante Abfahrt sein, aber man darf sich nicht verleiten lassen zu unbedachter Schnelligkeit. Der Forstweg birgt Gefahren, wie Rinnen, lose Steine, … Am Tag danach sollte der Hubschrauber zu mehreren Einsätzen in das Tal fliegen müssen. Unterwegs holt mich die Müdigkeit ein. Ich gönne mir 10 Minuten Powernap. Dann weiter. Kurz vor Scharnitz habe ich einen kleinen „Umfall“. Nach Fotopause will ich aufsteigen, der rechte Fuß steckt schon in den Klickpedalen. Ich bekomme das Übergewicht, kippe nach rechts und das gesamte Gewicht meines Körpers, des Rades und des Gepäcks landet auf meinem Knie. Auaa!!!! Die Kniescheibe scheint seltsam eingedellt. Ist die immer so? Es schwillt auch gleich etwas an und schmerzt in Folge bei jeder Kurbelumdrehung und besonders auch beim Laufen kann ich das Knie nicht ganz durchstrecken.

Nach dem unvermeidlichen Tankstellenstopp, hier gibt es aber nichts Gescheites, geht es in der Hitze weiter. Etwas kupiertes Gelände. Ich entdecke, dass sowohl Smartphone- als auch Garmin-Akku fast leer sind. Auch die Powerbank gibt keine Power mehr her. Da ich nirgends schnell fahren kann, geht das Laden unendlich langsam bis gar nicht. Oje, was wenn ich plötzlich ohne Navi dastehe und ohne Möglichkeit zu kommunizieren. Ich stecke den Ladekabel immer wieder um und beobachte argwöhnisch das Laden. Wasser habe ich auch fast keines mehr.

Ein Lichtblick. Bei Lermoos am Anfang des sehr schönen Aufstieges der Leutascher Ache entlang gibt es ein WC-Häuschen – und frisches Wasser. Kurz etwas Körperpflege und Vorräte in Trinkrucksack ergänzt und eingefädelt in das Tal. Die Steigung ist angenehm und meine Geräte bekommen etwas mehr Strom und ich Motivation auch dadurch, dass ich erkenne, hier schon mal gewesen zu sein. In umgekehrter Richtung bei der Schottergaudi.

Irgendwann bin ich dann an der Abzweigung zum „Gegenverkehrsbereich“ Richtung Seebensee. 4 Kilometer musste man hoch, dann wieder runter. Am Anfang treffe ich auf ein Paar, das da wohl schon oben war. Haben die es gut. Warum mussten wir überhaupt da hoch?

Als ich ankomme, weiß ich warum … Der See, der gegenüber der Zugspitze in die Felsen eingebettet ist, ist eines der schönsten Plätze der Tour. Hier treffe ich wieder auf einige Leidensgenossen, die sich grad anziehen. Gute Idee! Ein Bad. Schnell aus den Kleidern geschält und in die kühlen Fluten. Traumhaft. Und nachts musste ich nicht so schmutzig-klebrig in den Schlafsack klettern. Das Beweisfoto habe ich dann doch wieder aus meinem Video entfernt … nackig im See …

Abfahrt nach Ehrwald. Sehr steil. Und da war ich schonmal hochgefahren …

In Ehrwald geselle ich mich zu einem lustigen Grüppchen bei einer Pizzeria al Taglio und verspeise eine Margherita, bevor ich in die Dämmerung starte. Flott geht es durch die Dunkelheit zum Heiterwanger See. Dort wird es spannend. Am Ufer entlang führt zunächst einsam ein Forstweg. Nach Überquerung des Sees und Änderung des Namens in Plansee, warum auf immer, denn das Gewässer hängt zusammen, führt ein schmaler Wanderweg weiter am Ufer entlang. Rechts kann man das Wasser nicht erkennen, nur dass es steil nach unten geht. Vorsichtig „eiere“ ich weiter. Hier allein ein Fahrfehler und niemand würde mich finden, wenn ich den Abhang runter stürzte und/ oder gar ins Wasser fiele.

Irgendwann treffe ich wieder auf ein paar Kollegen, es geht an deinem Campingplatz vorbei. Was nun? Dort einchecken ist nicht mehr möglich. Die Gruppe will noch bis Reutte fahren, das hatte ich eigentlich auch vor. Aber es war schon fast Mitternacht und es ging noch über zwei Berge. Ich ließ die Gruppe ziehen.

In feiner Steigung führte der geschotterte Radweg durch den Wald. Da! Ein ebener Platz neben dem Weg. Der Boden ist jedoch angepresst und steinig, ob ich da wohl meine zelt-Heringe reinbekäme. Ich nehme einen aus der Rolle. Nichts zu machen. Mit dem Hering in der Hand fahre ich weiter. Immer wieder steige ich ab und kontrolliere den Boden. Bis ich einen passenden Platz gefunden hatte, etwas abseits vom Weg war der Boden nicht so verdichtet.

Frau allein im Wald. Kaum ist der Reißverschluss meines kleinen Zeltes zu und ich eingemummelt in den Schlafsack, höre ich seltsame Geräusche. Ich halte die Luft an und lausche schockstarr mit weit aufgerissenen Augen. Was ist das da draußen? Immer wieder diese komischen Geräusche. Mucksmäuschenstill lausche ich weiter … da, wieder! Auf einmal muss ich lachen … ich komme nämlich drauf, was das für Töne sind: mein Magen grummelt vor sich hin; er ist wohl noch mit der Pizza Margherita beschäftigt … Erleichterung. Jetzt kann ich beruhigt einschlafen und das mache ich.

Tag 4 & 5: CP3 – Finish in Bregenz
173,08 km/ 3.415 m  
Bewegungszeit: 13:29:50  
     

Kurz vor der Morgendämmerung bin ich wieder im Sattel. In Reutte wartet Frühstück. Ein Bäcker hat schon ab 5:15 Uhr auf. Ich bin froh, in der Nacht nicht mehr weiter gefahren zu sein, denn eine tiefe Schlucht musste durchquert werden. Runter schieben und aufpassen, dass man nicht links den Abgrund runter kippt, über eine kleine Brücke und auf der anderen Seite über unregelmäßige Stufen das Rad nach oben hieven. Eine fast unmenschliche Anstrengung bei DEM Gewicht.

Aber geschafft und auf dem Weiterweg ins Tal schieße ich noch ein Biwak-Foto zweier Radler.

Es ist fast 8 Uhr, als ich Reutte erreiche. Der Bäcker hat eine sagenhafte Auswahl, ich schlemme und lasse mir einiges einpacken, denn auch jetzt folgt eine lange Strecke durch die Einsamkeit. An den Weiterweg kann ich mich kaum erinnern. Meine Schaltung, die in den letzten Tagen wieder Probleme zeigte, hängt immer wieder. Ich habe den leichtesten Gang zur Verfügung – zum Glück. Aber die nächsten drei sind ausgefallen. Erst die höheren Gänge kann ich wieder schalten. Wenn das nur gut geht. Hoffentlich ist das nicht Anzeichen, dass mit dem Schaltkabel etwas nicht in Ordnung ist, dass dieser irgendwann bricht.

Einige Höhenmeter sind zu erledigen, bis zum CP3 am Vilsalp-See.

Dort gibt es wieder Knödel und in der Mittagshitze gönne ich mir ein Bad. Beim Wegfahren, oh Schreck! Ist kaum mehr Luft im Hinterreifen. Ich krame die Luftpumpe raus. Nach der schnellen Abfahrt nach Tannheim pumpe ich nochmal nach. Auf dem Weiterweg scheint die Luft zu bleiben. Schlauch einlegen wäre keine Option, denn ich würde es nicht schaffen, den Reifen von der Felge zu bekommen, der war völlig festgeklebt, das hatte ich am Tag vor dem Rennen gemerkt. Blödes Gefühl so hilflos im Falle einer Panne zu sein. In der Gegend gab es seltsamerweise nicht mal einen Radverleih.

Die folgenden Kilometer sind sehr schnell auf einem geschotterten Radweg. Fast 30 Kilometer, bis auf meinem Planungsprofil ein steiler Aufstieg ins Auge stach. Und wie steil der sein sollte. 5 Kilometer mit 500 Höhenmetern reine Schiebestrecke in der sengenden Sonne. Ich schimpfe wieder mal über die Streckenführung. Denn es geht hoch zur Kappeler Alm, nur um auf der anderen Seite steil wieder runterzufahren.

In Oy Supermarktstopp. Endlich komme ich zu meinem geliebten Kefir und etwas Obst. Herrlich. Dann weiter. Der Rottachsee lädt wieder zu einem kühlen Bad ein. Dann nochmal eine Schiebestrecke.

Wegen eines Erdrusches gibt es nun eine Umleitung bis fast Sonthofen. Viele Kilometer rasante Abfahrt auf Asphalt. Hatte ich mir vorgestellt in Sonthofen gemütlich was essen zu gehen, so werde ich enttäuscht. Ich finde nahe der Strecke nur eine Imbissbude. Dort allerdings gibt es einen riesigen Salatteller und die Welt ist wieder in Ordnung.

Etwas auf und ab geht es nun durch Allgäuer Dörfer. Ich möchte mir nun langsam einen Schlafplatz suchen. Aber nichts Geeignetes in Sicht. Irgendwann beginnt eine für den normalen Autoverkehr gesperrte Mautstraße. Links und rechts der Straße nur dichtes Kraut. Oje und ich bin müde. Unerwartet eine kurze Stichstraße nach links. Sie führt hinter einen Baum und sichtgeschützt kann ich hier mein Zelt aufbauen. Neben mir Flussrauschen. Ich schlafe gut, bin aber auch heute am letzten Tag wieder früh auf.

Es sollten nur noch knapp 80 Kilometer zum Ziel sein. Die führten erst über eine Hochfläche, dann vorbei an ein paar Weilern. Frühstück keines in Sicht. Und als ich wieder in die komplette Einsamkeit abtauche, bin ich etwas unmotiviert, denn immer wieder muss ich schieben. Wie langsam die Kilometer herumgehen. Grenze zu Österreich, Vorarlberg, die Gegend heißt Sibratsgfäll. Nach der Abfahrt ein Lichtblick, ein Spargeschäft in Großdorf, das ich auf meiner Planung nicht auf dem Schirm hatte. Dann eine schöne Fahrt der Bregenzer Ach entlang, bis der vorletzte Berg vor mir liegt.

Aber alles nicht so schlimm, man kann wider Erwarten alles fahren. Vor der Abfahrt verfranze ich mich im Blaubeerwald. Viele kleine Wege und keiner scheint der richtige zu sein. Ich schiebe zurück auf die Straße, falsch, also doch durch den Wald. Zu allem Übel fängt es auch an zu regnen. Ich fädle wieder in die richtige Spur ein, fahre talwärts. Ein Donnergrollen. Jetzt erst sehe ich die schwarzen Wolken. Der Regen wird stärker. Sturmböen. Weiter vor sehe ich glücklicherweise eine Ortschaft und rette mich unter ein schützendes Dach.

Als das Schlimmste vorüber ist, fahre ich weiter. Ein Anruf Bastians. Ich solle Straße weiterfahren und nicht ins Gelände. Die Straße solle ich aber noch „genießen“. Bei der Weiterfahrt merke ich, was er damit meinte: über 18% Steigung, lange. Der Ehrgeiz lässt mich aber nicht absteigen, bald sei ja alles vorbei.

Dann die letzte Abfahrt. Unter mir liegt der Bodensee und Bregenz. Am Ufer noch ein obligatorisches Bild, dann muss ich durch die Fußgängerzone schieben. Auch das noch. Die Strecke verlief parallel zur Uferpromenade.

Mittwoch Mittag. Nicht mehr viele Meter und ich bin da. Eine Reise gemischter Gefühle ist zu Ende. Wie immer ganz plötzlich und ich stehe etwas verloren da … Erleichtert, die Strapazen hinter mir zu haben und irgendwie traurig, dass alles schon vorbei ist …


Ich bin super zufrieden:
4 Tage/ 3 Stunden/ 46 Minuten
Platz 5 Damen
Platz 40 overall (111 Solo-Starter*innen)

Bis zum nächsten Abenteuer!!!

VGG-Verona-Garda-Gravel

italiano english

VGG500 – das steht für Verona Garda Gravel 500, einer 540 Kilometer-Runde durch den oberitalienischen Raum unter der Federführung von Giorgio Murari, alias Musseu, Sport Verona. Wer mal ein Event bei ihm mitgemacht hat, der weiß, es ist etwas Besonderes. Dachte ich diesmal, die NUR 540 km würden wohl ereignislos verlaufen, so wurde ich eines Besseren belehrt …

Zuerst mein Video:

Donnerstag/Freitag, Nacht 1:

Traumhafter Sonnenuntergang Mitte März, nicht weit vom Gardasee. Ein kleiner Plausch mit einigen ciclisti, die ich schon von anderen Events kenne. So früh im Jahr sind schon ziemlich einige aus ihrem Radl-Winterschlaf erwacht … 540 Kilometer für den Anfang ist nicht wenig. Am Stück ist mir das zu viel, ich schleppe deshalb etwas mehr mit mir herum: meine vier Wände, sprich Leichtzelt, Matte, warmen Schlafsack. Schon zu wissen, dass ich eine Schlafpause machen kann, wann ich will und wo ich will – auch schon in der ersten Nacht- lässt mich gelassen starten. Naja, gelassen, beim Briefing betont Giorgio „Musseu“ Murari, dass es ideal wäre, mit leichtem Gepäck zu fahren. Zu spät.

Aber in meinem Kopf beginnt es zu rumoren, was wird da wohl auf uns zukommen? Die Handschrift Musseus bei der Streckenplanung lässt wohl nichts Gutes ahnen. Habe ich zu viel Ballast mit? Ich wüsste nicht, was ich weglassen könnte – aber ob 20 kg oder 25 – was soll’s? Mir kommen auch Zweifel, ob ich mit meinem MTB nicht besser dran wäre … Zudem warnte Musseu, dass aufgrund der vielen Regenfälle in den vergangenen Wochen wohl etwas Matsch auf den Wegen liegen würde – eine leichte Untertreibung. Zu 50 geht es los auf die große Runde durch den oberitalienischen Raum. an das Ufer des Gardasees, den Mincio entlang, dann weiter nach Verona, durch die Colli Euganei nach Abano Terme, weiter nach Vicenza, durch die Colli Berici und Richtung Westen, zurück über unzählige „Berge“. Anfangs flach, dann mit ordentlich Höhenmetern garniert (7600m sollten es am Ende sein).

Beim Losfahren vermute ich, die Fahrt würde vielleicht etwas ereignislos werden, egal, dann würde die Geschichte benutzerfreundlich kurz … Aber …

Schon auf den ersten Kilometern zum Ufer des Gardasees macht mein Vorderlicht schlapp. Durch das Gerüttel auf dem Gravel-Untergrund kippt die Lampe plötzlich nach unten und ich sehe auf einmal nur noch Schwarz vor mir. Vollbremsung. Rad an eine Mauer lehnen, Werkzeug rauskramen und die Lampe fest anschrauben. War ich wohl zu schlampig beim Montieren gewesen zuhause. Fazit- alle anderen sind nun weg, nicht ein einziges Rücklicht sehe ich mehr. Auf schottrigem und schlammigen Untergrund gravele ich entlang des Canale Virgilio. Die kleine Fußgängerbrücke übersehe ich. Verhauer. Zurück.

Schlagloch. Hart drückt es meinen Allerwertesten in den Sattel. Ein Gedanke schießt mir plötzlich in mein Hirn, das jetzt im Dunkeln keinerlei Ablenkung hat: Ich habe meine neue Colombier-Radhose von Skinfit an, mit einem ganz ganz dünnen Gelpolster. Na und? Ja, aber ich habe als Wechselhose nur die andere neue Hose ohne Radeinsatz mit, auch ungetragen. Wie unvernünftig! Was, wenn …? Selber schuld, wenn ich mich ab Kilometer 100 oder so mit Sitzproblemen rumquälen muss. (Blick in die Zukunft: Es gibt keinerlei Probleme!!! Aber hier würde die Überschrift passen: Unvernunft löst sich in Wohlgefallen auf …)

Einer Radler-Gruppe (ach, sind da doch noch welche hinter mir?) rufe ich noch „sbagliato strada“ zu, aber die ignorieren mich. Mit etwas Schadenfreude (ich hatte es ihnen ja gesagt!) sehe ich wie sie den Canale an der anderen Seite folgen, dann verloren sich ihre Lichter im Wald, sie fahren bergauf … Immer wieder Pfützen und Schlamm, in den sich mein Vorderrad bohrt. Ich sollte wohl etwas langsamer fahren, um einem Sturz vorzubeugen.

In der Ferne über mir erscheint das beleuchtete Castello Scaligero, wunderschön. Hier in Valeggio muss ich weg vom Mincio. Durch Olivenhaine und Weingärten pedaliere ich nun Richtung Osten. Ab und zu überhole ich einen nächtlichen Radfahrer.

Ich fahre durch Villafranca mit seinen schön beleuchteten Stadtmauern und dem Schloss. Im Schlosspark finde ich zum Glück eine Wasserstelle, ich habe nur eine Flasche und es ist fraglich, wann ich wieder Wasser finden würde.

Dann das nächtliche Verona. Mein Track geht geradeaus. Straßensperre. Eine Menge an Polizisten und Militär steht herum. Nanu? War ich zu schnell und bin in die Tempofalle getappt? Ich scherze. Sperre, weil um die Ecke die Arena di Verona sei. Da wird wohl gerade ein Event zu Ende sein.

Ich suche mir eine Ausweichstrecke. Ein erster ernsterer Berg liegt vor mir. Sehr steil folge ich nun in Einsamkeit den Mauern des Castello San Felice, mit etwas schlechtem Gewissen, ich habe mich nämlich an einem Sperrschild vorbeigezwängt. Zwischen zwei Festungsmauern geht es durch, komplette Finsternis. Als es wieder abwärts geht und auf meinem Track aber kein Gefälle angezeigt wird, rauschen ein paar Radfaher an mir vorbei. Ich folge ein Stück. Das kann doch nicht stimmen. Ich schiebe mein Bike steil zurück. Da! Unscheinbar eine bogenförmige Öffnung in der Mauer, versperrt mit einem großen Stein. Da soll es durchgehen? Ich muss mein voll bepacktes Rad über das Hindernis hieven. Erinnerung an die GBDuro kommen auf. Uff! Dann ein schmaler Weg der Mauer entlang durch den Wald. Ob das wohl stimmt. Doch!

Bald sause ich runter in Richtung Montorio. Sause ist zu viel gesagt, denn ein unregelmäßiges Kopfsteinpflaster wirkt sich doch ziemlich auf meine Geschwindigkeit aus. Den Kanal, dem ich ab Montorio folge, kenne ich schon. Tagsüber sehr idyllisch zwischen den beiden Wasserläufen zu radeln. Nun etwas unheimlich, links und rechts die tiefschwarzen glänzenden Bänder, Nebelschwaden, ein Käuzchen oder etwas Größeres ruft und sind das Frösche, die da quaken? Frieren die nicht? Mir kriecht die feuchte Nebelluft überall hinein. Schnell weiter, damit mir wieder warm wird.

Zum Glück nun zwei kleine Berge, dann Ebene bis zu den Colli Euganei.
Soave bietet Abwechslung. Auf dem beleuchteten Platz vor den Stadtmauern eine Überraschung, die nach einer Fotosession ruft. Eine riesige pinkfarbene Schnecke mit Kind. Und ich die „lumacagabi“. Lumaca bedeutet Schnecke auf Italienisch, ich nämlich langsam, aber ausdauernd. Filippo und Luca (?), denen ich in den nächsten Stunden und am nächsten Tag mehrere Male über den Weg fahren würde, bringen geduldig meine Bilder in den Kasten. Dann weiter, eine kleine Gruppe startet. Ich hänge mich nicht dran, das Fahren in der Gruppe ist nicht so meins. Ich möchte ungebunden sein und möchte nicht, dass sich Leute für mein Fortkommen verantwortlich fühlen müssen und in den Anstiegen auf mich warten.

Die Wege werden immer matschiger. Zum Glück sehe ich mein Rad im Dunkeln nicht so gut … es ist vermutlich schlammverspritzt. Egal. In Gedanken an die nächste Radreinigung und vermutlich habe auch ich einiges abbekommen fahre ich durch eine Unterführung – und stecke fest, im Schlamm. Hier hat sich das Wasser gesammelt. Fuß von den Pedalen runter und auch der steckt fast knöcheltief fest. Mit einem saugenden Geräusch ziehe ich meinen Radschuh aus dem Matsch. Das wäre es dann gewesen mit sauberen Schuhen. Der Weg verliert sich nun in einer Wiese. Die Ruine eines verfallenen Hauses trägt zur gruseligen Stimmung bei. Mir fallen auf einmal Szenen aus dem Hörbuch-Thriller ein. Mein Navi spielt verrückt. Ich kann nicht ausmachen, wo ich mich im Vergleich zur korrekten Spur nun befinde. Ich fahre zurück. Da! In der Ferne kann ich zwei Rücklichter erkennen, die in die andere Richtung radeln, ich hinterher. Meno male! Zum Glück! Ich bin wieder auf der richtigen Spur.

