Eigentlich war der Plan die originale Via Vandelli zu fahren, … eigentlich … Zur Erklärung: Die Via Vandelli ist eine im 18. Jahrhundert erbaute historische Handels- und Militärstraße, die Modena mit Massa verband, strategisch durch die Apenninen führte und heute als Wanderweg erhalten ist, Genaueres zur spannenden Geschichte der VV gibt es am Ende des Textes.
Unser Plan war mit Start in Sassuolo, auf der Via Vandelli bis Castelnuovo di Garfagnana zu fahren und nach der Übernachtung im Hotel La Lanterna uns frühmorgens auf den Weg über den Passo della Tamburella zu machen. Nach der Ankunft in Massa sollte es am selben Tag über den Passo della Fioba wieder zurück nach Castelnuovo gehen. Das Hotel war zu dem Zweck für 2 Nächte gebucht. Am dritten Tag sollte dann die Rückfahrt über den Passo delle Radici erfolgen.
Wie sagt man aber so schön: Ein Plan, der nicht geändert werden kann, ist schlecht … oder noch besser: Ein Plan ist dazu da, den Weg zu kennen – aber die Kunst liegt darin, ihn flexibel zu gehen …
Tag 1 104,20 km/ 2.710 m/ Bewegungszeit: 7:47:53 Strava
Das Auto lassen wir auf dem kleinen kostenlosen Parkplatz hinter dem Palazzo Ducale stehen und machen uns gegen 7 Uhr auf den Weg.
Schon nach wenigen Kilometern und dem Einbiegen in die erste Gravelpassage wird unser Plan Via Vandelli über den Haufen geworfen, im wahrsten Sinne des Wortes:
Die Regenfälle der vergangenen Wochen hatten ihre Spuren hinterlassen, die Wiesen und Wege sind von Wasser gesättigt und lassen nicht nur eine Befahrung stückeweise nicht zu, sondern auch das Rad-Schieben ist kaum möglich, gleich versinkt man knöcheltief im Schlamm.
Auf den ersten Gravel-Metern rutscht mein Fuß ab und ich falle der Länge nach auf den schlammigen Boden. Meine komplette linke Körperseite ist schlammbedeckt, die Hände besudelt, ich kann mich nicht mal sauber wischen.
Das versuche ich (mit wenig Erfolg) in unserem Bar-Stopp in Serramazzoni. Leider bin ich so frustriert, dass es nicht mal ein Beweisfoto gibt, das Davor und Danach unterscheiden sich nur wenig voneinander.
Bis Serramazzoni sind wir wohlweislich auf der Straße geblieben, denn man sah bei Abzweigungen sofort, dass die Verhältnisse überall gleich waren.
Anschließend versuchen wir es aber doch wieder mal mit der Originalstrecke. Aber dann versuchen wir es nicht mal mehr. Schlamm und Wasser überall. So macht Fahren keinen Spaß, abgesehen von der Sturzgefahr.
Bei Pavullo folgt die Route erst mal einem Radweg entlang des Flugplatzes, dann verzichten wir wieder auf Gravel. Schade, denn die Route käme vor Lama Mocogno bei der bekannten Natursteinbrücke Ponte del Diavolo vorbei.
Erst nach La Santona entscheiden wir uns auf einer Serpentinenstraße zum Passo Centocroci hochzufahren und von dort bis kurz vor dem Passo delle Radici original der Via Vandelli zu folgen. Der Untergrund ist hier etwas steiniger und besser fahrbar, aber um nahe jeder Pfütze gibt es tiefen Schlamm.
Das letzte Stück vor dem Passo delle Radici ist steil und schneebedeckt und wir weichen wieder auf die Straße aus. Es fängt zudem an zu regnen und so rollen wir weiter auf der Straße hinunter nach Castelnuovo di Garfagnana.
Der Plan am kommenden Tag über den Passo della Tambura den Kamm der Apuanischen Alpen zu überqueren, wird wohl hinfällig sein. Dort liegt wohl nordseitig auch noch Schnee. Dieser Teil ist zudem mit einigen Schiebepassagen verbunden, 2 Kilometer hoch zum Pass. Dann geht es vermutlich auch zumeist zu Fuß etwa 6 Kilometer auf dem spektakulären gepflasterten und fast schon terrassenförmig angelegten Straßenbauwerk bergab, bis man wieder auf fahrbareres Terrain trifft. Das Herzstück der VV, aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, hätte ich schon gerne gesehen.
Die Wetteraussichten sind nicht besonders. Somit steht für uns fest: Haben wir den ersten Teil auch nicht original erlebt, so verschieben wir den Übergang nach Massa auch auf später und „begnügen“ uns mit einer Tagestour diesseits des Hauptkammes.
Die verdreckten Räder und Packtaschen können wir glücklicherweise im Garten des Hotels La Lanterna in Castelnuovo di Garfagnana säubern.
Fazit Tag 1: Obwohl wir weniger als ein Drittel offroad unterwegs waren, unsere Strecke war auch sehr schön und bis auf wenige kurze Stücke verkehrsarm.
Wir beschließen etwas durch die Garfagnana zu radeln. Die Via Vandelli würde vorbei an Vaglia di Sopra führen und wir möchten zunächst dorthin fahren, um vielleicht einen Blick zu erhaschen auf den Weg Richtung Passo della Tambura. Im weiteren Verlauf sollte es über mehrere kleine Pässe, vorbei an einigen Seen in einer Runde wieder zurück zum Hotel gehen.
Wir folgen zunächst der originalen Strecke vorbei an den Ufern des Lago di Pontecosi, der allerdings trocken ist, also fährt man am Fluss Serchio entlang. Sehr nettes Auf und Ab auf Gravel (auch heute noch sehr nass und rutschig, aber mäßig schlammig).
Aber hier begegnet uns unser erstes Highlight heute: Die Ponte della Madonna di Pontecosi. Der Bau stammt aus der Römerzeit und hat die typische Buckelform. Ihr Name ‚Pontecausi‘ gab dem nahen gelegenen Dorf „Pontecosi“ seinen Namen. Die nassen Platten machen das Ganze äußerst rutschig.
Auf Highlight Nummer zwei treffen wir ein paar Kilometer weiter: Die Überquerung des Tales über die Eisenbahnbrücke Ponte di Villetta, auf dem schmalem Fußweg entlang der Gleise. Schwindelfrei sollte man schon sein, denn der Tiefblick auf den Fluss Serchio beträgt in der Mitte der Brücke ganze 54 Meter und die Brüstung ist nicht sehr hoch.
Die Ponte di Villetta, diese 408 m lange Eisenbahnbrücke der Bahnstrecke Aulla–Lucca mit ihren 13 Bögen wurde übrigens vor knapp hundert Jahren erbaut, im Zweiten Weltkrieg zerstört und in den 50er Jahren wieder aufgebaut. (Infos aus ChatGPT/OpenAI, 01.04.2025)
Dann radeln wir hinein in das enge Tal zum Lago di Vaglia, einem Stausee, an dessen Ende Vaglia Sotto liegt. Ursprünglich hatten wir sogar überlegt, hier zu übernachten, es gibt ein Hotel im Ort oder das „Vecchio Convento“ neben der kleinen romanischen Kirche.
Dann geht es hoch nach Vagli Sopra. Wir sprechen mit einem Einheimischen, der uns versichert, es habe oben noch Schnee, denn etwas tut es uns schon leid, dass wir nicht nach Massa hinüber konnten. Die Schroffheit der Gipfel über uns gibt uns aber einen guten Einblick, auf das, was wir irgendwann doch noch angehen wollen, dann aber mit Start von Modena.
Weiter geht es über eine kleine Passhöhe zum Lago di Gramolazzo. Hier waren wir bei der Randonnée, der 1001Migla, vor etwa 10 Jahren schon mal.
Nun könnte man zurück radeln zum Hotel, aber wir entschließen uns die Runde noch etwas auszudehnen Richtung Minucciano. Die nahezu verkehrsfreien Sträßchen über zwei kleine Anhöhen machen Spaß, auch wenn es wieder mal anfängt zu regnen und uns der Wind durchpustet.
Der Rückweg führt durch mehrere kleinen Dörfer, vorbei an Piazza al Serchio und San Romano in Garfagnana.
Die Idee bei der Villetta Eisenbahnbrücke wieder auf die Gravelstrecke einzubiegen war nicht so gut, die neuen Regengüsse haben die Strecke noch rutschiger gemacht, so biegen für die letzten paar Kilometer zurück auf die Strada Provinciale ab.
Beim Aufstehen strahlt uns tiefblauer Himmel entgegen. Warum versprachen uns die Wetterprognosen DAS schon für die beiden vorhergehenden Tage?
Heute steht leider schon die Rückfahrt nach Sassuolo an.
Die Garfagnana liegt zwischen den Apuanischen Alpen im Westen und dem Toskanisch-Emilianischen Apennin im Osten und so müssen wir letzteren Bergkamm noch einmal überwinden.
Idealerweise fahren wir wieder über den Passo delle Radici und dafür wählen wir eine stückweise zwar etwas steilere aber kaum befahrene Straße aus, vorbei am mittelalterlichen Dörfchen Sassorosso, das man schon vom Tal aus, hoch oben thronend und scheinbar mit dem umliegenden Gestein verschmolzen, erkennen kann.
Die fast 1300 Höhenmeter vergehen mit Blick auf die schneebedeckten Berge vor uns und die Berge in unserem Rücken, die wir gestern so gerne überwunden hätten, wie im Fluge. Die dichten Laubwälder weiter oben sind quasi noch im Winterschlaf. Erste Frühlingsblümchen drücken sich durch die modernde Laubschicht vom Vorjahr.
Ich sinniere unterwegs, wie es sein kann, dass sich drei Asphaltstraßen auf dem Passo treffen, und zwar die, die wir schon kennen, wir aber nicht auf einer bekannten Straße abfahren müssen. Die Lösung, die Abfahrt führt eben nicht auf Asphalt, beunruhigt mich ein wenig.
Und meine Vorahnung wird bestätigt, der Weg ist teilweise noch in tiefem Winterschlaf, sprich schneebedeckt und wo kein Schnee liegt, Matsch und ähnlich rutschiger Untergrund.
Die geschätzten 7 Stunden zum Zielpunkt würden wohl nicht reichen.
Dann aber treffen wir wieder auf festen Untergrund und rollen im Wechsel flach und bergab Richtung Osten durch die Ausläufer des Apennins. Hinter uns die raue wunderschöne Berglandschaft, um uns Buchen-, Eichen- und Kastanienwälder unterbrochen von kleinen Feldern, Weinbergen und Olivenhainen, die sich harmonisch in die natürliche Umgebung einfügen.
Vorbei an Frassinoro und Farneta gelangen wir ins Tal zunächst des Flusses Dolo, der dann etwas weiter in den Secchio mündet.
Laut Planung sollten wir nun noch etwa 30 Kilometer entlang des Flusses, vermutlich über Radwege vor uns haben. Radwege? Denkste!
Bei Kilometerstand 58 und kurz nach der Überquerung des Torrente Dragone geht es ins Gelände. Die Wanderwegspuren sind so ziemlich zugewuchert, hier ist wohl schon länger niemand mehr entlang gegangen. Hätten wir doch die Zeichen richtig gedeutet und wären die nur 2 Kilometer zurückgerollt und auf einer Variante auf der gegenüberliegenden Talseite auf sicherem Terrain geblieben …
Man kann ja mal ein Stück versuchen, zurück geht es ja immer, dachten wir …
Dornenranken verhaken sich an meiner Kleidung und will mich zurück halten, aber auch dieses Zeichen missachte ich. Etwas weiter kann man auch wieder ganz gut fahren. Ein paar Stöckchen im Weg geben einem das Gefühl Bunny Hop zu beherrschen. Und dann ein erster (kleiner) Graben. Die Regenfälle der letzten Wochen (oder Jahre?) haben dazu geführt, dass das Gelände ausgewaschen wurde. Gegenseitig helfen wir uns die bepackten Räder die paar matschigen Meter hinunterheben und auf der anderen Seite des Bächleins wieder hochzuhieven. Dann weiter, nun ist der Untergrund abwechselnd laubbedeckt, dann wieder versinkt man im Matsch. Innerhalb kürzester Zeit erkennt man die ursprüngliche Farbe unserer Räder nicht mehr. Zurück? Laut Karte ist es nicht mehr so weit, bis ans Ende dieses Gravelabschnitts. Also weiter!
Das nächste Hindernis: Wieder ein Bach, aber kreuz und quer liegen dicke Äste über dem Rinnsal. Nicht einfach da drüber zu balancieren, die Pedale und der Sattel verhaken sich immer wieder in den Zweigen, die dreckverschmierten Radschuhe laufen Gefahr abzurutschen. Geschafft! Nun ist ein Umkehren endgültig undenkbar.
Ich versuche notdürftig mit einem Stöckchen meine Radschuhe abzukratzen. Wenn ich nur gewusst hätte, wie zwecklos diese Aktion ist, hätte ich mir die paar Minuten gespart.
Eine Vorahnung habe ich schon, als ich beim Weiterfahren Hermann etwas oberhalb des Weges sehe, sein Rad schiebend. Vor uns ein etwas größerer Bach beziehungsweise das, was der Bach mit dem Gelände gemacht hat: Ein Graben in V-Form. Etwa 10 Meter unterhalb des überhängenden Abbruches das harmlose Rinnsal, die steilen Wände scheinbar unüberwindbar. Hermann meint, weiter oben ginge es vielleicht. Er steht schon etwas unterhalb der Kante, seine Knöchel im nassen Erdmaterial verschwunden. Oje!
Auch meine Schuhe versinken im Nu, als ich weiter oben mein Rad hinunter schleife. Dann über das Wasser und auf der anderen Seite wieder hoch. Ein Blick nach oben lässt plötzlich Angst in mir aufkeimen: Was, wenn das wassergesättigte Erdreich nachgibt? Was, wenn die hohen Erdwände zusammenbrechen und uns in einer Schlammlawine mitreißen? Das Erdreich gibt nach unter meinem Gewicht. Nur mit Mühe und Not kann ich mein Rad über den Rand hochwuchten. Geschafft! Aber wie wir aussehen: von unten bis oben voller Schlamm, die Schuhe unter einer dicken Schicht versteckt. In die Klickpedale kann ich schon lange nicht mehr einrasten.
Ich hoffe, dass wir nicht noch so ein Hindernis antreffen. Aber der nächste Graben ist harmlos und ein paarmal ist noch durch Schlamm zu schieben. Aber das ist jetzt auch egal. Egal ist mir auch, was die Leute denken werden …
Bald erreichen wir den vermeintlichen Radweg. Natürlich gesperrt. Und natürlich setzen wir uns über das Verbot hinweg, klettern über die Schranke und radeln fröhlich am Secchio entlang. Hier fahren wohl unter der Woche LKWs. Nach weiteren drei Kilometern erreichen wir den richtigen Radweg. Auch dieser ist gesperrt, „pericolo“, Gefahr, droht das Schild, das wir auch dieses Mal „übersehen“.
Sehr schön auf feinem Schotter führt der Weg entlang des Flusses. Verdächtig, dass wir so gar keinen Menschen begegnen. Und dann plötzlich geht es nicht mehr weiter. Der Radweg bricht ab. Vor uns ein etwa 5 Meter breiter reißender Bach. Was nun? Wir schieben unsere Räder Richtung Bachmündung, hier ist die Strömung weniger stark. Etwa knietief waten wir durch das eiskalte Nass. Mindestens werden die Schuhe nun (fast) sauber.
Ab hier sind es noch 13 Kilometer nun wirklich auf einem erlaubten Radweg bis nach Sassuolo.
Fazit des Tages: Die geplante Zeit haben wir zwar überschritten, aber abenteuerlich war es allemal wieder …, auch wenn es mir zwischendurch nicht immer so spaßig vorkam … Und auch das Reinigen des lehmverkrusteten Rades, der Taschen, der Schuhe, … war nicht so spaßig …
Tipp, um die Hindernisse auf den letzten 30 Kilometern zu umgehen: Sobald man den Talgrund erreicht, bei Km 56, empfehle ich auf der Brücke den Dolo zu überqueren, bei Cerredolo die Brücke über den Secchio zu nehmen und bis Lugo auf der orographisch linken Seite zu bleiben. Dort trifft man wieder auf unsere Route (etwa bei Km 66). Besser aber noch einige Kilometer auf der Straße bleiben, bis Km 73, um nicht durch den Rio Lucenta waten zu müssen. Es schaut nämlich nicht so aus, als würde der Radweg demnächst gerichtet. Nach dieser Flussquerung kann man bedenkenlos auf dem Radweg bleiben, er führt bis Sassuolo.
Eine genaue Beschreibung der originalen Via Vandelli und einen interessanten Abriss zur Geschichte gibt es auf der Website des DAV: Mit dem Mountainbike über den Apennin
Geschichtliches: Die Via Vandelli ist eine historische Handels- und Militärstraße, die im 18. Jahrhundert erbaut wurde, um die Städte Modena und Massa in Norditalien zu verbinden. Ihr Name stammt von Domenico Vandelli, einem Geographen und Ingenieur, der den Bau unter der Herrschaft von Francesco III. d’Este, Herzog von Modena, plante.
Entstehungsgeschichte der Via Vandelli
Im 18. Jahrhundert benötigte das Herzogtum Modena einen direkten Zugang zum Meer, um den Handel zu erleichtern und wirtschaftlich unabhängiger zu werden.
Francesco III. d’Este wollte einen strategischen Weg schaffen, der sein Herzogtum mit dem Hafen von Massa verband
Francesco III. d’Este wollte eine Straße, die nur durch sein eigenes Territorium verlief, um keine Zölle an andere Staaten zahlen zu müssen. Angewiesen zu sein auf die Handelswege kontrollierender Nachbarn, würde den Herzog leicht erpressbar machen. Dadurch war er gezwungen, eine Route zu wählen, die die Apenninen überquerte.
Der Bau begann 1738 und dauerte mehrere Jahre.
Die Strecke führte durch die Apenninen und die Apuanischen Alpen, was die Arbeiten besonders anspruchsvoll machte.
Die Straße wurde mit Serpentinen gebaut, um steile Abschnitte zu entschärfen. Teilweise wurden Steinplatten und Brücken angelegt, um den Weg stabiler zu machen. Trotz innovativer Bauweisen war der Weg für Kutschen und Warenverkehr oft schwer befahrbar.
Mutig war ich allemal, als ich mich für das Race around Rwanda anmeldete. Dass das Abenteuer Afrika ein ganz besonderes werden würde, ahnte ich schon.
In Kürze, es geht in einer 1000 Kilometer langen Runde um dieses ostafrikanische Land am Äquator, dabei sind gut 18.000 Höhenmeter zu überwinden. Nicht umsonst wird Ruanda „Das Land der 1000 Hügel“ genannt.
Neugierig geworden? Hier zunächst mein Video über das gesamte Rennen. Wer den Bericht lesen möchte, jeder Tag beginnt mit eine kurzen Video.
Tag 1: Start in Kigali – CP1 Lake Muhazi – Gasange 210 km/ 2850 Hm Zeit in Bewegung: 11:30h Verstrichene Zeit: 14:07h
Hier zunächst das Video – Tag 1
Race day morning:
Meine Aufregung steigert sich. Für uns ist im Café Tugende ein wunderbares Frühstück bereitgestellt. Letzte Vorbereitungen bis zum Start. Jemand teilt mir mit, mein Tracker erscheint auf der Legendstracking-Seite als nicht vollständig geladen, also hänge ich ihn nochmal an die nächstbeste Steckdose; daneben hatte jemand wohl dieselbe Idee. Ein letztes Mal aufs Klo, Tracker eingepackt und in die Startlinie eingereiht. Ein fröhliches Geblinke der roten Rücklichter, blau das des Polizeiwagens, der uns auf den ersten Kilometern aus der Stadt hinausbegleitet. Countdown … es geht los! Die Anspannung fällt mit den ersten Pedalumdrehungen ab. Jetzt gibt es kein Zurück mehr … Komme, was kommt!
23 Kilometer Asphalt, unterbrochen von etwa zwei Kilometern grobem Kopfsteinpflaster. Hier zeigt sich, wer seinen „Hausrat“ nicht richtig befestigt hat. Ein Rücklicht, eine Sonnenbrille, Trinkflaschen verlieren ihre Besitzer, mich rüttelt es nur richtig durch, aber alles bleibt dran.
Kurz vor sechs wird es hell. Das bedeutet hier in Äquatornähe innerhalb von Minuten von Stockdunkel zu Sonnenaufgang, fast so, als ob jemand einen Lichtschalter umlegt. Nur ist es 12 Stunden hell und dann dasselbe Schauspiel umgekehrt. Also gut in die Pedale treten, ich hatte mir vorgenommen nur bei Helligkeit zu fahren. Als Frau alleine fürchte ich mich doch etwas im Dunkeln einsam zu radeln, auch wenn Ruanda als eines der sichersten Länder weltweit gehandelt wird.
Und bei Tagesanbruch geht es auf die erste Gravelstrecke. Diese wird von Simon als „smooth“ beschrieben. Ab und zu ist es aber ziemlich ruppig, wie werden wohl die Abschnitte ohne diese Beschreibung sein?
So früh am Morgen, überhaupt ist heute auch noch Sonntag sind schon sehr viele Leute unterwegs: zu Fuß am Straßenrand, mit hochbepacktem Rad und auch Moto-Taxis gibt es hier – wie ÜBERALL. Das wird sich auch in den nächsten Tagen nicht ändern. Es gibt kaum einmal einen Kilometer, auf dem niemand unterwegs ist.
Ich grüße links, ich grüße rechts mit „Salama“ … glaubte ich doch, das hieße soviel wie „Hallo“. Erst zuhause teilt mir die KI auf meine Frage mit, dass „Salama“ als Gruß oder Ausdruck für Wohlbefinden genutzt wird, ähnlich wie „Alles gut?“ oder „Bleib gesund“ und stammt eigentlich aus dem Swahili. Die Leute sind trotzdem immer überrascht, wenn ich so grüße und antworten fröhlich – mit was auch immer … manchmal mit „Komera“, was „sei stark, habe Kraft“ bedeutet oder mit „Yego„- Ja!
Rotbrauner gestampfter Erdboden begleitet mich über fast 60 Kilometer. Obwohl es trocken ist oder gerade deshalb sind meine Beine bald völlig von einer rötlichen Staubschicht bedeckt, ein klebriges Gemisch mit Schweiß und Sonnencreme. Auch die Farbe meiner Kleidung ist bald nicht mehr eindeutig zu erkennen. Ich nähere mich also schon am ersten halben Tag den Leuten und vor allem den Kindern an, deren Kleidung auch nicht immer makellos rein ist. Wasser wird anscheinend vielerorts für wichtigere Dinge gebraucht als Waschen und Körperpflege und ist nicht immer verfügbar, so wie wie wir es kennen – Wasserhahn auf und das kühle Nass sprudelt. Nein, hier muss es oft von weit her geholt werden. Frauen, Männer, Kinder sieht man häufig mit gelben Kanistern. Die vollen Behälter werden nach Hause geschleppt, oft auf dem Kopf, auch mit hoch beladenen Rädern, die von ihren Fahrern schweißtreibend den Berg hochgeschoben werden.
Bei CP1 sehne ich mich nach einer kleinen Katzenwäsche, die Abkühlung und saubere Beine, Arme und Gesicht versprechen. Aber Fehlanzeige, Wasser ist wohl wie fast überall im Land Mangelware, sagen wir mal für so banale Dinge wie sich des Staubs zu entledigen. Ist das überhaupt wichtig? Ich werde in den nächsten Tagen lernen, dass es viel wichtigere Dinge gibt, zum Beispiel Wasser zum Trinken.
Nach fast 80 Kilometern wechseln wir wieder auf Asphalt und ich halte kurz am Straßenrand bei einer kleinen Gruppe von Kindern: sie bieten Bananen feil. Ein ganzer Strunk oder wie man das nennt für 300 ruandische Franc. Ich brauche nur drei Bananen und bezahle mit 1000 Franc. Das Geld wird mir aus der Hand gerissen und verschwindet, Wechselgeld bekomme ich keines. 1000 Franc haben grad mal den Gegenwert von 70 Cent. Die Kinder umzingeln mich fragen gleich noch nach weiterem Geld. Ich ziehe von dannen.
Kurz darauf eine Radfahrer-Hotspot: Hier muss es was geben und ja, ein Shop!
Alle paar Kilometer gibt es kleine Straßendörfer und hier sind nicht nur noch viel mehr Leute, sondern es gibt kleine „Shops“, die detailliertere Planung hätte ich mir als sparen können. Shop? Hier gibt es, was es gibt: Wasser immer, Fanta auch immer, wobei hier unterschieden wird in Fanta Orange, Fanta Lemon oder Fanta Cola, manchmal auch Fanta Ananas. Irgend eine Art Kekse gibt es auch immer oder Chapati und Mandazi. Dieseostafrikanischen Teigwaren werden oft als Snack oder Beilage gegessen und wohl von den Frauen frühmorgens gebacken und in durchsichtigen großen Eimern zum Bestimmungsort „Shop“ getragen. Chapati – ist ein flaches Brot, das in der Pfanne gebraten wird, Mandazi leicht gesüßte, frittierte Teigkugeln. Anfangs hatte ich etwas Bedenken, diese Energie-Snacks zu probieren.