Es ist nun schon weit nach Mitternacht, genau halb drei Uhr. Schon seit einiger Zeit gähne ich an einer Tour, im nächsten Schritt werde ich irgendwelche Dinge sehen, die gar nicht da sind und dann … Sekundenschlaf! Ich kämpfe innerlich mit mir, soll ich? Soll ich nicht? Wenn, dann … Will heißen, soll ich mein Zeltchen aufstellen? Dann werde ich wohl völlig abgeschlagen sein und dem Feld am nächsten Tag hinterherfahren … Aber was soll’s … ich fahre an einer kleinen Kapelle vorbei, umgeben von einem kleinen Rasenstück. Das ist es! Mein Campingplatz! Rad an das Kirchlein gelehnt und die Zeltunterlage rausgezogen. Leider ist unter dem spärlichen Gras der Boden nahezu flüssig. Matsch auch hier! Aber mein Hirn möchte nun nicht mehr zurück. Dann muss ich später wohl verdreckte Utensilien zusammenpacken. Ich verkrieche mich in meinem Schlafsack, auf Zahn- und Körperpflege verzichte ich. So bin ich halt gleichmäßig schmutzig. Igitt! Unruhig ist mein Schlaf. Immer wieder höre ich das Surren vorbeifahrender Fahrräder.

Obwohl ich den Schlafsack am Hals gut zusammenziehe, fröstelt es mich immer wieder. Zweieinhalb Stunden liege ich so, dann beschließe ich aufzustehen. Ob ich viel geschlafen habe, ist fraglich. Das Zelt ist innen und außen klatsch nass. Die Luftfeuchtigkeit ist fühlbar sehr hoch hier in der Ebene. Und gleichzeitig ist es kaum wärmer als 2-3°C. Ich packe meine nassen und klammen Schlafutensilien in meine Taschen und radle los, Vögel fangen an zu zwitschern, es dämmert. Natürlich fahre in die falsche Richtung. Man gönnt sich ja sonst nichts. Den Irrtum gemerkt und umgekehrt trete ich nun ordentlich in die Pedale, damit mir warm wird.  Auf der SeteTrack App sehe ich, dass hinter mir wohl kaum mehr jemand ist. Am Abend jedoch werden die meisten anderen wohl eine längere Schlafpause bei Vicenza einlegen, da werde ich Plätze gut machen, vermutlich.  

Freitag, Tag 1:

Ich erreiche bei den ersten Sonnenstrahlen, die sich durch die dichte Nebeldecke fressen, Montagnana mit seinen mittelalterlichen Stadtmauern, der gotischen Kathedrale und den wunderschönen Palazzi. Frühstück-Stopp mit Brioche und Lattemacchiato. Ich verschwinde zuerst mal im Bagno – mindestens eine halbe Stunde Körper- und Kleiderpflege und ein komplett versautes und überflutetes Bad. Halbwegs sauber erscheine ich, nachdem ich auch noch Boden und Waschbecken das Bades notdürftig gesäubert habe, im Gastraum.

Glücklicherweise ist der Kaffee noch nicht zubereitet worden, er wäre jetzt wohl Eiskaffee … Ich drehe ein paar Runden durch das Städtchen, da ich mich verfahre, dann wieder freie Fahrt entlang des Flüsschens Frassine. Freie Fahrt?
Musseu hatte schon angekündigt, es gäbe hier eine Baustelle und die müsste man großräumig umfahren. Da die Maschinen noch still stehen und ich einige Radspuren im Schotter ausmachen kann, setze auch ich mich über das Fahrverbot hinweg. Anfangs ist auch noch alles easy. Dann wird die Weiterfahrt kniffelig, Umdrehen keine Option, da ich einige Kilometer zurückmüsste. Schwere Maschinen hatten die Asphaltdecke hier auf dem Bachdamm aufgerissen. Ich eiere langsam über den unregelmäßigen Untergrund. Und da ist es schon passiert. Mein Vorderrad rutscht ab und bohrt sich in den tiefen feinen Schotter. Ich fliege über den Lenker. Aua! Nachdem ich meine Gliedmaßen sortiert habe, steige ich mit zitternden Knien wieder auf, bzw. schiebe mein Rad zunächst ein paar Meter. Alles ok bis auf eine Schnittwunde an der Hand, ein aufgeschürftes Knie und vermutlich einen großen blauen Fleck am Oberschenkel. Wie ich aussehe, zählt nicht: Mein rechter Beinling ist völlig verdreckt, die Radhose über meiner rechten Po-Backe ebenso. Oje! Nun passe ich wieder perfekt zu meinem völlig verdreckten Rad. Etwas Gutes hat das ganze jedoch – bei den vielen schlammigen Passagen, die nun vor mir liegen, brauche ich nicht langsam durchzurollen, um den Schade möglichst gering zu halten. Das hat eh keinen Zweck mehr. Also mit Vollgas durch!

Mir fällt ein, dass ich eigentlich meine Lampe, gespeist durch den Nabendynamo, nun langsam mal ausschalten könnte. Nanu? Was ist das? Wo ist der Schaltknopf meiner Edilux? Da wo der Drehbogen zum Ein- und Ausschalten war, ist nichts außer einer leeren Rille. Wie das? Kann das abgehen? Ich hole mein Werkzeug raus und will versuchen, das Ding manuell auszudrehen. Geht nicht. Beim kurzen Telefonat mit Hermann zuhause, erfahre ich erst mal einen Tadel: „Mit den Lampen da hast du es wohl …“, damit spielt er auf mein Erlebnis bei der GBDuro an, bei der die Lampe abgebrochen war bei meinem Sturz und ein Kurzschluss dann noch den Pufferakku außer Gefecht gesetzt hatte. Was sollte ich nun tun?

Zumindest erfahre ich nun, dass das Ding durch einen Magneten an- und ausgeschaltet werden könne. Und den hatte ich ja verloren. Bliebe die Lampe an, wäre das ja kein Problem. Allerdings könnte ich dann keine Geräte mehr laden. Ohne Licht käme ich auch nicht weit in den nächsten beiden Nächten, denn auch die Lupine Piko auf meinem Helm wäre irgendwann am Ende ihrer Leuchtkraft. Was nun? Ich fahre mal weiter, vielleicht gibt es eine Lösung bei der Kontrollstelle beim Bikeshop Aloha 1 in Abano Terme.

Es wird nun sehr warm, mein Wasservorrat geht wieder mal zu Neige. Ein Brunnen kommt zurecht. Hier versuche ich notdürftig mich und mein Rad zu säubern. Ob das viel Sinn macht, ist fraglich, vermutlich werden die Wege vor mir deshalb auch nicht besser und schlammfrei. Ich besuche hoch oben am Berg noch das Wohnhaus von Francesco Petrarca, einem der wichtigsten Vertreter der frühen italienischen Literatur. Dann wieder Abfahrt.

Durch den Kopf schwirrt mir immer wieder die Lampe. Vielleicht könnte ich irgendwo einen Magneten bekommen, den ich an der Lampe festkleben kann … Ja, das muss so gehen! Und wirklich, Ricardo vom Bikeshop Aloha, CP1, verschwindet in seinem Shop, um mit einem Stück Metall zurückzukehren und einem langen Stück Powertape. Wir probieren, wie sich das magnetische Metall auswirkt, wenn man es an verschiedene Stellen der Lampe hält. Und siehe da. Leicht links geht die Lampe an, weiter rechts geht sie aus. Ich stecke das Stück Metall ein und bekomme auch noch ein langes Stück Powertape. Die nächste Nacht kann kommen. Nachdem Ricardo auch noch meine Kette geölt hat (mille mille grazie, Ricardo!), starte ich wieder.

Ein Drittel der Fahrt liegt nun hinter mir. Alle Höhenmeter aber noch vor mir. Es ist nun fast Freitag Mittag und das Wetter herrlich. Nun geht es sofort in die ersten ernsteren Berge, bei Sossano geht es in die Colli Berici. Die Steigungen sind ungnädig. 26% – das kann ich nicht im Sattel bewältigen. Vor mir schiebt auch wer. Elena! Wir schieben und fahren einige Kilometer miteinander, bis ich die Gelegenheit nutze zu einem Stopp – heiße Schokolade und was Süßes. Bald aber sehe ich Elena wieder vor mir – schieben. So geht es über drei Berge. Und wieder Salami-Brotstopp, Elena startet, als ich ankomme. Auf den 30 Kilometern Ebene vor Vicenza bin ich -gelehnt auf meinen Triathlonlenker- ordentlich schnell. Elena verliere ich dabei. Sie wird, da sie die dritte Nacht durchfährt, etwas vor mir im Ziel sein.

Unterwegs mache ich noch einen großen Umweg entlang eines Kanales. Die Brückenbauer lassen mich leider nicht durch und schicken mich ins Gelände. Um auf die Straße zurück zu kommen, lässt mich ein Bauer gnädigerweise durch seinen Privatgrund. Die Hunde des Nachbarn sind nicht sehr erfreut.

Ich mache mir Gedanken, wo ich was zu Abend essen könnte. Finde ich ein Lokal bei Vicenza, wo ich mein Rad sicher abstellen kann und wo ich auch so schmutzig Einlass bekomme? Da! Ein Schild kündigt eine Pizzeria an: Ristorante e Pizzeria Giorgio & Chiara. Wo ist der Eingang? Ich irre im Innenhof herum und treffe auf jemanden, der mich von oben bis unten etwas argwöhnisch beäugt. Ja hier sei ein Lokal und in 10 Minuten öffneten sie. Ich warte vor dem Haus und entdecke einen Gartenschlauch. Notdürftig reinige ich meine Kleidung, wische die Schlammspritzer von meinem Gesicht. Ich frage, ob ich mein Rad etwas abspritzen darf. Darf ich! Und ich darf es nun auch auf der Terrasse etwas versteckt abstellen. Noch bin ich einziger Gast. Darüber bin ich froh. Ein Blick in den Spiegel zeigt mir nämlich, dass die Katzenwäsche draußen nicht so viel gebracht hat. Ich komme ins Gespräch mit den Chefleuten. Sie staunen über meine Fahrt. Die Welt ist zudem klein. Gemeinsam haben wir einige Radfreunde. Auch sportmäßig gibt es Anknüpfungspunkte: Triathlon, wir fachsimpeln, im August werde ich Giorgio beim Inferno Triathlon von der Ferne verfolgen und in Erinnerungen schwelgen … Ich werde mit einer der köstlichsten Pizzas ever verwöhnt und gönne mir auch noch eine Crema Catalana. Ungern verlasse ich den feinen Ort. Inzwischen hat sich die Dämmerung über den Vorort Vicenzas gelegt.

Die anderen Radfahrer haben nun wohl schon ihre Hotelzimmer bezogen. Die haben es gut … Beim Weiterfahren fällt mir auf, dass es in den Senken bitterkalt ist und sobald man etwas an Höhe gewinnt, wird es spürbar wärmer. Ich werde meinen Schlafplatz wohl dementsprechend auswählen. Aber noch ist es nicht soweit. Ich möchte noch am Lago di Fimon vorbei und über mindestens zwei Berge. Meine Lampe geht irgendwann von alleine an – Spuk? Fragt mich nicht wie … Ich bin sowas von erleichtert, ich habe Licht. Vorbei am Fimonsee, dann wird es sehr ernst, eine Steigung, die nicht nur steil, sondern steinig wie sie ist, mich aus dem Sattel zwingt. Das Hike a Bike, geht nicht nur hoch, sondern auch runter. Ich schimpfe innerlich wie ein Rohrspatz mit dem Streckenkonstukteuer Musseu. Mit meinem MTB wäre ich hier viel besser dran gewesen.  

Freitag/ Samstag, Nacht 2:

In der anschließenden Steigung finde ich auch meinen nächsten Traum-Schlafplatz: wieder am Vorplatz einer kleinen Kapelle. Als ich beim Zeltaufbau bin, kommt Alessandro vorbei, nach einem kleinen Schwätzchen schiebt er weiter. Etwas Wegabwärts höre ich ein Auto und sehe Scheinwerfer durch die Bäume irrlichtern. Dann wieder Stille. Das beunruhigt mich etwas. Mir ist mulmig zumute. Das hier ist ein Forstweg und eigentlich nicht für Autoverkehr geeignet. Wer ist da hochgefahren? Und warum nicht weiter? Was, wenn jemand kommt und mir das Rad klaut, während ich schlafe oder so …? Sobald ich in meinen Schlafsack sinke, schlafe ich sehr gut, ich wache erst kurz vor dem Wecker gegen 5 Uhr auf, mein Rad ist noch da und mir nichts passiert. Kurz vor 6 geht es weiter. Zelt abbauen und packen muss ich unbedingt noch üben und dabei schneller werden. Vielleicht in der kommenden Nacht?  

Samstag, Tag 2:

Meine Schaltung macht Probleme, ich kann nicht mehr auf die großen Gänge vorne schalten, aber wer braucht auf diesem Parcours denn große Gänge? Es geht in einer Tour hoch und runter. Angst habe ich nur, dass das Vorbote eines Schaltkabel-Risses sein könnte. Lieber nicht mehr versuchen vorne zu schalten … Bei Morgen-Dämmerung komme ich an einem Burgfelsen vorbei, der Rocca dei Vescovi, dann verfahre ich mich wieder mal, denn wer glaubt schon, dass das große Eisengitter Durchschlupf erlaubt. Gleich darauf wieder ein Verhauer. Ich fahre einen Bauernhof an, anstatt außen herum.

Wieder auf dem richtigen Weg mache ich eine erstaunliche Entdeckung: auf einer Wiese steht ein Sammelsurium an alten Flugobjekten aus dem letzten Weltkrieg. Schauriger Anblick, wie die Läufe der Artillerie-Geschütze in den düsteren Himmel drohen. Panzer und Motorflieger stehen hier herum. Seltsame Sammelleidenschaft.

In Altavilla, im nächsten Tal, locken Latte Macchiato und Gipfele mit Vanillecreme. Gestärkt fahre ich weiter in den Tag hinein. Mal sehen, was kommt. Nach der ausgiebigen Nachtruhe gehe ich ausgeruht in die Steigungen, die ihrem Namen alle Ehre machen. Viel-prozentig geht es hoch, oft hike a bike und oft so schlammig, dass auch geringere Steigungs-Prozente mich aus dem Sattel zwingen. Ich schimpfe -nicht immer leise- vor mich hin. Aber die schönen Abschnitte überwiegen.

Es gibt einen Extra-Aufstieg zu den Castelli di Romeo e Giulietta, hoch über Montecchio Maggiore.

Kurz vor Ende des zweiten Strecken-Abschnitts falle ich in einem Supermarkt ein. Ich hatte zuvor keinerlei Möglichkeit, meine Kleidung, Gesicht, geschweige denn das Rad zu reinigen. Ich schäme mich nicht, die Leute gucken trotzdem. Ich sammle rasch das Notwendigste zusammen und zahle. Vor dem Geschäft gibt es zwar keine Sitzgelegenheiten, aber eine Kinderschaukel tut gute Dienste. Ich bemerke, dass ich vergessen hatte, Wasser zu kaufen. Die Supermarkt-Chefin kommt heraus und ich frage, ob es rund um den Shop zufällig eine Wasserleitung oder so gäbe. Sie verneint und meint ich solle einen Moment warten. Kurz darauf kommt sie mit einer Mineralwasserflasche heraus und schenkt diese mir. Wahrscheinlich schaue ich so abgerissen aus … vermutlich regierte das Mitleid mit dieser armen schmutzigen Frau, die vermutlich schon wochenlang durch die Gegend fuhr … Oder wollte sie einfach nicht, dass ich das Geschäft nochmal betrete?

Immer wieder hike a bike, Steine, Schlamm, … Irgendwann platzt mir der Kragen, als ich innerlich wieder und wieder Musseu „verfluche“, scheibe ich in der WhatsApp Gruppe, dass ich das nächste Mal lieber mit dem Club Alpino wandern gehen würde, aber ohne Fahrrad an der Hand. Dann werde ich wieder besänftigt durch wunderschöne Abfahrten. Verschämt lösche ich meinen Eintrag wieder. Hoffentlich hat ihn niemand gelesen.

Einen ewig langen Buckel geht es hoch durch Olivenhaine und Weinreben. Auf einmal sichte ich Plakate mit den Namen der teilnehmenden Mädels, u.a. „Vai, Gabi!“ Ich muss grinsen, bei der Verona Garda Gravel extreme vor zwei Jahren hatte das Giancarlo auch gemacht, cool! Mittag bin ich in Campiano, hier hatte ich schon vor zwei Jahren mit Hermann bei der Verona Garda Gravel Extreme gegessen. Ich treffe hier auf Alessandro, Stefano und Roberto und lasse mich zu hausgemachten Nudeln mit Tomatensauce nieder. Sehr lecker.

Mit Alessandro fahre ich dann weiter, kurzweilig beim Quatschen gehen die nächsten Steigungen (es gibt noch 5 lange) von der Hand. Oder muss man sagen „vom Fuß“?   Ein Brunnen, ich verlasse den Track ein paar Meter. Das war wohl mein größter Fehler an diesem Tag, denn das Unheil folgt stante pede: Als ich nämlich losfahren will, spielt mein Garmin-Navi verrückt, wieder mal. Streik!

Die Karte wird nicht in Fahrtrichtung angezeigt, sondern erscheint genordet. Das bedeutet für mich Gehirnjogging pur: Fahre ich nach Norden, ist alles normal. Nach Süden ist es auch noch easy, da kommt mir der Richtungs-Pfeil einfach entgegen. Es ist auch leicht nachzuverfolgen, wenn die Strecke rechtwinklig nach links oder rechts abbiegt, da muss ich einfach in die Gegenrichtung abbiegen. Schwierig wird es allerdings, wenn es Richtung Süd-Westen, Nord-Osten oder noch schlimmer Nord-West-Nord oder so ähnlich geht. Völlig verwirrt biege ich immer wieder falsch ab. Jetzt am hellichten Nachmittag geht das ja noch halbwegs, aber was, wenn es dunkel wird und wenn  ich  die Konzentration nicht mehr aufbringe?  

Samstag/ Sonntag, Nacht 3:

Alessandro und ich gönnen uns eine Pizza-Pause im Örtchen Avesa. Anschließend starte ich, während Alessandro sich noch für die Nachtfahrt richtet. Natürlich kommt mein Gehirn bei der Ausfahrt aus Avesa nicht so rasch in die Gänge. An zig Abzweigungen fahre ich logisch in die verkehrte Richtung. Ich bin nicht weit von Verona und der Verkehr ist dementsprechend dicht. Samstagabend – Partytime. Bin ich froh, als es wieder ins Gelände geht.

Hier holt mich Alessandro ein und gemeinsam radeln wir weiter bis Domegliara, wo der CP2 in der Bar La Prua ist. Wir gönnen uns eine heiße Schokolade, dann geht es weiter. Bei dem nun folgenden Abschnitt auf einem schmalen Pfad direkt an der Etsch entlang, bin ich froh, dass ich hier nicht alleine bin. Da der Abend nun schon sehr fortgeschritten ist, beschließe ich bei nächster Gelegenheit mein Nachtlager aufzuschlagen. Es sind zwar NUR noch rund 65 Kilometer bis ins Ziel und Alessandro meint, das sind gut 3 Stunden auf dem Rad, ich hatte aber wohl einen guten Riecher, dass ich mir das nicht antue.

Ich sollte am nächsten Tag erfahren, dass Alessandro nur ein paar Stunden vor mir angekommen war, also nichts da mit 3 Stündchen. Ich selbst werde noch 6 Stunden inklusive Frühstück, Flussüberquerung und diverser Fotosessions brauchen. Kurz nach Cavaion scheint sich mir der ideale Zeltplatz zu bieten: Ein kleiner Olivenhain in  der Nähe der großen Windräder. Der Platz ist etwas höher gelegen und außerhalb der eisigen Kaltluftseen, die es auch heute gab.

Ich beginne mit dem Zeltaufbau. Auf einmal summt es in meinen Ohren: ein ohrenbetäubender hochfrequenter Ton. Was ist denn das? Ich vermute, dass der Bauer mit einem Gerät irgendwas abwehren möchte. Aber was? Unerwünschte Camping-Gäste? Wird in Kürze der Olivenbauer hier erscheinen und mich verjagen? Ich ziehe mein Zelt auf der Unterlage drei Oliven-Bäume weiter. Der Lärm verstummt (zuhause  google ich das Erlebte: es  ist ein Ultraschall-Tiervertreiber). Kaum ist mein Zelt aufgestellt und ich habe mich in meinem Schlafsack verkrümelt, da ist es mit windstill vorbei und das große Windrad in nächster Nachbarschaft beginnt sich zu drehen. Es wird laut. Das und das Wissen, dass ich hier wohl unerwünscht bin, lassen mich nur sehr leicht und unruhig schlafen.  

Sonntag, Tag 3:

Bei Dämmerung packe ich meine Sieben-Sachen (ich bin sage und schreibe 10 Minuten schneller als nach den letzten beiden Nächten, also kann man sagen Übung macht den Meister!)

Dann starte ich auf die letzten Kilometer. Kurz darauf werde ich in meiner Fahrt jäh gestoppt. Ein Bach fließt über den Weg. 5-6 Meter breit, etwa zwanzig Zentimeter tief, linker Hand ein kleiner Wasserfall. Der Untergrund besteht aus faustgroßen Kieseln. Da durchfahren? Wohl lieber nicht, wenn ich nicht nasse Füße bekommen möchte oder noch schlimmer ein Vollbad (das ich aber eigentlich dringend nötig hatte). Traue ich mich zu fahren? Nein, absolut NEIN! Schuhe, Socken aus und rüber schieben, schön an der Kante des Abbruches entlang. Hatte ich die Füße bisher kalt, so bewirkt das eiskalte Bachwasser, dass meine Zehen in kürzester Zeit direkt heiß werden. Toll!

Keinen Kilometer weiter schon wieder ein Bach. Diesmal gibt es aber schmale wackelige Latten, über die man balancieren kann.

Kurze Zeit später, in Caprino, der übliche Lattemacchiato-Stopp (mit 2 Zucker, wie immer). Die Baristin meint, sie bringe mir das Bestellte hinaus. Das sagt wohl alles aus … die „abgerissene“ Person, ICH, werde nicht mal vor die Wahl gestellt, ob ich meinen Kaffee drinnen oder draußen genießen möchte. Über Radwege und nette Trails geht es vorbei an Costermano.

Durch das Valle Lunga führt wohl ein beliebter MTB-Trail, denn immer wieder überholen mich als Hike-a-Bikerin Leute mit ihren E-Bikes und ich ernte mitleidige Blicke. Ich will trotzdem keines – E-Bike – meine ich.

Und dann taucht er plötzlich auf: der blitzblaue Gardasee, tief unter mir. Am Hang entlang mit Blick auf den See, durch schöne Olivenhaine geht es nun Richtung Süden. Nach der Punta San Virgilio geht es nach einem fast unüberwindbaren Hindernis direkt an das Ufer des Sees. Das Hindernis stellt sich mir als ein Fußgängerdurchgang in den Weg. Die Spaziergänger können sich rechts durch einen schmalen Durchgang zwängen, mit einem Rad unmöglich. Kein Mensch weit und breit, ich mit meinem schweren Rad alleine. So was hatten wir doch auch unzählige Male bei der GBDuro in Schottland, dort in Form von versperrten Viehgattern. Ich wuchte das Vorderrad hoch, hebe es über die Stange, schiebe mit der Schulter das Hinterrad mit der schweren Tasche nach, wenig rückenfreundlich muss ich das ganze nun auf der anderen Seite langsam runterlassen. Geschafft!

Nun am Ufer entlang bis Garda. Viele Fußgänger und Zuschauer der Regata delle Bisse, die heute stattfindet, lassen mich nur langsam weiterkommen. Nach Garda geht es wieder ins Gelände, zum Glück, denn die Uferpromenade wäre heute wohl nicht ratsam gewesen.

Einen kurzen Kaffee-Stopp in Peschiera, im Bikehotel Enjoy, lasse ich mir nicht nehmen.

Dann geht es ins Ziel beim Agriturismo Le Fornase in Castelnuovo. Bei einem leckeren Teller Bohneneintopf und anderer Leckereien und nach „chiacchierate“ mit anderen Radfahrern findet das Abenteuer VGG langsam ein Ende.

Schade, zweieinhalb Tage durch die Gegend graveln sind leider viel zu schnell vergangen. Höhen und Tiefen sind allzu schnell vergessen. Aber das nächste Abenteuer kommt bestimmt …

Danke Stefania und Giorgio für das Erlebnis VGG. Schön war es durch neue schöne Landschaften zu fahren, Giogio, alias Musseu, überrascht immer wieder … und nette Rad-Bekanntschaften zu machen.

Leider gibt es nur wenige Frauen, die an solchen Events teilnehmen. Deshalb: Cicliste – traut euch!!! Vielleicht animiert mein Bericht und das Video euch ja …  

GPX-files:
VGG500: Teil 1Teil 2Teil 3

BTG – allein 1x längs durch Deutschland

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1650km einmal längs  durch Deutschland radeln – das wünschte ich mir immer schon, bin ich doch in Frankfurt geboren und kenne Teile des Landes allerhöchstens von der Autobahn aus.
Im Juli 2023 ist es dann soweit.

Zuerst mein Video/ hier die Kurzfassung

Infos & Anreise

Streckendownload strava

Tag 1, Sonntag, 2.Juli 2023
172 km/ 2250 Hm/ 10:35 h

In Basel starten wir zu viert, Kevin, Jörg, Stephan und ich. Ab etwa 60 Kilometern werde ich keinen meiner Mitstreiter mehr sehen und die nächsten 10 Tage werden ziemlich einsam sein, abgesehen von den vielen netten Menschen, die ich unterwegs treffe. Einer kommt vor mir an, die anderen beiden einen Tag später. Den ersten halben Tag radle ich meist recht flach in Nähe des Rheinufers. Ziemlich einige Kilometer auch in sehr großer Nähe, sprich, aus dem Gleichgewicht sollte frau nicht geraten, denn das Wasser ist nur Zentimeter entfernt vom Single Trail. Hatte mir einer der Jungs am Vorabend von dem Weg am Rheinufer mit Absturzgefahr erzählt, so fand ich es doch etwas übertrieben, als ich auf breitem etwas holprigen Weg am Ufer entlang düste und glaubte, das sei der besagte Streckenabschnitt.

Was kurz darauf kommen sollte, hatte ich mir so nicht vorgestellt. Schotter und Wurzeln, schmalster Weg, rechts ein steiler Hang nach oben und links das besagte Flussufer und das kilometerlang. Ehrlich gesagt bin ich ein paarmal schiebend anzutreffen gewesen. Hübsche Ortschaften unterwegs. Dann geht es auf und ab und fast unerwartet stehe ich am Eingang der Teufelsküche. Hinter mir taucht Kevin auf, nanu, ich dachte, er sei schon längst über alle Berge … Er hatte sich verfahren. Nach der Teufelsküche werde ich ihn nicht wieder treffen.

Die Teufelsküche, der Name ist Programm, ist eine Schlucht, die glücklicherweise im Moment nicht viel Wasser führt, so dass man den Weg, sprich die Steigspuren, gut erkennen kann. Allerdings sind die Steine und Wurzeln äußerst rutschig. Mühsam schiebe ich durch die Schlucht, dann geht es auf unregelmäßigen erdigen Stufen steil nach oben. Wie soll ich mein Rad, 26 Kilogramm schwer, da hinaufbringen? Ein Drahtseil soll Halt bieten. Ich habe aber leider keine Hand frei. Das Gewicht droht mich in die Tiefe zu ziehen, oje! Irgendwie schaffe ich es um die Kurve und über den glitschigen Pfad über den Abgrund. Wie ich später hören werde, hat Stephan weniger Glück. Er rutscht an besagter Stelle ab, Mann und Bike erleiden Blessuren. Nach der Teufelsküche geht es dann auch stetig hoch und runter, Höhenmeter sammele ich so ordentlich, bis ich ans Donauufer wechsele.

Mein angepeiltes Ziel, ein Radzeltplatz in Tuttlingen, erreiche ich viel zu früh, so beschließe ich noch den nächsten „Berg“ mitzunehmen. Unterwegs treffe ich auf Sven, einen Radfahrer aus der Schweiz, der auch auf der BTG-Strecke unterwegs ist und das schon zum 7. Mal. Idyllisch und mäßig steil geht es durchs Ursental und das Klippeneck ist bald erreicht. Hier steht die kleine Kreuzsteighütte, eine auf der Vorderseite offene Schutzhütte, wie ich sie in ganz Deutschland in den Wäldern finden werde. Mein Nachtlager wird hier aufgeschlagen, mit Blick auf die weit unter mir liegenden Dörfchen. Die Sonne liefert einen traumhaften Untergang. Das Zelt steht und langsam mache ich mir Gedanken, dass ich hier mutterseelenalleine bin. Aber Abhilfe naht in Gestalt eines jungen Fern-Wander-Paares.

Ich bin erleichtert, als sie mich fragen, ob sie ihr Zelt auch hier aufstellen dürften. Kaum sind wir in unseren Unterkünften verschwunden, fängt es nämlich im Wald schon an zu rumoren, blöken, röhren, bellen, grunzen, keine Ahnung welche Tiere das alles sind und es geht die ganze Nacht zu wie in einem Zoo.

Tag 2, Montag, 3. Juli 23
158 km/ 3300 hm/ 11:30 h

Ich schlafe kaum bis gar nicht. Um vier wird es hell, ich fröstle in meinem dünnen Schlafsack, obwohl ich alles Verfügbare anhabe (Sommerdaunenjacke, Regenjacke, Regenhose, …). Ich lasse die Luft aus der Luftmatratze und Kopfpolster, lege Zelt, Schlafsack zusammen, packe meine Siebensachen und starte in den angehenden Morgen. Eine Teerstraße sause ich voller Tatendrang abwärts, nur um die Höhenmeter mühsam wieder hochgurken zu müssen, weil ich die Abzweigung versäumt hatte.

Das wird allerdings nicht das einzige Mal gewesen sein … Einige Kilometer geht es nun über Waldwege abwärts und ich kann mein Glück kaum fassen: In Gosheim hat die Bäckerei schon um 6 Uhr auf und ich komme so an den geliebten Latte Macchiato (mit zweimal Zucker) und gönne mir mehrere Gebäck-Teilchen. Ein Kunde ist erstaunt, was ich mir da zutraue so als Frau alleine, ob ich nicht gehört habe, was letztens wieder alles passiert sei … Das will ich gar nicht hören und „klappe“ meine Ohren zu.

Wald, Wald, Wald. Es geht ständig rauf und runter, nicht selten über 15% steil. Nun 20% Steigung, für mich bedeutet das einen Kilometer schieben. Ich entdecke vor einer weiteren unmenschlichen Steigung ein Schild, fast zugewuchert vom Gebüsch; unter dem Logo der BTG steht „RÜGEN – nur noch 1450 Kilometer“. Aha, ich bin hier also richtig! Manchmal bekommt mein Rad beim Bergauffahren fast das Übergewicht nach hinten, obwohl in der Lenkerrolle ordentlich Gepäck steckt und auch mein Wasserbauch vom vielen Trinken in der Hitze wäre wohl ein gutes Gegengewicht.

Wald, Wald. So viel hatte ich nicht erwartet. Menschen trifft man nur sehr wenige, manchmal ein Radfahrer oder ein Spaziergänger mit Hund, Kaninchen, Eichhörnchen, Füchse, Rehe … Ich fühle mich im Wald aber recht sicher. Noch …

Und dann plötzlich das überraschende Panorama mit Blick auf das Schloss Hohenzollern auf einem Hügel gegenüber. Ich bin am Kontrollpunkt CP1 angelangt. Nach einem „Ratscherle“ mit einem Wanderer geht es weiter.

Wie schon gehabt geht es weiter über Stock und Stein, durch Wälder und Felder. Beim Schloss Lichtenstein, das auch Märchenschloss Würtembergs genannt wird, wähle ich aus den vielen Wurst- und Fleischgerichten den Kartoffelsalat pur und werde verständnislos angeguckt. Ich treffe hier eine Familie aus Italien, die Welt ist klein, denn sie kennen Brixen aus vielen Urlauben gut. Weiter dann durch die nachmittägliche Hitze.

Die nächste Pause am Fuß der Schwäbischen Alb in Bad Urach muss sein, schweißtreibende Anstiege erwarten mich. Ich sitze mitten auf dem spätmittelalterlichen Marktplatz mit dem Rathaus und den Fachwerkhäusern aus dem 15. und 16. Jahrhundert und lasse mir Obstkuchen munden, auch meine Wasserreserven muss ich auffüllen. Die angepeilte Waldliegewiese zum Campen mit Blick auf Schloss Hohenneuffen und Burg Teck lasse ich hinter mir. Es ist nun kühler, die Steigungen aber weiterhin unbarmherzig. Mitten in der steilsten Steigung krabbelt ein riesiger Hirschkäfer über den Weg. Ich sehe meine Chance gekommen … nein, nicht drüber fahren und schauen, wie stark der Kerl wirklich ist, sondern … Foto machen. Geht natürlich nicht während des Fahrens. Also absteigen und danach mit Hundsschanden wieder aufsteigen, ohne hintüber zu kippen. Wer ist denn so blöd sowas zu machen?

Ich treffe Sven wieder, der mit Magenproblemen zu leiden hat.

Wo soll ich heute schlafen? Ich fahre in den Sonnenuntergang hinein, es wäre an der Zeit ein Plätzchen zu finden. Da! Vor mir eine Umleitung. Hier steht auch ein Auto, davor zwei Männer, die mir nachschauen. Ich biege ab und im Streckengalopp rase ich durch den Wald. Was, wenn mich diese beiden Männer jetzt verfolgen? Was hatte am Morgen der Mann beim Bäcker gesagt, eine Frau allein, wo so viel passiere? Mein Herz schlägt wie wild, als ich weiter beschleunige. Der Wald wird immer düsterer, die Angst nimmt zu. Ein Auto kommt entgegen, da lichtet sich schon der Wald und spuckt mich aus.

Unentschlossen bleibe ich kurz danach bei einem Bauernhof stehen, aus einem Wirtschaftsraum höre ich Stimmen. Soll ich fragen? Im Gastgarten könnte ich mein Zelt aufstellen und mit Blick auf den mit schweren dunklen Wolken behangenen Himmel, könnte ich bei Regen Schutz suchen und zudem wäre ich nicht allein irgendwo im Wald. Ich gehe den Stimmen nach und frage, ob ich draußen beim Zaun mein Zeltchen aufstellen dürfe. Ja, natürlich. Als mein Nachtlager steht, ich war doch etwas näher zum Gastgarten gerückt, steht plötzlich die Bäuerin vor mir, ob ich hier wohl zelten wolle? Ich sagte ihr, dass ich gefragt hatte. Aha, der Sohn, aber kein Problem.

Logisch darf ich, ich bekomme sogar noch einen halben Liter Sauermilch im Porzellanbecher und Eis. Obwohl die Frau abwehrt, gebe ich ein kleines Trinkgeld und bestehe darauf als Stellplatz-Gebühr. Sogar das Gäste-WC wird mir noch aufgesperrt. Sehr nett ist es hier bei der Hofstelle Reußenstein. Der Schlaf ist nicht ganz ruhig, in meiner Nachbarschaft muht eine Kuh die ganze Nacht. Die Sauermilch hebe ich für das Frühstück auf, lege einen Bierdeckel darüber und stelle das Glas in einen ausgehöhlten Baumstumpf.

Tag 3, Dienstag, 4. Juli
114 km/ 1900 Hm/ 8 h – sozusagen ein „Pause-Tag“

Vom Regen in der Nacht hatte ich nichts gemerkt, aber der Asphalt ist nass, als ich aufbreche und in den jungen Tag hineinfahre. Zuvor noch Frühstück. Der Bierdeckel war verrutscht und in der Sauermilch hatten leider einige Ameisen und ein Ohrwürmchen den Tod gefunden. Ich klaube sie raus und ausgehungert, wie ich bin, mundet die noch ein wenig mehr vergorene Milch köstlich. Dazu gibt es das Hefeteilchen Henry. Hahaaaaa! Ich hatte Hermann von dem Hefekuchen geschrieben und das Smartphon „auto-infill“ macht „Henry“ draus …  Mit dem Start lasse ich mir etwas Zeit, sonst würde ich wohl zu früh nach Kuchen kommen zum zweiten Frühstück und Supermarktstopp. Wunderschön zwischen den Wolken kommt nun doch die Sonne durch.

Aber recht schnell komme ich doch nicht weiter, wieder unmenschliche Steigungen und viel Wald. Streckenabweichung! Garmin meldet sich, also zurück. So morgens früh ist mit Konzentration halt noch nichts, aber wer denkt sich denn, dass von einem schön geschotterten Weg plötzlich ein Trail abgeht und schon bin ich 100 Meter tiefer und muss alles wieder hoch. Das nächste Mal lässt nicht lange auf sich warten. Ich bin in Gedanken versunken und rase den Schotterweg abwärts, die Abzweigung fällt mir nicht auf, warum sollte hier denn plötzlich ein Teerweg weiter gehen, der Weg des geringeren Widerstands passt gar nicht ins BTG-Konzept, das hatte ich schon bemerkt. Da dieses Sträßchen lange parallel zum Schotterweg führt, merkt die Garmin lange nichts und ich so erst recht nicht. Alles zurück … Warum war ich abgelenkt? Ich führe heute sozusagen schon eine Weile wissenschaftliche Überlegungen: Mir ist nämlich was aufgefallen. Die Weinberg-Schnecken hier, die zuhauf über den Weg kriechen, haben ein rechtsdrehendes Schneckenhaus. Wenn man sie fotografieren will, muss man darauf achten, dass sie von links nach rechts über den Weg krabbeln, sonst ist das schöne Gehäuse nicht drauf. Ich betreibe vergleichende Naturwissenschaften: Auf dem Balkan, drei Wochen zuvor, war es genau umgekehrt, die Schnecken, die nach links krochen, da sah man das schöne Gewinde. Das bedeutete doch, dass dort die Schnecken linksdrehend waren oder rechtsdrehend? Egal …

Ich wundere mich weiters sehr, wollte ich am vergangenen Abend noch weiter fahren bis Gammelshausen, wo Karsten, der zwei Tage früher gestartet war, übernachtet hatte. Ich hatte aber darauf verzichtet, weil ich keine Lust hatte, 150 m hoch zu fahren, wie mir die Karte anzeigte. Ich stand nun am Abzweigungsort, Gammelshausen tief unter mir. Ich glaub, ich sollte mal einen Kartenlesekurs absolvieren, Höhenlinien betreffend. Gut, an der Tatsache änderte es wenig, denn, wenn man runterfährt, muss man halt wieder hoch oder umgekehrt.

Gerade wäre mir vor Schreck fast das Handy aus der Hand gefallen. Ich bin grad beim Notizen machen (Sprachaufnahme), da bricht aus dem Unterholz vor mir, eine Etage höher natürlich, ein riesiger Raubvogel und biegt einen Meter vor mir auf den Forstweg ein und fliegt ein paar Sekunden vor mir her. Ich sollte auf mein neues Handy etwas besser aufpassen …

Wie üblich im Wechsel Wälder und Felder, mancher Single Trail und manche bittere Steigung, wie die 500 m mit 110 m Höhenunterschied, man kann sich die Steigungsprozente leicht ausrechnen, es sind genau 22% und das auf Schotter und mit 26kg. Als ich mich mitten drin umdrehe, um zu sehen, ob ich mich da runter zu fahren trauen würde, sehe ich, dass ganz unten ein Mann mit kurzer Hose und weißem Schlabber-T-Shirt in den Weg einbiegt. Folgt der mir? Immer wieder drehe ich mich um und schaue, ob er näherkommt. Soll ich mein Pfefferspray mal in Reichweite legen? Schneller kann ich nicht. Aber der Mann wird glücklicherweise auch nicht schneller und schaut auch nicht so aus, als hätte er ein Messer oder so. Aber die Gedanken fahren Karussell. Was hatte der Bäckerkunde am Tag zuvor zu mir gesagt? Bald wird es aber wieder flacher und ich radle erleichtert von dannen. So steil, wie es grad hoch ging, geht es nun runter, wenn nicht steiler. Ich traue mich nicht und schiebe. Runter über den nassen Waldboden durchsetzt mit losen Kalksteinen. Wenn das so weiter geht, werde ich wohl drei Wochen mindestens brauchen bis nach Kap Arkona.