Ich fülle meine Wasserreserven auf, es ist inzwischen nämlich sehr warm geworden und der Durst größer als normal. Auch eine Cola gönne ich mir. Ich mache eine Entdeckung: mein kleiner weißer Plüschbär, der alle meine Bikepacking-Abenteuer mitgemacht hat, hat mich VERLASSEN. Sprich, ist wohl bei meinem Stopp bei den Kids abgerissen worden. Ich hoffe, er macht ein ruandisches Kind glücklich! Tschüssi Bär!
Nach einer rasanten Abfahrt gibt es wieder Gravel. Smooth und flach. Mit etwas Rückenwind düse ich durch die flache Landschaft. Sie ist auch eine der am tiefsten gelegenen und deshalb eine der heißesten Abschnitte der Strecke, zudem gibt es so gut wie keine Verpflegungspunkte mehr. Es ist etwa Mittagszeit, der Fahrtwind kühlt etwas.
Das wird sich nach den knapp 50 Kilometern ändern. Nun heißt es einige Steigungen zu überwinden. Also nichts mehr mit Fahrtwind und die pralle Sonne bei 38° im Schatten machen mir, die aus dem Winter kommt, ganz schön zu schaffen. Mein Kopf fühlt sich jedenfalls wie eine glühende Kugel an.
Ein Erlebnis lässt mich nicht mehr so unbeschwert durch die Gegend radeln: Vor mir sitzen vier Kinder (sagen wir mal fast Halbwüchsige) auf der Straße , mit gespreizten Beinen eine Barriere gebildet. Als ich bremse, springen sie auf und umzingeln mich. Sie fragen in etwas aggressiverem Ton nach „money“ und als ich weiter fahren will, ziehen und zupfen sie an meinem Rad, wollen meine Wasserflasche rausholen. Ich reiße mich los und flüchte. Erst am Abend werde ich in der WhatsApp-Gruppe lesen, dass einigen ihre Rücklichter abhanden gekommen sind. Aha, das wollten die Kids … Meine Lichter waren aber mit Kabelbindern gesichert, nicht gegen Kinder, sondern gegen das Verlieren …
Sonst aber nur fröhliche Gesichter, alle grüßten zurück, manche Kinder riefen „give me money!“ oder auch nur „good morning“ und „how are you?“
Irgendwann ist das auch geschafft und gegen 15 Uhr trudele ich im ersten Kontrollpunkt ein. Ein Crewmitglied kommt informiert mich gleich, dass mit meinem Tracker was nicht in Ordnung ist und gibt mir einen neuen, auch Lars informiert mich, dass ich laut Legends-Tracking immer noch in Kigali sei. Da werden sie sich zuhause wohl Sorgen machen. Ich will gleich via WhatsApp alle beruhigen und merke, dass ich keinen Internet-Empfang habe.
Ich bin ausgehungert und mache mich erst mal daran mich durch das Sortiment an Mittagessen zu futtern: Gemüse, Reis, Nudeln, Soße, Pommes, Wasser und wieder mal Fanta. Zudem möchte ich mich etwas waschen. Fehlanzeige, es gibt ein einfaches WC, aber kein fließendes Wasser.
Es wird langsam Zeit sich um eine Schlafquartier zu kümmern, ist der Nachmittag doch schon vorangerückt. Hatte ich zuhause mir einige Optionen aufgeschrieben, so muss ich mit Entsetzen feststellen, dass diese Strukturen alle ausgebucht sind. Was tun?
Ich beschließe mit einigen anderen, die dasselbe Problem haben, erst mal weiter zu fahren. Piotr möchte bis nach Byumba weiterfahren, das bedeutet von CP1 noch 90 Kilometer, mehrere kleine und einen langen Anstieg von knapp 1000Hm. Das ist mir definitiv zu lang.
Unterwegs löse ich erst mal mein Internet-Problem und fahre einen der gelben Sonnenschirme, die es in jedem Dorf gibt, an. Darauf das Emblem der Telefongesellschaft deren Sim-Card wir vom Veranstalter bekommen haben. Ich versuche mich verständlich zu machen, dass ich kein Internet habe. Nach einigem Bemühen der Dame unter dem Schirm wird meine eigene Dummheit in technischen Belangen wieder mal enthüllt: ich hatte schlichtweg das Daten-Rooming deaktiviert.
In diesem Punkt erleichtert fahre ich weiter. Und kurz darauf ein Piepton, dass mich eine Nachricht erreicht hat, ich habe ja wieder Empfang … Lars schreibt, er habe im nächsten Dorf eine Unterkunft ausgeforscht. Kurz darauf bin ich dort und wir inspizieren das Gebäude. Zuvor schreibe ich noch Hermann, dass ich unterwegs bin und nicht mehr in Kigali.
Die Räumlichkeiten erschrecken mich zunächst. Das „Bad“ besonders: Ein Abtritt aus Kunststoff, gelber Kanister daneben soll wohl die Klospülung sein. Zwei Zimmer, die Bettwäsche zerwühlt und nicht ganz sauber. Es gibt zumindest Wasser, einen Wasserhahn neben der Eingangstür. Der Herr des Hauses hat wohl seine Familie ausquartiert? Keine Ahnung, denn persönliche Gegenstände gibt es außer einer Hautcreme keine. Es wird uns versprochen, dass die Betten frisch bezogen werden. Wenn wir ein Mückennetz wünschen, dann steigt der Preis von 15.000 auf 40.000 Franc (1000 RWF = 0,70 €). Wir wünschen. Auch ein Dinner kann uns serviert werden. Ich unterstreiche, dass ich gerne nur richtig durchgekochte Speisen möchte. Alles klar.
vorher
In meinem Zimmer gibt es kein Licht, eine neue Glühbirne soll installiert werden. Mann verschwindet, wir sollen nach ihm zusperren und niemandem aufmachen. Es vergeht eine Weile und Mann kommt mit einem Kollegen zurück. Es wird gewerkelt. Strom bekomme ich keinen, aber ein Mückennetz. Etwas später kommt auch frische Bettwäsche und ich muss sagen, ich könnte mein Bett mit Laken nicht so fachgerecht aufbetten, wie unser Vermieter das macht. Ich konnte mich inzwischen mit einem Eimer Wasser behelfsmäßig mit meinem Lappen „waschen“. Irgendwann dann kommt das Essen, siedend heiß: Bohnen, Kartoffeln, Nudeln und Gemüse – und billig, umgerechnet nicht mal 4 Euro. Unsere Gastgeber verabschieden sich. Wir hatten vereinbart, wir rufen an, wenn wir das Haus verlassen, zwecks Schlüsselübergabe. Mit Schrecken entdecke ich, dass ich immer noch nicht auf Legendstracking als Punkt vertreten bin und komme drauf, dass mein Tracker ausgeschaltet ist. Zu blöd: Was denken sich denn die Beobachter des Rennens? Lars und ich buchen in weiser Voraussicht schon mal zwei Zimmer in einem Hotel in Ruhengeri, dem Ort der nächsten Kontrollstelle, bei dem ich voraussichtlich knapp vor Dunkelwerden ankommen würde.
Ich schlafe mäßig gut, denn das Mückennetz versucht zwar seinen Zweck zu erfüllen, aber das geht nur leidlich, wenn sich Mücken innerhalb des Netzes befinden. Ich gehe also mehrfach auf Jagd und entdecke dabei, dass das Mückennetz nicht neu, sondern blutbefleckt ist, wohl von anderen Kammerjägern. Hoffentlich erfüllt meine Malaria-Prophylaxe ihren Dienst.
Tag 2: Gasange – Lake Muhazi – Byumba – Ruhengeri (CP2) 161 km/ 2500 Hm Zeit in Bewegung: 11:23h Verstrichene Zeit: 13:51h
Zunächst mein Video Tag 2
Gegen 5 Uhr machen wir uns wieder auf den Weg. Lars ist bald hinter der nächsten Biegung verschwunden, ich rolle sehr langsam bergab Richtung Muhazi See, die Gravelabfahrt verlangt meine volle Konzentration. Von „smooth“ keine Rede. Steine, Löcher, Rillen, das volle Programm, um bei einer kleinen Unaufmerksamkeit ausgehebelt zu werden.
Bei Dämmerung radle ich am See entlang. Die Morgenstimmung ist wunderbar. Alleine bin ich auch nicht, immer wieder überhole ich hoch bepackte Radfahrer mit ihren Stahlrädern, auch zu Fuß sind schon eienige unterwegs. „Black Ich komme am Kingfisher Ressort vorbei. Hier hatte ich ja keinen Platz mehr bekommen. Die Rezeption ist auf dieser See-Seite, das Hotel selbst auf der anderen Seeseite wird mit einem Boot angefahren. Nächstes Mal dann …
Ein Rad-Team steht am Straßenrand neben einem Moto. Moto-Taxi? Nein, der hat eine große Holzkiste hinten drauf und darin … frisches Brot. Ich greife zu! Wer weiß, wann ich wieder was bekomme.
Bei der nächsten Abzweigung soll es einen Shop geben. Ich brauche Wasser-Nachschub. Eine Menge Menschen stehen herum, der Shop ist geschlossen. Also weiter. Nun fahre ich auf Asphalt, aber hoch nach Byumba sind es noch knapp 30 Kilometer und fast 1000 Höhenmeter. Ich ziehe im Windschatten einen Radfahrer mit Stahlrad, ein Fahrrad-Taxi, ein sogenannter „Boda-Boda“: Das ist die preiswerte Alternative in Ruanda, vor allem in ländlichen Gebieten. Eine zehnminütige Fahrt kostet etwa 100 RWF, etwa 7 Cent. Diese Taxis bestehen aus robusten Fahrrädern, oft „Made in China“, die für den Transport von Passagieren und schweren Lasten angepasst wurden. Ein charakteristisches Merkmal dieser Fahrräder ist ein verstärkter Gepäckträger, der mit einem gepolsterten Sitz ausgestattet ist, um den Komfort für den Passagier zu erhöhen. Oft verfügen sie über dekorative Elemente, alle möglichen bunten Teile, die von den Fahrern hinzugefügt werden, um ihre Fahrräder zu personalisieren.
Wahrscheinlich hat mein „Mitfahrer“ gerade jemanden von Byumba hinunter gebracht und muss nun wieder zurück. In der Steigung fällt er etwas zurück, ich glaube diese Räder sind Single Speeds …, aber im Flachen schließt er immer wieder auf, strampelt unermüdlich. So geht das über viele Kilometer. Zwischendurch wechseln wir ein, zwei Worte.
Stopp schon vor Byumba an einer Straßenkreuzung. Hier lehnen schon einige Fahrräder an einem beige getünchten Lehmziegelbau mit ein paar Stühlen davor. Ein „Restaurant“. Bekomme ich hier einen Kaffee? Fehlanzeige, aber Cola und Wasser gibt es. Was zu essen? Einer der Männer verschwindet und kommt mit einer Papiertüte voller Chapatis, eine Art Fladenbrot zurück, ich nehme ihm drei ab. Andere bringen Ziegen-Fleisch-Spießchen, da traue ich mich nicht dran.
Gibt es eine Toilette? Nein, aber gegenüber … Ich entschließe weiter zu fahren und bei Gelegenheit schnell hinter den Büschen zu verschwinden. Die Frage ist nur, wo finde ich einen unbeobachteten Ort? Hier, wo kaum mal 100 Meter ohne Leute zu finden sind? Ich finde was in einem kleinen Graben, die Straße rauf und runter kommt grad mal niemand. Unter mir, vielleicht 20 Meter ist eine Gruppe Frauen beim Schneiden von irgendwas, die bemerken mich zum Glück nicht. Kaum die Radhose wieder oben, nähert sich ein Moto-Taxi. Glück gehabt. Nicht auszudenken, wenn man irgendwelche Verdauungsprobleme hätte …
Weiter bis Byumba und dann stürze ich mich in die Abfahrt. Gravel. Und was für einer. Ich fahre im Schritt-Tempo über ausgewaschene Rinnen, über große Steine.
Irgendwann zwei Halbwüchsige am Wegesrand. Beide grüßen nett, ich grüße zurück. Dann springt einer auf und rennt neben mir her. Er kommt immer näher und näher. Plötzlich streckt er die Hand aus, reißt flugs etwas Weißes an sich, dreht um und rennt den Berg wieder hinauf. Perplex stoppe ich und schaue dem Bengel nach. Er schwenkt was in der ausgestreckten Hand und verschwindet hinter den Eukalyptus-Bäumen. Was hat er bloß entwendet? Ich schaue zu meinem Food Pouch am Lenker. Aha, meine Feuchttücher! Lebenswichtig sind sie zwar nicht, aber doch notwendig für die tägliche Hygiene vor allem im Sitzbereich. Hmmmhmm, nachkaufen kann ich die in Ruanda sicher nicht.
Die nächsten 75 Kilometer Gravel sind mal etwas einsamer, durch wunderschöne hügelige Landschaft, mal so steil, dass ich schieben muss, mal wieder säumen Menschen, vor allem Kinder die Wege. Einiges ist so steil, dass ich schieben muss. Zum Glück werde ich hier nicht verfolgt. Kinder rennen gewöhnlich weite Strecken neben den nicht alltäglichen Radfahrern her. „Good morning“ zu jeder Tag- und Nachtzeit. Was heute neu ist, die Kinder fragen im selben Atemzug „give me money“ oder „give your money“ oder „put my oder your money“, … alle möglichen Variationen gibt es.
Zwischendurch ein Stopp bei einem kleinen Shop, von denen es in jeder kleinen Siedlung einen gibt. Manchmal sind diese Mini-Läden schwer zu erkennen: die Lehmziegelhäuser schauen alle gleich aus, oft ist eine Tür offen, oft sind Leute davor. Welches aber ist ein „Shop“? Ich orientiere mich wieder mal, ob andere „Muzungus“ vor Ort sind. Da ist nämlich meist eine ganze Menschentraube rundum. Für mich gibt es wieder mal Wasser, Fanta Ananas und ein paar Kekse. Der Besitzer lässt stolz seinen Nachwuchs ablichten. Ein Gummibärchen für den Kleinen wird von diesem ratlos beäugt.
Der Himmel verdunkelt sich. Bis jetzt hatte ich Glück, ich bin nicht so sicher, wann genau die Regenzeit beginnt. Die lange Regenzeit soll nicht fern von jetzt beginnen und dauert von März bis Mai – in dieser Zeit gibt es häufige und starke Regenfälle. Ist die Abgrenzung überhaupt ganz klar? Auf jeden Fall beginnt es leicht zu tröpfeln, in der Ferne hört man einen Donner. Oje, ich fürchte mich im Freien unheimlich vor Gewittern.
Ich halte unter einem großen Baum an, hier sind mal keine Menschen, wahrscheinlich haben sich alle einen Regenunterstand gesucht. Beim Anziehen einer dünnen Regenjacke und der kurzen Regenhose nutze ich die Zeit und mache ein paar Bissen von meinem Brot, das ich am Morgen beim „fliegenden“- äh motoradfahrenden Händler erstanden hatte. Wie aus dem Nichts steht plötzlich ein etwas molligeres Mädchen in grauem Kapuzen-Shirt neben mir, zeigt auf mein Brot und auf ihren Bauch, der nicht klein ist. Hunger? Ich gebe ihr die Hälfte meines Brotes ab, sie reißt es mir aus der Hand und läuft laut lachend weg, einem Mädchen nach, das mit einem Regenschirm nicht weit von uns geht. Die haben sich wohl über mich lustig gemacht. Ein bisschen verstimmt radle ich weiter.
Zumindest hört es auf zu nieseln. Der Weg ist etwas rutschig geworden, könnte aber schlimmer sein. Aber zu früh gefreut …
Wenig später erreiche ich eine kleine Siedlung und höre schon von Weitem großen Lärm, wie von Baumaschinen. Darauf bin ich schon vorbereitet, habe aber nicht mehr „auf dem Schirm“, dass das mich schon heute trifft.
Straßenbau! Riesige Laster und Bagger manövrieren hier. Und es geht gleich in die Vollen: knöcheltiefer Matsch wickelt sich in Sekundenschnelle um meine Reifen und blockiert diese. Ich springe vom Rad und gehe ein paar Schritte. Sofort habe ich 10 Zentimeter hohe „Stöckel“ unter meinen Sohlen. Das kann ja heiter werden. Schieben geht nicht, ich trage mein mindestens 60 Kilo schwere Bike ein paar Meter. Zumindest meine Füße finden am Rand einen festgetrampelten Weg.
Immer wieder gewaltig große Baumaschinen, manche fräsen den Wegesrand ab und verbreitern die Straße fast auf Autobahnbreite. Nahe den Maschinen sitzen vereinzelt gelb behelmte Leute gemütlich im Schatten, mit einem roten Fähnchen in der Hand und winken mich halbherzig weiter und auch die vielen Menschen, die gerade hier mit oder ohne Last auf dem Kopf unterwegs sind. Ich kann nicht erkennen, ob die behelmten Leute überhaupt im Bilde sind, was die Maschinen gerade machen. Argwöhnisch achte ich selbst drauf, dass ich nicht überfahren werde.
Nach einem festgewalzten Stück, als ich schon erleichtert aufatmen möchte, wieder dasselbe Schauspiel wie zuvor. Der Untergrund ändert sich alle paar hundert Meter.
Vor mir ein RaR-Team. Sie sprechen gerade mit einem Chinesen, der wohl der Bauleiter der Riesenbaustelle ist. Dann schauen sie entsetzt auf ihr Navi. Auf meine Frage meinen sie, sie suchen jetzt eine Umleitung, das hier sei eine Zumutung. Die Baustelle sei 16 Kilometer lang und bei einem Schnitt von 5 km/h, wären wir um Mitternacht wohl noch nicht beim CP2 in Ruhengeri. Oje, oje! Kurz darauf wieder ein Schlammstück. Vor mir kommt einer der beiden Fahrer ins Rutschen, schafft es nicht aus den Klickpedalen und schlägt der Länge nach hin. Voll in den roten Matsch. Der Arme! Ich „eiere“ vorsichtig weiter.
Und es geht einige Kilometer auf toll gewalzten Terrain bergab. In der Ferne höre ich wieder Maschinen und dann folgt dasselbe Schauspiel wie schon einige Male zuvor. Ich füge mich in mein Schicksal. Stop & go!
Dann plötzlich eine Schranke. Dahinter ein steiler langer Hang, von dem bedrohliche Geräusche kommen. Steinschlag! Der Bewacher der Schranke zeigt hoch und sagt, da könne man jetzt nicht durch. Jenseits der Schranke werden einige schwer bepackte Stahlräder hochgeschoben. Auf der anderen Seite gibt es wohl kein Stopp. Ich habe Zeit mir das Schauspiel anzusehen. Eine Serpentinenstraße führt hoch den Berg hinauf. Die Laster quälen sich schwer beladen diesen Berg hoch und leeren das Aushubmaterial der Baustelle einfach den Abhang hinunter, Teile davon landen mit ohrenbetäubendem Gepolter wieder genau hier: auf der Straße. Das nennt man „Problemverlagerung“.
Misstrauisch äuge ich immer wieder auf meinen Tacho. Die 16 Kilometer müssten nun wohl bald zuende sein. Und wirklich. Ich nähere mich einem Dörfchen und einem riesigen Fußballplatz, auf dem angefeuert von sehr vielen Zuschauern, zwei Mannschaften um den Sieg kämpfen. Anscheinend haben die Schüler frei bekommen für dieses Ereignis, denn unzählige Kinder in bunter Uniform tummeln sich um den Platz.
Kurz darauf noch ein kurzer sehr steiler Anstieg und ich habe die Asphaltstraße erreicht. Die Teilnehmer von RaR 2026 dürfen wohl mit 16 Kilometern mehr Teer rechnen.
Noch knapp 30 Kilometer bis zum Kontrollpunkt 2 in Ruhengeri. Es rollt super. Glatter Asphalt und rasante Abfahrten unterbrochen von kurzen Bergaufpassagen. Das habe ich mir jetzt wohl verdient. Massenhaft Leute sind am Rand unterwegs. In zweiter Reihe die üblichen Fahrräder mit Fracht oder als Taxi. Dann viele Moto-Taxis und einige Autos und große Laster. Nachdem ich in rasender Fahrt erst in letzter Sekunde auf ein knietiefes, fast badewannengroßes Loch im Asphalt aufmerksam wurde, verlangsamte ich etwas und fokussiere ich meinen Blick konzentrierter auf den Untergrund. Und mir fällt auf: mein Rad schaut schrecklich aus. Die Farbe ist vor lauter getrocknetem Schlamm kaum wiederzuerkennen. Unwahrscheinlich, dass sie mich so ins Hotel lassen. Was tun?
Kurz vor Ruhengeri fahre ich eine Tankstelle an. Es ist nicht zu erkennen, ob es eine Waschanlage gibt, aber ich frage mal nach, beziehungsweise ich zeige dem Tankwart mein schmutziges Rad. Er zeigt hinter das Gebäude und dort ist eine kleine Truppe gerade dabei einen SUV zu reinigen. Sofort bin ich umzingelt und alle gehen sofort auf meinen Bike-Wasch-Wunsch ein. Eine Muzungu kommt wohl nicht alle Tage. Während sich drei um mein Rad kümmern, spüre ich plötzlich etwas an meinen Beinen. Huch, was ist das denn? Vor mir kniet ein Junge und schrubbt mit Seifenwasser lange und ausgiebig meine rotverkrustete Haut ab. Was für ein Service …
Ich zahle meine Schulden mit einer Bagatelle, gebe ein Trinkgeld und bin wenige Kilometer später am CP1, ich hole mein Gastgeschenk ab, einen kleinen hölzernen Gorilla-Anhänger. Mir wird bewusst, dass ich mein Geschenk bei CP1 nicht geholt habe, ich wusste davon schlichtweg nichts oder ist es eine Ausrede um nicht zusätzliches Gewicht durch die Gegend zu tragen? Spaß beiseite, ein kleiner süßer Stoffelefant wird Tage später im Ziel seinen Weg zu mir finden und ersetzt meinen kleinen Plüschbären. Fast zeitgleich kommt Lars an. Wir essen hier noch etwas und machen uns auf ins Hotel. Wir hatten ja am Abend zuvor dasselbe gebucht.
Herrlich ist die warme Dusche und ein weiches gemütliches Riesenbett unter einem Moskito-Netz. Auf das Waschen meiner Kleidung verzichte ich. Ist nicht so schlimm. So fällt man nicht so auf als wenn ich als „geschniegelte“ Muzungu durch die Gegend radle.
Tag 3: Ruhengeri (CP2) – Volcano Belt – Gishwati Forest – Muhanga 167 km/ 3400 Hm Zeit in Bewegung: 12:04h Verstrichene Zeit: 14:16h
Am Morgen gibt es extra für uns schon um halb fünf ein leckeres Frühstücksbuffet mit Früchten, Ei, Toast, Marmelade, Honig und vor allem Kaffee mit Milch, ich bin wohl doch ein wenig kaffee-süchtig …
Heute geht es gleich zweimal auf über Quote 2800m NN hoch. Insgesamt sind über 3400 Höhenmeter zu überwinden, das Gelände soll auch nicht einfach sein.
Die ersten Kilometer verlaufen zwar bergauf aber angenehm auf Asphalt. Von allen Seiten strömen Kinder in blau-bunten Uniformen und Heften in der Hand herbei und gehen in meine Fahrtrichtung. Aha, die Schule beginnt wohl bald. Irgendwann kommen die Schulkinder mir entgegen, da bin ich wohl an der Schule schon vorbeigefahren.
In der Ferne ragen hohe Bergkegel in den Himmel, beschienen von der gerade aufgegangenen Sonne. Ich nähere mich dem Volcano-Belt, dem Vulkangürtel. In nicht mal 50 Kilometern Luftlinie, in der Demokratischen Republik Kongo, steht der Nyiragongo, ein 3470 m hoher Stratovulkan, der als einer der aktivsten Vulkane der Erde gilt.
Die Straße geht nun nahtlos über in Gravel und zwar in eine sehr steinige Piste, wir wurden schon vorgewarnt, dass es stundenlang ziemlich ruppig sein würde. Ich hoffe, dass ich keine Panne haben werde. Aber der Weg kann noch so erodiert, voller ausgewaschener tiefer Rinnen sein und mit Schlaglöchern durchzogen, Moto-Taxis gibt es auch hier. Sie suchen sich die beste, die glatteste Linie und nicht selten komme ich ihnen dabei in die Quere, auch auf der Suche nach einer guten Spur …
Nach kurzer Zeit Gerüttel über die großen und spitzen festgebackenen Lavasteine schmerzen meine Hand-Gelenke, trotz des meines Redshift ShockStop-System am Vorbau. Und weitere 30 Kilometer „Schüttelpiste“ liegen noch vor mir.
Immer wieder habe ich Begleiter*innen. Anscheinend müssen nicht alle Kinder zur Schule trotz Schulpflicht. Glaube ich mich mal allein und atme vor der nächsten unmenschlichen Steigung erleichtert auf, kommen aus dem Nirgendwo plötzlich wieder ein paar Handvoll Kids und schlappeln neben mir her. Stehenbleiben und verschnaufen oder mal was essen – Fehlanzeige. Reden, fragen, fordern … Ich komme an Markus vorbei, der sich auf einem Stein am Wegesrand niedergelassen hat und „vespert“ – um sich eine Menschentraube, nein, eine „Kinder“-Traube. Ich fahre fast unbemerkt vorbei und werde in Ruhe gelassen.
Ich suche aber ein unbeobachtetes Plätzchen, um mal hinter den Büschen zu verschwinden. Ich glaube diesen gefunden zu haben und nun heißt es sich zu beeilen, bevor aus irgendeiner Richtung wieder jemand auftaucht. Hose runter … da bemerke ich aus den Augenwinkeln, dass ich doch nicht unbeobachtet geblieben bin: in der Kurve unter mir steht eine Frau in buntem Kleid und Harke auf dem Kopf abgelegt und schaut interessiert in meine Richtung. Hmmm … egal, das muss jetzt sein. Anschließend fahre ich verlegen grinsend an ihr vorbei, freundlich grüßend. Nur soviel zur Pipi-Platz-Suche. Wohl in ganz Ruanda ein Ding der Unmöglichkeit mal einen Platz für ein größeres Geschäft zu finden … und man will ja auch dieses saubere Land nicht verschmutzen …
Irgendwann, nach einer für mich schneckenhaften Abfahrt bei all diesen Rinnen und Steinen, geht es auf die Umleitung: Wegen der sich neu zuspitzenden Konflikte zwischen der kongolesischen Armee und der Rebellenmiliz M23 im Grenzbereich Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo zu. Die ursprüngliche Strecke hätte uns durch Gisenyi geführt, die an der Grenze liegt und seit Kurzem im Brennpunkt der Auseinandersetzungen liegt. Der Konflikt zwischen dem Kongo und dem Nachbarstaat Ruanda schwelt seit Jahren: Es geht um Bodenschätze. Hinzu kommen ethnische Spannungen zwischen den Tutsi und Hutu.
Die Strecke führt nun etwas weiter südlich über den Gishwati Forest, mit fast 3000 Meter Höhe einer der höchsten Punkte der der Runde.
Schon als es abgeht in den nächsten Gravelabschnitt merke ich, dass sich etwas geändert hat. Die Leute scheinen hier ärmer zu sein. Die Gesichter oft verhärmt, auch Erwachsene fragen mitunter um Geld. Die Behausungen wirken ärmlicher, es laufen mehr Kinder in Kleidung herum, die kaum noch am Körper hängt, viele Kinder tragen große Lasten.
Am Wegesrand ein super Fotomotiv: Im Bach schwimmen hunderte grell-orange Karotten und werden von mehreren im Wasser stehenden jungen Männern gewaschen. Ich zücke mein Smartphone, da winkt einer der Männer ab, nur gegen „Money“. Ich fahre weiter, dann halt kein Bild, meine Geldbörse möchte ich nicht zücken vor all den Menschen … Die Landschaft ist wunderschön, alles ist tiefgrün, Teeplantagen säumen den Weg. Dieser steigt immer steiler an, irgendwann muss ich absteigen und schieben. Fast biege ich falsch ab, denn der Track verläuft kerzengrade durch den Berg. Irgendwas stimmt da wohl nicht.
Ich folge einfach dem Weg und irgendwann stimmen Weg und Track wieder überein. Zum Glück! Je höher ich komme, desto einsamer ist es. Leute sind hier oben mal keine mehr. Die Landschaft schaut fast so ähnlich aus, wie zuhause: Nadelwälder und weiter oben vergleichbar mit unseren Almen.
Ich glaube es kaum, nach meinem Fußmarsch bin ich am höchsten Punkt angelangt und hier treffe ich auf eine Teerstraße. Diese werde ich nach vielen Kilometern Abfahrt und noch einigen längeren Bergaufpassagen nicht mehr verlassen bis zu meinem heutigen Schlafplatz in Muhanga.
Unterwegs komme ich wieder durch wohlhabendere Zonen. Bunt und ordentlich gekleidete Frauen und Männer, zu Fuß, auf Fahrrad- oder Moto-Taxis, viele Bananenplantagen, fruchtbares Land und hübsche Häuser.
Marktag scheint vielerorts zu sein. Die Leute sind mit allem Möglichen unterwegs: Ziegen, Hühner, Schweine, Bananenstauden, Maiskolben, Ananas und andere Früchte, Getreide, Eimer mit Mandazis, in Fett gebackenen Teigkugeln und vieles mehr.
Leid getan haben mir besonders ein lebendes Schwein, eingepfercht in einer engen Holzkiste, auf einem Fahrrad oder das Dutzend Hähne, die ebenfalls lebend mit den Füßen am Rad festgegurtet wurden.
Der Nachmittag schreitet langsam fort, kurze Pause bei einem Shop zum Cola- und Wasserkauf. Beim Bäcker nebenan gibt es leckeres ofenwarmes frisches Brot. Hier treffe ich auf einige von uns. Auch Lars ist hier. Wir vereinbaren, dass wir uns bei der Abzweigung nach Muhanga treffen, um das Hotel zu suchen, denn die Zimmer sind ja seit dem Vorabend schon gebucht.
Dann fehlen nur noch 20 Kilometer, aber es geht nochmal fast 900 Höhenmeter bergauf. Die Sonne ist zum Glück nicht mehr so stark. Ein LKW fährt an mir vorbei, hinten festgekrallt ein ruandischer Radfahrer. Abgesehen von der Gefährlichkeit beneide ich ihn in diesem Moment schon ein wenig, muss ich doch mein ganzes Gepäck und Rad selbst hochbewegen und das ist mit über 20 Kilo nicht wenig.
Die Sonne geht unter, nun wird es in Kürze dunkel werden. Die Kreuzung ist erreicht. Nachdem Lars und ich uns heute mehrmals gegenseitig überholt haben, treffen wir hier wieder aufeinander. Nun sollten wir bald am Ziel sein, in Muhanga, das einige Kilometer abseits der Strecke liegt. Verkehrsmäßig ist hier die Hölle los, die Straße mit Schlaglöchern gesäumt. Autos blenden mich. Ich hoffe die hinter uns fahrenden Autos erkennen uns. Mehrmals verfahren wir uns auf der Suche nach unserem Hotel. Es befindet sich nicht dort, wo es auf Google Maps angezeigt wird. Wir fragen einen Polizisten. Dieser meint, wir müssten noch etwa drei Kilometer weiter fahren. Entnervt geben wir auf. Vor uns das Splendid-Hotel, das einen guten Eindruck macht. Wir fragen, ob es noch zwei Zimmer gebe. Volltreffer! Eine funktionierende warme Handbrause habe ich auch, wasche heute mal meine Radklamotten und nach einem leckeren Abendessen, Fisch mit Reis, Gemüse und frittierten Bananen, sinke ich müde in mein feines Bett unter dem Moskitonetz-Himmel.
Tag 4: Muhanga– Kibuye (CP3) – Kirambo/ Kagano 149 km/ 2800 Hm Zeit in Bewegung: 09:25h Verstrichene Zeit: 11:44h
Ich schlafe schlecht, liege ab 2 Uhr wach. Je mehr ich mir die Dringlichkeit einer guten Nachtruhe vor Augen führe, desto wacher bin ich. Wie jeden Tag Frühstück um halb fünf -übrigens sehr lecker- und los geht es. Zunächst soll der CP3 in Kibuye, am Kiwu-See angefahren werden, dann ohne Gravel-Intermezzo bis nach Kirambo. Hotels gibt es dort wenige und Lars und ich haben 10 Kilometer abseits zwei Zimmer im Maravilla Kivu Ressort gebucht.
Bei Dunkelheit fahre ich raus aus Muhanga, Lars verschwindet gleich meinem Blickfeld. Ich bleibe stehen und kontrolliere nochmal ob an meinem fahrenden Wäscheständer alles gut befestigt ist. Leider war meine „frische“ Kleidung am frühen Morgen noch nicht ganz trocken.
Die Asphaltstraße vom Tag zuvor geht sofort hintere Muhanga über in eine anfangs mit Löchern übersäte Erdpiste, die bald in Straßenbaustelle übergeht. Über mir schweben ein rotes und grünes Blinklicht. Eine Drohne im Stockdunkeln? Unheimlich. Mein Gedankenkarussell beginnt zu rotieren: Werde ich gefilmt? Werden Daten weiter geleitet an wen, der Böses im Schilde führt? Und wirklich, Minuten später tauchen aus dem Nichts in meinem Scheinwerferlicht vier Männer auf, die nebeneinander die Straße entlang gehen und diese völlig blockieren. Ich schrecke aus meinen Gedanken auf und unzählige Szenarien tauchen vor meinem inneren Auge auf. Ich nähere mich und drücke mich an der Seite vorbei, grüße mit brüchiger piepsiger Stimme. Der Gruß wird fröhlich erwidert. Ich atme auf.
Ich sehe kaum mehr etwas vor mir. Nanu? Es ist nebelig und zudem haben die feuchten Tröpfchen meine Brille beschlagen. Bei Dämmerung sehe ich etwas besser. Nun sind wieder einige Menschen unterwegs und tauchen gespenstisch aus dem Nebel auf.
Mein Rücklicht hatte ich schon ausgeschaltet, Rachel (sie wird ein paar Stunden als zweite Solo-Frau im Ziel ankommen) informiert mich, dass ich im immer dichter werdenden Nebel nicht gut sichtbar bin. Also Licht wieder an.
Irgendwann geht die breite Piste über in Asphalt, der Nebel lichtet sich und ich fahre in den ersten „Berg“. Fast 1000 Höhenmeter sind zu überwinden, die Steigung moderat, aber ich merke, meine Beine sind nicht ganz frisch. Bei zunehmender Sonneneinstrahlung und keinem kühlenden Lüftchen fallen mir die Kilometer heute schwer.
Irgendwann überhole ich Lars, dem geht es ähnlich. Aber nach jeder Steigung kommt wieder eine Abfahrt und die bringt mich flott dahinrollend endlich an den herbeigesehnten Kiwu-See und den dritten Kontrollpunkt in Kibuye.
Der Kivu-See gilt als gefährlichster See der Welt. Die Nordufer liegen am Fuße des aktiven Vulkans Nyiragongo. Die Tiefen des Sees enthalten sehr viel Methan, aus dem Ruanda ein Drittel des Stroms erzeugt. Würden aber die Magma-Kammern unter ihm ausbrechen, könnte dies das Leben in der Zwei-Millionen-Stadt Goma auslöschen. Es könnte sich eine ähnliche Katastrophe ereignen wie im zentralafrikanischen Kamerun 1986. Der Nyos-See, ein ein Kratersee,setzte damals schlagartig und unerwartet Tonnen von CO2 frei. Das Gas strömte in zwei Täler und tötete Menschen und Tiere in bis zu 30 km Entfernung vom See. Damals erstickten fast 2000 Menschen und unzählige Tieren in wenigen Augenblicken.
Das Kiwu-Seeufer ist unendlich schön, ich denke an den Artikel im Geo-Heft. Eine solche Katastrophe wird sich wohl nicht jetzt abspielen, wenn ich hier entlangfahre … Meine Gedanken fliegen immer wieder zu dem Unheimlichen, das hier in der Tiefe schlummert.
Es ist sommerlich heiß. Meine Arme sind krebsrot, an den Handgelenken haben sich weiße Bläschen gebildet, trotzdem ich mich regelmäßig einschmiere. Also ich muss schon sagen, die dunkelhäutigen Menschen rund um mich sind allemal schöner anzusehen als unsereins mit verbrannter „weißer“ Haut.
Endlich darf ich einbiegen in die Zufahrt zum CP3, Olivier von der Crew empfängt mich und führt mich zum Hotel. Es gibt noch Frühstück mit Früchten, Cupcakes und Eierspeise. Ich schlage mehrfach zu. Auch Lars kommt an, wir klagen uns gegenseitig unser Leid, dass es heute bisher sehr mühsam war und kommen überein, keinen überflüssigen Kilometer fahren zu wollen. Lars informiert sich bei unserem Ressort, ob sie uns ein Taxi schicken könnten nach Kirambo, wo wir die Strecke verlassen müssen. Sie können.
Nach viel zu langem Aufenthalt im Kontrollpunkt muss ich endlich aufbrechen. Vor mir liegen nicht mal mehr 100 Kilometer auf Aspalt, die müssten bis zum Beginn der Dämmerung machbar sein.
Die Karte zeigt mir, dass die Strecke parallel zum Seeufer verläuft. Also wohl tendenziell flach. Fehlanzeige! Es geht am Hang entlang, von einem Fjord zum nächsten, ständig über irgendwelche Hügel hinauf und auf der anderen Seite hinunter.
Immer wieder Traumausblicke, manchmal mehr, manchmal weniger Menschen. Gegen 16:00 wohl Schulschluss, mit einem Mal wieder viele schuluniformierte Kids in allen Altersstufen, die manchmal fordernd ihre Hände ausstrecken.
Bei einem Foto-Stopp am Straßenrand kommt mir ein Hund entgegen, der einzige bisher in Ruanda. Er hat sichtlich Angst vor mir und trottet in großem Bogen um mich herum.
Wolken brauen sich über mir zusammen und schon beginnt es zu regnen. Nicht stark, aber immerhin so, dass ich in Erwägung ziehe meine Regenjacke hervorzukramen und bei der Gelegenheit auch meinen „Wäscheständer“ abräume, das Zeug soll ja nicht wieder nass werden. Unter einer großen Palme beschließe ich Schutz zu suchen und den Guss auszusitzen. Fein mal die Beine ausruhen zu lassen.
In der kommenden Steigung läuft ein Schüler in beiger Uniform neben mir her. In der Hand einen Stock, mit dem er einen ausrangierten MTB-Reifen vor sich hertreibt und ich staune nicht schlecht: eingeklemmt zwischen den Seitenwänden ein Schreibblock oder Ähnliches aus zerfleddertem Papier. Ich frage ihn, ob er von der Schule kommt und ob das seine „Schoolbag“ sei. Er bejaht lachend.
Unter mir ein Parcours mit ausgefahrenen Spuren, wie ich sie schon öfters gesehen habe, und Leuten, die mit ihren fahrbaren Untersätzen, sprich Fahr- und Motorrädern um die Markierungshütchen kurven. Am Rand jemand mit Warnweste und einem Schreibblock in der Hand. Hier findet wohl eine Abnahme von Fahrprüfungen statt. Anscheinend darf nicht jeder, der ein Gefährt hat, einfach Menschen herumchauffieren, sondern braucht hierzu eine Genehmigung.
Wieder treffe ich auf viele Menschen, die Lasten auf dem Kopf tragen oder aufgetürmt auf dem Rad hochschieben. Besonders leid tut mir ein eng auf einem Gepäcksträger festgebundenes Schwein.
Die Leute sind hier etwas ärmer, scheint mir, die Kleidung nicht ganz sauber und oft mit Rissen und Löchern gesäumt, nur wenige haben ein Smartphone in der Hand. Als es ziemlich steil wird und ich dementsprechend langsam, kommen mir zwei Fahrrad-Taxi-Fahrer, die den Berg hochschieben ziemlich nahe, einer links einer rechts von mir, und rufen ziemlich forsch „five me water!“ und wollen nach meiner Flasche greifen. Ich lege trotz der Anstrengung bergauf noch einen Gang zu.
In manchen Gegenden sind die Leute sehr nett, freundlich, fröhlich, grüßen, … in anderen möchte ich bei Dunkelheit als Frau nicht unbedingt alleine fahren.
Ich erzähle Lars später, als wir uns kurz vor Ende unserer Tagesetappe vor einem kleinen Shop treffen von meinem Erlebnis mit den Männern zuvor, er berichtet, er habe auch ein ungutes Gefühl gehabt. Auf jeden Fall sind wir beide froh, dass wir hier beim Einkaufen zusammen sind. Das Straßendorf hier macht einen wenig gepflegten Eindruck und es sind sehr viele Menschen hier. Wir müssen aber Wasser und Vorräte auffüllen, denn am nächsten Tag auf dem Weg in den Nyungwe Regenwald gibt es wohl kilometer- und stundenlang gar nichts.
Die Sonne steht noch am Himmel, als ich in Kirambo ankomme, gemeinsam mit Lars war ich die letzten Kilometer gefahren. An der Kreuzung telefoniert Lars nochmal mit dem Taxifahrer. Er ist unterwegs. Um uns scharen sich in Sekundenschnelle unzählige Kinder. Die Polizei schickt uns auf die andere Straßenseite, da wir hier ein Verkehrshindernis darstellen.
Die Menschentraube folgt uns auf die andere Seite. Wir sind komplett umzingelt, können uns kaum umdrehen. Nur, wenn ich mein Smartphone oder meine GoPro zücke, um das Gewimmel abzulichten, kommt Bewegung in das Menschenmeer. Fotografieren ist wohl nicht so erwünscht. Aber das müssen die Leute meiner Meinung nach in Kauf nehmen, wenn sie uns so auf den Leib rücken. Eine halbe Stunde vergeht, eine weitere halbe Stunde. Vom Taxi keine Spur. Ein weiteres Telefonat, der Fahrer startet jetzt wohl erst. Die Sonne geht unter, endlich hält ein Auto vor uns. Ja, ein Auto. Trotz Rückversicherung, der Wagen könnte leicht zwei bepackte Räder aufladen, ist dem nicht so.
Fraglich ist, ob überhaupt eines hineinpasst und wenn ja, dann ist sowieso nur noch der Beifahrersitz für einen Menschen frei. Ich verziehe ungehalten mein Gesicht, wäre ich doch schon vor einer Stunde mit dem Rad losgefahren. Ich drehe mich um und fahre einfach los. Diskutieren bringt nichts, dadurch wird das Auto nicht größer und ich muss los, denn die Dämmerung hat begonnen und die dauert bekanntlich nur etwa 15 Minuten, bevor es stockdunkel ist.
Ich rase den Berg hinunter, das Ressort liegt direkt am Seeufer. 7 Kilometer sind ruckzuck abgehakt, dann eine Abzweigung. Jetzt geht es wohl durch die Halbinsel in den See hinaus, bis an deren Ende. Ein Schild: noch 2,8 km bis zum Ressort. Es ist inzwischen Dunkel, aber geschockt blicke ich auf die Piste vor mir. Große grau-schwarze Steine festgebacken und lose zieren die Piste. Ich holpere hinunter, zweimal verliere ich meine vorher erstandene Eineinhalbliter-Wasserflasche, die ich kopfüber in meine Seitentasche gesteckt hatte.
Teilweise ist an Fahren nicht zu denken, ich schiebe mein Rad. Lars schreibt mir „Fahr da nicht hinunter!“ Irgendwann kommt mir der Taxifahrer entgegen, will mich auf den letzten Metern transportieren. Ich fahre mit starrem Blick an ihm vorbei, immer noch stocksauer. Irgendwann bin ich am Ziel und werde hier in der Rezeption erst nochmal meinen Frust los. Zur Besänftigung bekomme ich einen frischen Ananas-Smoothie. Ich frage gleich nach, ob sie nicht für 5 Uhr morgens einen Pic-Up oder Ähnliches organisieren könnten. Denn den Weg wieder zurück wäre eine Katastrophe, der nächste Tag sollte so schon fordernd genug sein. Sie versprechen es.
Mein Zimmer. Ziemlich teuer, aber wunderschön. Hier sollte man mal Urlaub machen dürfen. Beim Abendessen leiste ich mir einen „Tilapia“ in Tomatensauce, eine Fischart, die im Kiwu-See gezüchtet wird. Sehr lecker, garniert mit Kartoffelpüree und Gemüse. Dazu einen weiteren Ananas-Smoothie. Ich sinke in mein superbequemes Bett und schlafe heute sehr gut. Zuvor hatten Lars und ich zwei Zimmer in Kibeho, einem kleinen Pilgerort, gebucht.
Tag 5: Kagano – Nyungwe Rainforest – Kibeho 112 km/ 3000 Hm Zeit in Bewegung: 09:55h Verstrichene Zeit: 11:41h
Nach einem sehr leckeren Frühstück wartet unser Taxi auf uns. Beide Räder werden auf die Ladefläche gehievt. Lars wollte hinten drauf mitfahren, entschließt sich aber kurzfristig doch für eine bequemere Fahrt vorne.
Dann geht das Geruckel los. Für die 10 Kilometer werden wir über 45 Minuten brauchen. Das erste Stück im Schritt-Tempo.
An unserem Ausgangspunkt von gestern ist es noch tiefschwarze Nacht. Man muss genau an der Stelle wieder auf die Strecke, an der man sie verlassen hat. Ich steige aus und verhandle ich mit dem Taxifahrer den Preis; das sollte man zwar vor Antritt der Fahrt machen, aber wir zahlten nicht viel.
Dann heben wir die Räder von der Ladefläche. Lars fährt gleich los. Ich bemerke, dass am Rad etwas anders ist, die Oberrohrtasche schaut irgendwie schmal aus. Ich öffne sie: LEER! Ich schaue nochmal auf die Ladefläche, dort liegen meine Malariapillen und ein kleines Brieflein mit Salz. Rausgefallen? Wo sind dann die anderen Sachen, meine Snickers, Knoppers, das Säckchen mit Gummibärchen, die Nüsse und Datteln? Kurz – mein Proviant für den einsamen Aufstieg in den Nyungwe Regenwald. Alles weg! Auch meine Keego Wasserflasche ist nicht mehr da und als ich weiter kontrolliere, auch der kleine Leatherman ist nicht mehr da. Das gibt es doch nicht. Wie
Ich finde auf den ersten Kilometern meinen Rhythmus nicht, bleibe mehrmals stehen, um nachzusehen, ob auch noch andere wichtige Sachen fehlen. Zum Glück nicht.
Ich versuche zu verstehen. Es gibt zwei Theorien: entweder ist unterwegs beim Schritt-Tempo jemand aufgesprungen: Lars hatte beobachtet, dass der Fahrer mehrmals in den Rückspiegel schaute. Allerdings fehlt bei Lars nichts und sein Rad lehnte auf meinem. Oder hat jemand im Dunkeln von der anderen Autoseite aus auf die Ladefläche gegriffen, als ich mit dem Fahrer verhandelte? Und dort war mein Rad in Griffweite.
Fakt ist, ich habe nichts zu essen und wenig Wasser, bin irgendwie ganz durcheinander und kann mich noch nicht so ganz auf den heutigen Tag einlassen und dabei beschreibt Simon den Streckenabschnitt als einen der schwierigsten: Löcher, steinig, schlammig, vermutlich einiges an hike&bike.
Blauer Morphofalter
Von Anfang an fahre ich auf der gestampften roten Lehmerde. Es bietet sich hier in der Dämmerung sogar noch ein Platz kurz zu verschwinden hinter einem Busch. Das muss ich ausnutzen. Aber viele Menschen sind hier auf dem Weg in den Nationalpark nicht unterwegs. Die Natur ist wunderschön. Alles sehr grün, Vogelgezwitscher, zweimal fliegt ein handtellergroßer türkiser Schmetterling an mir vorbei.
Die Steigungen sind moderat, es wird immer einsamer. Das gefällt mir sehr. Ich habe zwar nichts zu essen und mein Wasser ist fast aufgebraucht, aber das vergesse ich fast vor lauter Staunen. Der Weg ist flach, aber ich muss höllisch aufpassen, immer wieder kleine „Brücken“ aus unregelmäßigen sehr rutschigen Holzbohlen und immer wieder Matschpassagen.
Dann wieder etwas mehr Leute. Da muss wohl ein Dorf in der Nähe sein. Ich biege um die nie nächste Kurve, am Wegesrand steht Lars über sein ausgebautes Hinterrad gebückt. Ich verstehe irgendwas mit den Bremsen ist nicht ok. Er wird wohl neue Bremsbacken einbauen.
Kurze Zeit später die ersten Lehmziegelhäuser. Ein Mann kommt auf mich zu. Was will der denn? Einerseits neugierig, andererseits in Abwehrhaltung blicke ich ihm entgegen. Er fragt mich, ob ich etwas zu trinken oder zu essen brauche und führt mich in seinen nahen „Shop“. Gerettet! Habe ich doch nichts mehr zu trinken und zu essen. Ich decke mich mit Bananen ein, mit Keksen, mit Cola und mit Wasser. Die Colaflasche hat einen etwas dickeren Bauch und kann meine Keego-Flasche im Flaschenhalter gut ersetzen.
Ich zahle wieder mal nur eine Bagatelle im Vergleich zu unseren Preisen daheim und mache mich auf den Weiterweg. Von meiner Strecken-Grafik dräut eine dunkelrot eingefärbte Steigung. Oje, jetzt wird hike&bike anstehen.