Aber es wird wieder flowiger und ich erreiche Kuchen, natürlich nicht zu früh. Und der Ort heißt wirklich so. Nomen ist Omen, beim Supermarkt gibt es einen Bäcker und hier stärke ich mich mit Latte Macchiato (mit 2 Zucker), Laugenbrot mit dick Butter und Zwetschgen-Streuselkuchen. Ich lasse es mir schmecken und nutze das Gratis-Wlan, kann mich nicht aufraffen zu starten, 300 Hm stehen an. Hatte ich eine Vorahnung? Glücklicherweise weiß ich noch nicht, was auf mich zukommt.

Altes Wasser ausgeleert, neues aufgefüllt, dann los! Es geht gleich zünftig zur Sache. 18% plus, aber auf Asphalt keine große Sache. Na, warte, Gabi, der Weg geht in einen Forstweg über, der aber etwas weniger Steigung hat und dann plötzlich zweigt links ein Wanderweg ab. Auf beiden Seiten je ein steiler Hang, rechts steil nach oben, links steil nach unten, dazwischen der sehr schmale Weg. Den muss ich augenscheinlich nehmen. Und bald schon das erste Hindernis. Ein Baumstamm liegt im Weg. Minutenlang stehe ich davor und bringe die Energie nicht auf die 26 kg drüber zu wuchten. Dann bald der nächste.

Ziemlich hoch. Drunter durch passt mein Rad nicht mit dem ganzen Gepäck. Ich wuchte das Vorderrad darüber und will das Hinterrad nachziehen. Fast geschafft, da merke ich, dass das Gewicht des Rades mich nach außen drückt, in Richtung „Abgrund“. Schnell versuche ich einen Holunderzweig zu fassen, aber „knacks!“ bricht dieser und in Null-Komma-Nichts, ich weiß nicht, wie es mir geschieht, liegt Frau und Rad zwei Meter unterhalb des Weges.

Knochen sortiert, alles noch dran … Wie aber jetzt das bepackte Rad wieder auf den Weg bekommen? Ich bringe alle Kräfte auf und habe das Vorderrad schon wieder auf der Strecke, aber was ist das? Irgendwas klemmt … Der Sattel hatte sich eingehakt in einen Holunderstamm, das Vorderrad wird vom Baumstamm blockiert. Nichts geht mehr.

Die Kräfte verlassen mich und mein Rad ist wieder da, wo es zuvor lag. Trotz aller Anstrengungen ich komme am Stamm auch das nächste Mal nicht vorbei. Schweißgebadet und beinahe den Tränen nahe denke ich schon daran, die gesamten Taschen abzubauen, da hat wohl irgendeine höhere Macht ein Einsehen und ich weiß nicht wie, aber beide, Frau und Rad, sind wieder auf dem rechten Weg. Mein Willen ist gebrochen, das kannte ich ja vom Trans Balkan Race, wo es mir bei einer schlimmen Schlamm-Passage so ging.

Im Kopf läuft nichts mehr ab. Ich lebe nur noch im Moment. Mehrere Bäume sind noch zu überklettern und dann ein paar steile erdige unregelmäßige Stufen. Meine Gedanken sind damit beschäftigt, wie schaffe ich den nächsten Baumstamm. Keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen ist, bis ich am Aussichtspunkt Höhenstein stehe. Mit zitternden Knien, fix und fertig. Zumindest sind die kommenden Anstiege nicht so fordernd. Meine zerschrammten Beine kühle und reinige ich einigermaßen beim nächsten Brunnen.

Picknickzeit. Mein Frischkäse-Gemüse-Laugenbrot muss dran glauben, Tisch ist ein umgestürzter Baumstamm. Mit Kefir gestärkt geht es weiter. Das Wental mit seinen bizarren Dolomitfelsen liegt vor mir. Sehr schön. In Aalen muss ich unter einer Bahnunterführung durch. Ich und die Garmin sind verwirrt und als wir mit Versuch und Irrtum endlich wieder am Licht sind, steht Stephan vor mir. Welch ein Zufall, wie ausgemacht. Er war auf mein gepostetes Absturzbild in den nächsten Zug gestiegen und hatte die Strecke abgekürzt; er wolle Radfahren und nicht Radschieben …  Gemeinsam fahren wir bis Ellwangen. Dort erwartet mich ein bequemes Bett, ich kann mich, meine Garderobe und mein Rad pflegen. Es gibt lecker Essen und erholsamen Schlaf, das erste Mal seit drei Nächten.

Tag 4, Mittwoch, 5. Juli
141,08 km/ 2.365 m/ 9:25 h – sozusagen der zweite „Pause-Tag“

Und gegen halb sechs am 4. Tag bin ich wieder im Sattel. Unwetter soll es geben? Bei dem blauen Himmel doch nicht … Vorbei an Kreßbachsee und Fischbachsee, eintauchen in die deutschen Wälder. Die Wolken verdichten sich und versprechen nichts Gutes. Die ersten Regentropfen und in Kürze prasselnder Regen, ich rette mich unter einen Laubbaum. Lange bleibt es nicht trocken darunter und ich wechsle die Wegseite und „verstecke“ mich unter einem Hochstand. Ich muss allerdings zuerst die dichten Dornenranken niedertreten, die mich an Armen und Beinen zerren. Und da kracht es auch schon, den Blitz hatte ich gar nicht gesehen. Angst! Gewitter im Freien löst bei mir immer irgendwie Panik aus. Ich zerre mein Smartphon heraus und tippe hektisch darauf herum. Regenradar! Ich sehe, ich bin genau im Kern der Gewitterfront. Als das Schlimmste vorüber ist, fahre ich weiter. Es regnet noch leicht. Die Wege sind nun voll verschlammt und ich schaue in kürzester Zeit wie ein Schweinchen aus. Hoffentlich finde ich für Rad und mich irgendwo einen Gartenschlauch. Das ist allerdings der Beginn meiner müffelnden Schuhe.

Es geht nun mal wieder abwärts, aber äußerste Vorsicht ist geboten, denn der Forstweg scheint mit Haufen frischen Splits aufgeschüttet, ich fahre langsam, damit sich mein Reifen nicht in die Menge bohrt und mich abwirft. In Schnelldorf gönne ich mir ein schönes Frühstück, dann geht es weiter Richtung Schillingsfürst. Hoffentlich wird das Wetter mittags besser. Dieses Tief hatte ich nicht auf dem Schirm gehabt. Meine nassen Sachen behalte ich an. Sie trocknen in wechselndem Gegen-, Seiten- und Rückenwind rasch. Gespannt bin ich, ob es heute noch mal regnen wird.

Unterwegs muss ich schmunzeln, ein Bild vom Vortag vor Augen. Gabi auf dem Boden kniend, Kameralinse auf eine Schnecke gerichtet, wartend, dass das Tierchen wieder seine Fühler ausstreckt. Der Name Lumacagabi ist Programm und ein Bild mit Schnecke Pflicht. Oder was macht man nicht alles, um ein paar Minuten Pause rauszuschinden …

Die Wälder hier sind schier endlos. Seit fast fünf Kilometern fahre ich geradeaus durch einen Forst. Einzige Abwechslung zwei Reiterinnen mit mindestens 15 Hunden. Immer wieder wechselt der Schotter in tiefen Schotter.

Immer wieder nette Singletrails, aber nach dem Regen sind die Wurzeln und Steine spiegelglatt, ebenso der festgefahrene Lehmboden und ich muss höllisch aufpassen, um keinen Abflug zu machen. Am Nachmittag durchfahre ich mehr landwirtschafliches Grün, mit den fehlenden Bäumen kommt nun auch die Hitze.

Die alte Höhenstraße vor Erlangen aus vergangenen Zeiten ist heute ein Singletrail und nett zu fahren. Am späten Nachmittag erreiche ich Doris, die mich am Weg abholt und nach Großseenbach führt. Wieder mal hatte ich mich getäuscht, ich hatte gedacht nach dem Ort ginge es eben oder aufwärts. Dabei fahren wir fast 200 Höhenmeter hinunter, Hilfe, die müsste ich am kommenden Morgen wieder hinauf … Das blende ich jedoch im Moment aus, die köstliche Bewirtung und das angenehme Nachtlager, die erfrischende Dusche und auch der Gedanken, dass auch mein Rad wieder gepflegt auf die nächsten Kilometer gehen würde, lassen mich ruhig die Augen schließen.

Tag 5, Donnerstag, 6. Juli
160,79 km/ 2.766 Hm/ 11:40 h

Nun muss ich die Höhenmeter wieder hoch zur Strecke, gut zum Wachwerden. Ich darf gar nicht daran denken, wie viele Höhenmeter sich da heute noch dranhängen werden. An den vergangenen Tagen gab es ja Bergauffahren und -schieben ohne Ende. Die Beine drehen sich heute schwer, jede kleine Steigung spüre ich. Der Kaffees-Stopp an Tankstelle in Erlangen weckt meine Geister etwas. Allerdings werde ich im nächsten Wald bei 10% Steigung sogar von einer Joggerin ein- und fast überholt. Uff!

Zum CP2 finde ich fast nicht rauf. Zuerst ein Verhauer, denn ich fahre gemütlich auf dem Schotterweg weiter hinauf und übersehe den Einstieg zum Singletrail. Frau kann wohl keine Fahrverbotsschilder deuten. Selber schuld. Also wieder zurück und über eine Art Pumptrail Richtung Ruine Neideck. Nun halte ich mich peinlichst genau an die Vorgabe mit dem Ergebnis, dass ich mein Bike statt auf dem Normalweg zur Burg einen schmalen überaus steilen Fußweg runterbremse und dann unter Absturzgefahr wieder hochwuchten muss über Wurzeln.

Nun geht es weiter durch die Fränkische Schweiz mit den im Wald versteckten Felsformationen. Zunächst Waldweg gesperrt wegen Holzfällerarbeiten. Wo soll ich da bloß umleiten? Ich konsultiere die Garmin.

Nun geht es viele Kilometer angenehm auf einem Radweg dem Fluss Wiesent entlang. Der nächste „Berg“ ist nah, zuvor noch Freiluftmittagessen mit Humus und leckerem Olivenbrot von Doris. Gestärkt geht es in der Hitze wieder hinauf. Meine Beine sind wie Gummi, Schieben ist angesagt. Was? Bei der bisschen Steigung muss ich schon zu Fuß gehen? Mein Blick auf das Display meiner Garmin bestätigt aber 18% und es wird noch steiler. Meine Wahrnehmung ist wohl etwas gestört.

Ich muss durch Bayreuth durch. Zwar geht schön durch einen Radweg am Roten Main entlang. Aber es sind mir hier bedeutend zu viele Menschen. Es kommt mir schmutzig vor, obwohl das gar nicht stimmt. Ich bin wohl in den vergangenen vier Tagen schon so ziemlich zum „Naturburschen“ oder besser Waldmädchen geworden. Ich freue mich, als ich wieder in die kühlen Wälder eintauchen darf.

Ein Eiscaffeé am Weg vor Bad Berneck. Die kühle Leckerei (Mandel und Melone) schmeckt wie echtes italienisches „gelato“, der Lattemacchiato (mit zwei Zucker) weckt meine Lebensgeister. Ich darf mich zu Jürgen an den Tisch setzen und wir kommen ins Gespräch. Zusammen fahren wir ein Stück. Er versucht mir die Vorteile eines E-Bikes nahezubringen. Ich komme in den Genuss einer Testfahrt mit Jürgens Rad, der Arme muss über den holprigen und verblockten Weg vor Gefrees mit meinem Packesel hoch, was er ohne Murren macht. Dann nach einem „Verhauer“ müssen wir zurück und in einen unwegsamen Singletrail einbiegen. Wieder mal versperrt ein riesiger umgestürzter Baum den Weg. Jürgen hilft mir mein Rad da drüber zu bekommen, allein hätte ich das wohl nicht geschafft. Noch ein kurzer Plausch und ich bin wieder allein. Danke, Jürgen, für die unterhaltsame Begleitung! Wieder im Wald allein. Ich höre Motorsägen-Lärm. Mit einem „Hallo“ versuche ich auf mich aufmerksam zu machen. War da irgendwo ein Schild gewesen? Nichts gesehen, mein Weg hatte mich aber durch zugewucherte Wildnis mit umgestürzten Bäumen hierhergebracht, da ging normal wohl niemand. Der Lärm verstummt, ich höre Hammergeräusche, klingt, als ob ein Keil in eine Kerbe geschlagen wird; ich bleibe zum Glück stehen, denn da hört man schon einen gewaltigen „Tusch“ und nicht weit von mir schlägt der Wipfel eines großen Baumes hart auf dem Boden auf. Oh oh! Glück gehabt. 

Durch die E-Bike-Fahrt hatte ich wohl einige „Körner“ gespart und nach Shopping in Gefrees in der Aral tanke, wo ich mich für das Frühstück eindecke, schaffe ich es in dem nun kühler werdenden Abend noch über den Großen Waldstein und nehme auch noch die nächste Steigung in Angriff. Interessant folgende Beobachtung. Nachdem ich von der E-Bike-Erfahrung wieder auf meinem eigenen Rad saß, hatte ich bei den Steigungen das Gefühl, dass das Rad von allein wegzieht, ähnlich, wie wenn man über eine schwankende Brücke geht und auf dem Festland das Gefühl hat, dass der Boden schwankt. Naja, schade, dass dieses Gefühl wenig später wieder dem mühsamen Bergauffahren Platz machte.

Schlafplatz hatte ich schon auf Google Maps gewählt, das Kornberghaus. Ein recht neues Restaurant neben einem Skilift, jetzt geschlossen und verwaist. Hier mein Zelt aufzustellen, bedeutet für mich nicht mitten im Wald zu campieren und damit fühlte ich mich nicht so schutzlos.

Aber was war das? Sobald ich mich häuslich einrichte, schwirren Millionen winziger Midges, die ich bei der letztjährigen GB-Duro von Schottland kenne. Unangenehm schwirren die kleinen Biester um Augen, Nase, Ohren und andere ungeschützte Körperteile. Mückenmittel hilft nicht. Ich werde gepiesackt mit kleinen Stichen, die Haut schwillt zumindest nicht auf, wie nach einem Mückenstich, zumindest noch nicht. Immer wieder renne ich hektisch zwischen Rad, das ich an die Wand des Hauses gestellt hatte und Zeltplatz hin und her. Es dauert immer nur kurz bis die Viecher mich wieder haben. Ich muss die Tierchen an der Nase rumführen, um beim Einsteigen in meine vier Wände nicht verfolgt zu werden. Bin ich froh, als ich im Zelt liege und meine Ruhe habe und glücklich, dass ich mich zuhause nicht für den Biwaksack entschieden zu haben.

Tag 6, Freitag, 7. Juli
135,25 km/ 2.373 Hm/ 10:02:31 h

Ich schlafe recht gut, bis ich im Morgengrauen irgendwo eine Tür höre und Stimmen, die sich entfernen. Da bin ich wohl doch nicht so einsam gewesen. Oder habe ich geträumt? Ich packe. Die Midges schlafen vermutlich noch. Ich lasse mir auf den nächsten Kilometern Zeit, ich hoffe nicht zu früh beim Bäcker in Rehau, das 2 Kilometer offroad liegt, zu sein. Aber keine Angst, für die 10 Kilometer brauche ich überdurchschnittlich lange, es geht immer wieder auf Trails durch den Wald, mehrmals verfahre ich mich, weil ich nicht merke, dass es wieder mal vom Schotterweg auf einen Singletrail geht. Ich höre ein seltsames Geräusch im Wald ähnlich Maschinengeräuschen, mal lauter, mal leiser. Ich denke schon Halluzinationen zu haben, da komme ich auf des Rätsels Lösung: Ich bin nicht weit weg von der Autobahn und dort gibt es um 6 Uhr morgens schon einen ziemlichen Verkehr.

Ich entscheide mich Rehau links liegen zu lassen und die nächste Ortschaft anzusteuern. Plötzlich sitzt vor mir auf einem schmalen verwurzelten und verblockten Trail ein großer schwarzer Hund mit dem Rücken zu mir. Das Herrchen ist 10 m weiter. Was tun? Wie mache ich mich bemerkbar? Wie wird das Tier reagieren? Ich sage mal laut „Guten Morgen“, aber Herrchen hört das wohl nicht. Dafür kommt der riesige Hund auf mich zu galoppiert. Schwanzwedelnd! Fritz, so sein Name, ist mir glücklicherweise freundlich gesinnt.

Frühstück im Wald mit Butterbretzel von gestern und einem nicht gekühlten Eiskaffee-Getränk. Schon der Gedanke an „Eis“ lässt mich schaudern. Es ist nämlich sehr frisch – grad mal 7° Celsius. Ich fahre mit Daunenjacke und überlege schon meine dünnen Wollhandschuhe anzuziehen, aber das wäre schon übertrieben mitten im Sommer. Weiter geht es. Ein dick mit frischem Schotter aufgefüllter Weg ist zu meistern. Mein Vorderrad schwimmt. Ich sehe nur eine Radspur, das heißt das ist ganz frisch.

In Kürze werde ich das erste Mal die tschechische grüne Grenze überfahren. Zum x-ten Mal fahre ich falsch, der nächste Singletrail biegt nämlich fast parallel zur Schotterpiste ab und bis Gabi und die Garmin drauf kommen, ist Gabi schon vorbei. Ich glaube, dass ich die 1700 km locker zusammen bekomme bis Kap Arkona.

Ich wechsle nach kurzem Tschechien-Intermezzo wieder nach Deutschland und Frühstück in Adorf ist angesagt. Was sich wohl im Supermarkt die Bäckersfrau an der Theke denkt von der „abgerissen“ aussehenden Frau mit Helm und nicht ganz sauberer Radkleidung, die in einer Fremdsprache, nämlich nicht Sächsisch, Kaffee, altdeutschen Quarkkuchen, eine Mohnstreuselschnitte,  zwei Bretzeln, und ein belegtes Brot bestellt? Misstrauisch werde ich beäugt und wenig freundlich abgefertigt. Ich bin im Vogtland, fahre nahe der tschechischen Grenze, die ich immer wieder überqueren werde. War es am Morgen noch unter 10°, so hat es jetzt beim Aufstieg schon über 28° und es geht die nächsten 50 km immer aufwärts bis zur höchsten Erhebung der gesamten Tour, dem Fichtelberg.

Aber zunächst wieder viel Wald durch die Sachsenforste, immer wieder unterbrochen von hübschen kleinen Singletrails. Mit einem leichten MTB wäre das total spritzig, aber so schaukele ich etwas schwerfällig durch die Gegend.

Hat es sich am Morgen recht schleppend angelassen, so geht es irgendwann recht zügig weiter. Bald geht es wieder über die Grenze, dort werde ich in einem Ort wohl Wasser nachfüllen müssen. Keine Ahnung, wie weit ich heute noch komme.

Johanngeorgenstadt ist eine Bergstadt im sächsischen Erzgebirgskreis. Sie liegt unmittelbar an der Grenze zu Tschechien. Komme ich aus endlosen Kilometern durch die sächsischen Forste, so erschlägt mich im ersten Moment der plötzliche Rummel und die vielen Souvenirläden und duty free Shops am Ortseingang. Ich umrunde den Kreisverkehr ganze drei Mal, bis ich mich entschlossen habe, was ich tun möchte. Ich kaufe in einem der Läden etwas Wasser und flüchte aus dem Getümmel.

Der mit etwas Angst erwartete Anstieg zum Fichtelberg ist milder als gedacht. Zunächst eine mäßig steigende Teerstraße, dann weiter auf angenehmem Schotterweg. Eine hübsch geschnitzte Bank lädt zum Verweilen ein und ich setze mich in den Schatten, um meine letzten Vorräte aufzuessen. Halt, nein, zuerst kommt mein Bike dran, die Kette muss dringend wieder mal geölt werden, so muss Apfel und Brot noch warten. Etwas weiter nutze ich ein Bächlein, um Abkühlung für mich zu suchen und mein Prokaliber zu säubern. Die letzten Tage hatten Spuren hinterlassen, die Farbe des Rades war kaum mehr zu erkennen.

Die letzten Kilometer doch noch mal Schieben angesagt, der grobe Untergrund und die Steilheit des Weges tun weh, überhaupt, wenn fünf Meter nebenan eine feine Asphaltstraße nach oben führt. Aber „Schwindeln“ ist nicht drin.   Belohnt werde ich auf dem Fichtelberg mit einem traumhaften Panorama und der Aussicht auf ein leckeres Essen, gefüllte Paprika mit Kartoffelpürree.

Da ich auf das Essen etwas warten muss, nutze ich die Zeit zur Körperpflege. Ob das die sanitären Anlagen des Restaurants wohl jemals gesehen hatten? Die Frau wäscht sich doch wirklich Füße, die Socken und die Haare, na sowas! Und die Überschwemmung unter dem Waschbecken, zum Glück hat das niemand gesehen. Ich muss sogar kurz das Männerklo heimsuchen, denn auf der Damenseite sind die Papierhandtücher ausgegangen. Wieder sauber am Tisch ist auch das Abendessen da. Es mundet göttlich.