Und wirklich, es geht so steil hoch auf einem feucht lehmigen glatten Boden, dass sogar ein Mototaxi seinen Passagier absteigen lassen muss. Ich wandere ein paar hundert Meter, der Boden ist ziemlich rutschig, ich stemme mein Rad mit aller Kraft weiter. Bald aber wird es wieder flacher und gut fahrbar. Ich bestaune die Vielfalt der Vegetation, sind wir doch weit über Quote 2000 ü.NN.
Eine Frau radelt an mir vorbei. Ist das Rachel? Nein, es ist Kate, deren Teampartnerin aufgegeben hatte. Rachel ist am Morgen früher gestartet, mein Start hatte sich durch den Transfer vom Hotel ja verzögert. Mit diesem Zeitguthaben schafft es Rachel noch bis CP4, muss aber die Gravelpassage nach Kibeho im Dunkeln zurücklegen, dazu später. Ich verschwende an diese Gegebenheit keinen Gedanken, ist mir die Platzierung so unwichtig wie nie. Ankommen gilt und schöne Bilder nach Hause bringen.
Schneller als erwartet gelange ich auf die Aspaltstraße, die durch den Regenwald führt. Sie ist die einzige Straße und verläuft nahe an der Grenze zu Burundi. Alle paar Kilometer stehen je drei schwer bewaffnete Soldaten. Ein mulmiges Gefühl, aber sie sind ja für die Sicherheit zuständig. Ich halte bei den ersten kurz an und frage, ob ich ein Bild machen darf. Nein, darf ich natürlich nicht!
Etwas später bekomme ich zu spüren, dass das Fotografieren wirklich nicht erlaubt ist. Ich fahre ein paar Meter mit einem Team mit, ich glaube Dennis und Jorn. Gegenseitig machen wir Fotos, sie von mir, ich von ihnen. In dem Moment als sie auf mich zufahren und ich auf den Auslöser drücke, taucht hinter der Kurve ein Militärwagen auf, darauf ein paar Bewaffnete.
Ich stehe noch immer mit dem Smartphone vor dem Gesicht da. Das gepanzerte Auto macht neben mir eine Vollbremsung. Vom Beifahrersitz schaut ein grimmiges Gesicht. Es scheint ein höheres „Tier“ zu sein. Ich stottere, nein, ich hätte nur ein Bild von den Radfahrern gemacht. Ich will schon meine Fotogalerie für den Beweis öffnen, da fahren sie schon weiter. Uff!
Etwas später bekomme ich doch mein ersehntes Bild: Hinter einer Biegung stehen einige Fahrzeuge, Militär und Polizei. Am Rand der Straße ein großer LKW – auf der Seite liegend. Ich fahre vorbei und knipse zurück. In dem Moment fühle ich mich wie eine „Katastrophen-Touristin“, ein bisschen nagt das schlechte Gewissen schon. Gleichzeitig bin ich etwas durch den Wind durch den Schock den dieser Anblick lieferte. Ich fahre auf der linken Straßenseite und überlege, ob das wohl richtig ist … mein Gehirn ist wohl auch nicht mehr ganz fit. Schnell auf die richtige Seite, denn es kommen immer wieder große Laster entgegen.
Noch 25 Kilometer zum nächsten Ort und nach einigem an Auf und Ab erreiche ich Kitabi. Meinem Wunsch nach wollte ich hier am Ende des 4. Tages übernachten, durch die Streckenänderung wegen des Konfliktes mit Kongo, ging sich das leider nicht aus und das würde vor allem auf den nächsten Tag Auswirkungen haben.
In einer Art „Schnell-Imbiss“ treffe ich auf einige RaR-Fahrer. In verchromten Wannen ist das Essen ausgestellt. Ich wähle Reis, Nudeln, Gemüse, eine Art Spinat und ein paar Pommes, dazu ein Fanta Pinapple, auf das angebotene Fleisch verzichte ich lieber.
Ich entdecke eine WhatsApp-Nachricht von Lars. Er muss leider aufgeben, bekommt seine Hinterbremse nicht repariert. Schade! Später lese ich, dass er Kitabi erreicht, die Nacht hier verbringt und noch alles versucht, um sein Rad wieder in Gang zu bekommen.
Ich mache mich wieder auf den Weg. Und jetzt liegt eines der schönsten Teilstücke vor mir. Das kräftige Grün der gepflegten Teeplantagen bildet eine tolle Kulisse und immer wieder muss ich anhalten für ein Foto.
Dann geht es durch eine recht einsame Gegend, die Gravel-Straße entwickelt sich von „smooth“ zu ziemlich ruppig. Und einige Steigungen liegen auch im Weg. Ich schiebe einige Male.
Ein ärmlich gekleideter Mann mit einem Stein auf dem Kopf bettelt mich um Geld an. Was ist, wenn der mir jetzt nachläuft? Ich komme unbewusst auf die linke Straßenseite. Plötzlich sehe ich aus den Augenwinkeln was Giftgrünes auf mich zurasen und kann grad noch zur Seite springen. Ein Rad, eine „Black Mamba“ mit einem Bub und viel Gepäck drauf. Er ist in der Abfahrt, wer weiß, ob seine Bremsen funktionstüchtig sind. Ein Crash wäre für mich nicht gut ausgegangen.
Dann plötzlich wieder Asphalt und ich rolle auf Kibeho zu, einem Pilgerstädtchen.
Gleich zu Anfang ein kleiner Shop mit Souvenirs, Christus- und Madonnenfigürchen und es gibt auch Getränke und diese frittierten Kugeln. Ich kaufe zur Flasche Wasser ein Cupcake und ein Chapati. Vor dem Laden sitzt Dennis, er wartet auf seinen Teampartner, der auf Herbergsuche ist. Ich bin noch unschlüssig, ob ich noch weiter fahren sollte bis zum nächsten Kontrollpunkt. Aber in einer halben Stunde wird es dunkel. Besser hier bleiben, das Hotel ist ja schon gebucht. Den letzten Anstoß, dass das richtig ist, liefert Dennis: Ein Freund habe ihm dringend abgeraten die nächste Gravelpassage im Dunkeln zu fahren.
Ich suche mein Hotel, habe aber den Namen und die Adresse nicht und lande im falschen, in einer großen Pilgerherberge. Das Zimmer ist riesig, eine heiße und funktionierende Dusche gibt es auch. Auf das Abendessen im Hotel verzichte ich, habe ich doch mein Gebäck und noch eine Avocado, die ich schon seit zwei Tagen mit mir rumschleppe. Fraglich, ob die überhaupt noch genießbar ist, ist diese Frucht doch sehr Druckempfindlich und machte in diesen Tagen in der Tasche wohl einiges mit. Aber überraschend intakt ist das grüne Ding und superlecker.
Dann rolle ich das Moskitonetz runter und ab geht es ins Bett. Der Hotelinhaber hat mir versprochen ein Frühstückspaket vor meiner Tür abstellen zu lassen. Und versichert mir, dass ich um drei das Haus verlassen kann. Ich frage als gebranntes Kind gleich mehrfach nach.
Bei einem letzten Blick auf Legendstracking sehe ich, dass ein paar Häuser weiter wohl mein gebuchtes Hotel sein musste, denn dort befanden sich einige der Dots, so nennt man die Punkte von uns Fahrern auf der Landkarte.
Tag 6: Kibeho – CP4 – Kigali(finish line) 210 km/ 3450 Hm Zeit in Bewegung: 14:28h Verstrichene Zeit: 16:35h
Der Wecker klingelt um kurz vor drei. Wenig später bin ich aus der Tür und stolpere fast über mein Frühstück, das auf einem Stuhl vor meiner Türe steht. Ein paar hartgekochte Eier, Kuchen und Bananen. Was will man mehr.
Ich verabschiede mich an der Rezeption und bin draußen in der kühlen Nacht. Nun führt die Strecke erst mal etliche Kilometer auf einer asphaltierten Straße. Wie aus dem Nichts tauchen immer wieder Menschen auf, werden von meinem Scheinwerfer bestrahlt und verschwinden wieder im Dunkel der frühen Morgenstunden. Auch Fahrräder sind unterwegs. Kein einziger ist mit Beleuchtung unterwegs. Gespenstisch. Man hört oft ein Quietschen, dann werden die Lastenräder von meinem Licht eingefangen. Laut Straßenverkehrsordnung in Ruanda ist das erlaubt, uns RaR-Fahrern schreibt die Organisation vor, dass wir mit Rück- und Frontlichtern ausgestattet sein müssen.
Mein Plan ist heute in CP 4 frühstücken und dann gleich weiter nach Kigali zu fahren. Vermutlich werde ich dort eher später ankommen. Und an die ganze Strecke darf ich gar nicht denken … Über 200 Kilometer und fast 3500 Höhenmeter. Schlimmstenfalls muss ich halt nochmal irgendwo übernachten. Aber wirklich wollen tue ich das nicht.
Nun stehen erst mal 20 Kilometer Asphalt an, dann etwa 50 Kilometer Gravel, es soll durch ein einsames wildes Tal gehen, auf rutschigen Wegen, das was mich gestern vom Weiterfahren abgehalten hatte. Jetzt denke ich erst mal daran etwa zu Mittag CP4 zu erreichen.
Ich starte. Es ist fein, ohne immer im Mittelpunkt zu stehen, durch die Nacht zu radeln. Nach einigen Kilometern sehe ich im Dunkeln vor mir einen Mann in der Dunkelheit am Straßenrand gehen. Ich fahre vorbei und da beginnt an meinem Rad irgendwas streifende Geräusche zu machen. Oje, ich muss stehen bleiben. Einer der Verschlüsse meiner Taschen hatte sich geöffnet und das Band streift die Speichen. Sowas könnte schlimm enden. Ich behebe das Problem und schiele zurück zu dem Mann. Er ist nicht mehr da. Vermutlich war ihm bei der nächtlichen Begegnung genauso unheimlich zumute, wie mir und er macht einen großen Bogen um mich.
Etwas weiter plötzlich aus dem Dunkeln ein „How are you?“ Was für ein Schreck. Und noch etwas weiter taucht vor mir im Scheinwerferlicht eine Gruppe Radlastenfahrer ohne Licht.
Ich treffe auf Markus, wir schwätzen etwas. Ich erzählte, dass ich alleine in der Pilgerherberge übernachtet hatte, während mehrere andere Fahrer im Hotel etwas weiter Unterkunft gefunden hätten. Markus sagte, alleine nicht, denn er wäre auch dort gelandet, nachdem er nichts anderes gefunden hatte. Seinen Dot hatte ich allerdings nicht gesehen, vermutlich ist er angekommen, als ich längst geschlafen habe.
Ich mache vor dem Anfang der Gravelpassage eine Frühstückspause, vielleicht wird es inzwischen hell. Markus fährt weiter.
Bei der Abfahrt dann in das „wilde Tal“ mit dem rutschigen Downhill mache ich dann aber trotzdem noch im Dunkeln. Wirklich wie angekündigt ein rutschiger Weg mit immer wieder tiefen Rinnen, äußerste Konzentration ist angesagt. Bei Dämmerung bin ich im Talgrund angelangt. Der breite Weg wird irgendwann zum schmalen Pfad.
Sehr schön grün, viele Felder, nicht viele Leute sind hier unterwegs, außer einige auf dem Weg zur Arbeit.
Ohne mir Gedanken zu machen, radle ich dahin. Plötzlich ein komisches Geräusch. Es kommt von meiner vorderen Felge. Ich bleibe stehen, drehe das Vorderrad, es klackt seltsam. Ist da etwas mit einem Lager? Ist das das Ende meiner Fahrt? Tausend Gedanken gehen in meinem Kopf herum, jetzt bin ich bis hierher gekommen, es wäre so schade, jetzt aufgeben zu müssen. Ich baue das Vorderrad aus, weiß aber als technische Niete nicht, was ich tun kann. Als ich es ratlos wieder einbauen will, an einem Arm das Fahrrad, die Felge in der anderen Hand, reißt mich das schwer bepackte Rad mich fast um.
In dem Moment kommt Markus vorbei. Nanu, wo bin ich denn an ihm vorbei? Er bleibt stehen und bietet seine Hilfe an. Oh, gerne! Ich klage ihm mein Leid, dass da ein komisches Geräusch sei und drehe die Felge nach dem Einbau. Er meint, das klinge nach etwas, das an den Speichen streift und in dem Augenblick sehe ich es, der Kabel, der vom Nabendynamo nach oben führt, hatte sich durch die andauernden Schläge aus dem Fließbändchen gelöst … So einfach war die Lösung, puh!! Markus meinte, es sei besser die Enden mit Tape zu fixieren. Das mache ich, dann rolle ich weiter.
Kurze Zeit später kann ich die Hilfe vergelten. Eine der Brücken aus unregelmäßigen Holzbohlen stellt sich uns in den Weg. Markus hat schon einen Fuß aus den Klickpedalen gelöst und will so halb auf dem Rad sitzend irgendwie das etwa fünf Meter lange Hindernis überwinden. In dem Moment rutscht sein Radschuh auf dem runden feuchten Holz aus, das linke Bein verschwindet im Zwischenraum zwischen zwei Balken, das Rad kippt über den Mann drüber. So eingeklemmt kann sich Markus kaum rühren. Ich ziehe und zerre sein Rad nach oben und er kann sich befreien. Außer einem blutenden Schienbein ist nichts passiert.
Ich steige lieber vom Rad und balanciere vorsichtig über die abenteuerliche Konstruktion.
Etwa einen halben Kilometer später trifft es dann mich: Auf einer etwas erhöhten Grasnarbe rutscht mein Vorderrad weg und ich falle im Zeitlupentempo um, ohne etwas dagegen tun zu können, da ich durch ungünstige Belastung nicht schnell genug aus den Klickpedalen komme, also quasi mit den Schuhen festhänge. Schnell stehe ich wieder auf, reinige meine erdbeschmierten Beine und die Hose. Um mich herum einige staunende Kinder. Mit wohl hochrotem Kopf scherze ich laut: „Muzungu bum bum!“ und fahre lachend weiter.
Für eine Weile kann ich mich irgendwie nicht mehr gut konzentrieren und komme noch etliche Male in seltsame Situationen, als könne ich nicht mehr radfahren. Der Weg biegt nun scharf nach links ab, eher unwegsam, ich schiebe ein paar Mal. Dann das Aha-Erlebnis: Ich stehe vor der angekündigten Hängebrücke, auf der man das breite Bachbett statt des River-Crossings überwinden konnte. Etwas weiter sehe ich aber, dass die Leute alle die „Direttissima“ durch das seichte Wasser nehmen. Egal, die Brücke muss man gesehen haben.
Irgendwann finde ich glücklicherweise meinen Rhythmus wieder.
Nach einigen steilen Anstiegen in der immer unbarmherzigen herabbrennenden Sonne erreiche ich früher als erwartet den Ort Gisagara und fahre das Hotel an, das die letzte Kontrollstelle beherbergt. Lange werde ich mich nicht aufhalten, ich habe ja noch was vor und zu essen gibt es auch nicht besonders viel.
Schon bin ich wieder unterwegs. Und tauche in den nächsten und vorletzten Gravelabschnitt ein, zunächst rolle ich 10 Kilometer bergab. Die letzte Etappe, von CP4 bis ins Ziel sollte „nahezu flach“ sein, hatte irgendjemand gesagt. Denkste! Ein steiler kurzer Berg folgt dem nächsten, alles in der prallen Sonne. Irgendwann mag ich nicht mehr bergauf fahren. Und Leute mag ich gerade auch mal nicht um mich haben. Ich versuche die hier wieder sehr zahlreichen Kinder mit ihren immer gleich lautenden Forderungen zu ignorieren. Ich fahre mit starr geradeaus gerichtetem Tunnelblick meines Weges.
Nahe einem Dorf, es geht bergauf, laufen sicher 20 Kids hinter mir her. Ich ahne, dass es gleich wieder losginge mit „put my money!“ oder „give me money!“ Um die Kinder davon abzulenken, frage ich, was sie in der Schule lernen, vielleicht auch auf Englisch zählen? Die Kinder hinter mir im Galopp zählen wir nun zusammen laut bis dreißig. Dann lerne ich ihnen auf Deutsch bis fünf zu zählen. Richtig richtig nett war das. Als ich dann bergab schneller werde höre ich ein vielstimmiges bye-bye!
Irgendwann ist auch der vorletzte Gravelabschnitt vorbei und dieser mündet in eine breite perfekte Teerstraße. Meine Garmin spielt auf den ersten Kilometern verrückt. Meine gefahrene Linie folgt nicht dem Track, sondern ist parallel dazu, Kurven werden geschnitten. Ich zweifle, ob ich richtig fahre und kehre sogar nochmal ein paar hundert Meter zurück. Ich lade die Strecke neu, jetzt passt es. Zum Glück gibt es wenig Verkehr und die Anstiege sind angenehm.
Meine Berechnungen ergeben, dass ich es zwar nicht bis zur Dämmerung nach Kigali schaffen würde, aber auf jeden Fall noch heute. Die kurz vor dem Rennen geänderte Strecke „brockte“ uns eine zusätzliche Gravelstrecke ein, die demnächst beginnen sollte und den Weg nach Kigali etwas abkürzte. Ich erinnere mich, dass ich noch kein Hotel für diesen Abend hatte und lege eine kleine Pause im Schatten ein, organisiere das Zimmer und esse was. Ein Team RaR-Fahrer zieht vorbei und ich mache mich auch startbereit.
Kurz darauf biege ich in die rotbraune Schotterstraße ein. Ein letztes Mal viele Menschen, besonders viele Kinder, anscheinend ist die Schule gerade aus. Die 11 Kilometer werden auch noch umgehen. Aber nach 20 Kilometern bin ich immer noch auf diesem Weg. Da muss wohl bei meinen Aufzeichnungen irgendwas schief gelaufen sein. Irgendwann ist dann aber der letzte Gravelmeter geschafft.
Was aber nun kommt, gefällt mir gar nicht. Eine relativ schmale Straße und sehr viel Verkehr. Natürlich ist das so, denn ich befinde mich nun im Einzugsbereich von Kigali. Glücklicherweise kann ich auf den harten Seitenstreifen ausweichen, auf dem aber auch Fußgänger unterwegs sind und der unangenehm holprig ist.
Also weiche ich immer wieder auf die Straße aus, wenn ich in meinem Seitenspiegel freie Bahn sehe. Das Wechseln auf die Fahrbahn ist nicht ungefährlich, da zwischen den beiden ein unregelmäßiger aufgeworfener Rand besteht. Höchste Konzentration ist vonnöten, nach etwa 15 Stunden Fahrzeit heute schon, ist die bei mir nicht mehr so stark gegeben.
Bei Dämmerung mündet diese Straße nahtlos in eine Art vierspurige Schnellstraße und es geht bergauf. Hier fühle ich mich auch nicht sehr wohl und klettere durch die Büsche auf den gepflasterten Fußweg, der parallel verläuft. Mal sind hier mehr, manchmal weniger Leute unterwegs. Ich habe noch 16 Kilometer vor mir. Dann nur noch Abfahrt, ich wechsle auf die Straße und werde vom dichten Verkehr mitgetragen, Autos und unzählige Moto-Taxis brausen an mir vorbei. Wird schon gut gehen. Dann muss ich durch einen Kreisverkehr.
Der Verkehr staut sich, mittendrin ich. Verrückt! Aber die Welle aus roten Rück-Lichtern spült mich einfach mit und spuckt mich dann an der richtigen Ausfahrt wieder aus. Nur noch 2 Kilometer und diese gehen steil hoch. Lionel zieht an mir vorbei und ruft mir was zu. Jetzt einen letzten Sprint, um meine Platzierung von vorher zu halten? Nein, danke!
Bei der Einfahrt zum Cafe Tugende, der finish line, bleibe ich sogar noch stehen, um ein Foto zu machen, inzwischen ist mein Konkurrent sicher weg und richtig, die Ziellinie ist nun frei – nur für mich …
Erleichtert und in Siegerpose reiße ich die Arme hoch und nehme dann mein finisher-Geschenk und ein Skol Panache, eine Art ruandisches Radler entgegen. Noch am Vor-Abend hatte ich es stark bezweifelt auch nur annähernd so früh zurück in Kigali zu sein. Eine mitunter anstrengende aber wunderschöne „Reise“ ist hier zu Ende.
Fazit:
110 Starter*innen
Davon knapp 20 Frauen (6 Solo)
87 Finisher*innen
23 DNF
Gabi: 3. Solo-Finisherin/ 50. insgesamt
Maximalzeit: 163h
Siegerzeit: 57h 50min
Gabi: 134:41 (1 Tag vor Finisherparty) – ich vermied Nachtfahrten – nicht nur, als Frau allein, sondern um die schönen Landschaften bewundern zu können
Nachwort:
Top rider Innocent with his little son
Ich bin unendlich dankbar, unter Bedingungen leben zu dürfen, die mir jederzeit Zugang zu sauberem Trinkwasser, sanitären Einrichtungen, einer gesunden und abwechslungsreichen Ernährung sowie vielen weiteren Annehmlichkeiten ermöglichen, die ein unbeschwertes Leben ausmachen.
Mein Bikepacking-Erlebnis in Ruanda war einfach unvergesslich! Wunderschöne Natur, atemberaubende Landschaften und eine unglaubliche Sauberkeit, die das Reisen besonders angenehm machte. Dazu kamen die herzlichen und freundlichen Menschen, die jede Begegnung zu etwas Besonderem machten. Ein echtes Abenteuer, das ich jederzeit wiederholen würde!
Zur „Sauberkeit“: Müll am Straßenrand? In ganz Ruanda ist das nahezu undenkbar. Selten mal eine zerquetschte Plastikflasche, aber sonst nichts … Wie kommt das? Ruanda hat strenge Maßnahmen gegen Plastikmüll ergriffen. Seit 2008 gibt es ein vollständiges Verbot von Einwegplastiktüten, das in den letzten Jahren auf weitere Plastikprodukte wie Strohhalme, Flaschen und Verpackungen ausgeweitet wurde. Die Regierung setzt das Verbot konsequent durch, indem sie Einfuhren kontrolliert, Strafen verhängt und alternative umweltfreundliche Materialien fördert. Diese Politik hat Ruanda zu einem der saubersten Länder Afrikas gemacht, insbesondere in der Hauptstadt Kigali. Zudem gibt es Programme zur Mülltrennung und Recycling-Initiativen, die helfen, Plastikmüll weiter zu reduzieren.
Moses‘ Energiebars
Ich erstand vor dem Start lokale Energie-Bars, verpackt in Bananenblätter. Sehr lecker! Und die Verpackung darf man bedenkenlos in den Straßengraben werfen.
Murakoze cyane, Rwanda und besonders Simon und der gesamten Crew!!!
Da die Audax Randonneé solstizio d’inverno, organisiert von Fabio Albertoni, leider in diesem Jahr (vorübergehend) nicht stattfindet, habe ich mir überlegt, ob wir an diesem besonderen Tag nicht trotzdem auf die nächtliche Fahrt um den Gardasee gehen. 200 Kilometer mit 1200 Höhenmetern haben wir vor uns.
Und das war mein Skinfit JOINME!
Treffpunkt ist Arco, Bar Ai Conti, Abfahrt 19:30
Mit der Radfahrt um den Gardasee feieren wir die Winter-Sonnwend-Nacht, die längst Nacht des Jahres. 7 Leute finden sich pünktlich ein, 3 Mädels und 4 Jungs. Zunächst geht es auf dem Radweg Richtung Norden, dabei sind einige Höhenmeter zu überwinden.
Vorbei ging es am am nächtlich dunklen Toblino See bis nach Santa Massenza. Hier ist, wie die Italiener sage „giro di boa“, das heißt, hier drehen wir um und rollen auf demselben Weg hinunter und zurück nach Arco. Angetrieben werden wir von italienischen Schlagern, die aus der Lautsprecherbox von Doris schallt. Mit Einschlafen auf dem Bike ist nix …
Auf jeden Fall ist auf dem Radweg etwas Vorsicht geboten, besonders bei den Abfahrten, denn um diese Jahreszeit könnte es auch mal glatte Stellen geben. Heute aber nicht, alles ist trocken und die Temperatur ist gnädig mit uns, noch …
Zurück in Arco stärken wir uns im Café Centrale mit heißem Getränk😂 . Dann starten wir zur Gardasee-Runde und zwar im Uhrzeigersinn. Die Gruppe spaltet sich nun etwas, denn ein Grüppchen lässt sich etwas mehr Zeit. Peter, Umberto, Jasmin und ich fahren langsam vor, um nicht zu viel auszukühlen. Hermann startet auch irgendwann, entscheidet sich dann aber -wegen der Weihnachtsfeier in der Nacht zuvor- es nach 50 Kilometern gut sein zu lassen und sich in den warmen Schlafsack zurückzuziehen. Auch Ulrich und Doris machen sich wieder auf den Weg.
Wie immer sind die Dörfer rund um den See schön weihnachtlich geschmückt, es gibt kaum ein paar Meter Dunkelheit. An mehreren Orten sind sehr malerisch Unterwasserkrippen installiert.