Voller Energien mache ich mich dann an den Downhill. Im wahrsten Sinne des Wortes geht es steil und über Stock und Stein den Berg hinunter. Und dann sehe ich sie: die gelben Streckenschilder des Stoneman Miriquidi. Es heimatet, denn den Stoneman Gold bei mir daheim, in Sexten, haben wir schon absolviert. Bea (Sportmiez) hatte mich kontaktiert, sie wollte mich irgendwo abfangen, sie fahre heute den Stoneman Miriquidi, ich kenne sie vom Trans Balkan Race. Anscheinend bin ich aber zu schnell.

In Bärenstein muss ich meine Reserven auffüllen. Ich weiß gar nicht, wohin mit den ganzen Sachen. Der Ort liegt direkt an der deutsch-tschechischen Grenze, Grenzlinie ist der Pöhlbach und der Ort sozusagen zweigeteilt. Ich wechsle nun für ein paar Kilometer nach Tschechien. Einsame Wälder erwarten mich hier, mir ist hier etwas mulmig zumute, da die Dämmerung nicht weit ist, die Wälder düster, die Wege in einem Zustand, dass ich nur langsam weiterkomme.

Wollte ich zuerst bis zu einem Picknickplatz an einem Teich fahren, so entschließe ich kurzerhand in Jöhstadt zu nächtigen, in der Frühstückspension Schlösselmühle. Ob ich aber einen Platz bekomme? Laut Booking ist ausgebucht, auf meinen Anruf meldet sich niemand, der letzte Versuch ist auf der Rückseite des Gebäudes zu klingeln. Mit Erfolg. Die Wirtin kommt aus dem Garten. Ja, ein Zimmer habe sie noch frei, die anderen seien belegt mit einer Hochzeitsgesellschaft. Ich befürchte, dass es dann nachts lustig zugehen würde, aber weiterfahren ist keine Option. Von den Hochzeitsgästen höre ich nichts, mein Schlaf ist jedoch etwas unruhig, denn mitten in der Nacht beginnen meine Knöchel und Handgelenkt zu jucken. Interessanterweise trat die allergische Reaktion auf die Midges-Stiche an den ungeschützten Stellen vom Campen am Kornberghaus zuvor spät ein.

Tag 7, Samstag, 8. Juli
149 km/ 2.400 m/ 10:50 h

Halb fünf Weckruf meiner Uhr, ich habe die Erlaubnis mir im Gastraum einen Kaffee zu machen, esse von meinen Einkäufen in Bärenstein und bin kurz darauf wieder auf dem Weg. Heute ist es nicht so kalt wie gestern, auch im Wald kommt mir schon warme Luft entgegen. Ich bin gespannt, wie sich die Temperaturen heute entwickeln. Mir schwant nichts Gutes. Kilometerlang Singletrail durch eine Art Moorlandschaft, abgelöst von einem Waalweg. Schön verwurzelter Weg, so muss ich aufpassen, nicht im Wasser zu landen.

Dann bin ich am See, an dem ich eigentlich zelten wollte. Zwei Stunden war ich unterwegs, gut, dass ich die Pension gewählt habe. Mücken gibt es hier auch. Weiter nach kurzer Pause, nächste Anlaufstelle ist Olbernhau. Danach gibt es 100 Kilometer nichts mehr. Überheblich hatte ich beim Start gedacht, ich würde dort lange vor sieben sein, jetzt ist es schon halb acht vorbei. Die Strecken lassen sich schwer einschätzen.

Das nächste große Ziel ist vor 20 Uhr in Bad Schandau zu sein, denn anschließend gibt es fast 140 km keine Einkaufsmöglichkeit mehr.

Ich entscheide Olbernhau links liegen zu lassen, ist es doch off route. Ich habe noch einiges an Essen und bald kommt der Kurort Seiffen, dort sollte es eine Bäckerei geben. Etwas „weh“ tut es, dass der Ortskern dort etwa 100 Hm unterhalb der Strecke liegt, aber es lohnt sich bei der Bäckerei Schmieder einzukehren. Sehr netter Laden und leckeres Frühstück. Ich decke mich zudem mit Kuchen und Broten ein, denn vermutlich wird es lange nichts geben, wenn ich Bad Schandau nicht pünktlich erreiche, dann wohl sehr sehr lange. Zudem ist morgen Sonntag, da gibt es dann gar nichts. Es bleibt also spannend. Hatte ich das mit der mageren Versorgungslage im Osten im Vorfeld gelesen, ich realisiere es erst jetzt so richtig.  

Durch Wälder und grenzüberschreitende schön breite Wanderwege geht es zunächst weiter durch Sachsen. Interessantes Detail, am Wegesrand stehen Hunderte von kleinen weißen Täfelchen mit Namen von Frischvermählten drauf. Ist das hier so Brauch? Vielleicht soll das Glück bringen. Ich frage mich, ob die vielen Paare noch alle zusammen sind, die ältesten Schilder stehen hier schon über 20 Jahre.

Über einen holprigen Singletrail wechsle ich auf den nächsten feinen Schotterweg und werde aufgehalten von einem jungen Paar mit Gravelbikes. Ob ich einen passenden Inbus-Schlüssel habe. Sie sei da vorne über einen Reißnagel, von denen es da mehrere gebe, gefahren und jetzt ist der Reifen platt. Wir quatschen etwas, dann schiebe ich vorsichtshalber ein Stück. Reißzwecken … Wem fällt denn sowas ein. Nun wechselt der grenznahe Weg nach Tschechien. Die Wege werden wieder holpriger, ein schnelles Vorwärtskommen ist nicht. Zudem wieder mehrere „Verhauer“. Auch geht es jetzt durch wunderschöne aber der Sonne stark ausgesetzte Hochmoore. Die Sonne brennt vom Himmel. Ein kleiner Badesee am Weg kommt sehr gelegen. Schnell aus den Klamotten raus und auf dem Boden verstreut und rein ins Vergnügen. Bei der Hitze eine willkommene Abkühlung. Aber wie soll ich wieder raus? Ohne nichts an … Nicht alle baden hüllenlos.

 

Nun etwa 25 Kilometer, wie die italienischen Ciclisti sagen „falso piano“ … also es schaut auf der Karte eben aus, ist aber immer leicht aufwärts, hier auf der Karte leicht abwärts, fühlt sich aber an wie eine Steigung über Grasnarben, Singletrails. Etwas mühsam.

In Grenznähe nun die sehnlichst erwarteten ersten Felsformationen des Elbsandsteingebirges. Spektakel. Und bald erreiche ich auch den CP3, den Katzstein. 50 Stufen führen auf den Gipfel des Felsens, schwindelfrei muss man unbedingt sein, über die steile Leiter hochzukraxeln und vor allem wieder runter. Einen Fehltritt darf man sich keinesfalls erlauben. Zudem ist kein Mensch weit und breit und ein Unfall würde lange nicht bemerkt werden. Ich esse meinen Streuselkuchen, den ich schon den ganzen Tag mitschleppe.

Das ist wieder mal Grundlage einer wissenschaftlichen Studie. Frage: Was wird aus einem prismenförmigen Stück Streuselkuchen, das den ganzen Tag über Singletrails holpert? Genau, daraus entstehen andere geometrische Figuren, nämlich Kugeln. Und Nachtrag, Kefir, das den ganzen Tag durchgeschüttelt wird, verwandelt sich zu einer butterähnlichen Masse, aber trotzdem noch lecker. Man gönnt sich ja sonst nichts …

Nach kurzer Schiebepassage durch den Wald nun schnelle 10 Kilometer nach Bad Schandau. Ich suche den Supermarkt und ernte wieder mitleidige oder verständnislose Blicke. Die vielen eingekauften Sachen kann ich gar nicht unterbringen, vor allem ist viel Wasser wichtig für den nächsten Tag. Guter Rat ist nun teuer, ich schaue mich nach einer Unterkunft um. Verschwitzt wie ich bin, sehne ich mich nach einer kühlen Dusche und nach frisch gewaschener Rad-Kluft.

In Bad Schandau alles ausgebucht, auch in der näheren Umgebung. Schicksalsergeben fahre ich weiter. Dann werde ich halt zelten, aber wo? Zuerst führt mein Weg durch ein düsteres Tal, vorbei an einem riesigen historischen Fabriksgebäude, den Linoleumwerken von Kohlmühle. Beeindruckend. Es wird immer einsamer. Ich mache mir nun wirklich Gedanken um die kommende Nacht. Unvermutet wird es wieder lichter, ein Dorf, Lohsdorf, liegt vor mir und etwas abseits ein Picknickplatz. Juhu, das scheint der ideale Platz zu sein. Ich stelle, etwas versteckt hinter Tisch und Bank mein Zelt auf, richte mein Abendessen, griechischer „Salat“ in Form einer Packung Feta, einer Gurke und einem Schächtelchen Cocktailtomaten. Als Nachtisch gibt es Grießpudding. Lecker!

Die Sonne geht unter, ich telefoniere mit Hermann und nach kleiner Katzenwäsche verschwinde ich in meinen vier Wänden. Gute Nacht! Zuletzt war noch ein bisschen Pechtag: Beim Aufbau des Zeltes trete ich in einen Hering (nein, nicht auf einen Fisch), ein dicker Blutstropfen läuft vom Zeh, das Pflaster klebt nicht und als ich ins Zelt schlüpfe, merke ich unter mir eine Pfütze … Hilfe, bin ich undicht? Nein, der Trinkrucksack war unter die Matte gerutscht und das Mundstück nicht geschlossen. Mist. Dann werde ich besänftigt durch den Gedanken, dass ich genau hier, wo mein Zeltchen steht, auf Kilometer 1000 schlafe.

Vorwarnung: Was jetzt kommt, klingt manchmal unsäglich schwierig und mitunter ätzend. ABER ich muss vorwegnehmen, dass die meisten Streckenabschnitte wunderschön sind und fein zu fahren.

Tag 8, Sonntag, 9. Juli

171 km/ 1.600 m/ 10:40 h

Wecker um 4:45, in der Ferne gab es nachts irgendwo Musik. Disco? Es hat jetzt 11°, irgendwann hatte ich angefangen zu frösteln, Packen, Frühstück und los. Heute stehen die letzten „Berge“ auf dem Programm. Heute Sonntag ist alles geschlossen, mal sehen, ob ich irgendwo mal was zu essen finde. Gestern habe ich vergessen mein Smartphon unterwegs zu laden und habe dann entdeckt, dass die mitgeschleppte Powerbank leer ist. Dasselbe ist mir schon beim Trans Balkan Race passiert.

Wald und Felder wechseln sich ab, es geht nun wieder über die tschechische Grenze und Singletrails gibt es einige heute. In einem Dörfchen sehe ich einen Mann mit einer Einkaufstüte und zwei Joghurt in der Hand. Auf meine Frage, ob denn heute irgendwo ein Geschäft offen sei, bejaht er und zeigt in die andere Richtung. Erfreut fahre ich los, ein Kilometer, nichts, zwei Kilometer, drei … immer noch nichts. Also zurück, so weit wird der wohl nicht zu Fuß gegangen sein. Schade, ich hätte meine Vorräte gerne aufgefüllt.

Die Berge heute haben es in sich. 114 Höhenmeter, bei uns wäre das easy, hier kommt es mir wie der Everest vor, es ist so steil, dass ich schieben muss. Rund um mich zudem Brennnesseln und rankende Pflanzen, wer weiß, wie oft diese Wege begangen werden. Zu den vielen Mücken- und Midges-Stichen auf meinen Beinen kommen nun auch noch diverse Verletzungen durch Pflanzen dazu.

Auf der vorletzten Erhebung bekomme ich im Gasthaus Biehleboh zwar ohne Reservierung kein Frühstück am Buffet, aber ich kann Getränke und Erdbeerkuchen erwerben. Sehr lecker. Und der Kaffee weckt meine Lebensgeister, die durch die schwierigen Aufstiege hier irgendwie verloren gegangen waren, zudem waren wiedermal schweißtreibend ein paar Bäume zu überklettern gewesen. Ich muss weiter, es ist sehr heiß heute.

Der letzte Anstieg, Vortäuschung falscher Tatsachen, Garmin sagt „Anstieg abgeschlossen“, ich fahre erst mal falsch, da ich den Weg hinunter nehme, wieder zurück. Es geht einen zugewachsenen Fußweg hoch, es ist extrem heiß, ohne ein Lüftchen und das nachdem ich zuvor schon über einen Kilometer geschoben hatte und Baumstämme überklettert, aber dann kommt endlich der Moment: Ich bin oben auf dem letzten Hügel. Auf die Abfahrt hatte ich mich gefreut, aber auf dem zugewachsenen Weg liegen größere Äste und dicke Grasbüschel erfordern konzentriertes Fahren.

Irgendwann wird es leichter und ich komme an einem Brunnen vorbei. Nicht Trinkwasser, aber ich nutze die Gelegenheit mich in das eiskalte Wasser des Brunnens zu stellen und die Haut meiner Beine etwas zu betäuben, fast die gesamte freie Fläche ist nämlich übersät mit Pusteln, Quaddeln und Kratzern und es juckt fürchterlich.

Durch Felder radeln ist zwar auch heiß, aber der Fahrtwind kühlt zumindest etwas und dann die erste Sandpiste. Das wird noch lustig werden.

In Dauban mache ich Mittagspause im „Grillhaus“. Der iranische Chef richtet mir einen sagenhaften Salat-Teller mit Halloumi und Falafel. Abgerundet wird das Ganze von einem Latte Macchiato mit zwei Zucker und einem Eis.

Nicht lange nach meiner Mittagspause radle lange über einen flachen Asphalt-Radweg und lande fast direkt am FKK-Strand am Bärwalder See. Super! Nun muss ich nicht mal meinen Bikini rauskramen. Sagenhafte Erfrischung, ich mag gar nicht mehr raus aus dem kühlen Nass. Die lichten Kiefernwälder der Oberlausitz, die ich nun durchquere ´liefern kaum Schatten. Vorbei geht es an der Gedenkstätte Ravensbrück, das traurige Bekanntheit als Frauen-KZ erlangte.

Dann wird es wieder grüner. Bad Muskau mit seinen einzigartigen Parkanlagen im Stil englischer Landschaftsgärten. Am Stadtrand beginnt die Muskauer Heide, ein ausgedehntes Waldgebiet, das in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre das erste Revier der wieder in Deutschland ansässigen Wölfe wurde. Zum Glück hatte ich auf meiner einsamen Fahrt keine Begegnung mit den großen Raubtieren.

Nun muss ich über die deutsch-polnische Grenze und fahre gut 30 Kilometer immer nahe dem Fluss Neiße, der die Grenzlinie markiert. Hier ist es sehr einsam. Eine lange Sandpiste. Manchmal wirft es mich vom Rad, dann muss ich ein paar Meter aus dem tiefsten Sand rausschieben. Wenn ich Glück habe Reifenspuren von einem Auto, dort ist der Sand etwas verdichtet. Ist es mir hier schon etwas unheimlich, so sind die letzten etwa 10 Kilometer, die auf einem rumpeligen Plattenweg durch den Wald führen eine Steigerung von furchteinflößend. Das, was ich hier sehe ist geisterhaft: Im Kiefernwald ducken sich unzählbar viele verfallende Bauten in zugewachsene Kuhlen. Die leeren Fensterlöcher scheinen mich anzustarren. Trotz der Hitze fröstele ich. Ich nehme mir vor zuhause recherchieren*, was es mit diesem dämonischen Gebiet nahe der deutschen Grenze auf sich hat. Erleichtert bin ich, als ich in die Nähe von Forst komme und dann nach einem Tankstellen-Stopp die deutsche Grenze wieder überfahre.

In Forst wollte ich eigentlich in ein Restaurant, das ich auf Google Maps ausgemacht hatte, aber es gibt hier von Polen keine Brücke über die Neiße. Es hätte einen langen Umweg bedeutet. So ist die polnische Tankstelle mit angeschlossenem Shop unbedingte Pflicht, denn am nächsten Tag muss ich gut 100 Kilometer radeln, bis es wieder eine Versorgungsmöglichkeit gibt.

Recherche: Bei dem unheimlichen Wald handelt es sich um die Sprengchemie Forst-Scheuno, einer in der NS-Zeit, 1938, errichteten Sprengstoff-Fabrik.  Sie diente zur Herstellung von Munition aus Nitroglycerin. Das 550 Hektar große Areal umfasste circa 400 Gebäude, 80 km Straße und 36 km Gleise.

Ausgehungert futtere ich mich durch das Sortiment der Tankstelle. Die beiden polnischen Frauen behandeln mich sehr herablassend und unfreundlich und scheinen sich über mich lustig zu machen. Blöde Puten, Stephan ging es einen Tag später ähnlich, er meinte die seien einfach nur dumm. Dann folgen angenehme Kilometer auf dem Neiße-Radweg.

Bei Sonnenuntergang komme ich nach Grießen zum CP4, zum riesigen Gelände des Braunkohle-Tagebaus Jänschwalde. Im Tagebau wird hier auf 60 km² Braunkohle abgebaut. Nur ganz in der Ferne kann ich die enorm großen Abbaugeräte sehen.

Planmäßig bin ich hier, denn nur 5 Kilometer weiter habe ich schon zuhause meinen heutigen Schlafplatz ausgekundschaftet – einen Unterstand bei Taubendorf.  Unterstand finde ich zwar keinen, aber einen Picknickplatz. Mein Zeltchen stelle ich auf der Rückseite einer kleinen Freilichtbühne auf und habe mit einem Wasserhahn sogar „Dusch- und Waschmöglichkeit“. So kommt sogar meine mitgeführte Wäscheleine zum Einsatz. Ich bin alleine, kein Dorfbewohner lässt sich blicken. Eingelullt werde ich durch den leisen Erntemaschinen-„Lärm“ in der Ferne. Die Getreide-Ernte geht bis etwa zum Dunkelwerden gegen 23 Uhr.

Tag 9, Montag, 10. Juli
174 km/ 900 m/ 11:30 h

Pünktlich zur Morgen-Dämmerung, noch vor 4 Uhr, wird auf den viele Hektar großen Feldern in der Nachbarschaft wieder fleißig weitergearbeitet. Zeit für mich, mich aus meinem Schlafsack zu pellen und ans Packen zu gehen. Frühstück vor der Abfahrt. Das vermeintliche Trinkjoghurt von der Tankstelle gestern entpuppt sich als Erdbeermilch, rosarot und geschmacklich ähnlich der Zahnpasta aus meiner Kinderzeit. Grässlich!

Bald der erste „Verhauer“, mein Weg zweigt links ab in ein dichtes Brennnesselgebüsch. Es geht auf Sand aufwärts, ein Baum versperrt den Weg, ich muss mein Rad ein paar Meter den Hang hochwuchten, um den Baum herum. Dann schon der nächste. Meine Beine sind zerkratzt und zerstochen. Nun kommt ein weiterer etwas unheimlicher Teil. Es geht durch den Wald, linkerhand verfallende Stützen mit rostigem Stacheldraht, weitere über den Weg gestürzte Bäume, von Wildschweinen aufgewühlter Boden, irgendwo liegt ein weißer sauber abgenagter Schädel herum. Im Gras und Moos kann ich nur drei Radspuren ausmachen. Ich glaube außer uns kommt hier wohl nie jemand vorbei. Schnell weiter!

Es fängt an zu tröpfeln. Dann wieder Felder. In der Ferne sehe ich große graue Vögel herumstolzieren, Kraniche, wie ich später erfahre. Dann wieder Wald und Sandpiste. Ein großer Holztransporter vor mir, er sieht mich nicht, ich komme nicht vorbei. Sand, Sand, ja nicht zu schnell rein fahren, das Vorderrad schlingert, das hinten zieht nach und man steht ohne Vorwarnung still und es wirft einen runter. Nach dem Sand folgen Kilometer Plattenweg, der einen durchrüttelt. Dann wieder Schotter- Sand-Gemisch. Schon seit Wegfahren am Morgen überlege ich, wie die Bäume mit den großen Dornen dran heißen. Jetzt fällt es mir ein: Akazien. Bin ich froh, dass ich schlauchlose Reifen fahre.

Irgendwann überquert ein Reh den Weg, dann ein zweites. Genau zwischen einem entgegenkommenden Radfahrer und mir. Beide bremsen wir und tauschen uns etwas aus. Es ist ein Belgier, der auch auf der BTG unterwegs ist, allerdings in umgekehrter Richtung.

Jeder Richtungswechsel wird herbei gesehnt, wenn es mal schwieriger wird, ob es nach der nächsten Kreuzung dann besser oder schlechter ist, wird sich dann rausstellen. Jetzt grad zwei Kilometer Singletrail um einen See rum. Fein, allerdings viele Hindernisse und so ein Wechsel von Schieben, Tragen, Fahren. In der Ferne fängt es an zu grollen, Gewitter? Ich komme an einem Schild im Wald vorbei „Wölfe suchen auch in diesem Gebiet nach Nahrung, Hunde an kurzer Leine führen, Kinder bitte beaufsichtigen“ Oh oh! Was ist mit Radfahrerinnen, die allein durch den Wald radeln? Soll ich mein Pfefferspray bereit halten?

Immer wieder absolute „Willenbrecher“-Wege: man kommt nur langsam weiter, muss immer wieder absteigen und aus dem Sand raus schieben. So hatte ich mir das Fahren nach den Bergen nicht vorgestellt. Ich bin zweieinhalb Stunden unterwegs und habe nicht mal 30 Kilometer hinter mir. Ich ahnte schon, dass ich mir die Berge noch mal herbeiwünschen würde. Es geht hoch und wieder runter und hier eben, aber im Schritttempo. Anstrengend. Ich schaue inzwischen verboten aus, übersät von blauen Flecken, Schrammen, Stichen. Kein Wunder, dass die Leute im Supermarkt in Fürstenwalde mich so komisch anschauen. Wieder 10 Kilometer Singletrail, richtig nett, das einzige Lästige, wenn man mal langsamer wird oder stehen bleiben muss, um ein Törchen auf- und zuzumachen, wird man überfallen von unzähligen Stechmücken.

Viele Seen gibt es hier. Wieder mal einer. Schnell Rad-, Körper- und Kleiderpflege, vor allem die Socken haben es bitter nötig, dann schnell hüllenlos reingehüpft, bevor jemand vorbeispaziert. Heute ist wirklich Seen-Tag. Irgendwann am späten Nachmittag setze ich in der WhatsApp-Gruppe die Nachricht ab, ich mag keine Singletrails mehr. Irgendwann dann liegt eine kleine Ortschaft an der Strecke. Frustriert will mir eine gemütliche Unterkunft suchen, keine Lust mehr auf Gelände und Mücken. Der Blick auf meine Uhr aber sagt, es ist noch zu früh. Eigentlich wäre geplanter Endpunkt heute ja eine Radpension in Joachimsthal. Die sollte ich erreichen, um am Tag darauf um 20 Uhr die letzte Fähre in Aalbude zu erwischen. Also weiter. Es geht weiter wie gehabt, viele See-Ufer, viel Dschungel.

Zwei Stunden später aber gebe ich auf. Egal, dann halt nicht Joachimsthal. Ich telefoniere mit einem Hotel beim Schiffshebewerk Niederfinow. Die haben zum Glück noch ein Zimmer frei. Es gibt Abendessen und ich bleibe sogar noch bis zum Frühstück. Aalbude wird sich eh nicht ausgehen zeitlich. Ist aber auch nicht so schlimm, denn dort gibt es eine Ausweichstrecke. Aber wer fährt denn freiwillig gerne 13 Kilometer mehr, als er/ sie muss?

Tag 10, Dienstag, 11. Juli
184 km/ 1.100 m/ 10:40 h

Nach dem Frühstück radle ich am Schiffshebewerk vorbei. Das 1934 in Betrieb genommene Schiffshebewerk Niederfinow ist das älteste noch arbeitende Schiffshebewerk Deutschlands, daneben steht ein Neubau von 2022, das noch größere Schiffe 36m heben kann. Die enormen Bauwerke ermöglichen die Verbindung der Havel-Oder-Wassersstraße. Der Wassertrog ist über 100m lang, etwa 30m breit und hat eine Tiefe von 4m. Unvorstellbar für mich, dass man damit große Schiffe etwa 40m heben kann. Das würde ich mir gerne mal in Betrieb ansehen, aber ich habe keine Zeit dafür.

Jetzt geht es schon wieder in den Wald. Etwas ist hier neu und wird mir bis ins Ziel immer wieder begegnen, besonders bei den Ortsdurchfahrten: ein unregelmäßiges kantiges Kopfsteinpflaster. Die Autos sollen wohl daran gehindert werden zu schnell zu fahren, mit dem MTB ist es ziemlich unangenehm, wenn nicht die Möglichkeit besteht am Rand auf Gras oder Sand auszuweichen, dann bin ich zu Schritttempo gezwungen. Ich komme am Kloster Chorin vorbei, Kirche und Gebäude sehr schön aus roten Backsteinen gefertigt. Dann wieder Kopfsteinpflaster. Und es gibt sogar einen Berg hier. 8% Steigung. Aber da wo es hochgeht, da kann man auch wieder runter rollen. Entlastung für die Beine, die hier sonst in Dauerbeanspruchung pedalieren.

Ohne Vorwarnung wieder mal ein tiefes Sandstück, dann geht es wieder hoch, dann bin ich da, wo ich gestern aufgehört hatte, einen Singletrail durch den Wald. Vorbei an Joachimsthal auf einem feinen Radweg. Den Weg hierher hätte ich vor Dunkelwerden wohl nicht geschafft. Immer wieder geht es mal aufwärts. Ja, es gibt Hügel hier. Trotz Mückenmittel laben sich gleich wieder zig Mücken an mir und zugleich bleibt der Sand so schön an den Beinen kleben. Sandpiste: eineinhalb Stunden für läppische 15 km. Davor im Wald irgendein Geräusch. Was war das? Ein Hund in dieser Einsamkeit? Besser schnell weg!

Auch heute wieder Bäume im Weg, stehen bleiben, darüber heben. Ätzend! Brombeer-Ranken zerkratzen meine mückengepeinigten Beine.

Dann habe ich CP5 erreicht, die Air Base Groß Dölln. Zur Zeit seiner militärischen Nutzung von 1955 bis 1994 durch die sowjetischen Luftstreitkräfte war Templin der größte Militärflugplatz auf dem Gebiet der DDR. Jetzt sind die Flächen ein Solarpark.

Ausweichstrecke wegen Schleusenbau. Zunächst feiner Radweg, dann wie gehabt Sand. Mein erster Sturz. Man fällt zwar relativ weich, aber alles ist voller Sand. In Himmelpfort mache ich Halt in einer Fischbude. Es gibt leckeres Fischbrötchen. Ich mache den Fehler hier kein Wasser zu kaufen, nun ist es schon wieder Nachmittag und ich habe fast kein Wasser mehr. 50 Kilometer liegen vor mir, bis ich wieder was einkaufen kann. Ich bin gerade am Rechnen, wie langsam ich bin, da vor mir eine Absperrung wegen Holzarbeiten, der Weg nach links auch gesperrt. Durchgang strengstens verboten. Was tun? Meine Garmin wirft keine überschaubare Umleitung aus. Ich kann doch nicht 10 Kilometer zurück? Ich schlüpfe durch und schiebe mein Rad unschlüssig weiter. Welche Ausrede sollte ich wählen, wenn ich einen Forstbeamten treffe? Neben dem Weg aufgestapelte Baumstämme, aber weit und breit keine Menschenseele. Ich höre in weiter Ferne Maschinen und entscheide weiterzufahren – Gefahr ist hier, wo ich bin, keine. Nach kurzer Zeit schlüpfe ich unter der Absperrung in der Gegenrichtung durch. Gerettet! Jetzt geht es weiter in der Sonne. Es ist heiß und ich entscheide mich für einen kurzen Badestopp am nächsten See.

In Möllenhagen etwa 40 Kilometer vor Aalbude endlich ein Supermarkt. Ich lasse mir Zeit, esse gemütlich, überlege, wie ich die ganzen Sachen bunkern kann und muss mehrmals umpacken. Ich brauche viel, da am letzten Tag wieder flaute ist mit Einkaufsmöglichkeiten. Ich brauche mich aber nicht beeilen, die letzte Fähre würde ich sowieso nicht erwischen.

Kurz vor 20 Uhr bin ich kurz vor dem Kummerower See. Am Ostende des Sees fährt zu der Zeit gerade die letzte Fähre. Ich könnte ja am Campingplatz übernachten. Es meldet sich auf meinen Anruf niemand und so biege ich erst mal in den Singletrail um den See ein. Ich finde ein wunderschönes Picknickplätzchen, Bank und Tisch, rundherum gemäht, aber in Sichtweise von einer Bungalow-Siedlung. Hier möchte ich bleiben.

Ob mich da wohl jemand aus der Siedlung wegschickt? Nebenan gibt es schließlich einen Campingplatz. Misstrauisch äuge ich immer wieder zu den Häuschen in erster Reihe, alles ruhig. Ich esse zunächst mal meine Gurke mit Tomaten und Feta, alias griechischen Salat. Bei Sonnenuntergang fange ich an mein Zeltchen aufzubauen, fixiere es zwischen Bank und Zaun, da ein kräftiger Wind aufgefrischt hat. Niemand beschwert sich. Dann „Gute Nacht!“

Tag 11, Mittwoch, 12. Juli
162 km/ 670 m/ 8:50

Uhr-Weckruf recht früh wieder, denn ich will nicht zu spät in Kap Arkona ankommen. Ich habe bisher nur bis ans Ziel gedacht, was dann kommt – keine Ahnung. Aber besser dann nicht zu spät dort zu sein. Der Wind war noch etwas stärker geworden. Ich habe mit Zelt, Schlafsack und Matte zu kämpfen, die der Wind an sich reißen will. Der Himmel ist bleiern. Ich esse was und breche auf. Singletrail weiter um den See. Mehr schieben als fahren. Am Hafen vorbei und am Campingplatz. Dann höre ich es grollen in der Ferne. Die erste Fähre würde erst in 4 Stunden fahren, so bin ich wohl zur Ausweichstrecke gezwungen. Die ersten Tropfen. In Aalbude rette mich in ein Bushäuschen aus Blech. Da fängt es auch schon an. Weltuntergangsstimmung. Blitze aus allen Richtungen, es fängt an wie aus Kübeln zu schütten. Etwas mulmig ist mir schon zumute, ob das Häuschen wohl im Ernstfall wie ein Faradayscher Käfig wäre, es ist ja schließlich nicht rundum geschlossen. Jetzt sitze ich hier fest. Wann ich wohl in Kap Arkona ankommen würde, ist fraglich, ob ich dann ein Zimmer finden würde, ist ebenso fraglich. Ich frühstücke erst mal meinen Milchreis. Welch ein Glück, dass ich so früh mein Zelt zusammengebaut hatte, etwas später und alles wäre durchnässt gewesen.

Das Regenradar zeigt, ich bin im Zentrum des Unwetters, aber in etwa einer Stunde wird alles vorbei sein. Als es aufhört zu blitzen, radle ich weiter. Regenjacke und – hose sind in Kürze klatschnass. Die Ausweichstrecke hat auch was Gutes, viel läuft auf Teer und in Demmin komme ich an der Tankstelle in den Genuss von Latte Macchiato (mit zwei Zucker) und einem Croissant. Weiter ein kurzes Stück Waldweg, das Rad ist in Kürze verdreckt. In einem Garten sehe ich einen Mann graben und frage, ob er einen Gartenschlauch habe, wo ich mein Rad etwas reinigen könnte. Erst guckt er verständnislos, das hat er wohl noch nie erlebt. Dann dauert es nicht lange und ich muss wieder vom Radweg runter und über matschige Pfade. Schade, das Rad schaut wieder aus wie die Sau. Friedhofstopp und oberflächliche Reinigung. Weiter und wieder Matsch. Ich glaube, Reinigungsaktionen haben heute keinen Sinn.

Heute komme ich etwas rascher weiter als an den letzten Tagen. Zwischendurch wieder mal Kopfsteinpflaster und Sandpiste. Vor Stralsund kann ich aber kilometerlang einen Radweg entlangdüsen. Vor mir die hohe Brücke hinüber nach Rügen. Ich rätsele eine Weile, wie ich dort hinaufkommen sollte, Beschilderung gab es keine. Meine treue Garmin zeigt mir dann, dass ich nicht über die Rügenbrücke muss, sondern über den Rügendamm direkt vor meiner Nase. Auf Rügen meldet mein Vorderrad, dass ich wohl in irgendwas gefahren bin, es zischt Luft heraus, die Dichtmilch tut jedoch, was sie tun soll und es ist bald wieder Ruhe am Reifen.  

Im ersten Dörfchen mein zweiter Friedhofstopp heute, der Himmel ist nun blau, die Aktion könnte Erfolg haben, wenn schon ich nicht mehr ganz sauber bin, so soll zumindest mein Gefährt nicht so ungepflegt über Rügen düsen.  Ich hole mir eine Gießkanne,  suche das Wasser, finde es am gegenüberliegenden Ende des Friedhofs, wie unpraktisch. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Dann meinen Picknickkorb ausgepackt. Hier ist es so friedlich und ruhig. Ein Senior gesellt sich zu mir, er ist auf Besuch bei seiner Frau. Nun ist es nicht mehr so ruhig, er erzählt mir seine gesamte Lebensgeschichte.

Weiter geht es. Die Wittower Fähre werde ich leicht erreichen. Der Wind treibt mich an der Küste entlang. Der Plattenweg rüttelt mich etwas durch. Auf einmal ein komisches Geräusch hinten. Ich bleibe stehen und richte meine Tailfin-Tasche hinten. Die Befestigung an der Sattelstütze ist etwas nach unten gerutscht und womöglich ist sie auf dem Reifen aufgesessen bei einem Holperer. Irgendwie kommt mir beim Weiterfahren vor, dass das Rad beim Lenken etwas „schwimmt“. Ich bleibe wieder stehen und greife nach dem Hinterreifen. Oh, da ist aber wenig Luft drin. Luftpumpe rausgepult. Irgendwie funktioniert da was nicht, auf jeden Fall zischt die Luft beim Pumpenschlauch raus und nicht rein in den Reifen. Oje!  Ich fahre zurück, auf einer Bank saß ein Radfahrer-Paar aus Belgien. Mit geliehender Pumpe wird der Reifen schön prall, aber als wir noch etwas quatschen, ist der Reifen wie davor.

Anscheinend gibt es ein Loch das sich dehnt und das Luft entweichen lässt, bis der verkleinernde Druck wieder ausgleicht. Ich fahre weiter. Was soll ich aber tun, wenn die Luft ganz raus geht? Ich habe keine funktionsfähige Pumpe. Ich kann einen Schlauch einlegen, aber ob dann wieder jemand mit Pumpe vorbei kommt? Ob ich am Abend wohl in Kap Arkona ankommen werde? Glücklicherweise entweicht nicht mehr Luft aus dem Reifen, obwohl ich immer wieder argwöhnisch nach unten gucke. In Wiek mache ich einen Kaffee-Stopp. Latte Macchiato (mit zwei Zucker), Mohnkuchen, Erdbeer-Schnitte und Bienenstich. Ich hatte entdeckt, dass mein Smartphon fast leer ist und darf es im Geschäft anstecken, allerdings wollen sie in Kürze schließen. Dann weiter. Die Wittower Fähre ist nicht mehr weit, ich habe allerdings Gegenwind. Übergesetzt wird von der Süd- zur Nordseite der Insel und nun fehlen nur wenige Kilometer auf flowigem singletrailartigem Weg bis Kap Arkona. Dann stehe ich unter dem backsteinernen Leuchtturm. Etwas ratlos.

Eine lange Reise mit vielen Abenteuern ist vorbei. Es war eine Herausforderung sich ganz allein auf den Weg zu machen und ich bin dankbar, dass es keine technischen oder gesundheitlichen Probleme gab. Begeistert bin ich von den schönen einsamen Landschaften, die Deutschland zu bieten hat. Die unangenehmen Situationen habe ich längst vergessen.

Die Heimreise wird wohl die größere Challenge werden.

Mit oder nicht mit – das ist hier die Frage:

Mit 26 kg Rad und Gepäck hatte ich gefühlt sehr viel mit, bekleidungsmäßig habe ich alles gebraucht, auch die warmen Sachen. Ein paar Dinge könnte ich aber zuhause lassen …

Was ich alles umsonst mitgeschleppt habe:

  • Powerbank, die sich in Kürze selbst entleert
  • 2x gefriergetrocknetes Mahl
  • Snickers, Twix, Riegel – nach den heißen Tagen nur noch seltsam geformte Häufchen
  • Bärenglocke, bimmelte verhalten in der Tasche rum
  • Bikini und Handtuch – in den Seen badete ich hüllenlos oder in Unterwäsche, bei der Hitze trocknet man schnell ohne Handtuch

Zum Glück „umsonst“, muss aber mit:

  • Medikamente
  • Werkzeug (bis auf einen Inbus für andere)
  • Luftpumpe, funktionierte in Rügen eh nicht

Trans Balkan Race 2023

italiano english

Das Trans Balkan Race ist ein ABENTEUER über die Grenzen des Balkans hinweg. 1300 Kilometer mit dem Mountainbike durch die unberührte Natur von 11 Nationalparks – von Sežana (Slowenien) bis Risan im Golf von Kotor (Montenegro). Angekommen sind wieder mal nicht mal 50% der Starter, warum wohl … Genauere Infos hier: Trans Balkan Race … Daten & Fakten

Zuerst mein Video:

TAG 1 – 183 km/ 3800 Hm

Pünktlich um 8 Uhr geht es in Sežana in Slowenien nicht weit entfernt von Triest los – das Trans Balkan Race. Gleich zu anfangs zeigt sich, wer sein Zeug gut verpackt hat, über das ruppige steinige Terrain ´rollen schon nach weniger als einem Kilometer Flaschen, Riegel und Sonstiges. Einer hat Riesenglück, er steht da und klaubt die Fetzen seiner reflektierenden Hosentäger aus den Speichen. Das hätte ins Auge gehen können.

Nicht lange dauert es und eine Steinstufe bremst mich ab, mein Fuß schafft es nicht rechtzeitig aus dem Klickpedal und ein stacheliger Strauch fängt mich unsanft auf. Aua!

Zudem ist es heiß, „noch“ zeigt sich kein Wölkchen am Himmel. Stetig geht es aufwärts bis auf eine blumenübersäte Hochfläche, wunderschöne Aussicht inklusive. Der erste Brunnen, einer der wenigen auf unserer Fahrt nach Süden, ist sehr willkommen und wenig später gibt es Eis in einem Dörfchen unterwegs. Andrea und Gosia fahren vorbei. Etwas später kommt uns Gosia entgegen, Schrammen auf Armen und Beinen. Das Schaltwerk ist verbogen, leider bekommen wir das auch nicht repariert. Mit Tränen in den Augen hat sie vor auszusteigen. Es wird wieder unwegsam, noch ein paar Mal geht es Auf und Ab, zwar oft steil, aber meist nicht sehr viele Höhenmeter. Trotzdem läppert es sich zusammen, beim „Schlafengehen“ werden es bei 182 Kilometern fast 4000 Höhenmeter sein.

In Fužine sind wir zum Glück pünktlich zum Supermarkt-Stopp, denn auf den nächsten 150 km gibt es nichts. Dann stärken wir uns noch mit Suppe und Gnocchi im Restaurant. Ein Paar aus Südafrika quartiert sich hier ein, Neid, denn wir wollen noch weiter. Gosia, die trotzdem nachgekommen war, der aber in den steilen Aufstiegen der leichteste Gang fehlte, und Andrea fahren auch weiter. Da Wolken aufziehen, möchte Hermann zum Parkwächterhäuschen am Eingang des Velebit. Dort hätte man vielleicht ein Dach über dem Kopf.

Irgendwann wird es weglos, rundherum das Wummern unzähliger Windräder auf dem Bergkamm. Kein Wärterhaus in Sicht entschließen wir uns auf einer kleinen Wiese niederzulassen.

Mit etwas Angst verlasse ich den Weg, wir sind schließlich in der Minen-Warning-Zone und man sollte hier keinesfalls vom Weg runter. Ich schlafe mäßig bis garnicht, der Wind beutelt mein Mini-Zelt und der Lärm der riesigen Windräder um uns reißt mich immer wieder aus dem Schlaf. Die Ohrenstöpsel helfen nichts, denn mit einem „Plopp“ springen sie immer wieder aus meinen Ohren. Nach ein paar Stunden, gegen 5 Uhr machen wir uns wieder auf den Weg.

TAG 2 – 155 km/ 3000 Hm

Auf holprigen Wegen geht es weiter und immer wieder erhaschen wir Traumausblicke auf das türkisblaue Meer und die der Küste vorgelagerten Inseln. Dann müssen wir uns verabschieden von den Meer-Tiefblicken. Erst in Kotor, 9 Tage später, wird das Meer uns wieder begrüßen, hoffentlich! 