Nach angenehmem Auf und Ab erreichen wir Peschiera und wärmen uns beim McDonald’s auf. Als Gruppe 1 grad wieder aufbricht, kommen Doris und Uli. Sie werden in Limone frühstücken, bevor sie sich in ihrem Appartement noch ein paar wohlverdiente Stündchen Schlaf gönnen.
Riva
Aber zunächst müssen wir entlang des Südufers und dann noch einige Höhenmeter überwinden Richtung Norden über die Gardesana Occidentale mit ihren zahlreichen Tunnels, in der Nacht glücklicherweise autofrei.
Die Fahrt ist ein herrliches Lichter-Spektakel, durch die weihnachtlich geschmückten Gardasee-Orte. Da der See temperaturausgleichend wirkt, ist es gar nicht sooo kalt. Und wie immer erstaunlicherweise mitten in der Nacht, ab drei, halb vier lautes Vogelgezwitscher und das am Winteranfang.
Es ist noch dunkel, als wir die Runde beschließen. Nach einem Zielfoto brechen alle in unterschiedliche Richtungen auf, um sich noch etwas auszuruhen. Schön war es. Danke an die Teilnehmer*innen, es war schön mit euch!! Danke an unser „Baby“ Jasmin. Nett, dass du mit uns „alten Hasen“ gefahren bist. Hochachtung vor Umberto, der auf den 200 Kilometern mit seinem Brompton super mithalten konnte.
Frau allein im Wald. Kaum ist der Reißverschluss meines kleinen Zelts zu und ich eingemummelt in den Schlafsack, höre ich seltsame Geräusche. Ich halte die Luft an und lausche schockstarr mit weit aufgerissenen Augen. Was ist das da draußen? Das und warum ich am zweiten Tag mit dem Schimpfen gar nicht mehr aufhören kann – lest nach dem Video weiter …
Premiere von Lakes ’n‘ Knödel: 730 km/ 15.200 Hm von Fuschl nach Bregenz graveln … Durch den Wortlaut in der Ausschreibung habe ich das Ganze etwas unterschätzt … wahrscheinlich nicht nur ich …
Tag 1: Start – CP1 Blecksteinhaus: 233,11 km/ 3.302 m Bewegungszeit: 14:09:59
Pre-Start. So viele Leute, schauen alle so jung und professionell aus, es wird gefachsimpelt. So wie es aussieht werde ich da wohl im hinteren Drittel mitfahren werden. Besonders auch deshalb, weil meine Beine nicht ganz erholt sind nach den Strapazen des Panceltic-Ultra Race, das ich zwei Wochen zuvor gefinisht hatte; 2300 Kilometer der Küste Schottlands entlang mit unsäglich steilen Aufstiegen – das wird mir hier wohl erspart bleiben, DENKE ICH …
Ich freue mich auf ein paar Tage Radeln durch schöne Landschaften, Knödel essen, mit netten Leuten Erfahrungen austauschen, einfach eine feine Tour fahren, so wie es in der Ausschreibung irgendwie rüberkam. Wie ich mich da getäuscht habe …
Der erste Tag von Fuschl bis zu den ersten Bergen verspricht einfach zu werden. Ich fahre über 200 Kilometer, bis zur ersten Schlafpause. Naja, ganz so leicht ist es dann doch nicht. Ich erinnere mich an die Aussage Bastians beim Briefing: „Ihr werdet mich manchmal hassen …!!“ Immer wieder gibt es Abstecher ins Gelände und da wird es meist mega schlammig durch den Regen der vergangenen Tage und es gibt ein paar Schiebepassagen, mit 20 Kilo Rad & Gepäck ziemlich anstrengend. Am Tag zuvor hatte ich ein Problem mit der Schaltung, die Clemens vom Hotel Jakob wohl durch Entfernen eines Kettengliedes behoben hatte, weiters war viel Luft aus meinem Hinterreifen entwichen und Finn von der Rezeption half mir Milch nachfüllen. Erst, als der Reifen richtig in die Felge sprang schien der Reifen dicht zu halten. Unterwegs merke ich jedoch, dass etwas Luft wieder raus war. Ich habe eine kleine Pumpe mit, feiner wäre halt eine ordentliche Standpumpe. Meine Nachfrage über einen Gartenzaun ist erfolglos. Ich frage noch, ob es einen Gartenschlauch gäbe, mit dem ich Rad und Taschen säubern könnte. Ja! Mit blitzblankem Rad fahre ich weiter, merke aber bald, dass das vergebliche Liebesmüh war, denn die Strecke führt fröhlich weiter durch Matsch. Eitelkeit ist hier wohl fehl am Platz.
Nach dem Chiemsee und Eis- und Kaffeepause radle ich weiter. Im Westen drohen dunkelgraue bleischwere Wolken. Ich habe Glück und fahre immer in die Richtung, in der es etwas heller ist. Dann aber eine riesige gelb-graue Wolkenwalze aus der es schon blitzt. Die Donner erschrecken mich, panisch suche ich einen Unterstand und finde ihn in einem Bushäuschen, bevor es voll anfängt zu schütten. Hier hocken schon zwei weitere Teilnehmer. Eine Stunde etwa müssen wir das Unwetter aussitzen.
Nun geht es etwas auf dem Inn-Damm weiter und in Raubling biege ich ab von der Strecke zu einer Tankstelle. Es gibt auf den nächsten etwa 100 Kilometern keine weitere Verpflegungsmöglichkeit. Eine fröhliche Runde trifft sich hier.
Bei Dämmerung fragte ich in einem Berggasthof nochmal um eine Pumpe. Erfolg. Der Chef des Hauses verschwindet nebenan im Haus, kommt mit einer altertümlich anmutenden Pumpe zurück und macht sich, bevor ich einen Einwand machen kann, an meinem Hinterrad zu schaffen, haut mit Gewalt die Pumpe auf das Ventil, pumpt etwas und zieht das Ding wieder ab. Oh, Schreck, Das Absperrventil sitzt nun schräg, es ist stark verbogen. Wenn ich das nun vorsichtig zurückbiege, bricht es womöglich ab … Also lasse ich es so, wie es ist, bekomme aber die Ventilkappe fast nicht mehr aufgeschraubt.
Weiter fahre ich in die Dunkelheit. Ich hatte laut Plan eigentlich vor, vor dem nächsten Berg zu schlafen, aber ich bin früher dran als gedacht und überquere diesen noch. Vor Bayrischzell finde ich einen kleinen Spielplatz, wie geschaffen für mein Nachtlager. Mein Zeltchen stelle ich auf und merke erst, als ich mich darin einrichte, dass das Gelände nicht eben ist. Ich rutsche immer wieder von der Matte, die Nachtruhe ist dementsprechend unruhig.
Früh, gegen drei Uhr, packe ich. Viel zu lange brauche ich, um meine Siebensachen zu systemieren, wo ist bloß der zweite Socken und wo nur der Handschuh? Das Stirnband finde ich auch erst nach langem Kramen. Hier im Zelt ist anziehen sowieso eine Bauchmuskelübung, da es so nieder ist. Ich fahre weiter. Der Bäcker im nächsten Ort hat natürlich noch nicht auf.
Tag 2: CP1 – CP2 Plumsjoch-Hütte 145,57 km/ 4.303 m Bewegungszeit: 14:10:29
30 Kilometer sind es noch bis zum CP1 auf dem Blecksteinhaus nahe dem Spitzingsee.
Landschaftlich ein Traum, es geht über Almen, durch eine Schlucht bis ins Valepp. Hier war ich dieses Jahr bei der Watzmann-Arber-Rundfahrt (600km/ über 10.000Hm mit dem Rennrad) schon mal. Die schmale Straße führt in angenehmer Steigung durch ein Tälchen nach oben. Dachte ich, denn mein Track führt parallel dazu, immer in Sichtweite der Straße über groben Schotter. Immer wieder muss ich absteigen, denn es sind geröllgefüllte Gräben zu durchschiebe. Zu allem Überfluss fängt es nun auch noch an zu schütten. Regenzeug raus. Die Füße sind im Nu klatschnass. Durchnässt komme ich bei CP1 an. Es gibt einen leckeren Knödel auf Salatbeet. Ein ungewöhnliches Frühstück, gibt aber Kraft für die Weiterfahrt. Und es gibt eine Luftpumpe!
Inzwischen hat es aufgehört zu regnen und ich breche wieder auf. Über den Spitzingsattel bis zum Schliersee natürlich nicht bequem über die Teerstraße, sondern im Gelände. War am Tag zuvor einiges auf Asphalt, so dreht sich das Verhältnis heute um, angenehmen Teer gibt es nur noch selten. Das Wetter ist durchwachsen. Immer wieder nieselt es
In Gmund am Tegernsee fülle ich meine Reserven auf für die nächsten einsamen 100 Kilometer etwa. Auf einem schmalen Fußgängerbrückchen kreuze ich einem Spaziergänger mit Hund: „Wer hotn sich dera Streckn ausgsuacht? De Radler schindn sich olle wie di Verrucktn. Wo miaßtn es hin? Ja, des gang jo do untn viel leichter ibr di Stroßn!“ Ich frage: „Ist es verboten?“ – „Na, obr do isch jo kniehoach Sumpf!“
Heute wird es laut Plan mega „böse“, Einsamkeit, viele Berge, große Steigungen. Wo ich wohl am Abend landen werde? Das Karwendel darf man jedenfalls nur tagsüber befahren, Disqualifikation, wer sich zwischen 20 Uhr und 6 Uhr früh zwischen Pertisau am Achensee und Scharnitz aufhält.
Die Strecke führt nun durch dichten Wald der bayrischen Voralpen. Sehr steile Steigungen zwingen mich zu ziemlich einigen langen Schiebepassagen. Wegen Holzschlägerungsarbeiten war die Strecke kurzfristig umgeleitet worden. Ich hatte den neuen Track auf meiner Garmin. Es ist inzwischen sehr heiß, im Wald angenehm. Nach einer steilen Abfahrt nach Bad Wiessee am gleichnamigen See lege ich eine Mittagspause auf einer Bank ein. Während ich mein Sandwich verspeise, schaue ich zufälligerweise mal auf der Trackerplattform nach. Komisch, da wo ich bin, ist kein Teilnehmer, alle sind etwas weiter oben im Wald.
Verwirrt rufe ich Bastian an, der kann sich das auch nicht erklären. Meine Garmin zeigt mir an, ich sei richtig, laut Livetracking bin ich aber abseits der Strecke. Zu allem Unglück blockiert meine Garmin und ich muss erst googeln, wie ich sie ganz ausschalten und neu starten kann. Das gelingt zum Glück. Bastian hat mir angesagt, ich müsste kurz zurück zur Strecke. Kurz, ja, aber die 20% Teerstraße in der prallen Sonne hochschieben, ist kein Vergnügen.
Im Wald dann fädle ich vermeintlich richtig ein. Garmin scheint einverstanden zu sein. Ich schiebe ein überaus steiles Tal hoch, als ich bemerke, dass die Linie auf meinem Navi, der ich folgen muss, nicht dunkelviolett ist, sondern heller. Schreck! Das bedeutet, das Navi zeigt eine Ausweichstrecke. Was, wenn die mich nicht richtig leitet? Es wird immer steiler, manchmal rutsche ich mit meinen Schuhen zurück. Wenn ich nun die ganzen Höhenmeter wieder runter muss? Das würde ich wohl nicht packen. Und was, wenn das zur Disqulifikation führen würde, weil ich ja offensichtlich falsch bin. Fast bin ich den Tränen nahe, da sehe ich vor mir einen anderen sein Rad schieben. Erleichterung! Dann bin ich wohl doch auf der korrekten Spur.
Weiter oben fädle ich in den dunkelvioletten Track ein. Gerettet! Bei einer Hütte treffe ich auf mehrere Leidensgenossen. Die sind alle das Tal hochgeschoben.
Es geht nun bergab. Bald auch hier eine Schiebestrecke. Einige mutige Gravelbike-Fahrer überholen mich halsbrecherisch. Etwas weiter aber hole ich sie wieder ein. „Ich habe grad meine Hose geschräddert!“, berichtet der eine. Zum Glück ist nicht viel passiert, nach Desinfektion der Wunde am Oberschenkel fahren die beiden auch weiter. Mich bestärkt das darin, vorsichtig, wenn dadurch auch langsamer zu fahren.
An der Grenze zu Österreich ist es nach weiteren zermürbenden Schiebestrecken und gegenseitigem Leidklagen schon später Nachmittag. Ein Grüppchen begibt sich in die nächsten beiden Anstiege. Was da wohl auf mich noch zukommen würde? Ich beschließe ein paar Hundert Meter von der Strecke ab in einem Gasthof noch eine Suppe zu essen und mich dann an den Aufstieg zu machen.
Zehn Kilometer geht es nur auf eine Alm hinauf. Wider Erwarten ist (fast) alles fahrbar. Dann hinunter nach Steinberg am Rofan und wieder hoch, steiler nun. Nach einer Alm wird es noch steiler. Der Weg ist ausgewaschen und führt über faustgroße Steine. Am höchsten Punkt verliert sich der Weg auf einer Almwiese. Irgendwie bleibe ich auf der vom Navi vorgegebenen Spur und finde den Weg wieder. Schiebestrecke, dann ab einer Alm wieder fahrbar, in Richtung Achensee. In Österreich ist es strengstens verboten zu biwakieren, auch Notbiwaks sind nicht erlaubt.
Meine Idee, irgendwo am Ufer des Achensees zu schlafen, gebe ich auf. Ich finde aber auf der Almstraße kurz vor Achenkirch ein Plätzchen neben dem Almweg. Der Schlaf ist kurz, aber erholsam, ich stelle den Wecker noch zweimal um 10 Minuten weiter, ich habe ja keinen Stress, ob ich um 6 Uhr Richtung Plumsjoch starte oder etwas später, ist egal.
Packen, was diesmal schon schneller geht, fast jeder Handgriff sitzt. Bis ins Ziel werde ich wohl Profi.
Vorgangsweise am Abend: Platz finden, Zeltutensilien raus aus der Cyclite-Lenkerrolle, Unterlage ausbreiten, Zelt aufstellen, ordentlich spannen, Schlafsack raus, Matte aufblasen, Kopfkissen ebenso. Umziehen und alles in den Schlafsack stopfen, Schlaf-Shirt an, Jacke darüber und Primaloftjacke darüber, frische Socken an, dünne Hose an, Pflegecreme auf Allerwertesten, Regenhose auch an, Zähne putzen, in Schlafsack schlüpfen, Zelt zu, Licht aus.
Vorgangsweise am Morgen: Zeug aus Schlafsack rausfischen, in richtiger Reihenfolge neben mir hinlegen, im Zelt aufsitzen, Schlafzeug ausziehen, Radzeug an, Matte und Kopfkissen aufstöpseln, alles in die richtigen Hüllen stecken, Zelt aufreißverschlussen, in die Schuhe steigen, Schlafzeug in Beutel und in die richtige Tasche stecken. Zelt abbauen und mit Matte, Unterlage und Kopfkissen sowie mit dem Schlafsack in die Lenkerrolle packen. Schauen, ob alles aufgeräumt ist. Taschen richtig vertäuen, nochmal kontrollieren, ob alles festsitzt und losfahren.
Tag 3: CP2 – CP3 Vilsalpe 180,04 km/ 4.190 m Bewegungszeit: 16:51:19
Am Achensee in die Morgendämmerung hineinzufahren ist sagenhaft schön. Am anderen Ufer kann ich auch Pertisau schon sehen, von wo es dann bitterböse werden sollte – bis zur Plumsjochhütte.
Tankstellenstopp mit Kaffee und Brioche. Noch ein paar Brote gekauft und los geht es.
Bald nach Pertisau geht es dann wirklich hoch. Bekannte hatten mich schon vorgewarnt, hier sei mit Fahren wirklich nichts mehr.
Am Fuß des Berges hält mir ein Bergsteiger ein Gatter auf. Zusammen machen wir uns an den Aufstieg. Mit etwas Quatschen vergehen die Zeit und die Strecke schneller. Mein Begleiter meint, solange ich reden könne, sei es auch nicht so anstrengend … Auf etwa Halbweg lasse ich meine Begleitung ziehen. Hinter mir kommen auch weitere Radschieber nach. Wir klagen uns etwas unser Leid, ich schiebe weiter. Richtig schwer fällt es mir eigentlich nicht, denn ich wusste ja, was auf mich zukommt. Trotzdem schlaucht die Strecke ganz schön: etwa 7 Kilometer mit gut 700 Höhenmetern. So steil teilweise, dass mich das Gewicht meines Rades mehrmals fast umwirft. Dann weiter oben einige Gestalten. Lakes ‚n‘ Knödel – Fotografen. Schweiß von der Stirn wischen, gute Miene zum bösen Spiel machen und einen Schritt zulegen. Als sie wieder aus Sichtweite sind, schleppe ich mich weiter. Nun ist aber die Plumsjochhütte, die zweite Kontrollstelle, nicht mehr weit. Und Kaspress-Knödel in der Suppe gibt es und Kuchen. Karte gestempelt und schon bin ich wieder in der Abfahrt.
Wie immer muss man höllisch aufpassen. Erholsam sind die Abfahrten kaum mal: große Steine, ausgewaschene Rinnen, feine Steinhaufen, alles Fallen, die schnell zum Sturz führen, wenn man unkonzentriert ist und nicht aufpasst.
Im Talgrund angelangt geht es ein paar feine Teer-Kilometer der Riss entlang, bevor es wieder ernst wird. Nun gegen Mittag ist der steile Forstweg zum Kleinen Ahornboden schweißtreibend heiß. Dort angelangt gibt es Kühlung am Brunnen.
Gefürchtet hatte ich mich vor dem Weg zum Karwendelhaus. Diesen war ich zweimal abgefahren und hatte dabei meine Probleme. Wie sollte ich da hochkommen? Es waren noch 4 Kilometer und einige Höhenmeter zu überwinden. Ich schiebe auf dem gerölligen Weg los. Nach etwa 200 Metern merke ich, dass ich schiebenderweise, wohl am Abend noch nicht beim Karwendelhaus angelangt sein würde. Ich steige auf mein Bike und es geht etwas trickreich, aber im Sattel langsam bergauf.
Die Hütte klebt wie ein Adlerhorst ausgesetzt auf einer Felsnase. Sagenhafter Platz. Nach einer Linsensuppe nach Omas Art mache ich mich an die Abfahrt nach Scharnitz. Die 18 Kilometer könnten rasante Abfahrt sein, aber man darf sich nicht verleiten lassen zu unbedachter Schnelligkeit. Der Forstweg birgt Gefahren, wie Rinnen, lose Steine, … Am Tag danach sollte der Hubschrauber zu mehreren Einsätzen in das Tal fliegen müssen. Unterwegs holt mich die Müdigkeit ein. Ich gönne mir 10 Minuten Powernap. Dann weiter. Kurz vor Scharnitz habe ich einen kleinen „Umfall“. Nach Fotopause will ich aufsteigen, der rechte Fuß steckt schon in den Klickpedalen. Ich bekomme das Übergewicht, kippe nach rechts und das gesamte Gewicht meines Körpers, des Rades und des Gepäcks landet auf meinem Knie. Auaa!!!! Die Kniescheibe scheint seltsam eingedellt. Ist die immer so? Es schwillt auch gleich etwas an und schmerzt in Folge bei jeder Kurbelumdrehung und besonders auch beim Laufen kann ich das Knie nicht ganz durchstrecken.
Nach dem unvermeidlichen Tankstellenstopp, hier gibt es aber nichts Gescheites, geht es in der Hitze weiter. Etwas kupiertes Gelände. Ich entdecke, dass sowohl Smartphone- als auch Garmin-Akku fast leer sind. Auch die Powerbank gibt keine Power mehr her. Da ich nirgends schnell fahren kann, geht das Laden unendlich langsam bis gar nicht. Oje, was wenn ich plötzlich ohne Navi dastehe und ohne Möglichkeit zu kommunizieren. Ich stecke den Ladekabel immer wieder um und beobachte argwöhnisch das Laden. Wasser habe ich auch fast keines mehr.
Ein Lichtblick. Bei Lermoos am Anfang des sehr schönen Aufstieges der Leutascher Ache entlang gibt es ein WC-Häuschen – und frisches Wasser. Kurz etwas Körperpflege und Vorräte in Trinkrucksack ergänzt und eingefädelt in das Tal. Die Steigung ist angenehm und meine Geräte bekommen etwas mehr Strom und ich Motivation auch dadurch, dass ich erkenne, hier schon mal gewesen zu sein. In umgekehrter Richtung bei der Schottergaudi.
Irgendwann bin ich dann an der Abzweigung zum „Gegenverkehrsbereich“ Richtung Seebensee. 4 Kilometer musste man hoch, dann wieder runter. Am Anfang treffe ich auf ein Paar, das da wohl schon oben war. Haben die es gut. Warum mussten wir überhaupt da hoch?
Als ich ankomme, weiß ich warum … Der See, der gegenüber der Zugspitze in die Felsen eingebettet ist, ist eines der schönsten Plätze der Tour. Hier treffe ich wieder auf einige Leidensgenossen, die sich grad anziehen. Gute Idee! Ein Bad. Schnell aus den Kleidern geschält und in die kühlen Fluten. Traumhaft. Und nachts musste ich nicht so schmutzig-klebrig in den Schlafsack klettern. Das Beweisfoto habe ich dann doch wieder aus meinem Video entfernt … nackig im See …
Abfahrt nach Ehrwald. Sehr steil. Und da war ich schonmal hochgefahren …
In Ehrwald geselle ich mich zu einem lustigen Grüppchen bei einer Pizzeria al Taglio und verspeise eine Margherita, bevor ich in die Dämmerung starte. Flott geht es durch die Dunkelheit zum Heiterwanger See. Dort wird es spannend. Am Ufer entlang führt zunächst einsam ein Forstweg. Nach Überquerung des Sees und Änderung des Namens in Plansee, warum auf immer, denn das Gewässer hängt zusammen, führt ein schmaler Wanderweg weiter am Ufer entlang. Rechts kann man das Wasser nicht erkennen, nur dass es steil nach unten geht. Vorsichtig „eiere“ ich weiter. Hier allein ein Fahrfehler und niemand würde mich finden, wenn ich den Abhang runter stürzte und/ oder gar ins Wasser fiele.
Irgendwann treffe ich wieder auf ein paar Kollegen, es geht an deinem Campingplatz vorbei. Was nun? Dort einchecken ist nicht mehr möglich. Die Gruppe will noch bis Reutte fahren, das hatte ich eigentlich auch vor. Aber es war schon fast Mitternacht und es ging noch über zwei Berge. Ich ließ die Gruppe ziehen.
In feiner Steigung führte der geschotterte Radweg durch den Wald. Da! Ein ebener Platz neben dem Weg. Der Boden ist jedoch angepresst und steinig, ob ich da wohl meine zelt-Heringe reinbekäme. Ich nehme einen aus der Rolle. Nichts zu machen. Mit dem Hering in der Hand fahre ich weiter. Immer wieder steige ich ab und kontrolliere den Boden. Bis ich einen passenden Platz gefunden hatte, etwas abseits vom Weg war der Boden nicht so verdichtet.
Frau allein im Wald. Kaum ist der Reißverschluss meines kleinen Zeltes zu und ich eingemummelt in den Schlafsack, höre ich seltsame Geräusche. Ich halte die Luft an und lausche schockstarr mit weit aufgerissenen Augen. Was ist das da draußen? Immer wieder diese komischen Geräusche. Mucksmäuschenstill lausche ich weiter … da, wieder! Auf einmal muss ich lachen … ich komme nämlich drauf, was das für Töne sind: mein Magen grummelt vor sich hin; er ist wohl noch mit der Pizza Margherita beschäftigt … Erleichterung. Jetzt kann ich beruhigt einschlafen und das mache ich.
Tag 4 & 5: CP3 – Finish in Bregenz 173,08 km/ 3.415 m Bewegungszeit: 13:29:50
Kurz vor der Morgendämmerung bin ich wieder im Sattel. In Reutte wartet Frühstück. Ein Bäcker hat schon ab 5:15 Uhr auf. Ich bin froh, in der Nacht nicht mehr weiter gefahren zu sein, denn eine tiefe Schlucht musste durchquert werden. Runter schieben und aufpassen, dass man nicht links den Abgrund runter kippt, über eine kleine Brücke und auf der anderen Seite über unregelmäßige Stufen das Rad nach oben hieven. Eine fast unmenschliche Anstrengung bei DEM Gewicht.
Aber geschafft und auf dem Weiterweg ins Tal schieße ich noch ein Biwak-Foto zweier Radler.
Es ist fast 8 Uhr, als ich Reutte erreiche. Der Bäcker hat eine sagenhafte Auswahl, ich schlemme und lasse mir einiges einpacken, denn auch jetzt folgt eine lange Strecke durch die Einsamkeit. An den Weiterweg kann ich mich kaum erinnern. Meine Schaltung, die in den letzten Tagen wieder Probleme zeigte, hängt immer wieder. Ich habe den leichtesten Gang zur Verfügung – zum Glück. Aber die nächsten drei sind ausgefallen. Erst die höheren Gänge kann ich wieder schalten. Wenn das nur gut geht. Hoffentlich ist das nicht Anzeichen, dass mit dem Schaltkabel etwas nicht in Ordnung ist, dass dieser irgendwann bricht.
Einige Höhenmeter sind zu erledigen, bis zum CP3 am Vilsalp-See.
Dort gibt es wieder Knödel und in der Mittagshitze gönne ich mir ein Bad. Beim Wegfahren, oh Schreck! Ist kaum mehr Luft im Hinterreifen. Ich krame die Luftpumpe raus. Nach der schnellen Abfahrt nach Tannheim pumpe ich nochmal nach. Auf dem Weiterweg scheint die Luft zu bleiben. Schlauch einlegen wäre keine Option, denn ich würde es nicht schaffen, den Reifen von der Felge zu bekommen, der war völlig festgeklebt, das hatte ich am Tag vor dem Rennen gemerkt. Blödes Gefühl so hilflos im Falle einer Panne zu sein. In der Gegend gab es seltsamerweise nicht mal einen Radverleih.
Die folgenden Kilometer sind sehr schnell auf einem geschotterten Radweg. Fast 30 Kilometer, bis auf meinem Planungsprofil ein steiler Aufstieg ins Auge stach. Und wie steil der sein sollte. 5 Kilometer mit 500 Höhenmetern reine Schiebestrecke in der sengenden Sonne. Ich schimpfe wieder mal über die Streckenführung. Denn es geht hoch zur Kappeler Alm, nur um auf der anderen Seite steil wieder runterzufahren.
In Oy Supermarktstopp. Endlich komme ich zu meinem geliebten Kefir und etwas Obst. Herrlich. Dann weiter. Der Rottachsee lädt wieder zu einem kühlen Bad ein. Dann nochmal eine Schiebestrecke.
Wegen eines Erdrusches gibt es nun eine Umleitung bis fast Sonthofen. Viele Kilometer rasante Abfahrt auf Asphalt. Hatte ich mir vorgestellt in Sonthofen gemütlich was essen zu gehen, so werde ich enttäuscht. Ich finde nahe der Strecke nur eine Imbissbude. Dort allerdings gibt es einen riesigen Salatteller und die Welt ist wieder in Ordnung.
Etwas auf und ab geht es nun durch Allgäuer Dörfer. Ich möchte mir nun langsam einen Schlafplatz suchen. Aber nichts Geeignetes in Sicht. Irgendwann beginnt eine für den normalen Autoverkehr gesperrte Mautstraße. Links und rechts der Straße nur dichtes Kraut. Oje und ich bin müde. Unerwartet eine kurze Stichstraße nach links. Sie führt hinter einen Baum und sichtgeschützt kann ich hier mein Zelt aufbauen. Neben mir Flussrauschen. Ich schlafe gut, bin aber auch heute am letzten Tag wieder früh auf.
Es sollten nur noch knapp 80 Kilometer zum Ziel sein. Die führten erst über eine Hochfläche, dann vorbei an ein paar Weilern. Frühstück keines in Sicht. Und als ich wieder in die komplette Einsamkeit abtauche, bin ich etwas unmotiviert, denn immer wieder muss ich schieben. Wie langsam die Kilometer herumgehen. Grenze zu Österreich, Vorarlberg, die Gegend heißt Sibratsgfäll. Nach der Abfahrt ein Lichtblick, ein Spargeschäft in Großdorf, das ich auf meiner Planung nicht auf dem Schirm hatte. Dann eine schöne Fahrt der Bregenzer Ach entlang, bis der vorletzte Berg vor mir liegt.
Aber alles nicht so schlimm, man kann wider Erwarten alles fahren. Vor der Abfahrt verfranze ich mich im Blaubeerwald. Viele kleine Wege und keiner scheint der richtige zu sein. Ich schiebe zurück auf die Straße, falsch, also doch durch den Wald. Zu allem Übel fängt es auch an zu regnen. Ich fädle wieder in die richtige Spur ein, fahre talwärts. Ein Donnergrollen. Jetzt erst sehe ich die schwarzen Wolken. Der Regen wird stärker. Sturmböen. Weiter vor sehe ich glücklicherweise eine Ortschaft und rette mich unter ein schützendes Dach.
Als das Schlimmste vorüber ist, fahre ich weiter. Ein Anruf Bastians. Ich solle Straße weiterfahren und nicht ins Gelände. Die Straße solle ich aber noch „genießen“. Bei der Weiterfahrt merke ich, was er damit meinte: über 18% Steigung, lange. Der Ehrgeiz lässt mich aber nicht absteigen, bald sei ja alles vorbei.
Dann die letzte Abfahrt. Unter mir liegt der Bodensee und Bregenz. Am Ufer noch ein obligatorisches Bild, dann muss ich durch die Fußgängerzone schieben. Auch das noch. Die Strecke verlief parallel zur Uferpromenade.
Mittwoch Mittag. Nicht mehr viele Meter und ich bin da. Eine Reise gemischter Gefühle ist zu Ende. Wie immer ganz plötzlich und ich stehe etwas verloren da … Erleichtert, die Strapazen hinter mir zu haben und irgendwie traurig, dass alles schon vorbei ist …
Ich bin super zufrieden: 4 Tage/ 3 Stunden/ 46 Minuten Platz 5 Damen Platz 40 overall (111 Solo-Starter*innen)
VGG500 – das steht für Verona Garda Gravel 500, einer 540 Kilometer-Runde durch den oberitalienischen Raum unter der Federführung von Giorgio Murari, alias Musseu, Sport Verona. Wer mal ein Event bei ihm mitgemacht hat, der weiß, es ist etwas Besonderes. Dachte ich diesmal, die NUR 540 km würden wohl ereignislos verlaufen, so wurde ich eines Besseren belehrt …
Zuerst mein Video:
Donnerstag/Freitag, Nacht 1:
Traumhafter Sonnenuntergang Mitte März, nicht weit vom Gardasee. Ein kleiner Plausch mit einigen ciclisti, die ich schon von anderen Events kenne. So früh im Jahr sind schon ziemlich einige aus ihrem Radl-Winterschlaf erwacht … 540 Kilometer für den Anfang ist nicht wenig. Am Stück ist mir das zu viel, ich schleppe deshalb etwas mehr mit mir herum: meine vier Wände, sprich Leichtzelt, Matte, warmen Schlafsack. Schon zu wissen, dass ich eine Schlafpause machen kann, wann ich will und wo ich will – auch schon in der ersten Nacht- lässt mich gelassen starten. Naja, gelassen, beim Briefing betont Giorgio „Musseu“ Murari, dass es ideal wäre, mit leichtem Gepäck zu fahren. Zu spät.
Aber in meinem Kopf beginnt es zu rumoren, was wird da wohl auf uns zukommen? Die Handschrift Musseus bei der Streckenplanung lässt wohl nichts Gutes ahnen. Habe ich zu viel Ballast mit? Ich wüsste nicht, was ich weglassen könnte – aber ob 20 kg oder 25 – was soll’s? Mir kommen auch Zweifel, ob ich mit meinem MTB nicht besser dran wäre … Zudem warnte Musseu, dass aufgrund der vielen Regenfälle in den vergangenen Wochen wohl etwas Matsch auf den Wegen liegen würde – eine leichte Untertreibung. Zu 50 geht es los auf die große Runde durch den oberitalienischen Raum. an das Ufer des Gardasees, den Mincio entlang, dann weiter nach Verona, durch die Colli Euganei nach Abano Terme, weiter nach Vicenza, durch die Colli Berici und Richtung Westen, zurück über unzählige „Berge“. Anfangs flach, dann mit ordentlich Höhenmetern garniert (7600m sollten es am Ende sein).
Beim Losfahren vermute ich, die Fahrt würde vielleicht etwas ereignislos werden, egal, dann würde die Geschichte benutzerfreundlich kurz … Aber …
Schon auf den ersten Kilometern zum Ufer des Gardasees macht mein Vorderlicht schlapp. Durch das Gerüttel auf dem Gravel-Untergrund kippt die Lampe plötzlich nach unten und ich sehe auf einmal nur noch Schwarz vor mir. Vollbremsung. Rad an eine Mauer lehnen, Werkzeug rauskramen und die Lampe fest anschrauben. War ich wohl zu schlampig beim Montieren gewesen zuhause. Fazit- alle anderen sind nun weg, nicht ein einziges Rücklicht sehe ich mehr. Auf schottrigem und schlammigen Untergrund gravele ich entlang des Canale Virgilio. Die kleine Fußgängerbrücke übersehe ich. Verhauer. Zurück.
Schlagloch. Hart drückt es meinen Allerwertesten in den Sattel. Ein Gedanke schießt mir plötzlich in mein Hirn, das jetzt im Dunkeln keinerlei Ablenkung hat: Ich habe meine neue Colombier-Radhose von Skinfit an, mit einem ganz ganz dünnen Gelpolster. Na und? Ja, aber ich habe als Wechselhose nur die andere neue Hose ohne Radeinsatz mit, auch ungetragen. Wie unvernünftig! Was, wenn …? Selber schuld, wenn ich mich ab Kilometer 100 oder so mit Sitzproblemen rumquälen muss. (Blick in die Zukunft: Es gibt keinerlei Probleme!!! Aber hier würde die Überschrift passen: Unvernunft löst sich in Wohlgefallen auf …)
Einer Radler-Gruppe (ach, sind da doch noch welche hinter mir?) rufe ich noch „sbagliato strada“ zu, aber die ignorieren mich. Mit etwas Schadenfreude (ich hatte es ihnen ja gesagt!) sehe ich wie sie den Canale an der anderen Seite folgen, dann verloren sich ihre Lichter im Wald, sie fahren bergauf … Immer wieder Pfützen und Schlamm, in den sich mein Vorderrad bohrt. Ich sollte wohl etwas langsamer fahren, um einem Sturz vorzubeugen.
In der Ferne über mir erscheint das beleuchtete Castello Scaligero, wunderschön. Hier in Valeggio muss ich weg vom Mincio. Durch Olivenhaine und Weingärten pedaliere ich nun Richtung Osten. Ab und zu überhole ich einen nächtlichen Radfahrer.
Ich fahre durch Villafranca mit seinen schön beleuchteten Stadtmauern und dem Schloss. Im Schlosspark finde ich zum Glück eine Wasserstelle, ich habe nur eine Flasche und es ist fraglich, wann ich wieder Wasser finden würde.
Dann das nächtliche Verona. Mein Track geht geradeaus. Straßensperre. Eine Menge an Polizisten und Militär steht herum. Nanu? War ich zu schnell und bin in die Tempofalle getappt? Ich scherze. Sperre, weil um die Ecke die Arena di Verona sei. Da wird wohl gerade ein Event zu Ende sein.
Ich suche mir eine Ausweichstrecke. Ein erster ernsterer Berg liegt vor mir. Sehr steil folge ich nun in Einsamkeit den Mauern des Castello San Felice, mit etwas schlechtem Gewissen, ich habe mich nämlich an einem Sperrschild vorbeigezwängt. Zwischen zwei Festungsmauern geht es durch, komplette Finsternis. Als es wieder abwärts geht und auf meinem Track aber kein Gefälle angezeigt wird, rauschen ein paar Radfaher an mir vorbei. Ich folge ein Stück. Das kann doch nicht stimmen. Ich schiebe mein Bike steil zurück. Da! Unscheinbar eine bogenförmige Öffnung in der Mauer, versperrt mit einem großen Stein. Da soll es durchgehen? Ich muss mein voll bepacktes Rad über das Hindernis hieven. Erinnerung an die GBDuro kommen auf. Uff! Dann ein schmaler Weg der Mauer entlang durch den Wald. Ob das wohl stimmt. Doch!
Bald sause ich runter in Richtung Montorio. Sause ist zu viel gesagt, denn ein unregelmäßiges Kopfsteinpflaster wirkt sich doch ziemlich auf meine Geschwindigkeit aus. Den Kanal, dem ich ab Montorio folge, kenne ich schon. Tagsüber sehr idyllisch zwischen den beiden Wasserläufen zu radeln. Nun etwas unheimlich, links und rechts die tiefschwarzen glänzenden Bänder, Nebelschwaden, ein Käuzchen oder etwas Größeres ruft und sind das Frösche, die da quaken? Frieren die nicht? Mir kriecht die feuchte Nebelluft überall hinein. Schnell weiter, damit mir wieder warm wird.
Zum Glück nun zwei kleine Berge, dann Ebene bis zu den Colli Euganei. Soave bietet Abwechslung. Auf dem beleuchteten Platz vor den Stadtmauern eine Überraschung, die nach einer Fotosession ruft. Eine riesige pinkfarbene Schnecke mit Kind. Und ich die „lumacagabi“. Lumaca bedeutet Schnecke auf Italienisch, ich nämlich langsam, aber ausdauernd. Filippo und Luca (?), denen ich in den nächsten Stunden und am nächsten Tag mehrere Male über den Weg fahren würde, bringen geduldig meine Bilder in den Kasten. Dann weiter, eine kleine Gruppe startet. Ich hänge mich nicht dran, das Fahren in der Gruppe ist nicht so meins. Ich möchte ungebunden sein und möchte nicht, dass sich Leute für mein Fortkommen verantwortlich fühlen müssen und in den Anstiegen auf mich warten.
Die Wege werden immer matschiger. Zum Glück sehe ich mein Rad im Dunkeln nicht so gut … es ist vermutlich schlammverspritzt. Egal. In Gedanken an die nächste Radreinigung und vermutlich habe auch ich einiges abbekommen fahre ich durch eine Unterführung – und stecke fest, im Schlamm. Hier hat sich das Wasser gesammelt. Fuß von den Pedalen runter und auch der steckt fast knöcheltief fest. Mit einem saugenden Geräusch ziehe ich meinen Radschuh aus dem Matsch. Das wäre es dann gewesen mit sauberen Schuhen. Der Weg verliert sich nun in einer Wiese. Die Ruine eines verfallenen Hauses trägt zur gruseligen Stimmung bei. Mir fallen auf einmal Szenen aus dem Hörbuch-Thriller ein. Mein Navi spielt verrückt. Ich kann nicht ausmachen, wo ich mich im Vergleich zur korrekten Spur nun befinde. Ich fahre zurück. Da! In der Ferne kann ich zwei Rücklichter erkennen, die in die andere Richtung radeln, ich hinterher. Meno male! Zum Glück! Ich bin wieder auf der richtigen Spur.
Es ist nun schon weit nach Mitternacht, genau halb drei Uhr. Schon seit einiger Zeit gähne ich an einer Tour, im nächsten Schritt werde ich irgendwelche Dinge sehen, die gar nicht da sind und dann … Sekundenschlaf! Ich kämpfe innerlich mit mir, soll ich? Soll ich nicht? Wenn, dann … Will heißen, soll ich mein Zeltchen aufstellen? Dann werde ich wohl völlig abgeschlagen sein und dem Feld am nächsten Tag hinterherfahren … Aber was soll’s … ich fahre an einer kleinen Kapelle vorbei, umgeben von einem kleinen Rasenstück. Das ist es! Mein Campingplatz! Rad an das Kirchlein gelehnt und die Zeltunterlage rausgezogen. Leider ist unter dem spärlichen Gras der Boden nahezu flüssig. Matsch auch hier! Aber mein Hirn möchte nun nicht mehr zurück. Dann muss ich später wohl verdreckte Utensilien zusammenpacken. Ich verkrieche mich in meinem Schlafsack, auf Zahn- und Körperpflege verzichte ich. So bin ich halt gleichmäßig schmutzig. Igitt! Unruhig ist mein Schlaf. Immer wieder höre ich das Surren vorbeifahrender Fahrräder.
Obwohl ich den Schlafsack am Hals gut zusammenziehe, fröstelt es mich immer wieder. Zweieinhalb Stunden liege ich so, dann beschließe ich aufzustehen. Ob ich viel geschlafen habe, ist fraglich. Das Zelt ist innen und außen klatsch nass. Die Luftfeuchtigkeit ist fühlbar sehr hoch hier in der Ebene. Und gleichzeitig ist es kaum wärmer als 2-3°C. Ich packe meine nassen und klammen Schlafutensilien in meine Taschen und radle los, Vögel fangen an zu zwitschern, es dämmert. Natürlich fahre in die falsche Richtung. Man gönnt sich ja sonst nichts. Den Irrtum gemerkt und umgekehrt trete ich nun ordentlich in die Pedale, damit mir warm wird. Auf der SeteTrack App sehe ich, dass hinter mir wohl kaum mehr jemand ist. Am Abend jedoch werden die meisten anderen wohl eine längere Schlafpause bei Vicenza einlegen, da werde ich Plätze gut machen, vermutlich.
Freitag, Tag 1:
Ich erreiche bei den ersten Sonnenstrahlen, die sich durch die dichte Nebeldecke fressen, Montagnana mit seinen mittelalterlichen Stadtmauern, der gotischen Kathedrale und den wunderschönen Palazzi. Frühstück-Stopp mit Brioche und Lattemacchiato. Ich verschwinde zuerst mal im Bagno – mindestens eine halbe Stunde Körper- und Kleiderpflege und ein komplett versautes und überflutetes Bad. Halbwegs sauber erscheine ich, nachdem ich auch noch Boden und Waschbecken das Bades notdürftig gesäubert habe, im Gastraum.
Glücklicherweise ist der Kaffee noch nicht zubereitet worden, er wäre jetzt wohl Eiskaffee … Ich drehe ein paar Runden durch das Städtchen, da ich mich verfahre, dann wieder freie Fahrt entlang des Flüsschens Frassine. Freie Fahrt? Musseu hatte schon angekündigt, es gäbe hier eine Baustelle und die müsste man großräumig umfahren. Da die Maschinen noch still stehen und ich einige Radspuren im Schotter ausmachen kann, setze auch ich mich über das Fahrverbot hinweg. Anfangs ist auch noch alles easy. Dann wird die Weiterfahrt kniffelig, Umdrehen keine Option, da ich einige Kilometer zurückmüsste. Schwere Maschinen hatten die Asphaltdecke hier auf dem Bachdamm aufgerissen. Ich eiere langsam über den unregelmäßigen Untergrund. Und da ist es schon passiert. Mein Vorderrad rutscht ab und bohrt sich in den tiefen feinen Schotter. Ich fliege über den Lenker. Aua! Nachdem ich meine Gliedmaßen sortiert habe, steige ich mit zitternden Knien wieder auf, bzw. schiebe mein Rad zunächst ein paar Meter. Alles ok bis auf eine Schnittwunde an der Hand, ein aufgeschürftes Knie und vermutlich einen großen blauen Fleck am Oberschenkel. Wie ich aussehe, zählt nicht: Mein rechter Beinling ist völlig verdreckt, die Radhose über meiner rechten Po-Backe ebenso. Oje! Nun passe ich wieder perfekt zu meinem völlig verdreckten Rad. Etwas Gutes hat das ganze jedoch – bei den vielen schlammigen Passagen, die nun vor mir liegen, brauche ich nicht langsam durchzurollen, um den Schade möglichst gering zu halten. Das hat eh keinen Zweck mehr. Also mit Vollgas durch!
Mir fällt ein, dass ich eigentlich meine Lampe, gespeist durch den Nabendynamo, nun langsam mal ausschalten könnte. Nanu? Was ist das? Wo ist der Schaltknopf meiner Edilux? Da wo der Drehbogen zum Ein- und Ausschalten war, ist nichts außer einer leeren Rille. Wie das? Kann das abgehen? Ich hole mein Werkzeug raus und will versuchen, das Ding manuell auszudrehen. Geht nicht. Beim kurzen Telefonat mit Hermann zuhause, erfahre ich erst mal einen Tadel: „Mit den Lampen da hast du es wohl …“, damit spielt er auf mein Erlebnis bei der GBDuro an, bei der die Lampe abgebrochen war bei meinem Sturz und ein Kurzschluss dann noch den Pufferakku außer Gefecht gesetzt hatte. Was sollte ich nun tun?
Zumindest erfahre ich nun, dass das Ding durch einen Magneten an- und ausgeschaltet werden könne. Und den hatte ich ja verloren. Bliebe die Lampe an, wäre das ja kein Problem. Allerdings könnte ich dann keine Geräte mehr laden. Ohne Licht käme ich auch nicht weit in den nächsten beiden Nächten, denn auch die Lupine Piko auf meinem Helm wäre irgendwann am Ende ihrer Leuchtkraft. Was nun? Ich fahre mal weiter, vielleicht gibt es eine Lösung bei der Kontrollstelle beim Bikeshop Aloha 1 in Abano Terme.
Es wird nun sehr warm, mein Wasservorrat geht wieder mal zu Neige. Ein Brunnen kommt zurecht. Hier versuche ich notdürftig mich und mein Rad zu säubern. Ob das viel Sinn macht, ist fraglich, vermutlich werden die Wege vor mir deshalb auch nicht besser und schlammfrei. Ich besuche hoch oben am Berg noch das Wohnhaus von Francesco Petrarca, einem der wichtigsten Vertreter der frühen italienischen Literatur. Dann wieder Abfahrt.
Durch den Kopf schwirrt mir immer wieder die Lampe. Vielleicht könnte ich irgendwo einen Magneten bekommen, den ich an der Lampe festkleben kann … Ja, das muss so gehen! Und wirklich, Ricardo vom Bikeshop Aloha, CP1, verschwindet in seinem Shop, um mit einem Stück Metall zurückzukehren und einem langen Stück Powertape. Wir probieren, wie sich das magnetische Metall auswirkt, wenn man es an verschiedene Stellen der Lampe hält. Und siehe da. Leicht links geht die Lampe an, weiter rechts geht sie aus. Ich stecke das Stück Metall ein und bekomme auch noch ein langes Stück Powertape. Die nächste Nacht kann kommen. Nachdem Ricardo auch noch meine Kette geölt hat (mille mille grazie, Ricardo!), starte ich wieder.
Ein Drittel der Fahrt liegt nun hinter mir. Alle Höhenmeter aber noch vor mir. Es ist nun fast Freitag Mittag und das Wetter herrlich. Nun geht es sofort in die ersten ernsteren Berge, bei Sossano geht es in die Colli Berici. Die Steigungen sind ungnädig. 26% – das kann ich nicht im Sattel bewältigen. Vor mir schiebt auch wer. Elena! Wir schieben und fahren einige Kilometer miteinander, bis ich die Gelegenheit nutze zu einem Stopp – heiße Schokolade und was Süßes. Bald aber sehe ich Elena wieder vor mir – schieben. So geht es über drei Berge. Und wieder Salami-Brotstopp, Elena startet, als ich ankomme. Auf den 30 Kilometern Ebene vor Vicenza bin ich -gelehnt auf meinen Triathlonlenker- ordentlich schnell. Elena verliere ich dabei. Sie wird, da sie die dritte Nacht durchfährt, etwas vor mir im Ziel sein.
Unterwegs mache ich noch einen großen Umweg entlang eines Kanales. Die Brückenbauer lassen mich leider nicht durch und schicken mich ins Gelände. Um auf die Straße zurück zu kommen, lässt mich ein Bauer gnädigerweise durch seinen Privatgrund. Die Hunde des Nachbarn sind nicht sehr erfreut.
Ich mache mir Gedanken, wo ich was zu Abend essen könnte. Finde ich ein Lokal bei Vicenza, wo ich mein Rad sicher abstellen kann und wo ich auch so schmutzig Einlass bekomme? Da! Ein Schild kündigt eine Pizzeria an: Ristorante e Pizzeria Giorgio & Chiara. Wo ist der Eingang? Ich irre im Innenhof herum und treffe auf jemanden, der mich von oben bis unten etwas argwöhnisch beäugt. Ja hier sei ein Lokal und in 10 Minuten öffneten sie. Ich warte vor dem Haus und entdecke einen Gartenschlauch. Notdürftig reinige ich meine Kleidung, wische die Schlammspritzer von meinem Gesicht. Ich frage, ob ich mein Rad etwas abspritzen darf. Darf ich! Und ich darf es nun auch auf der Terrasse etwas versteckt abstellen. Noch bin ich einziger Gast. Darüber bin ich froh. Ein Blick in den Spiegel zeigt mir nämlich, dass die Katzenwäsche draußen nicht so viel gebracht hat. Ich komme ins Gespräch mit den Chefleuten. Sie staunen über meine Fahrt. Die Welt ist zudem klein. Gemeinsam haben wir einige Radfreunde. Auch sportmäßig gibt es Anknüpfungspunkte: Triathlon, wir fachsimpeln, im August werde ich Giorgio beim Inferno Triathlon von der Ferne verfolgen und in Erinnerungen schwelgen … Ich werde mit einer der köstlichsten Pizzas ever verwöhnt und gönne mir auch noch eine Crema Catalana. Ungern verlasse ich den feinen Ort. Inzwischen hat sich die Dämmerung über den Vorort Vicenzas gelegt.