9Tage mit unzähligen Pfützen

Nun geht es waldig weiter. Irgendwann kommen wir nun auch am Parkwärter-Häuschen vorbei, bei dem wir je 5€ Eintritt zahlen müssen. Da hätten wir nachts aber noch ganz schön weit fahren müssen …  Irgendwann überholt uns auch Gosia, die von ihrer abenteuerlichen Nachtunterkunft erzählt. Sie überholt uns, klar, sie ist ja ohne leichtesten Gang schneller. Am Ende des Tages werde ich das Gefühl haben, den ganzen Tag nur Wald, Wald und nochmal Wald gesehen zu haben.

Bären? Bis auf meinen kleinen weißen Teddy haben wir keine gesehen, zwei Teilnehmer aber hatten eine Bärenbegegnung. Wir sahen nur viel „Bärendreck“, ja genau, der sah ähnlich aus wie Lakritz, jetzt weiß ich auch, warum diese schwarzglänzende Süßigkeit bei uns „Bärendreck“ genannt wird.  Den kurzen Abstecher zum höchsten Punkt, der Hütte Dom Zavižan, sparen wir uns. Dort soll es eh nur Cola und Bier geben.

Kurz vor Gospić, irgendwo werden wir über die kroatische grüne Grenze gerollt sein, gibt es einen Restaurant-Stopp und dann „überfallen“ wir auch noch einen Supermarkt im Ort und decken uns ein für die nächsten 180 Kilometer ohne Einkaufmöglichkeit.

Als wir aus dem Ort fahren, fängt es an zu regnen, zum Glück hört es bald wieder auf, der Untergrund jedoch zeigt uns, was wir in den nächsten Tagen noch zur Genüge haben würden: jede Menge Pfützen und Matsch. Wir wollen noch über den nächsten Hügel und uns einen Schlafplatz suchen. Dieser ist gefunden, Hermann tritt in einen Kuhfladen. Wir wähnen uns in der Einsamkeit, aber Motorgeräusche belehren uns eines anderen. Irgendein Karren fährt vorbei. Wenig später kommt er in der Gegenrichtung wieder vorbei, bleibt stehen, jemand kurbelt das Fenster runter und fragt in gebrochenem Englisch, was wir hier machen. Wir sollten vorsichtig sein, wegen des „big bear“.  Was? Ein Bär? Ich frage nach. Da ertönt Gelächter von den hinteren Sitzen. Jemand ruft noch „Spaghetti!“, keine Ahnung, warum. Wollten die uns „veräppeln“? In meinem Zelt, eingemummelt in meinen Schlafsack versuche ich einzuschlafen. Immer wieder schrecke ich hoch. Was war das? Dauernd höre ich Geräusche.

TAG 3 – 122 km/ 2300 Hm

Irgendwann dämmert es, der Wecker geht ab und ich packe mein Zeug zusammen. Es ist nebelig, alles ist triefend nass.

Kurz darauf sitzen wir wieder auf unseren Bikes und schon kommen wir am ersten Bauernhaus vorbei. Ich kurve um einen schwarzen anscheinend friedlichen Hund herum. Hermann hinter mir ist plötzlich umzingelt von den fünf schwarzen Brüdern und Schwestern. Das Sprichwort sagt ja: „Den Letzten beißen die Hunde“. Hermann geht lieber ein Stück zu Fuß.

Noch das Gebell in den Ohren sehe ich vor mir einen älteren Bauern mit einem Schäferhund. Mit einem Stock wehrt das Herrchen den Hund von mir ab. Auf Sprache reagiert das Tier anscheinend nicht. Ich fahre langsam vorbei. Ich bin schon fast außer Sicht, da höre ich hinter mir Schreien – und den Schäferhund im Streckengalopp auf mich zuschießen. In einer hundertstel Sekunde treffe ich eine Entscheidung. Was hatte Bea geschrieben im Race-Manual? Ja nicht versuchen davonzufahren, Hunde sind immer schneller. Also lege ich eine Vollbremsung ein und schaue dem Vieh entgegen, grimmig. Der Hund macht dasselbe wie ich, aus Vollgas eine Vollbremsung. Ich muss fast lachen, denn das Tier rutscht auf dem glatten Teerboden aus und schlittert dahin – wie in einem Comic … Dann sucht er das Weite.   

Ein paar Kilometer geht es nun durch landwirtschaftliches Grün. Auf dem holprigen Wiesenboden höre ich ein seltsames Geräusch, ein Klappern, irgendwo an meinem Rad. Das wird mich den ganzen Tag verfolgen und mir noch einiges Kopfzerbrechen bereiten. Dann und wann fahren wir an Radfahrern vorbei, die ihr Nachtequipment zusammenpacken. Und dann geht es wieder aufwärts. Bei Sonnenaufgang Steh-Frühstück mit Kefir und Brot. Michael gesellt sich zu uns, ihn werden wir noch öfters begegnen. Er ist mit einer Rohloff-Schaltung und Zahnriemen unterwegs.

Auch heute werden wir viel im Wald unterwegs sein. Immer wieder erinnert mich das Klappern bei jeder noch so kleinen Unebenheit, dass mich ein technisches Problem früher oder später ausbremsen würde. Zu schade! Pfützen und Matsch begleiten uns und irgendwann ist eine Radpflege fällig. Hermann schmiert die Ketten, dann versuchen wir nochmal rauszufinden, woher das Klappern kommt. Wir montieren die Taschen der Reihe nach ab und kommen drauf, dass die hintere Tasche das Geräusch verursacht. Falls sie unterwegs „den Geist aufgibt“, wo soll ich alle meine Sachen unterbringen? Könnte ich da noch weiter machen?

Irgendwann, ich werde schon langsam „stuff“ von dem ständigen Wald, treten wir aus dem undurchdringlichen Grün. Unter uns ein blühendes Tal. Auf Asphalt geht es ein paar Kilometer zur ersten Kontrollstelle. Hier können wir uns stärken mit Pasta. Ich dusche und wasche meine Sachen, bis zum Weiterfahren trocknet alles in der Sonne und der leichten Brise.  Es ist recht nett mit den anderen etwas Erfahrungen auszutauschen, beispielsweise mit dem lustigen Dave, dem Engländer, der in Berlin lebt. Dieser, 28 Jahre alt, meint, er habe gerade mit seiner Freundin gesprochen und ihr erzählt wie toll er es findet, dass Frauen, wie Andrea und ich DAS HIER durchziehen. Was er damit wohl meint? Frauen in unserem Alter, also 50+ oder allgemein Frauen. Viele sind ja nicht mehr im Rennen, wie wir auf follow.me erkennen können. Ziemlich einige, auch viele Männer, haben schon den Shortcut der Küste entlang gewählt. Schade, denn jetzt geht es nach den Wald-Tagen so richtig spannend los. Aber so richtig …!!!

Gestärkt geht es weiter. Bald wird es trailig. Nicht selten muss ich absteigen und ein Stück schieben. Hier ist Dave voll in seinem Element, er ist schon mit einem Höllenzahn an uns vorbei. Ob das wohl gut geht?

Der erste Berg naht. Steil geht es hoch. Weiter vorn noch steiler, hier sehen wir Andrea schieben. In näherer Ferne ein Grollen. Mein Blick wandert nach oben. Kohlrabenschwarze Wolken haben sich zusammengeballt. Und wir sind hier im Anstieg auf eine Hochfläche. Mein Puls steigt, nicht nur wegen der Anstrengung. Oben geht es noch etwas auf und ab. Der Stress lässt meine Energien schwinden, denn es wird immer dunkler rund um uns. Und „Versteck“ ist keines in Sicht. Andrea ist schon aus unserem Sichtfeld verschwunden. Sie wird uns nachher erzählen, dass sie und Marco einen Unterschlupf gesucht hatten. Karsttrichter, so genannte Dolinen, hätten sich angeboten, aber davor wird gewarnt. Hermann meint, wir sollten irgendwas machen, bevor es so richtig losgehe. Bei einer Gruppe kleiner Bäumchen zieht er seinen Biwaksack heraus und wir quetschen uns beide hinein. Bei jedem Blitz zähle ich und rechne. Meine Angst weicht irgendwie einer Schicksalsergebenheit.

So richtig hart kommt es nicht, wir packen wieder. Nun beginnt es stärker zu regnen. Die Abfahrt auf einem sehr steilen steinigen Wanderweg fordert einiges von mir. Es ist rutschig wie Seife. Es dämmert schon, als wir im Tal wieder auf Asphalt fahren können. Einige Häuser bilden den Weiler Velika Popina. Etwas weiter kommen mir Dave und ein anderer Radfahrer entgegen. Nanu? Da es bei heranbrechender Dunkelheit und dem Regen nicht sinnvoll sei, den nächsten Berg anzugehen, hätten sie beschlossen zurück zu dem Haus zu fahren, in dem einige Kerle sich sicher nicht erst seit Kurzem eine feuchtfröhliche Feier lieferten. Durchnässt wie ich bin fahre ich mit. Unterwegs sehe ich eine Gestalt in einem Garten vor einem neuen Haus. Ich versuche in meinem gebrochenen Englisch unsere Lage zu erklären und frage, ob es im Ort nicht ein Hotel gäbe. Das Irrwitzige dieser Frage wird mir erst hinterher bewusst. Ein Hotel bei drei Häusern am Ende der Welt? Vielleicht war mein Hintergedanke, dass wir in seinem neuen Haus ein Plätzchen für unser Biwak bekommen könnten…

Nikola, so werden wir nicht lange später erfahren, denkt etwas nach, dann erhellt sich sein Gesicht und inzwischen bittet er uns in seine Küche zum Aufwärmen und Trocknen. Er führt ein Telefonat und teilt uns mit, seine Nachbarn vermieten hie und da ihr Häuschen. Sie sei Ärztin, er Polizist. Wir sollten bei ihm etwas warten, der Schlüssel würde uns gebracht. Was wir nicht wussten, der Nachbar fährt extra für uns von Zadar hierher, 100 Kilometer!!

Inzwischen werden wir von der Mutter Nikolas, alias Johnny, bewirtet mit türkischem Kaffee, wärmendem Pfefferminztee, Keksen und später zieht er eine Speckseite heraus und leckeres Brot aus der lokalen Bäckerei. Lange Zeit später liegen wir in unseren Betten, unser Zeug trocknet vor einem gemütlich knisternden Holzherd. Lange dauert die Nachtruhe jedoch nicht, denn wir wollen das regenfreie Fenster nutzen, um über den nächsten Berg zu kommen.

TAG 4 – 167 km/ 2400 Hm

Bei Dunkelheit geht es los. Zunächst rollen wir auf Teer weiter talauswärts, dann wird es wieder ernst. Auf Schotterpiste, dann unwegsamer auf einem Bergpfad rollen und schieben wir bergauf. Das Klappern an meinem Rad begleitet mich. Ob da irgendwas kaputt ist? Ob mein Rad irgendwnn auseinanderfällt? Auf dem Bobija-Pass erwartet uns ein herrlicher Sonnenaufgang. Die Landschaft ist grandios. Die Abfahrt erfordert viel Konzentration von mir, Organisatorin Bea schreibt von anspruchsvollen Singletracks. Vermutlich hätte ich so einen Weg zuhause zu Fuß zurückgelegt … aber die Zeit drängt. Schon fallen die ersten Regentropfen. In Kürze sind wir wieder völlig durchnässt. Bei Plavno gibt es einen kleinen Aufstieg, dann würden wir wohl gemütlich bis nach Knin rollen können. Was auf der Karte so harmlos ausgesehen hatte, entpuppt sich als ein schmaler Lehmpfad, der bei dem Regen nur noch eine Folge von Pfützen und Schlammweg ist. In Kürze sind wir nicht nur bis auf die Knochen nass, sondern auch von unten bis oben verdreckt. Als wir in Knin einrollen, ist mein Willen das erste Mal gebrochen.

Es gießt in Strömen, ich friere erbärmlich. Was tun? Wir beschließen zunächst mal in einem Hotel einzuchecken. Die Räder, völlig verdreckt, lassen wir draußen stehen, Schloss haben wir vergessen, aber wer nimmt schon ein so schmutziges Rad? Ich fringe unsere Sachen aus, wickele sie in Frotteehandtücher in der Hoffnung, dass sie trocknen. Barfuß gehe ich zum Frühstück, das wir ausgehungert wie wir sind sehr ausgiebig umsetzen. Andrea gesellt sich zu uns. Von Gosia hören wir, dass sie im Auto sitzt auf dem Weg zu einem Mechaniker. In der Nacht war ihr Schaltwerk abgebrochen, sie hatte verzweifelt an einer Haustür geläutet und Hilfe bekommen. Etwas später ist sie zurück im Rennen.

Gegen Mittag klart es auf. Wir brechen voll motiviert sofort auf. Inzwischen hatte eine Eingebung auch dazu geführt, dass ich mein Problem Tailfin-Tasche lösen konnte: In der Tasche gibt es ein Metall-Gestell, mit dem die Tasche am Karbon-Rahmen festgemacht ist. Dieses Gestell hatte eine Gummi-Ummantelung, die ich aber, um Gewicht zu sparen, zuhause abgemacht hatte. Bei diesem Gerüttel hatte irgendwas gegen das Metall geschlagen. Das Problem, das meine Nerven zeitweise fast blank liegen ließ, war also „hausgemacht“ gewesen. Neu gepackt und gut war es.

Es geht nun vorbei am Krčić Wasserfall und dann durch die Schlucht entlang dem gleichnamigen Fluss. Angekommen auf der Anhöhe des Dinara Naturparks beginnt es wieder zu regnen. Hermann war vor mir querfeldein zu einer Bauruine gefahren. Als ich auch dort bin, wird mir ganz heiß vor Entsetzen. Wir sind hier wieder in einer Warning-Zone und sollten den Weg keinesfalls verlassen.

Ängstlich rolle ich auf einer Traktorspur wieder zum Weg zurück. Wir kommen an mehreren Schaf- und Ziegenherden vorbei, alle bewacht von Hirtenhunden. Vorsichtshalber steige ich immer wieder ab. Die Hunde kommen meist neugierig heran, friedlich mit dem Schwanz wedelnd. Schlechte Erfahrung haben wir keine gemacht auf der gesamten Fahrt, aber ein bisschen „Schiss“ war immer dabei, wenn ich in der Ferne Hunde sah. Absteigen und ein Stück zu Fuß vorbei, es geht bei uns ja nicht um irgendeine Platzierung. Unser Ziel ist es vor der Finisher-Party anzukommen. Apropos Hunde … streunende Hunde … habe ein Fläschchen Pfefferspray dabei, zum Einsatz wird es zwar nicht kommen, aber es wird mir schlussendlich einiges an Kopfzerbrechen bereiten. (*Pfefferspray – siehe unten)

Im Nachhinein habe ich entdeckt, dass wir nicht weit entfernt waren vom mystischen „Drachenauge“, der Quelle des Glavaš, der den Cetina-Fluss speist.

Es gibt eine Umleitung wegen Weg-Sperrung. Zuvor aber wird mein Wille fast wieder gebrochen: Die Streckenführung leitet uns über eine Wiese, eine überflutete. In knöcheltiefem Wasser schaffe ich es grad noch auf dem Rad zu bleiben. Dann irgendwann muss ich absteigen. Zurück? Das lohnt sich nicht mehr, also weiter. Ein kleines Rinnsal ist zu durchqueren. Es bringt eh nichts die nassen Schuhe auszuziehen, also beschuht durchwaten. Dann haben wir wieder festen Boden unter den Füßen. Vor einem Haus reinigen wir uns notdürftig und leeren die Schuhe aus. Ein Wasserhahn bringt mich auf die Idee mein Rad etwas zu putzen, ein Funktionstuch tut gute Dienste bei Körper und Rad. Wir werden beobachtet.

Zwei Frauen laden uns abgerissene Typen zum Kaffe ein. Wir radebrechen mit Händen und Füßen, auch der Translator kommt zum Einsatz. Was wir erzählen erscheint den Bauersfrauen unvorstellbar. Wieder on the road, müssen wir den Stausee Perućko jezero nun auf der Ostseite umfahren, auf einer stärker befahrener Hauptstraße. Die schnell heranbrausenden LKWs machen mir Angst und erinnern mich an meine unguten Erlebnisse beim Northcape4000. Nach einem Kaffee-Stopp mit „Rohloff“-Michael ist es nicht mehr weit, bis wir die nächste Steigung erreichen sollten und die Grenze zu Bosnien Herzegowina. Zuvor sollte es aber noch eine etwa sechs Kilometer lange Abfahrt offroad geben. Fein!

Das Wohlgefühl sollte mir aber bald vergehen. Die Abzweigung führt auf einem vom Regen aufgeweichtem Weg, durch unzählige Pfützen und durch viele Rinderklauen noch matschiger als sonst. Unzählige Male absteigen und vorbei schieben hilft nichts, der Untergrund wickelt sich auf die Reifen und blockiert den gesamten Antrieb. Zäher Schlamm umschließt auch die Kette. Unvermittelt ist meine Motivation weg. Als ich zu Michael und Hermann aufschließe seuftze ich: „Mein Willen ist gebrochen …!“

Dieses Gefühl kommt hier nicht das erste und nicht das letzte Mal auf. Hermann pult den zähen Matsch mit seiner Zahnbürste aus den Kettengliedern. Ich hingegen hocke mich neben eine rotbraune undurchsichtige Pfütze und schöpfe mit meiner Hand unermüdlich Wasser über die Kette und hoffe auch das letzte Sandkörnchen rauszubekommen. Rahmen und alles andere sind nur ästhetische Aspekte und mir in dem Moment egal. Irgendwann, die Sonne ist schon beim Untergehen haben wir die Serpentinen-Pass-Straße auf den Vaganj-Pass erreicht. Unser Plan heute noch Šuica zu erreichen hat sich vollends zerschlagen. Wir rollen vom höchsten Punkt, nachdem wir den Grenzposten zu Bosnien Herzegowina überschritten haben, hinunter nach Livno. Hermann sucht unterwegs auf Booking ein Hotel. Mit dem Wissen, bald in die Federn sinken zu können, sind auch noch die letzten Kilometer eine Herausforderung. Die Augen wollen jetzt schon zufallen. Nachdem wir noch eine Weile durch Livno geirrt sind, haben wir die Unterkunft gefunden. Ich kann mein Rad noch etwas abspritzen und vom Gröbsten reinigen, dann wartet auch auf mich die heiße Dusche. Unbeschreiblich!

TAG 5 – 160 km/ 2700 Hm

Früh geht es wieder los, es dämmert. Ein paar streunende Hunde schimpfen und schon geht es wieder offroad weiter. Und nun werde ich im wahrsten Sinne des Wortes wachgerüttelt. Eine übler Kopfsteinpflaster-Weg, zudem noch nass vom letzten Regenguss, führt auf das Cincar-Hochplateau. Mein Willen wird auch hier auf eine harte Probe gestellt. Einmal oben auf der weitläufigen Hochebene ist es nur noch zauberhaft. Hier sollen zudem die letzten echten Wildpferde Europas leben, rund 800 Tiere. Ich schaue sehnsüchtig nach links und rechts. Ob uns wohl das Glück hold sein wird? Und dann sind sie da. In der Ferne sehe ich das erste Grüppchen. Etwas weiter galoppiert eine kleine Herde daher. Die Rösser nähern sich sogar vorsichtig und etwas misstrauisch, aber neugierig.

Gosia schließt auf. Sie erzählt uns ihr Erlebnis vor Knin und von ihren Ängsten nicht durchzukommen, denn sie muss ihren Flug am Samstag erreichen. Es wird eine Zitterpartie werden bei ihr. Aber sie schafft es mit einer durchfahrenen Nacht im schwierigsten Abschnitt des Rennens. Genial, was Gosia gemeistert hat. Unsere Hochachtung!!

Dann Abfahrt nach Šuica. Die letzen Meter durch eine überflutete Wiese, wieder mal. Aber dann sind alle Strapazen vergessen: Es gibt köstlichsten Kaffee und Kuchen in der an den Supermarkt angegrenzenden Bar. Und dann füllen wir unsere Vorräte auf. Bis Mostar soll es über 120 Kilometer nichts geben. Ich lerne, dass man eine Mineralwasserflasche nicht zwischen die Knie klemmen sollte, während man sie öffnet. Das Ergebnis ist nämlich, dass die Hälfte des kostbaren Nass explosionsartig das Weite sucht. Für meinen Trinkrucksack ist nur noch etwa ein halber Liter übrig. Ob ich damit über die Berge komme? Ich will nicht nochmal Schlange stehen im Supermarkt. Zum Glück ist es nicht so heiß und der nächste Regenguss lässt nicht lange auf sich warten.