Die anderen Radfahrer haben nun wohl schon ihre Hotelzimmer bezogen. Die haben es gut … Beim Weiterfahren fällt mir auf, dass es in den Senken bitterkalt ist und sobald man etwas an Höhe gewinnt, wird es spürbar wärmer. Ich werde meinen Schlafplatz wohl dementsprechend auswählen. Aber noch ist es nicht soweit. Ich möchte noch am Lago di Fimon vorbei und über mindestens zwei Berge. Meine Lampe geht irgendwann von alleine an – Spuk? Fragt mich nicht wie … Ich bin sowas von erleichtert, ich habe Licht. Vorbei am Fimonsee, dann wird es sehr ernst, eine Steigung, die nicht nur steil, sondern steinig wie sie ist, mich aus dem Sattel zwingt. Das Hike a Bike, geht nicht nur hoch, sondern auch runter. Ich schimpfe innerlich wie ein Rohrspatz mit dem Streckenkonstukteuer Musseu. Mit meinem MTB wäre ich hier viel besser dran gewesen.
Freitag/ Samstag, Nacht 2:
In der anschließenden Steigung finde ich auch meinen nächsten Traum-Schlafplatz: wieder am Vorplatz einer kleinen Kapelle. Als ich beim Zeltaufbau bin, kommt Alessandro vorbei, nach einem kleinen Schwätzchen schiebt er weiter. Etwas Wegabwärts höre ich ein Auto und sehe Scheinwerfer durch die Bäume irrlichtern. Dann wieder Stille. Das beunruhigt mich etwas. Mir ist mulmig zumute. Das hier ist ein Forstweg und eigentlich nicht für Autoverkehr geeignet. Wer ist da hochgefahren? Und warum nicht weiter? Was, wenn jemand kommt und mir das Rad klaut, während ich schlafe oder so …? Sobald ich in meinen Schlafsack sinke, schlafe ich sehr gut, ich wache erst kurz vor dem Wecker gegen 5 Uhr auf, mein Rad ist noch da und mir nichts passiert. Kurz vor 6 geht es weiter. Zelt abbauen und packen muss ich unbedingt noch üben und dabei schneller werden. Vielleicht in der kommenden Nacht?
Samstag, Tag 2:
Meine Schaltung macht Probleme, ich kann nicht mehr auf die großen Gänge vorne schalten, aber wer braucht auf diesem Parcours denn große Gänge? Es geht in einer Tour hoch und runter. Angst habe ich nur, dass das Vorbote eines Schaltkabel-Risses sein könnte. Lieber nicht mehr versuchen vorne zu schalten … Bei Morgen-Dämmerung komme ich an einem Burgfelsen vorbei, der Rocca dei Vescovi, dann verfahre ich mich wieder mal, denn wer glaubt schon, dass das große Eisengitter Durchschlupf erlaubt. Gleich darauf wieder ein Verhauer. Ich fahre einen Bauernhof an, anstatt außen herum.
Wieder auf dem richtigen Weg mache ich eine erstaunliche Entdeckung: auf einer Wiese steht ein Sammelsurium an alten Flugobjekten aus dem letzten Weltkrieg. Schauriger Anblick, wie die Läufe der Artillerie-Geschütze in den düsteren Himmel drohen. Panzer und Motorflieger stehen hier herum. Seltsame Sammelleidenschaft.
In Altavilla, im nächsten Tal, locken Latte Macchiato und Gipfele mit Vanillecreme. Gestärkt fahre ich weiter in den Tag hinein. Mal sehen, was kommt. Nach der ausgiebigen Nachtruhe gehe ich ausgeruht in die Steigungen, die ihrem Namen alle Ehre machen. Viel-prozentig geht es hoch, oft hike a bike und oft so schlammig, dass auch geringere Steigungs-Prozente mich aus dem Sattel zwingen. Ich schimpfe -nicht immer leise- vor mich hin. Aber die schönen Abschnitte überwiegen.
Es gibt einen Extra-Aufstieg zu den Castelli di Romeo e Giulietta, hoch über Montecchio Maggiore.
Kurz vor Ende des zweiten Strecken-Abschnitts falle ich in einem Supermarkt ein. Ich hatte zuvor keinerlei Möglichkeit, meine Kleidung, Gesicht, geschweige denn das Rad zu reinigen. Ich schäme mich nicht, die Leute gucken trotzdem. Ich sammle rasch das Notwendigste zusammen und zahle. Vor dem Geschäft gibt es zwar keine Sitzgelegenheiten, aber eine Kinderschaukel tut gute Dienste. Ich bemerke, dass ich vergessen hatte, Wasser zu kaufen. Die Supermarkt-Chefin kommt heraus und ich frage, ob es rund um den Shop zufällig eine Wasserleitung oder so gäbe. Sie verneint und meint ich solle einen Moment warten. Kurz darauf kommt sie mit einer Mineralwasserflasche heraus und schenkt diese mir. Wahrscheinlich schaue ich so abgerissen aus … vermutlich regierte das Mitleid mit dieser armen schmutzigen Frau, die vermutlich schon wochenlang durch die Gegend fuhr … Oder wollte sie einfach nicht, dass ich das Geschäft nochmal betrete?
Immer wieder hike a bike, Steine, Schlamm, … Irgendwann platzt mir der Kragen, als ich innerlich wieder und wieder Musseu „verfluche“, scheibe ich in der WhatsApp Gruppe, dass ich das nächste Mal lieber mit dem Club Alpino wandern gehen würde, aber ohne Fahrrad an der Hand. Dann werde ich wieder besänftigt durch wunderschöne Abfahrten. Verschämt lösche ich meinen Eintrag wieder. Hoffentlich hat ihn niemand gelesen.
Einen ewig langen Buckel geht es hoch durch Olivenhaine und Weinreben. Auf einmal sichte ich Plakate mit den Namen der teilnehmenden Mädels, u.a. „Vai, Gabi!“ Ich muss grinsen, bei der Verona Garda Gravel extreme vor zwei Jahren hatte das Giancarlo auch gemacht, cool! Mittag bin ich in Campiano, hier hatte ich schon vor zwei Jahren mit Hermann bei der Verona Garda Gravel Extreme gegessen. Ich treffe hier auf Alessandro, Stefano und Roberto und lasse mich zu hausgemachten Nudeln mit Tomatensauce nieder. Sehr lecker.
Mit Alessandro fahre ich dann weiter, kurzweilig beim Quatschen gehen die nächsten Steigungen (es gibt noch 5 lange) von der Hand. Oder muss man sagen „vom Fuß“? Ein Brunnen, ich verlasse den Track ein paar Meter. Das war wohl mein größter Fehler an diesem Tag, denn das Unheil folgt stante pede: Als ich nämlich losfahren will, spielt mein Garmin-Navi verrückt, wieder mal. Streik!
Die Karte wird nicht in Fahrtrichtung angezeigt, sondern erscheint genordet. Das bedeutet für mich Gehirnjogging pur: Fahre ich nach Norden, ist alles normal. Nach Süden ist es auch noch easy, da kommt mir der Richtungs-Pfeil einfach entgegen. Es ist auch leicht nachzuverfolgen, wenn die Strecke rechtwinklig nach links oder rechts abbiegt, da muss ich einfach in die Gegenrichtung abbiegen. Schwierig wird es allerdings, wenn es Richtung Süd-Westen, Nord-Osten oder noch schlimmer Nord-West-Nord oder so ähnlich geht. Völlig verwirrt biege ich immer wieder falsch ab. Jetzt am hellichten Nachmittag geht das ja noch halbwegs, aber was, wenn es dunkel wird und wenn ich die Konzentration nicht mehr aufbringe?
Samstag/ Sonntag, Nacht 3:
Alessandro und ich gönnen uns eine Pizza-Pause im Örtchen Avesa. Anschließend starte ich, während Alessandro sich noch für die Nachtfahrt richtet. Natürlich kommt mein Gehirn bei der Ausfahrt aus Avesa nicht so rasch in die Gänge. An zig Abzweigungen fahre ich logisch in die verkehrte Richtung. Ich bin nicht weit von Verona und der Verkehr ist dementsprechend dicht. Samstagabend – Partytime. Bin ich froh, als es wieder ins Gelände geht.
Hier holt mich Alessandro ein und gemeinsam radeln wir weiter bis Domegliara, wo der CP2 in der Bar La Prua ist. Wir gönnen uns eine heiße Schokolade, dann geht es weiter. Bei dem nun folgenden Abschnitt auf einem schmalen Pfad direkt an der Etsch entlang, bin ich froh, dass ich hier nicht alleine bin. Da der Abend nun schon sehr fortgeschritten ist, beschließe ich bei nächster Gelegenheit mein Nachtlager aufzuschlagen. Es sind zwar NUR noch rund 65 Kilometer bis ins Ziel und Alessandro meint, das sind gut 3 Stunden auf dem Rad, ich hatte aber wohl einen guten Riecher, dass ich mir das nicht antue.
Ich sollte am nächsten Tag erfahren, dass Alessandro nur ein paar Stunden vor mir angekommen war, also nichts da mit 3 Stündchen. Ich selbst werde noch 6 Stunden inklusive Frühstück, Flussüberquerung und diverser Fotosessions brauchen. Kurz nach Cavaion scheint sich mir der ideale Zeltplatz zu bieten: Ein kleiner Olivenhain in der Nähe der großen Windräder. Der Platz ist etwas höher gelegen und außerhalb der eisigen Kaltluftseen, die es auch heute gab.
Ich beginne mit dem Zeltaufbau. Auf einmal summt es in meinen Ohren: ein ohrenbetäubender hochfrequenter Ton. Was ist denn das? Ich vermute, dass der Bauer mit einem Gerät irgendwas abwehren möchte. Aber was? Unerwünschte Camping-Gäste? Wird in Kürze der Olivenbauer hier erscheinen und mich verjagen? Ich ziehe mein Zelt auf der Unterlage drei Oliven-Bäume weiter. Der Lärm verstummt (zuhause google ich das Erlebte: es ist ein Ultraschall-Tiervertreiber). Kaum ist mein Zelt aufgestellt und ich habe mich in meinem Schlafsack verkrümelt, da ist es mit windstill vorbei und das große Windrad in nächster Nachbarschaft beginnt sich zu drehen. Es wird laut. Das und das Wissen, dass ich hier wohl unerwünscht bin, lassen mich nur sehr leicht und unruhig schlafen.
Sonntag, Tag 3:
Bei Dämmerung packe ich meine Sieben-Sachen (ich bin sage und schreibe 10 Minuten schneller als nach den letzten beiden Nächten, also kann man sagen Übung macht den Meister!)
Dann starte ich auf die letzten Kilometer. Kurz darauf werde ich in meiner Fahrt jäh gestoppt. Ein Bach fließt über den Weg. 5-6 Meter breit, etwa zwanzig Zentimeter tief, linker Hand ein kleiner Wasserfall. Der Untergrund besteht aus faustgroßen Kieseln. Da durchfahren? Wohl lieber nicht, wenn ich nicht nasse Füße bekommen möchte oder noch schlimmer ein Vollbad (das ich aber eigentlich dringend nötig hatte). Traue ich mich zu fahren? Nein, absolut NEIN! Schuhe, Socken aus und rüber schieben, schön an der Kante des Abbruches entlang. Hatte ich die Füße bisher kalt, so bewirkt das eiskalte Bachwasser, dass meine Zehen in kürzester Zeit direkt heiß werden. Toll!
Keinen Kilometer weiter schon wieder ein Bach. Diesmal gibt es aber schmale wackelige Latten, über die man balancieren kann.
Kurze Zeit später, in Caprino, der übliche Lattemacchiato-Stopp (mit 2 Zucker, wie immer). Die Baristin meint, sie bringe mir das Bestellte hinaus. Das sagt wohl alles aus … die „abgerissene“ Person, ICH, werde nicht mal vor die Wahl gestellt, ob ich meinen Kaffee drinnen oder draußen genießen möchte. Über Radwege und nette Trails geht es vorbei an Costermano.
Durch das Valle Lunga führt wohl ein beliebter MTB-Trail, denn immer wieder überholen mich als Hike-a-Bikerin Leute mit ihren E-Bikes und ich ernte mitleidige Blicke. Ich will trotzdem keines – E-Bike – meine ich.
Und dann taucht er plötzlich auf: der blitzblaue Gardasee, tief unter mir. Am Hang entlang mit Blick auf den See, durch schöne Olivenhaine geht es nun Richtung Süden. Nach der Punta San Virgilio geht es nach einem fast unüberwindbaren Hindernis direkt an das Ufer des Sees. Das Hindernis stellt sich mir als ein Fußgängerdurchgang in den Weg. Die Spaziergänger können sich rechts durch einen schmalen Durchgang zwängen, mit einem Rad unmöglich. Kein Mensch weit und breit, ich mit meinem schweren Rad alleine. So was hatten wir doch auch unzählige Male bei der GBDuro in Schottland, dort in Form von versperrten Viehgattern. Ich wuchte das Vorderrad hoch, hebe es über die Stange, schiebe mit der Schulter das Hinterrad mit der schweren Tasche nach, wenig rückenfreundlich muss ich das ganze nun auf der anderen Seite langsam runterlassen. Geschafft!
Nun am Ufer entlang bis Garda. Viele Fußgänger und Zuschauer der Regata delle Bisse, die heute stattfindet, lassen mich nur langsam weiterkommen. Nach Garda geht es wieder ins Gelände, zum Glück, denn die Uferpromenade wäre heute wohl nicht ratsam gewesen.
Einen kurzen Kaffee-Stopp in Peschiera, im Bikehotel Enjoy, lasse ich mir nicht nehmen.
Dann geht es ins Ziel beim Agriturismo Le Fornase in Castelnuovo. Bei einem leckeren Teller Bohneneintopf und anderer Leckereien und nach „chiacchierate“ mit anderen Radfahrern findet das Abenteuer VGG langsam ein Ende.
Schade, zweieinhalb Tage durch die Gegend graveln sind leider viel zu schnell vergangen. Höhen und Tiefen sind allzu schnell vergessen. Aber das nächste Abenteuer kommt bestimmt …
Danke Stefania und Giorgio für das Erlebnis VGG. Schön war es durch neue schöne Landschaften zu fahren, Giogio, alias Musseu, überrascht immer wieder … und nette Rad-Bekanntschaften zu machen.
Leider gibt es nur wenige Frauen, die an solchen Events teilnehmen. Deshalb: Cicliste – traut euch!!! Vielleicht animiert mein Bericht und das Video euch ja …
Ich freue mich schon auf den Mai 2024, da möchte ich diese traumhaft schöne Runde nämlich wieder fahren …
Hier mein Video von 2023:
Nach dem wunderbaren Sabbatjahr 2023 mit viel Rad … (AMR, TBR, GranGuanche, BTG) sollte ich langsam ans „Abgewöhnen“ denken, im September ging dann der Ernst des Lebens wieder los … Abgewöhnen? Deshalb wollte ich das Event Bike Haderburg Mitte September fahren … Der Zielort, die Haderburg, auf einem Felsen hoch über Salurn klang vielversprechend.
Profuminviaggio (Giorgio Murari und Stefania Segna) organisierten 2023 die Edition 0 der Bike Haderburgin Zusammenarbeit mit der Gemeinde Salurn und der Radsportgruppe Ciclisti per Caso.
Dieses Jahr (2024): Der Start ist am Samstag, den 18. 19. Mai 2024, Zielschluss ist Sonntagabend. Für die 450 km sind 40 h vorgesehen. Es gibt dieses Jahr mehrere Streckenlängen zur Wahl: 100 km, 200 km und 450 km. Die wunderschöne Strecke führt durch die Natur zwischen Italien und Österreich; Etschtal, Brenner, Silltal, Inntal, Kaunertal, Vinschgau. Das ideale Rad? Ein Gravelbike mit Slick 35-Reifen oder ein Rennrad mit etwas „großzügigerer“ Bereifung. Das Highlight wird nach der Anstrengung wohl die abschließende Pasta-Party auf Schloss Haderburg sein; das spektakulär gelegene Schloss ist exklusiv für diese Veranstaltung geöffnet.
Wenn jemand mit möchte, beeilen, es gibt nur hundert Startplätze!
Events auf ähnlicher Strecke aus der Feder Giorgios gab es schon mal, es war immer sehr unterhaltsam und schön organisiert: Edelweiß ’17 oder auf südlicher Route: Edelweiß ’21
Zzckkkzzckkk … Das klingt gar nicht gut. Was ist mit der Schaltung? Zudem hängt die Kette durch … Pleiten, Pech und Pannen bei der Anreise zur GranGuanche Audax Gravel, zum Nachlesen hier: meine Pannen. Und hier „Spaßiges„😊 aus der WhatsApp Gruppe GGG
Lanzarote, Eremitage Orzóla im Norden der Insel, Mitte März 23. Es dunkel, zehn vor zehn, warten auf den Start. Was mache ich hier? Alleine unter 100 anderen Athleten und Athletinnen?
Eremitage Orzóla
Vor mir liegt Gran Guanche Audax Gravel, eine Art Insel-Hopping über die Kanarischen Inseln.
In gewissem Sinne ist die Zeit dort mein größter Konkurrent, denn es ist bei diesem 700 Kilometer langen Rennen mit über 16.000 Höhenmetern wichtig, pünktlich zu den Abfahrten der Fähren zu kommen, um nicht kostbare Zeit still zu stehen.
Inselhopping
Die Inseln:
Lanzarote – Fuerteventura – Gran Canaria – Teneriffa – El Hierro
Im Vorfeld hatte ich mir verschiedene Szenarien ausgedacht, was aber, wenn ich eine Fähre nicht „erwische“, dann ändert sich der gesamte Plan. Unterwegs erkenne ich, dass eine genaue Planung zwar eine gewisse Sicherheit bringt, es aber wichtiger ist, flexibel zu bleiben und alles auf sich zukommen zu lassen. Erste Priorität: in die Pedale treten, was das Zeug hält.
1 – Lanzarote: 104km/ 1580 Hm (6:30h)
Das erlösende „LOS“! Die Menge setzt sich in Bewegung. Ich bin wohl die einzige mit einem MTB, alle anderen sind mit ihren Gravelbikes angereist, mit mehr oder weniger Taschen … Ich mit MEHR … Ein Kommentar von Tim in der WhatsApp-Gruppe hatte mich dazu veranlasst, das Foto von meinem gepackten Drahtesel sofort wieder herauszunehmen. Er meinte, so aufgepackt wäre er, wenn er vom Einkaufen im Supermarkt Mercadona käme. (Kleine Genugtuung: Während ich das hier schreibe, am Hotel-Pool in Teneriffa, ist besagter Fahrer, glaub ich, noch auf Teneriffa unterwegs …*Nachtrag, siehe unten)
Ich trete in die Pedale. Es geht gleich zur Sache. Schotter, sehr steil, hike a bike ist angesagt. Bald schon finde ich meinen Platz gefühlt unter den letzten, da ich schon ein erstes Mal stehen bleiben muss, um meine Jacke auszuziehen. Meine Konkurrenten rasen aber auch durch die Nacht, als ginge es nur zur nächsten Pizzeria und als lägen nicht 700 Kilometer vor uns.
Es ist stockfinstere Nacht. Schade. Auf Lanzarote war ich schon mal beim Ironman. Ich erinnere mich an die wunderbaren Vulkanlandschaften in allen erdenklichen Rot- und Brauntönen. Nachtfahren liebe ich gar nicht. Ich hoffe, dass ich ohne Schlafattacken durchkomme nach Playa Blanca am anderen Ende der Insel. Die erste Fähre fährt um 8:00 ab. Das müsste zu schaffen sein. Von Mirador del Rio, dem höchsten Punkt geht es sehr ruppig abwärts. Hatte ich gedacht, dass es nun ein langes einfaches Abwärtsrollen gäbe, so hatte ich mich gewaltig getäuscht. Zudem wehte auch nachts ein starker Wind teils von hinten, teils von der Seite.
Zum Glück sind die Tiefblicke eingeschränkt. In der Inselmitte dann führt die Strecke lang durch die Dünen. Lautes Meeresrauschen. Starke Windböen treiben mir Sand in die Augen, an manchen Stellen haben sich Sandhaufen mitten auf dem Weg aufgetürmt. Dann und wann sehe ich vor mir ein rotes Rücklicht, sonst bin ich allein, weit und breit niemand. Wo sind denn die alle? Das Atlas Mountain Race lässt grüßen, ich schiebe mein Rad gefühlt mehrere Kilometer durch Sand.
Schneller, als ich gedacht hatte, bin ich am Hafen. Nun könnte ich mir noch drei Stunden Schlaf gönnen. Vor Wind und Kälte geschützt, drängten sich andere Fahrer im Schalterraum der Fähren zusammen. Kaum liege ich in meinen Schlafsack gemümmelt, fängt es rundherum an zu schnarchen. Und eine Stunde weiter fangen die ersten Männer laut an zu quatschen. Arrgggghhhh!!! Also wohl doch kein Schlaf in der ersten Nacht …
2 – Fuerteventura: 154km/ 2030 Hm (8:45h)
Nach der halbstündigen Überfahrt nach Corralejo auf Fuerteventura schaue ich zügig zu starten, während viele andere erst mal eine Frühstückspause einlegen. Ich bin noch gut versorgt und habe es eilig, da ich die 20:00-Fähre in Morro Jable nach Las Palmas auf Gran Canaria erreichen möchte.
Die ersten 30 Kilometer führen mich über eine flache geschotterte Straße an der Küste entlang. Klingt gut, wenn die Piste nicht einen waschbrettartigen Belag hätte, die mich gewaltig durchschüttelt. Ich bin jedenfalls froh um mein MTB und lerne geschickt, mit welchem Speed man da drüber muss, um möglichst komfortabel durchzukommen. Spektakel, als der „Weg“ knapp an der Klippenkante und dem Abgrund entlangführt.
Nun geht es ins Inselinnere, es wird sehr heiß und der starke Wind weht nun nicht mehr ständig vorteilhaft von hinten. Ich kämpfe mich durch die Mittagshitze, das Wasser geht mir langsam aus. Hätte ich doch den Supermarktstopp in El Cotillo gemacht. Die Schlange der Radfahrer an der Kasse wollte ich allerdings umgehen. Das hatte ich nun davon. Heute war zudem Feiertag und fraglich, ob ich noch eine Möglichkeit fände Wasser aufzufüllen. Wie erleichtert bin ich deshalb, als ich die Gesichter von Daniela und Marissa vor einer kleinen Bar auftauchen sehe. Die Wirtsleute sind allerdings auf den Ansturm nicht ganz vorbereitet, normale Wasserflaschen sind leider aus. Ich muss mich mit Wasser mit Kohlensäure begnügen. Das ist bei der Hitze ganz spaßig, denn immer wieder bekommen die Beine eine Sprüh-Dusche ab. Fraglich ist mir nur, wie sich das auf den Trinkrucksack auswirkt …
Nun folgt der längste Anstieg der Insel. Obwohl auf Asphalt scheint mir die Kraft in der prallen Nachmittags-Sonne auszugehen. Wenig motiviert schraube ich mich langsam nach oben. Mein Ziel, die Abendfähre, ist in weite Ferne gerückt.
Bevor ich mich um die letzte Kurve schleppe ahne ich schon was. Und die Gewissheit kommt, als ich vor ihnen stehe: vor den berühmten riesigen Eisenmännern. Hier war ich schon mal im Rahmen eines Trainingslagers und die Strecke, die mich nun erwartet, ist bekannt und überschaubar. Rasante Abfahrten auf großartig gepflegtem Asphalt. Nur kürzer als gedacht, denn nach Pajara geht es schon wieder mühsam ins Gelände. Zuvor konnte ich jedoch noch Wasser nachfüllen die kühle Cola sollte meine Beine stärken. Nach mühsamen Höhenmetern folgt eine traumhafte Strandpassage. Die Fähre sollte sich ausgehen. Vielleicht sogar die 18:00-Fähre? Was ich nicht weiß, das Auf und Ab der nun folgenden letzten Asphaltstrecke wird sehr sehr mühsam aufgrund der häufigen Richtungswechsel. Der Wind schiebt und genauso oft kommt er direkt von vorne. Gegenwind kann man das gar nicht mehr nennen, besser Gegen-Sturm.
Als ich schließlich kurz nach sechs über die Klippenkante zum Hafen sehe, hüpft mein Herz. Die frühere Fähre ist noch da. Ich rase hinunter. Als ich vor der Fähre stehe, wird gerade die Brücke nach oben gezogen. Der „Matrose“, der gerade die Taue löst, schaut mich ganz mitleidig an und schüttelt den Kopf. Ich könnte heulen. Drei Minuten zu spät. (Detail am Rande: Als ich später höre ich, dass diese Fähre sogar nach meiner ankommen würde wegen technischer Probleme, war ich mit meinem Schicksal wieder versöhnt).
leider 3 Minuten zu spät …
Die Überfahrt nach Gran Canaria ist sehr wellig. Ich lege mich mit meinem Schlafsack in den Bug der Fähre, auch wenn davon abgeraten wird. Aber hier sind weniger Fahrgäste. Ich wechsle meine Position und lege mich quer zu den Wogen, versuche zu schlafen. Immer wieder werden Autoalarmanlagen ausgelöst. Rund um mich „husten“ immer wieder Leute. Oje, einigen scheint es wirklich nicht gut zu gehen. Wie wird wohl mein Magen reagieren, hatte ich doch zu Beginn der Fahrt eine ordentliche Portion gegessen. Ich horchte immer wieder in mich hinein und traute mich nicht unbeschwert einzuschlafen.