Nach einer Teerpassage geht es wieder ins Gelände. Mit Entsetzen betrachte ich die Szene, die sich uns bei der Abzweigung bietet. Ein Müllplatz. Rundherum notdürftig zusammengezimmerte Holzbaracken, rundherum Abfälle. Gibt es wirklich Menschen, die hier leben? Neben dem riesigen Müllhaufen mehrere geparkte Autos und auf dem Abfall ein Dutzend Leute, die die Wohlstands-Überreste durchforsten. Auch das gibt es noch in Europa. Die nächsten 50 Kilometer fahren wir durch die sogenannte Danger-Zone. Hier darf man auf keinen Fall vom Weg abweichen. Das Gebiet soll auch über 25 Jahre nach dem letzten Krieg noch vermint sein. Das Gebiet ist hügelig, trocken und karstig, abgesehen vom Regen. Sehr steile kurze Anstiege zwingen mich immer wieder vom Rad. Wir kommen nur sehr langsam weiter. Mit Entsetzen entdecke ich, dass ich vergessen hatte meinen Tracker am Morgen anzuschalten. Das hole ich nun nach fast 80 Kilometern schleunigst nach. Da wird Bea wohl meinen, dass ich im Hubschrauber hierhergeflogen bin. Grins. Dann im Blindinje Naturpark werden die Wege wieder besser. Wir treffen auf Christoph, der anfangs schnell unterwegs war, der aber Sitzprobleme bekommen hatte. Wir versorgen ihn mit Cremen und werden ihn in Mostar wieder treffen.

Nach dem Blindinje-See holt uns Gosia ein, sie hatte irgendwo einen verlängerten Powernap abgehalten. Ab Mostar werden wir sie nicht mehr treffen. Wir lernen Niko aus den USA kennen, der seit Monaten mit seinem Rad und Fotoapparat unterwegs ist, zuerst durch Marocco, dann der italienischen Küste entlang und kreuzt er immer wieder die TBR-Strecke. Wir werden in Risan zufällig wieder treffen und in unserem Apartment bewirten dürfen.

Nach einem steileren unwegsamen Anstieg geht es hügelig recht flott dahin. Die folgende schlottrige Abfahrt scheint kein Ende zu nehmen. Ich wundere mich immer wieder, was so ein MTB aushält. Tagelang durchgerüttelt auf schlechten Wegen wird mein Bike es pannenfrei bis ins Ziel schaffen. Ein Wunder! Dann aber erreichen wir die sehnsüchtig erwartete Asphaltstraße raus nach Mostar.

Nach dem obligatorischen Foto des Wahrzeichens, der Stari Most, der „alten Brücke“ über die Neretva versuchen wir eine Unterkunft zu finden. Wir fahren wieder zurück, wo ich ein ansprechendes Hotel gesehen hatte. Als wir schlussendlich, mit Christian, der sich zu uns gesellt hatte, im Hotel Patria eingecheckt haben, sind die Supermärkte geschlossen. Na bravo! Wir gehen zu dritt im nahe gelegenen Restoran Malo Misto, sagenhaft gut essen. Nach 4 Tagen schmeckt die Lamm-Pfanne mit Gnocchi unvergleichlich gut. Auch wenn ein Zahn, der sich schon seit Tagen leicht bemerkbar gemacht hatte, immer mehr schmerzt. In einer Tankstelle füllen wir noch unsere Reserven und dann geht es ab ins Bett.

TAG 6 – 112 km/ 2500 Hm

Als der Wecker früh klingelt, hatte ich schon einige Zeit wach gelegen. Der Zahn pocht. Ich überlege, ob es nicht sinnvoll sei, hier in Mostar zum Zahnarzt zu gehen. In den nächsten Tagen würden wir kaum mehr in einen größeren Ort kommen. Vor sieben konnte ich mit meinem Zahnarzt zuhause sprechen, Schmerzmittel und weiter. Abgesehen, dass das Brufen am ersten Tag nicht wirkte, ist das Gefühl nicht das beste mich so auf den Weg zu machen. War das ein Grund zum Abbrechen?

Nach einem sehr guten Frühstück starten wir erst nach 8 Uhr. Es ist noch wolkenlos und die Hitze auf dem sehr steilen Anstieg von teils über 18% Steigung ist schweißtreibend. Im Supermarkt in Nevesinje treffen wir auf Marco und Christoph. Nun heißt es ordentlich „Bunkern“, denn die nächsten 130 Kilometer sind wieder Einöde in Bezug auf Einkaufen. Pfützen und Matsch verfolgen uns, von oben verschont uns das Nass, zumindest gerade noch, aber am Horizont braut sich schon wieder was zusammen. Es geht auf und ab, immer wieder auch durch landwirtschaftliche Gegenden.

Ein kleiner Anstieg steht an. Vor mir mitten auf dem Weg steht ein mittelalter Mann mit weit ausgebreiteten Armen. Ich komme nicht vorbei und steige ab, werde umarmt. Der Mann scheint ein kindliches Gemüt zu haben, er spricht nicht, greift nach meinem dreckverkrusteten Maskottchen, das an der Oberrohrtasche hängt, einem kleinen ehemals weißen Bären, deutet auf den Teddy, dann auf sich. Immer wieder. Dann entreißt er mir den Lenker und beginnt mein Rad bergauf zu schieben. Oben angelangt wieder dieselbe Geste zum Bären und auf sich. Aha, er meint, er habe sich das kleine Stofftier mit dem Schieben verdient. Ich will mich aber keinesfalls trennen von meinem Teddy, der schon so viele Abenteuer mit mir durchgestanden hat. Ich versuche es mit einem Ersatz und biete dem ältlichen Jungen eine angebissene Waffel an. Die möchte er aber nicht. Sanft nehme ich ihm den Lenker ab und möchte aufsitzen. Da breitet er wieder die Arme aus, zieht mich an sich und drückt mir einen dicken kratzigen Kuss auf die Wange. Zumindest duftet der Pulli frisch gewaschen. Dann bin ich frei. Andrea wird mir später erzählen, dass sie dasselbe Erlebnis hatte mit diesem freundlichen mittelalten Buben.

Abfahrt nach Ulog. Hier gibt es laut POI-Liste etwas. Ja, eine Bar. Ich brauche eigentlich nichts und einen Kaffee gibt es leider nicht. Also weiter. Alles ist nass, Pfützen säumen unseren Weg. Es hatte vermutlich kurz vorher stärker geregnet. Es geht bergauf und dann eben am Berghang entlang. Wir wollen noch über den nächsten mittelhohen Mugel, das Höhenprofil verspricht nichts Gutes. Kurz aber knackig könnte man sagen. Wieder mal wirft mich mein Karbonross ab, ich bleibe mit meinen Schuhen im Klickpedal hängen und hole mir einen schönen blauen Fleck am Oberschenkel.

Und kurz darauf beginnt es zu tröpfeln. Wir schaffen es gerade noch hinunter, ich hatte in der Dämmerung im Wald ein Minarett gesehen und nebenan eine Art Stadel mit Erdboden. Da es nun so richtig anfängt zu schütten und zu blitzen und zu donnern beschließen wir es hier schon früh gut sein zu lassen. Dass irgendjemand in die Ecke gek* hat, tut unserer Erleichterung keinen Abbruch. Wir rühren uns aus Wasser und gefriergetrocknetem Suppenpulver je eine Mahlzeit an und dann verschwinde ich müde in meinem Zelt und Hermann in seinem Biwaksack. Dass sich bald Marco einfindet und fragt, ob er sich dazu legen darf, bekomme ich nur noch im Halbschlaf mit und etwas dass er einen Schaltkabel-Riss hatte und hier das Rennen beenden will. Dass Andrea sich auch noch dazu legt, merke ich nicht.

TAG 7 – 152 km/ 3100 Hm

Schon um halb zwei wollen wir los. Es tut mir leid, dass unser Zusammenpacken nicht lautlos ist, aber die beiden lassen sich nicht stören. Unser Weiterweg auf den Orlovačko-Pass führt über 1000 Höhenmeter auf einer ziemlich ruckeligen Art Forstweg. Hermann hatte auf seinem Navi entdeckt, dass unser Weg bald in die R-434 einmünden würde, einer Regionalstraße? Toll, dann hat das unrhythmische Fahren wohl bald ein Ende. Denkste! Der Belag wird noch schlechter. Ich fahre so langsam, dass mich bei Morgendämmerung die Mücken anfangen zu piesacken. Endlich auf dem Pass wird es schlammig. Und dieser Matsch wickelt sich in der Abfahrt wieder mal um die Räder. Dann geht es auf langer Abfahrt durch Wald, Wald und nochmal Wald. Da hier die Sonne kaum durch die Zweige kommt, ist es dementsprechend matschig und wir müssen durch viele Pfützen.  Irgendwann holt uns die Müdigkeit ein und wir wählen ein paar frisch geschlagene Baumstämme für einen Powernap. 15 Minuten müssen reichen. Bei der Weiterfahrt entdecken wir, dass 100 m weiter ein netter überdachter Picknickplatz sicher gemütlicher gewesen wäre für unser Schläfchen. Irgendwann haben wir es bis nach Miljevina geschafft. Ein kleines Restoran an der Straße lädt ein und hier steht auch schon das Rad von Christoph. Leider gibt es keine guten Nachrichten, er sei in der Nacht bei der Abfahrt gestürzt, hat sich die Hände aufgeschlagen und alle seine Kontaktflächen mit dem  Rad seien nun lädiert. Er werde den Bus nach Risan nehmen. Wir gönnen uns einige Kaffees und ein leckeres Omlett (das Atlas Mountain Race lässt grüßen), dann sind wir wieder auf Achse.

Wir müssen noch auf einen Berg im Sutjeska-Nationalpark, eine wunderschöne Hochfläche, dann noch eine Abfahrt und wir sind beim zweiten Kontrollpunkt, dem CP2 in Popov Most. Irgendwann am Nachmittag sind nur noch 7 kleine Anstiege zu bewältigen und dann geht es nur noch runter. In Bosnien fahren alle Leute VW Golf 2, meist „einäugig“ und rundum verrostet. Autopflege wird ganz rudimentär betrieben mit manchmal wahnwitzigen Aufbock-Methoden …

In Popov Most gibt es Karboloading in Form von Pasta, selbst gebrauten Holundersaft, eine nötige Dusche und Bike-Wäsche. Meine Radkluft kann ich waschen, diese trocknet sogar fast ganz in der Sonne.

Dann fahren wir weiter nach Brod, kaufen dort noch was ein, denn wie üblich folgen dann wieder über 100 Kilometer ohne Versorgungsmöglichkeit. Wo aber schlafen? Zu hoch oben ist es zu kalt. Primož hatte uns beim CP2 gesagt nach dem River Tara sein nichts mehr. Am Weg liegen unzählige Rafting-Camps und so mieten wir uns auch so eine urige Holzhütte im Rafting kamp Rajska Rijeka. Ausgezeichnete Idee!

TAG 8 – 152 km/ 3900 Hm

Am Morgen starten wir erst bei Dämmerung. Nicht weit ist es bis zur montenegrinischen Grenze. Was uns heute erwartet ist etwas vom Schönsten der gesamten Fahrt. Nach einem langen Anstieg geht es hügelig vorbei an Poljen, rasant über Hügelkämme und dann hinein in den Durmitor Nationalpark. Beim Anstieg auf den Sedlo-Pass schwirrt eine Drohne über unseren Köpfen, ich muss Hermann „zurückpfeifen“, denn es geht gar nicht, dass wir nicht als Team auf dem Video sind. In dem Zusammenhang darf ich erwähnen, dass Hermann ohne mich sicher einen Tag schneller gewesen wäre, immer wieder wartete er geduldig, bis sein Anhängsel nachkam, sei es in Steigungen als auch in holprigen technischeren Abfahrten. Er hat so viel Zeit zu essen, ich leider nicht, denn kaum komme ich an, geht es schon wieder weiter … Wir treffen Bea und Luca, die extra auf uns gewartet hatten auf dem Pass und die wir auf die Probe gestellt hatte, da wir kurz vorher noch eine kleine Esspause eingelegt hatten. Nach dem ersten Anstieg heute geht es auf Asphalt abwärts. An einer Stelle wird die Straße neu geteert, Hermann fährt am Straßenrand in irgendeinen spitzen Gegenstand. Die Dichtmilch im Reifen tut zwar ihren Dienst aber in den nächsten Tagen muss Hermann einige Male Luft nachpumpen. Das war aber auch unser einziges technisches Problem auf dieser Fahrt.

Nach dem Sedlo-Pass mit seinen Traumblicken auf die Durmitor-Berge folgt eine endlich mal rasante Abfahrt nach Žabljak. Hier legen wir einen ordentlichen Stopp ein, kaufen ein und rüsten uns mit montenegrischen Touristen-SIM-Karten aus. Ich verstehe wohl von technischen Dingen reichlich wenig, denn ich ärgerte mich mit der neuen SIM herum, nur um einen Tag später festzustellen, diese Karte funktionierte sehr wohl, ich hatte nur vergessen die „mobilen Daten“ anzuschalten, die ich in Bosnien deaktiviert hatte. Blödheit pur!

Bea & Luca

Was nun kommt, wird im Race Manual als anspruchsvoll hügelig beschrieben. Es geht über 60 Kilometer über eine Hochfläche. Keine Menschenseele weit und breit. Den Draht, der über den Weg gespannt war und der uns auf WhatsApp angekündigt worden war sah ich nur, weil Hermann mich darauf aufmerksam machte. Könnte böse ausgehen. Ich hatte ihn schon abgehakt, da er sich etwas später als erwartet in den Weg spannte … Über die üppig blühenden Almwiesen kann ich mich nicht so freuen, nicht nur wegen zahlloser Schiebepassagen, sondern wegen der aufziehenden dicken schwarzen Wolken. In der Dämmerung passieren wir einige Schafherden und Almhütten, bewacht von kläffenden Hunden.

Als es dann so richtig steil hinunter geht Richtung Kolašin, fing es stark an zu regnen. In kurzer Zeit sind wir völlig durchnässt, die steile Schotterpiste würde schon im trockenen Zustand eine Herausforderung für mich sein, so nass stelle ich mich noch ungeschickter an. Hermann wird leicht ungeduldig. Ein erstes Haus am Wegesrand, rundum beleuchtet. Wir klopfen an. Keine Reaktion. Die Tür ist zwar nicht versperrt, aber hinein trauen wir uns doch nicht. Zumindest sind wir unter dem Dach vor dem Regen geschützt. Aber es ist kalt. Was tun? Hermann schaut im Internet nach Hotels aus. Es gibt ein Sheraton, aber ob die uns in unserem abgerissenen Zustand überhaupt einlassen? Wir müssen die Strecke verlassen, um in die Kleinstadt zu gelangen. Unterwegs fällt mir ein beleuchtetes Haus auf mit einem Schild „rooms“. Es geht auf Mitternacht zu und wir läuten einfach. Ein Mädchen öffnet. Kein Problem, wir können ein Zimmer haben. Auch die völlig verdreckten Fahrräder dürfen wir einfach reinstellen in den Aufenthaltsraum. Ein heißes Bad weckt meine Lebensgeister, die ich aber sofort in einen tiefen traumlosen Schlaf schicke.

TAG 9 – 97 km/ 2400 Hm

Nicht ganz so früh wie sonst verlassen wir diese ein wenig heruntergekommene Herberge. Unsere Tracker leuchten beide nicht mehr grün, ein rotes Licht kündigt an, dass die Batterien fast leer sind. Aber hilft nichts, hier bekommen wir keinen Nachschub und die Reservebatterien hatte Hermann schon eingelegt, seit der GBDuro waren sie in der Schublage gelegen und wohl nicht mehr ganz taufrisch.

War der Tag vorher schon eine etwas größere Herausforderung, so steigert sich das heute noch: Beschrieben sei der Streckenabschnitt mit „anspruchsvolle Anstiege, Bergpfade, auch technisch …“ Landschaftlich grandios, trotzdem bedeutete es nochmal alles zu geben. Immer wieder gibt es technische Abfahrten und die Anstiege sind oft so steil, dass ich jetzt nach diesen herausfordernden Tagen absteigen muss und mein 30-Kilo-Bike schieben muss.

Zudem drohen immer wieder schwarze Wolkenhaufen und fernes Donnergrollen. Der Stress macht mir zu schaffen. Die Ausblicke sind aber traumhaft und so werde ich immer wieder abgelenkt von den Strapazen und dem Vorgehen am Himmel. Irgendwann geht es dann nur noch abwärts Richtung Nikšić. Allerdings auf einem verblockten Kalksteinpfad, der nochmal alles fordert.

Im Supermarkt schleunigst neue Batterien gekauft und etwas Proviant, dann machen wir uns auf den Weg ins Hotel, das wir unterwegs ausgemacht hatten. Es wäre zwar ein Leichtes gewesen die etwa 70 Kilometer weiterzufahren und gegen Mitternacht im Ziel in Risan anzukommen. Ein gemütliches Bett, zuerst noch Pizza und griechischen Salat ist auch sehr verlockend.

TAG 10 – 71 km/ 800 Hm

Sogar ein Lunchpaket gibt es im Hotel Jugoslavia, das wir vor Abfahrt noch verdrücken, dann geht es los. Heute gibt es nur noch Asphalt und schöne Landschaften. Die Hauptstraße ist so früh noch verkehrsarm und dreimal geht es ab und über die Berge, um dann wieder auf  dieselbe Straße zu münden. Auf einer Nebenstraße, wahrscheinlich der alte Straße nach Risan, rollen wir dann zuletzt abwärts. Und auf einmal liegt er glitzernd unter uns: der Golf von Kotor.

Die Idee diesen letzten Abschnitt heute noch zu fahren war goldrichtig, wir hätten uns sonst um das Erlebnis gebracht über die Serpentinenstraße ins Ziel zu rollen mit Traumausblicken auf das tiefblaue Meer. In Risan werden wir schon mit super guter Pasta erwartet. Eine lange nicht immer leichte Reise über den Balkan ist leider zuende.

Dankbar sind wir, Hermann und ich, das zusammen erleben zu können und dass wir sei es von gesundheitlichen als auch technischen Problemen verschont worden waren. Danke, Hermann, für die Geduld, wenn du nach Anstiegen und nach technischen Abfahrten warten musstest …

Einen großen Dank an Bea und Luca und an alle freiwilligen Helfer*innen, die alles getan haben, um uns ein unvergessliches Erlebnis zu verschaffen. An alle, die aus welchen Gründen auch immer die Rennstrecke verlassen haben, möchte ich ermutigen, es noch einmal anzugehen. Die wirklich schönsten Gegenden, aber auch die herausforderndsten Abschnitte sind im dritten Drittel angesiedelt. Alle Achtung vor der Leistung der Sieger, die das Rennen in nicht mal 5 Tagen abgeschlossen haben.

Davon abgesehen, dass ich sicher nicht viel schneller fahren konnte, Zeit wäre sicher bei uns eine Menge einzusparen gewesen, vielleicht tat das übrige auch das Wetter. Das aber interessiert mich nicht, denn es hätte uns um einiges an Erlebnissen gebracht. Und mein Ziel, vor der Finisher-Party anzukommen hat sich mehr als erfüllt.

Anhang:

*Pfefferspray: Zum Einsatz kam es nicht, aber was sollte ich bloß tun damit? Auf dem Flug ist das in der Radbox nicht erlaubt und schon gar nicht im Handgepäck. Was soll ich nun damit tun? In Italien fällt es unter das Waffengesetz und es kann womöglich ganz schön teuer werden und zu weiteren Komplikationen führen, falls es bei mir entdeckt würde. In die Radbox? Womöglich bleibt mein Rad dann in Montenegro … Schade drum, hat 25€ gekostet und ich würde es gerne bei meinem Bikepacking Trans Germany mitnehmen. Eines nachkaufen? Gibt es nicht in Südtirol. Ich habe die geniale Idee, das Spray von Montenegro in einem Brief nach Hause zu schicken. Ich wickle es ein, klebe zu, auf der Post muss ich das Ding jedoch auspacken, die Angestellte reicht das Fläschchen fragenden Blickes ihrer Kollegin … Oje, jetzt gibt es wohl Probleme. Aber nein, ich bekomme ein Kuvert, kann das Fläschchen einpacken, Adresse und Briefmarken drauf und es entschwindet meinen Blicken. Zufrieden ziehe ich von dannen … Unser Sohn wird mein Gedankengetriebe wieder in Gang setzen: „Mami, wenn die da drauf kommen, dann gibt es Probleme. Kann 300 Euro und mehr kosten und du begehst eine Gesetzesübertretung …!“ Au weh! Jetzt kann ich es auch nicht mehr rückgängig machen. War das falsche Sparsamkeit? Nein, ich wollte es unbedingt zurück für mein nächstes Abenteuer, damit ich mich nachts allein im Zelt sicherer fühlen kann …
Wie das dann ausging? Nach einer Woche steckte das Kuvert unbeschadet im Briefkasten. Glück gehabt …!