3 – Gran Canaria: 140km/ 3500 Hm (10:30h)
Es ist spätabends, als wir Las Palmas erreichen. Das Vorgeplänkel der ersten beiden Inseln nun geschafft sollte es höhenmetermäßig nun so richtig zur Sache gehen. In Las Palmas suche ich eine Weile mit Katie einen Weg aus dem Baustellen-Wirrwarr zu finden. Dann verlieren wir uns aus den Augen. Bald schlängelt sich der Track durch ein urwüchsiges canyon-artiges Tal, hoch über uns die Häuser. Es ist sehr einsam hier unten. Irgendwann aber steht am Rand ein unbeleuchtetes Auto, im Wageninneren schemenartig der Fahrer mit Smartphone in der Hand. Weit und breit ist niemand und ich fahre schnell vorbei, mir ist etwas unbehaglich zumute. Was, wenn die Gestalt einem Kollegen mitteilt, dass in Kürze eine einsame Radfahrerin vorbeikommt? Mir könnte MTB, Geldbörse und Karten abgenommen werden oder Schlimmeres passieren? Ich lege einen Zahn zu. Zum Glück bald das blinkende Rotlicht eines anderen Fahrers. Wir quatschen etwas. Irgendwo im Schilf die Scheinwerfer eines Autos. War das der vermeintliche Helfershelfer? Irgendwann bin ich wieder allein. Katie holt auf und meint, sie wolle noch bis Ingenio weiter fahren.
Ich bin müde und entdecke an einer Straßenkreuzung einen Spielplatz. Lange werde ich mich nicht aufhalten können, da ich die letzte Fähre nach Teneriffa, um 20:00 unbedingt erreichen möchte. Müde bin ich nach der vergangenen schlaflosen Nacht. Ich stecke Matte, Schlafsack in den Biwaksack und richte mir ein gemütliches Lager hinter einem Baum. Mein Rad lehnt an einem dicken Ast und darauf alle meine Kleidungsstücke zum Trocknen und Lüften. Kaum ziehe ich mir mein Halstuch über die Augen, höre ich es schon: „Zzzzzzzzzzzzzzzz!“ Eine Mücke piesackt mich. An geruhsamen Schlaf ist nicht zu denken, immer wieder reißt mich das unangenehme Geräusch und juckende Stellen an Gesicht und Händen aus unruhigen Träumen. Genervt gebe ich gegen halb drei Uhr auf und mache mich wieder auf den Weg. Auch gut, so habe ich etwas Spiel für die nächste Fähre.
Pastel y Miga
Ich habe Zeit zu rechnen. Ab Ingenio bis zum Puerto de las Nieves, etwa 100km lang, würde es nur ein Restaurant geben. Falls das geschlossen wäre, hätte ich viel zu wenig Wasser. Oje, was tun? Ich fahre durch die ersten Häuser des Dorfes. Stockfinstere Nacht noch. Schaut nicht so aus, als wäre jetzt gegen 5 Uhr was offen. Plötzlich tritt neben mir ein Mann mit einem Korb aus einem Haus. Mutig halte ich an und frage, ob er zufällig eine Flasche Wasser verkaufen könnte. Nein, leider nicht. Er öffnet seine Autotür und zieht eine halb gefüllte Flasche hervor. Ich bedanke mich überschwänglich. Wie alt das Wasser wohl schon ist? Ich verschwende lieber keinen Gedanken daran. Besser, als verdursten, war das allemal.
Etwas weiter. Eine weiß gekleidete Gestalt tritt aus einer Türe. Was wird der wohl von mir denken, wenn ich ihn frage, ob er wisse, ob zufällig in der Nähe eine Cafeteria offen habe. Um diese Uhrzeit. Der wird wohl meinen, die Alte spinnt. Aber schon ist es raus. Er sagt was auf Spanisch und ich verstehe, ich sollte kurz warten. Aus der offenen Tür wallen betörende Düfte. Ich werde gebeten einzutreten. Es ist eine kleine Bäckerei. Ich werde von Fran und Elena mit Wasser, Cappuccino und leckeren Mehlspeisen versorgt. Mit Hilfe des Translators gebe ich zu verstehen, was ich hier so früh mache. Ich verstehe irgendwas mit „nieves“, aha, das ist ähnlich des italienischen „neve“ – also Schnee. Hilfe, so weit oben komme ich in den Schnee? Das fehlt mir noch … Meine Retter verabschieden mich, ich solle die Tür hinter mir ins Schloss ziehen. Die nächsten hätten wohl nicht so viel Glück. Herzlichen Dank an Pastel y Miga!!!
Nun bin ich im Anstieg, der mich durch ein grünes Tal nach oben führt. Über die Berghänge saust der Fallwind gnadenlos nach unten und reißt mich mehrmals fast vom Rad. Weiter oben wird der Wind schwächer, aber nun ist der Asphalt zu Ende und es geht sehr steil und hike a bike ins Gelände. Irgendwann bin ich oben. Und hier sollte es Schnee geben? Da fällt mein Blick auf ein Straßenschild und wie Schuppen fällt es mir von den Augen: Pico de las Nieves. Ach DAS hatte der Konditor am Morgen gemeint.
Nun folgen viele Kilometer schnelle Abfahrt. Fast verpasse ich an einer kleinen Kreuzung das einzige Restaurant weit und breit. Der Wirt lacht, als ich alles, die Speisekarte rauf und runter bestelle: Hühnersuppe, Brot mit Knoblauchaufstrick, Blaubeertorte, Cappuccino, Aquarius, eine leckere spanische Limonade. „Die Frau muss wohl ausgehungert sein …“
Weiter geht es durch eine atemberaubende Bergkulisse. Im Vordergrund die berühmte Felsformation „Roque Nublo“, 80 Meter hohes Wahrzeichen der Insel und Kultstätte der Ureinwohner. Nach der rasanten Abfahrt geht es links weg. Nun folgt die vom Veranstalter angekündigte unbefestigte Straße, die einiges an Konzentration abverlangt, denn nicht selten geht es am Rand steil in die Tiefe. Fahrfehler sollte man sich hier nicht erlauben. Wir sind nun auch zu zweit, denn Jonas hat aufgeholt. Auch die noch anstehenden Anstiege gehen mit etwas Quatschen rasch vorbei und wir schaffen es sogar zur 4-Uhr-Fähre vor Ort zu sein und vorher sogar noch einen Supermarkt-Stop einzulegen. Wer hätte das gedacht.
Mein Ziel war es ursprünglich pünktlich zum Heimflug zurück zu sein und vielleicht nicht unbedingt meinem Über-Namen Ehre zu machen (siehe Dotwatchers Lanterne Rouge Award). Nun auf Gran Canaria war ich sogar unter den Top 20 … Am Ende werden knapp 60% der Athleten finishen, ich halte mich auf Platz 35, also im ersten Drittel und bin mega zufrieden.
4 – Teneriffa: 173km/ 4570 Hm (14:40h)
Die frühe Abfahrt von Gran Canaria hat positive Auswirkungen auf meine Nachtruhe il La Esperanza, wo Katie und ich ein Zimmer gebucht hatten. Aber zunächst gilt es für mich noch gut 50 Kilometer und etwa 1500 Höhenmeter hinter mich zu bringen. Eine spektakuläre Straße schlängelt sich über die Hänge des Anaga Rural Parks nach oben. Ist es hier oft nass und kalt, so bleibe ich davon verschont. Allerdings der stürmische Wind drückt mich mehrmals hart gegen die Leitplanken. Einige Kilometer führen mich nun durch einen finsteren Wald. Hier ist es wie angekündigt feucht, matschig und kalt. Ich erreiche Cristobal de la Laguna und muss noch einige Kilometer auf unangenehm befahrener steiler Straße hoch zu meinem Quartier in La Esperanza. Katie schläft schon tief und merkt mein Ankommen nicht mal. Herrlich ist die warme Dusche und ich habe nun auch noch Zeit 2-3 Stunden zu schlafen. Wohlverdient.
Als Katie sich auf den Weg macht, werde ich aus meinem leichten Schlaf gerissen, zum Glück, denn so stehe ich früher als geplant auch auf. Gut so, denn die einzige Fähre nach El Hierro, der letzten Insel darf ich keinesfalls verpassen, sonst würde ich einen ganzen Tag warten müssen. Der Stress fährt also auf GranGuanche Audax immer mit.
Nun gibt es über 100 Kilometer keine Möglichkeit sich zu verpflegen. Vermutlich werde ich in den nächsten Stunden auch kaum jemanden treffen. 50 Kilometer sind zudem nicht asphaltiert. Bis zum Hellwerden habe ich auch noch einige Stunden in tiefschwarzer Nacht vor mir, anfangs einige sehr steile Anstiege, die schiebend zurückgelegt werden müssen. Es geht durch dichten Wald. Gegen Morgen überkommen mich Schlafattacken und ich komme um einen Powernap nicht drumherum. Rasch breite ich meinen Schlafsack auf dem dichten Nadelboden auf und schlüpfe hinein. Den Timer stelle ich auf 15 Minuten. Kurz vor Ablauf höre ich ein Rad vorbeifahren und mache mich auch wieder auf den Weg. Nun in der traumhaften Waldlandschaft werde ich abgelenkt und die Müdigkeit ist weg.
King Teide
Spektakel, als ich um eine Kurve biege, steht er vor mir, der Teide in der Morgensonne. Wunderbar! Ich bin wieder mal dankbar um mein MTB, denn jetzt geht es über eine trailartige Strecke abwärts. Gibt Komoot hier eine Schwierigkeit von S1 an, so ist das wohl ziemlich übertrieben.
Kurz darauf darf ich auch ein Stück auf einer Teerstraße nach oben rollen, bis es wieder auf eine Art Forstweg geht. Irgendwie scheint mir die Kraft langsam auszugehen, kein Wunder, habe ich doch in den vergangenen Stunden kaum was gegessen. Ich lege einen Halt ein und beschließe mein gefriergetrocknetes Hafer-Apfel-Gericht zu essen. Rasch ist die Tüte mit Wasser aufgefüllt, der Brei muss nun noch etwas quellen. Inzwischen suche ich meinen zusammenlegbaren Titan-Spork, ein Zwischending Gabel/ Löffel. Er ist nicht aufzufinden und mir schwant Böses. Hatte ich ihn doch am Tag zuvor auf der Fähre benutzt. Vermutlich hatte ich ihn mitsamt dem Müll anschließend weggeworfen. Ein 30-Euro-Esswerkzeug ist, finde ich, doch etwas zu teuer als Einmal-Besteck …
Um meinen Brei löffeln zu können, schneide ich mir nun aus einer Plastikflasche einen behelfsmäßigen Löffel, den Rest des Breis wässere ich nochmal und trinke ihn aus. Hauptsache Kalorien. Inzwischen waren ein paar Radfahrer an mir vorbei. Jeder erinnerte mich daran, dass wir es bis halb sechs an den Hafen von Los Christianos schaffen müssen. Mein schlechtes Gewissen meldet sich bei meinem Blick auf die Uhr. Fast Mittag. Was schon so spät? In Windeseile packe ich mein Zeug zusammen und folge meinen Mitstreitern.
Es sind noch einige Höhenmeter auf Schotter bis zum höchsten Punkt unter dem Teide. Stress lass nach. Ich bin so langsam. Und dann noch die wunderbare Landschaft, Erde in allen möglichen Braun- und Rottönen. Ich kann nicht umhin trotzdem einige Male stehen zu bleiben und Fotos zu schießen. Als ich endlich oben an der Straße stehe gibt es Applaus. Ich glaube der Übermut einiger resultiert aus dem Wissen, jetzt müsse sich die Fähre ausgehen. Nach einer kurzen Abfahrt geht es aber unerbittlich wieder nach oben.
Zwei Anstiege folgen noch, nun in der Mittagshitze zurückzulegen. Zwischendurch mache ich halt in einer Touristen-Bar. Ich brauche unbedingt ein paar zusätzliche Kalorien in Form eines Sandwiches und Wasser und Cola. Richtig ausgehungert bin ich, kann mich aber leider nicht lange aufhalten. Auf das Eis muss ich halt verzichten. Weiter geht es. Mit gemischten Gefühlen, einmal euphorisch es bald geschafft zu haben, dann wieder mit düsterem „Das schaffe ich nie und nimmer!“ Der Teide ist ein Touristen-Magnet und so gibt es viel Verkehr hier oben, das mag ich gar nicht. Irgendwann aber erreiche ich die Bergkante und nun stürze ich mich in die 30 Kilometer-Abfahrt auf bestem Asphalt. Fähre, ich komme!!!
Weiter unten habe ich in einer Kurve das Gefühl, dass sich Smartphon-Kameras auf mich richten. Das kann aber doch nicht sein, wahrscheinlich warten die auf wen anderes. Aber richtig gefühlt, H. und T., zwei Dotwatcher, hatten mich „abgepasst“ und mir anschließend die schönen Schnappschüsse zukommen lassen. Dankeschön!
ob das wohl gutgeht?
Vor der Fähre habe ich sogar noch Zeit im Supermarkt einzukaufen. Da erreicht mich eine Meldung über WhatsApp von Hermann. „Gabi, wo bist du, deine Fähre geht in ein paar Minuten!!!“ Stress! Ich eile zum Hafen. Aber ohne Hast stehen noch alle Räder in der Tickethalle. Der Schreck sitzt mir noch in allen Gliedern und ich verstehe jetzt, dass Hermann glaubte, die Uhrzeit der Kanaren sei eine Stunde vor und nicht hinten. Ist das ein aufregender Tag. Mir bleibt noch etwas Zeit, ich besorge mein Ticket, räume mein Gepäck etwas auf, richte meinen Schlafsack für die fast dreistündige Fähr-Überfahrt und esse endlich wieder was.
5 –El Hierro: 117km/ 3770 Hm (11:30h)
Mein Plan für die letzte Insel: Da ich ja auf der Überfahrt trotz größerer Schaukelei etwas schlafen konnte, möchte ich noch die gut neun Kilometer und 800 Höhenmeter hinauf fahren nach Villa de Valverde. In der Nacht wollte ich mir einen Schlafplatz suchen, den ich schon auf Google Maps entdeckt hatte, einen netten gepflegten Picknick-Platz. Andere würden diese Nacht durchfahren, aber das möchte ich nicht, da ich diese urwüchsige Insel gerne bei Tag sehen möchte. Rennen hin oder her, die Platzierung war mir absolut unwichtig. Die Straße schlängelt sich ausgesetzt am Berghang nach oben, die Steigung ist hoch und der Wind kommt unerbittlich von vorne. Es ist ein Kampf.
In Villa de Valverde ist noch eine Bar offen, aber leider hat die Küche schon geschlossen und ich begnüge mich mit einem Tee und Quark-Kuchen. Ich quatsche etwas mit Christian und Ormonde, noch ein paar weitere Fahrer kommen hinzu. Bald verabschiede ich mich und mache mich auf die Suche nach meinem Biwakplatz.
Das hatte ich nicht erwartet: Nun folgen ein paar hike a bike Anstiege, die so steil sind, dass ich kaum vom Fleck komme. Leider sagt mir mein Navi nicht die Steigungsprozente an, da ich so langsam gehe, dass ich laut Garmin still stehe. Und wo Stillstand – auch keine Steigung …
Als es etwas flacher wird, komme ich an Isabelle vorbei, die gerade ihren Schlafplatz einrichtet. Ich fahre noch etwas weiter und fast vorbei an meinem „Picknick-Platz“. Dieser ist völlig zugewachsen, die Tische und Bänke von herabgefallenen Ästen zerstört. Der Ort scheint mir aber wie gerufen. Ich wähne mich weit weg von der nächsten Behausung, lehne mein Rad gegen den Baum, hänge meine ganzen Sachen auf und verschwinde mit Matte, Biwak- und Schlafsack zwischen den Überresten des Tisches. Gute Nacht!
suppentellergroß
Gegen 4 Uhr kräht in der Nähe ein Hahn, der auch prompt Antwort aus einer anderen Richtung bekommt. Bin ich doch nicht so weit weg von der Zivilisation… . Ich hatte fast 5 Stunden geschlafen. Da ich fröstele, mache ich mich daran meine Sachen zu packen. Meine Kleidung ist statt getrocknet nun ziemlich feucht. Nebel zieht in Schwaden über mich hinweg.
Warm wird mir aber nach meinem Aufbruch bald wieder, denn immer wieder zwingen mich kurze sehr steile Passagen zu Fuß zu gehen. Die Aussicht bis ins Ziel, über 100 Kilometer mit über 3000 Höhenmetern, nur mit meinen spärlichen verbliebenen Essrationen auskommen zu müssen, demotiviert mich etwas. Es gibt im Dunkeln ja sonst keine Ablenkung und so wandere ich missmutig dahin. Der höchste Punkt des ersten „Hügels“ ist fast erreicht, bald sollte es auch hell werden. Schemenhaft ahne ich schon die Landschaftskonturen. Träume ich? Ich wähne mich in Schottland. Grüne Wiesen, abgetrennt durch alte Steinmauern, hier und da Rinder und Schafe.
Spektakel die nun folgende Abfahrt durch die sehr steilen Berghänge. Der Erdboden ist feucht und glitschig durch den Nebel und teilweise außerordentlich steil, 25% und mehr. Was bin ich froh um mein MTB! Einzigartige Tiefblicke auf die Küste unter mir.
Ein alter Van, ein Mann mit Hund. Die hatten sich wohl einen Standplatz hoch oben in der Einsamkeit gesucht. Ich frage mich, wie es das alte Auto über diese steilen Anstiege hier hoch geschafft hatte. Auf jeden Fall war das mit der Einsamkeit wohl falsch gedacht … so viele Radfahrer wie hier vorbeikommen.
An der Küste kann ich schon Pozo de la Salud ausmachen. Hier steht einsam ein Hotel. Die Cafeteria ist laut Google heute geschlossen. Aber ich kann ja hoffen.
Aber nein, die ist wirklich zu. Ratlos stehe ich rum. Ich sehe einen Mann, der im Hotelgarten zu tun hat. Ich frage ihn, ob man im Hotel einen Kaffee bekommen könnte. Er bejaht, ich solle einfach in die Rezeption gehen. Und nicht nur Kaffee … gegen ein kleines Entgelt kann ich sogar ein Frühstück am Buffet bekommen. Das höchste der Gefühle. Ich belade meinen Tisch mit hunderttausend Leckereien und lasse mich nieder. Alles vom Feinsten. Hier bekommen mich keine zehn Pferde so schnell mehr weg. Was die Hausgäste am Tisch daneben wohl von der nicht ganz sauberen abgerissenen Person in Radkleidung denken? Rudi und ein anderer Fahrer kommen hinzu.
Mit vollem Bauch mache ich mich dann an den langen Aufstieg zum Pico de Malpaso. Es ist unterhaltsam. Abgesehen von der traumhaften Lavalandschaft macht der Wind hier Fisimatenten: einmal schiebt er mich flott weiter, nach der nächsten Kurve kommt der strong von vorne. Ich beobachte jede Richtungsänderung auf meinem Tacho und versuche die Windrichtung voreinzuschätzen. Was würde wohl mit dem Wind sein, wenn ich um die Südseite der Insel fuhr? Immer Gegenwind? Oje! Nun kommen auch vom Bergrücken starke Böen, die Nebelschwaden mit sich führen. Mir bleibt auch nichts erspart.
Nun geht es auch wieder ins Gelände. Ich fahre unter einem Nadelbaum und spüre einen Regentropfen. Das fehlt mir jetzt noch! Ich staune jedoch. Hier scheinen alle physikalischen Gesetze aufgehoben zu sein. Zuhause ist die Straße nass, nur unter den Bäumen ist es trocken. Hier ist es genau umgekehrt. Unter den Bäumen sind nasse Flecken, sonst ist alles trocken. Seltsam. Bin ich in einer verkehrten Welt gelandet oder träume ich?
Nun habe ich aber viel Zeit nachzudenken auf meinem mühsamen Weg nach oben. Des Rätsels Lösung scheint der Sturm zu sein. Im freien Gelände werden die Regentropfen weiter geblasen, stellt sich ein Baum in den Weg, dann schafft es das kühle Nass auf den Boden zu fallen. Irgendwann erinnere ich mich, dass ich in meinem Gepäck noch etwas Obst habe und dank des anonymen Spenders auf der letzten Fähre ein Päckchen kanarischen Ziegenkäse. So schlemme ich Birne mit Käse und fühle mich wie Gott in Frankreich.
Es gibt noch einige Überraschungen, steile Schiebepassagen, aber dann endlich bin ich oben auf dem Pico de Malpaso. Bei der Abfahrt ist äußerste Konzentration erforderlich, immer wieder droht sich mein Vorderreifen in tiefen Sand zu bohren. Ich ermüde und beschließe noch einen kleinen Powernap im Gras am Wegesrand einzulegen. Aber kaum habe ich es mir bequem gemacht und die Augen geschlossen, rasen zwei Athleten vorbei und rufen mir irgendwas zu. Ärger! Ich bin wieder munter und fahre weiter. Kleine Aufstiege in sengender Sonne und dann erwarten mich noch ultimative steile Meter bevor es endgültig ins Ziel ging. Muss das auch noch sein? Mindestens 3 Kilometer mit über 15% Steigung. Puhhhhhh! Nach den ersten Metern zu Fuß mit den rutschigen Radschuhen, erkenne ich, dass das noch anstrengender ist als langsam hochzuradeln. MTB-Übersetzung sei Dank!
Und dann das Sahnehäubchen: die letzten Kilometer steilste Abfahrt mit Traumblicken auf die tief unten liegende Küste bis nach Timijiraque, dem Zielort.
Meine Reise über 5 kanarische Inseln ist viel zu schnell zu Ende.
Die unzähligen Eindrücke müssen nun erst mal verarbeitet werden.
Dazu werde ich in der anschließenden Woche viel Zeit haben, denn als kleines Mitbringsel von den Inseln habe ich einen Corona-Virus mitgebracht …
*Nachtrag:
Tim, aus Spanien, hat mir im Nachhinein seine Story geschrieben. Sehr nett. Er war sehr hilfsbereit anderen Athleten gegenüber und hat selbst auf ein zügiges Vorankommen verzichtet. Ob ich so selbstlos wäre, frage ich mich …. Das mit dem Bild war nur Scherz. Aber für mich kam das gerade recht für eine gute Story in meinem Bericht … hahhaaaaa. Danke, Tim!
Ich war perplex, als Kitty von Dotwatcher.com* mich kürzlich kontaktierte und mir mitteilte, dass ich für den Lanterne Rouge Award nominiert würde. Sollte ich Jubeln? Sollte ich rot werden, weil das vielleicht peinlich ist? Ich sehe es aber als absolute Ehre an …
Das ist der Text auf Deutsch übersetzt (Quelle: Instagram @dotwatcher.cc):
Eine Auszeichnung, die zeigt, wie wichtig es ist, Widrigkeiten zu überwinden. Während jedes Rennen einen Sieger hat, gibt es eine andere Position, die viele DotWatchers aufmerksam verfolgen: die Lanterne Rouge. Mit ihren spannenden Geschichten und ihrer unerschütterlichen Entschlossenheit erobern diese Fahrer oft die Herzen und Köpfe ihrer Anhänger, sowohl auf der Straße als auch im Gelände.
Dieses Jahr stach Gabi Winck (@lumacagabi) besonders hervor. Gabi nahm an dem absoluten Mammutrennen GBDURO teil, das sie zwar als Letzte beendete, bei dem aber über 50 % der Teilnehmer nicht ins Ziel kamen. Sie erreichte jeden Checkpoint mit viel Elan und fuhr unter tückischen Bedingungen durch die Dunkelheit und bei schlechtem Wetter. Gabis positive Einstellung und ihre freundliche Art wurden an den Kontrollpunkten sehr geschätzt.
Gabi ist keine Unbekannte bei Ultra-Distanz-Rennen: Sie hat bereits das Three Peaks Bike Race und den North Cape 4000 absolviert. Gabi dokumentiert all ihre Abenteuer in ihrem ausführlichen Blog und auf ihrem YouTube-Kanal, der sowohl ein Spiegelbild ihrer bisherigen Erfahrungen als auch ein informatives Werkzeug für jeden Ultrafahrer ist.
Keine Sorge, Gabi hat sich bereits für mehrere Veranstaltungen 2023 angemeldet, es werden noch viele folgen.
Herzlichen Glückwunsch an Gabi für unseren Lanterne Rouge Award 2022, unsere Auszeichnung für die ausdauerndste Radfahrerin des Jahres.
*Dotwatcher ist eine wunderbare Plattform für ultra-distance cycling-Berichterstattung mit einer tollen Gruppe von Expertinnen und Experten, die jedes Ultra-Radrennen genau begleiten und analysieren. Bei der GBDuro fand ich die Berichterstattung sehr motivierend (bis auf die letzten Stunden, bei denen alle Diskutierenden meinten, ich schaffe es sicher nicht mehr in der Zeit ins Ziel …)